Ermittlern geht ein dicker Fisch ins Netz

Erstveröffentlicht: 
01.06.2017

Aachen. Ob er mit dem „Hausbesuch“ gerechnet hat? Als das Sondereinsatzkommando am Mittwochnachmittag das Haus an der Ecke Eckenerstraße/Trierer Straße stürmte, um Haftbefehle gegen drei Männer wegen des Verdachts auf Drogenhandel zu vollstrecken, ist ihnen nach Informationen der „Nachrichten“ auch der 34-jährige Neonazi Timm M. ins Netz gegangen.

 

Und der trug zu diesem Zeitpunkt passenderweise ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Hausbesuche“. Natürlich muss es sich dabei um einen Zufall gehandelt haben, obwohl der Großeinsatz in Brand schon lange geplant war. Denn es handelte sich um eine großangelegte Gemeinschaftsaktion von Europol mit der hiesigen Polizei.

 

Ziel: das Aufdecken umfangreicher Drogengeschäfte.

 

Die Bande soll seit Jahren über das sogenannte Darknet „gegen die digitale Währung Bitcoin verschiedene Betäubungsmittel“ vertrieben haben, teilte der Sprecher der Aachener Staatsanwaltschaft für den Bereich „Organisierte Kriminalität“, Staatsanwalt Jost Schützeberg, am Donnerstag mit.


Europol habe bereits im November 2014 Daten von sogenannten Internetmarktplätzen sichergestellt, seit 2015 waren die Ermittlungen dann mit der Aachener Staatsanwaltschaft und der Polizei koordiniert und mündeten in den SEK-Einsatz von Mittwoch. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Festgenommenen seit Herbst 2015 allein mindestens 20 Kilogramm Amphetamine zum Gesamtverkaufspreis von mindestens 160.000 Euro per Post verschickt haben.

 

Hundertschaft rückt an

 

Bei der Aktion am Mittwoch ging den Beamten, die zwischen 16 und 17 Uhr mit einer Hundertschaft an der Trierer Straße in Höhe der Autobahnauffahrt zur A 44 angerückt waren, nach Informationen der „Nachrichten“ eben auch Timm M. ins Netz – ein dicker Fisch der hiesigen rechtsradikalen Szene. Er ist nach Recherchen dieser Zeitung seit vielen Jahren in der Neonazi-Szene aktiv, sein Vater ist ein bekannter Neonazi in Nordrhein-Westfalen, seine Mutter aktuell in Ostdeutschland engagiert. Familienmitglieder fallen immer wieder durch Funktionen in der rechtsextremen Szene auf, seine beiden Brüder sind derzeit in der Ortsgruppe Aachen der völkisch-nationalistischen „Identitären Bewegung“ (IB) leitend tätig.

 

Timm M. ist darüber hinaus als rechter Liedermacher und Musiker aktiv, so hat er Songs des neonazistischen Hip-Hoppers „MaKss Damage“ mit produziert, war als Statist in einem in Aachen-Brand aufgenommenen Neonazi-Musikvideo zu sehen und unterstützt den Musiker aus Westfalen mit einem weiteren ehemaligen Ex-Mitglied der verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) als Gastsänger. In die KAL war er nach Informationen dieser Zeitung übrigens ebenso involviert wie in eine Gruppe namens „Syndikat 52“, die als KAL-Nachfolgeorganisation gilt und die ähnlich wie die KAL versucht, im Umfeld der Problemfans von Alemannia Aachen neue Anhänger zu rekrutieren.

 

Außerdem hat M. in den letzten Jahren an vielen rechtsextremen Aufmärschen in der Region teilgenommen, im März 2014 peitschte er in Aachen die „Kameraden“ über den Lautsprecherwagen dazu auf, Parolen zu skandieren. M. und zwei weitere Personen sollen im November letzten Jahres das Pogromnacht-Gedenken an der Aachener Synagoge und am Gedenkstein für die ermordeten Juden gestört haben. Antifaschisten warfen ihm und den beiden anderen Störern vor, auch direkt oder indirekt in den letzten Jahren an Angriffen auf Nazigegner und den Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten im Frankenberger Viertel beteiligt gewesen zu sein.

 

Als das Amtsgericht Aachen M. im Juli 2015 wegen Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer erneuten Bewährungsstrafe verurteilte, kam er trotz noch laufender Bewährung wegen einer positiven Sozialprognose glimpflich davon.

Ob sich Timm M. nun illegalen Drogengeschäften verschrieben hat, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

 

Über die Flachdächer

 

In dem an der Eckenerstraße gestürmten Haus – die Einsatzkräfte hatten das Gebäude auch über die angrenzenden Flachdächer ins Visier genommen – wurden nach Mitteilung von Jost Schützeberg Amphetamine im Kilogramm-Bereich sowie zahlreiche weitere Beweismittel wie Computer sichergestellt. Außerdem wurden dort insgesamt fünf Personen festgenommen: neben Timm M. noch ein 29-jähriger Mann, der ebenfalls mit Haftbefehl gesucht wurde, sowie drei weitere Personen. Ein Haftbefehl gegen einen 23 Jahre alten Mann wurde rund zwei Stunden später in der Brander Buschstraße vollstreckt. Dort wurden auch dessen Wohnung und sein Auto durchsucht.

 

Von den drei ohne Haftbefehl Festgenommenen kam am Donnerstag einer wieder auf freien Fuß. Gegen die beiden anderen wurde nach Auskunft von Staatsanwalt Jost Schützeberg ebenfalls Haftbefehl wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz erlassen.

 

Zum politischen Hintergrund konnte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag noch nichts sagen, dazu gebe es bislang keine Erkenntnisse. Der Einsatz habe auf den Drogenhandel gezielt und nicht auf die rechten Umtriebe der Festgenommenen, teilte Schützeberg mit.

Doch unabhängig davon, ob sich der Vorwurf des Drogenhandels bestätigt oder nicht, dürften den Behörden im Zuge ihrer Ermittlungen und der Razzia ebenso wichtige Informationen über Organisationsstrukturen der Neonazi-Szene in die Hände gefallen sein.

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die neonazis timm malcoci, julian fritsch, matthias drewer und melanie dittmer

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