Im Rahmen der Kampagne „Make racists afraid again“ mobilisieren Frankfurter antifaschistische Gruppen am 25. Februar zum Südbahnhof zu einer Demo gegen Naziterror und Rassismus. Angesichts der weltweiten Entwicklung und des Anschlags auf das Café des Project Shelter in Frankfurt ist das eine richtige erste Antwort.
„… sie müßten selber mächtig werden dieses einzigen Griffs, dieser weit ausholenden und schwingenden Bewegung, mit der sie den furchtbaren Druck, der auf ihnen lastete, endlich hinwegfegen könnten.“ (Peter Weiss)
Die Reaktion weltweit profitiert von der Krise des Kapitals. Das zeigt sich in der Wahl autoritärer Parteien, der Zunahme von rechter Propaganda und Gewalt, verschärften rassistischen Diskursen, dem antifeministischen Rollback und antisemitischen Krisendeutungen. Wichtige Akteur*innen in der BRD, um nur einige zu nennen, sind: die organisierten Pogrome gegen Geflüchtete und ihre Wohnungen, Pegida als der Mob der Straße, die Anzugs-Faschos von der AfD, die „Identitäre Bewegung“ als „hippe Jugendorganisation“, das sich intellektuell gebende „Institut für Staatspolitik“ und die Zeitschrift Sezession, „Wir sind die 1%“ als Versuch einer deutschen Tea-Party-Graswurzelbewegung, die Boulevardpresse compact und PI-News, biedere Blätter wie die Junge Freiheit, die „Demo für alle“ und der „Marsch für das Leben“ von den klerikalen Rechten, der möglicherweise in Frankfurt stattfindende Anti-Gender-Kongress des alle vereinenden Antifeminismus, die Szene der Islamkritiker*innen und antisemitische Verschwörungsgruppen und -querfrontler*innen wie die Montagsmahnwachen.
Diese Fraktionen und Flügel der sich neuformierenden Rechten in Deutschland nähern sich einander an. Stellte sich die „Neue Rechte“ in den letzten Jahren noch als unübersichtliches Feld mit verschiedenen Akteur*innen dar, versuchten die unterschiedlichen Strömungen spätestens zum zweiten Jahrestag von Pegida am 16. Oktober 2016 sich als einheitliche organisatorische Kraft zu präsentieren. Dabei übernehmen die verschiedenen Strömungen jeweils einschlägige, gewissermaßen organisch notwendige Funktionen für eine durchsetzungsfähige, auf gesellschaftlicher Ebene wirkende politische Kraft. Einig sind sie sich zumindest in der „Verteidigung des Abendlandes“ und dem anti-muslimischen Hass, in Rassismus, Antifeminismus und Nationalismus. Und die deutsche Politik von Wagenknecht bis Seehofer folgt diesen reaktionären Wegbereiter*innen stets auf den Fuß.
Doch zur traurigen Wahrheit gehört auch, dass die radikale Linke und die autonome Antifa es nicht geschafft haben, diese Entwicklung zu verlangsamen geschweige denn zu stoppen. Am 25. Februar auf die Straße zu gehen, ist eine richtige Antwort auf den rassistischen Anschlag gegen das Project Shelter. Wir lassen uns die Straße nicht von den Nazis nehmen! Das kann aber nicht die einzige Antwort bleiben. Der antifaschistische Widerstand ist zum Scheitern verurteilt, wenn er sich auf Feuerwehrpolitik beschränkt, wenn wir von Nazi-Aufmarsch zu Nazi-Aufmarsch rennen und es ja in letzter Zeit nicht einmal mehr schaffen, diese zu verhindern oder auch nur ernsthaft zu stören.
Der Staat und die Bullen werden in Zukunft nicht weniger hart durchgreifen, im Gegenteil: die Spielräume, die wir teilweise hatten, indem Staat und Polizei Blockaden geduldet haben, weil es politisch sinnvoll schien oder der politische Preis zu hoch war, da Nazis als schlechte Patrioten im Gegensatz zu den guten, „wahren Patrioten“ irgendwie ja doch nicht so gut zum schönen neuen Großdeutschland passen und es international einfach nicht so nett aussieht, wenn in Deutschland die braune Brut wieder hervorkommt, während die deutsche Wirtschaft doch nur in Ruhe ihre Waren weltweit loswerden will, diese Spielräume werden kleiner angesichts rechter Regierungen weltweit, der Tendenz zum autoritären Staat und einer Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses nach rechts. Darüber brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. Angesichts dieser Verschärfung bleibt es notwendig, den Nazis das Leben zur Hölle zu machen und ihnen den öffentlichen Raum zu nehmen. Dazu gehören Recherche, Blockade und Störung von Aufmärschen, direkte Aktionen und Aufklärung.
