HU Berlin: Diversität als Aufstandsbekämpfung?

Adbusting Georgenstraße, nahe dem Sowi-Institut

Am besetzten Institut für Sozialwissenschaften scheint man ein sonderbares Verhältnis zum Begriff der Diversität zu haben. Eine Rolle spielt dieser nur, wenn es um das Unterdrücken von Protesten im eigenen Haus mittels der „Teile und Herrsche“- Strategie geht. Die Dekanin von Blumenthal und der Direktor Giesecke haben der Besetzung im Institut für Sozialwissenschaften einen offenen Brief geschrieben. Darin verunglimpfen sie den Aufenthalt von Studierenden in der Universität als rechtswidrig und versprechen für den Fall einer freiwilligen Räumung „ den mit dem Diversitätstag im Jahr 2015 begonnenen Dialog über Inhalte und Formen der Lehre am Institut für Sozialwissenschaften mit allen Statusgruppen fortzuführen“. Was hat es mit diesem Angebot auf sich?

 

Diversität als „vielfältiges Hochschulleben“

Diversität würde wörtlich übersetzt so etwas wie „Vielfalt“ bedeuten. In diesem Kontext meint „Diversität“ so etwas wie „vielfältiges Hochschulleben“. In D-Land ist das Bildungswesen durch ausgeprägte „Flaschenhälse“ geprägt. Die Art und Weise, wie das Bildungssystem organisiert ist, führt dazu, dass eigentlich fast nur Kids aus den Haushalten des weißen privilegierten Bildungsbürger*innentums auf den Hochschulen landen und universitäre Abschlüsse erwerben. Für das Institut für Sozialwissenschaften in der Hipster-Hochburg Berlin mit seinem NC von regelmäßig Einskommairgendwas gilt dies umso mehr.

 

Das Habitus-Konzept

Laut den Theorien des Soziologen Piere Bourdieus ist dies mit dem Habitus-Konzept erklärbar. Bourdieu zufolge ist für den Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen nicht nur ökonomischen Kapital regulativ. Daneben gäbe es noch andere Kapitalformen, wie z.B. kulturelles Kapital oder soziales Kapital. Diese Kapitalformen seien weitestgehend immateriell, lassen sich aber in ökonomisches Kapital umwandeln.

 

Kapitalformen

Bereits kleine Kinder würden über ihre Sozialisation mit den Umgangsformen und Interessen der Eltern kulturelles Kapital ansammeln. Wer welches Kapital wie ansammeln würde, werde vor allem durch den Habitus bestimmt. Der Habitus sei laut Bourdieu ein bestimmter Schichten, Klassen, Ständen und Milieu entsprechender „Geschmack“, der Konsum und Alltagstätigkeiten bestimme. Der Habitus regle z.B. wer in die Oper geht und wer lieber zum Fußball. Über diesen gruppenspezifischen „Geschmack“ werde aber auch Zugehörigkeit und Distinktion vermittelt.

 

Wie der Flaschenhals funktioniert

Zurück zur Bildung: Ein Kind aus dem Bildungsbürger*innentum hat es bereits in der Grundschule leichter, weil die „Tante da vorne“ (Zitat Bourdieus aus „Soziologie ist ein Kampfsport“) alles so machen würde, wie es die Mutter zuhause auch tun würde. Kids aus subalternen Milieus hätten hingegen viel höhere Adaptionsleistungen zu erbringen, weil sie den bildungsbürgerlichen Erwartungshorizont erst begreifen müssten.

 