Der antifaschistische Widerstand darf sich aber nicht auf die Bekämpfung von solchen konkreten Situationen wie Nazi-Aufmärschen oder AfD-Parteitagen beschränken. Wichtig wäre vor allem, die objektiven Gründe des Aufstiegs der Rechten zu erkennen und adäquate Gegenstrategien zu entwickeln. Die AfD hat ihre Wählerschaft vor allem im abstiegsbedrohten Kleinbürgertum und der verrohten bürgerlichen Mittelschicht aber auch bei den Arbeiter*innen. Die bürgerlichen Individuen sind in ihrem Alltag ständigen Ängsten ausgesetzt. Sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz, Angst ihre Miete nicht bezahlen zu können, werden verdrängt, gerade in Großstädten wie in Frankfurt, befürchten, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Es entsteht ein allgemeines Verfolgungs- und Weltuntergangsgefühl. Anstatt dies auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen, behaupten die rassistischen Hetzer*innen, dass es die komplett Besitzlosen und das migrantische Proletariat seien, die ihren Lebensstandard gefährden. Die Gewalt der globalen Klassengesellschaft treibt Menschen in die Flucht und stellt zugleich einen Angriff auf die Lebensgrundlagen aller Menschen dar.
Die neuen rechten Bewegungen greifen bewusst die materiellen Ängste der Menschen auf, denn die hiesigen Mittelschichten wissen ja um die Fragilität ihres Lebensstandards, der von der Dynamik des globalen Kapitalismus in Frage gestellt ist. Diese vom Abstieg bedrohten, wildgewordenen Kleinbürger*innen in den westlichen Ländern sind es, die nun zur Massenbasis einer neuen rechten, rassistischen Bewegungen werden. Die Geflüchteten führen ihnen die brutale, globale Realität der Ausbeutung in der hiesigen vermeintlichen „Wohlstandsoase“ direkt vor Augen. Auch wenn einige meinen, sich durch Abschottung und Rassismus vor der Gewalt des globalen Kapitalismus retten zu können, wird ihnen dies nichts nützen. Statt die Wurzeln zu bekämpfen, hetzen sie lieber gegen die ersten Opfer dieser Weltunordnung.
Der Erfolg der Rechten ist vor allem das Ergebnis einer seit dem Ende der 70er Jahre andauernden globalen Welle der Konterrevolution, die unter dem Druck des Kapitals die errungenen Erfolge der Arbeiter*innenbewegung zerstörte. In der BRD war es die rot-grüne Regierung, die unter Duldung der DGB-Führungsriege und mithilfe der von ihnen proklamierten nationalistischen Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland zerschlug und damit den Boden bereitete für den Erfolg von AfD & Co. Der Rechtsruck ist eingebettet in den Krisendiskurs und eine willkommen, um die Frustration vieler Menschen über die verschlechterten Lebensverhältnisse und Zukunftsaussichten abzuleiten. Die Diskussionen über Schmarotzer*innen, die Unterscheidung von „guten“, also verwertbaren, und „schlechten“ Flüchtlingen, die Abschottung Europas durch Frontex seit 2005, all das begleitete die sogenannten Reformen wie Hartz IV, das Tarifeinheitsgesetz, die organisierten Angriffe auf die arbeitende Klasse durch das Kapital.
Die radikale Linke hat sich aus den Hartz IV Protesten schnell zurückgezogen. Die Nazis konnten die Hartz-Proteste erfolgreich zur Mobilisierung nutzen. Wir haben es nicht nur versäumt, eine sozialrevolutionäre Perspektive einzubringen, sondern haben gar nicht erst sehen wollen, dass diese Angriffe auch Angriffe gegen uns alle sind! Wir haben es nicht geschafft, einen wirksamen Kampf zur Abwehr der Hartz IV-Gesetze oder der deutschen Austeritätspolitik zu führen. Nach unserer Niederlage haben wir uns dann in moralische Appelle geflüchtet, Großdemonstrationen organisiert und Polit-Events für gelangweilte Großstädter*innen gemacht. Der Erfolg wurde danach bemessen, wie viele Leute auf die Straße gebracht wurden.
Vor allem aber wurde eines der Kernelemente kommunistischer Politik einfach über Bord geworfen: der Klassenkampf. Dieser sei dogmatisch, das Proletariat sei als revolutionäres Subjekt sowieso nicht zu gebrauchen oder per se nationalistisch. Aber nur, weil wir nicht mehr von Klassenkampf reden wollten, blieb der Klassenkonflikt ja dennoch bestehen. Die Produktion des nationalen Reichtums im Billiglohnland BRD basiert auf der erfahrbaren Ausbeutung der Lohnabhängigen in Produktion und Reproduktion. Gerade wegen dieser Erfahrung sind die Leute ja objektiv abgefucked.
Wir brauchen keine liberale Kritik des Rassismus und Sexismus, kein Bündnis mit bürgerlichen Nazigegner*innen. Wir müssen nicht als die besseren Staatsbürger*innen auftreten, die die Demokratie und die bürgerliche Gesellschaft gegen ihre selbstproduzierten und ihr von Zeit zu Zeit durchaus willkommenen faschistischen Auswüchse verteidigt. Die bürgerliche Demokratie gegen den Faschismus zu verteidigen, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Der Boden dieser Gesellschaft ist fruchtbar noch! Nur eine sozialrevolutionäre Bewegung kann dem Faschismus seine Grundlage entziehen. Das Bewusstsein darüber, dass Lohnarbeit dumm und krank macht und nicht sein muss, gerade dieses Bewusstsein ist dazu in der Lage, den immer vorhandenen Klassenkonflikt in emanzipatorischer Perspektive auszutragen und ist als einziges ein wirklich wirksames Gegenmittel gegen die Krisenstrategien des Kapitals. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder Deutschland bleiben erst dann nicht nur weltfremde Ideale, sondern treten in die Wirklichkeit, wenn ihre Ursachen beseitigt werden. Klassenkampf und Antifaschismus sind notwendige Bestandteile einer sozialrevolutionären Politik.
Jede sozialrevolutionäre Bewegung muss sich allerspätestens seit Ausschwitz im Klaren darüber sein, dass das Unbehagen an den bestehenden Verhältnissen nicht automatisch zu einer emanzipatorischen Bewegung führen muss. Das zeigen die nationalistischen, völkischen, rassistischen, sexistischen und antisemitischen Krisenbearbeitungsstrategien. Schon deshalb muss der Antifaschismus Bestandteil sozialrevolutionärer Politik sein und in diesem Sinne ist der Antifaschismus auf den Klassenkampf angewiesen.
Denn Antifaschismus bedeutet mehr als die bloße Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft gegen ihre negative Aufhebung. Der Faschismus ist ein Geschöpf ebendieser Gesellschaften, ein Geschöpf der kapitalistischen Moderne. Wer den Faschismus ernsthaft bekämpfen und unmöglich machen will, muss seine sozialen Entstehungsbedingungen, also die kapitalistische Vergesellschaftung, theoretisch und praktisch in die Kritik nehmen. Insofern ist der konsequente Antifaschismus immer auf den Klassenkampf verwiesen. Da reicht es eben nicht, Nazidemos zu blockieren, Antifa-Kampagnen zu organisieren und Faschist*innen auf der Straße umzuboxen, so wichtig das auch bleibt.
Der Klassenkampf trägt allerdings auch schon in sich ein antifaschistisches Moment. Wir werden durch nationalistische, antisemitische, rassistische und sexistische Strukturen und Ideologien gespalten. Der Klassenkampf arbeitet dieser Entsolidarisierung der globalen Klasse der Lohnabhängigen entgegen. Darüber hinaus ist Klassenkampf als Selbsttätigwerden der Lohnabhängigen eine widerständige Praxis und damit gegen den autoritären Charakter gerichtet. Er ist das Gegenprinzip zur Volksgemeinschaft.
Ein strategisch geführter antifaschistischer Kampf muss also in der öffentlichen Kritik ein Bewusstsein über die Herkunft der Ängste aus den klassenbedingten Widersprüchen schaffen und die Grundlagen für diese Ängste durch Klassenbewusstsein und Selbstorganisierung wegschaffen, also andere Beziehungsformen des Alltags und in der Reproduktion schaffen, die Aufhebung der bürgerlichen Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit und ein Ende der Vereinzelung erstreiten.
Die radikale Linke der BRD hat die soziale Frage in den letzten 25 Jahren kaum zum Thema gemacht. Die Quittung erhalten wir jetzt. Auch viele Arbeiter*innen gehören ganz entgegen ihren Interessen zur Wählerschaft der AfD. Es gibt nur eine Losung für den Antifaschismus: Wir brauchen keine deutschen Antworten auf Klassenfragen, sondern Klassenantworten auf deutsche Fragen.
Setzen wir der rechten Hetze die globale Solidarität der Ausgebeuteten und den Kampf für eine klassenlose Gesellschaft ohne Patriarchat und Rassismus entgegen!
Antifa-Demo, 25. Februar 2017, 16 Uhr, Südbahnhof Frankfurt
Antifa Kritik & Klassenkampf im Februar 2017
web: akkffm.blogsport.de
wow
danke! Dieser Text spricht mir aus der Seele! Es bleibt die Hoffnung, dass sich die radikale Linke endlich wieder der sozialen Frage, der Basis und der radikalen Herrschaftskritik annimmt. Einzig an einer Formulierung hätte ich eine Kritik: Die Klassenantworten brauchen wir nicht für deutsche Fragen, sondern für die globalen, aber ich glaub, ich weiß schon, was ihr meint, finde es aber etwas ungünstig ausgedrückt. Naja, immer was zu meckern ;)
Wagenknecht reaktionär?
hab den Text gelesen und auch sehr gut gefunden, bis wieder mal Sahra Wagenknechts Name in einem Atemzug mit irgendwelchen reaktionären Pfeifen genannt wurde (hier: Seehofer). W. hat das Zeug aus der Linken (damit meine ich die gesamtpolitische Bewegung als auch die Partei) wieder eine relevante Kraft zu machen. Gerade die Verteilungsfrage muss wieder auf den Tisch und die Chancen standen nie so gut. Der rasende Sozialabbau hat zu diesem fundamentalen Rechtsruck in Europa geführt und nur die Linke kann was dagegen tun. So traurig es auch sein mag.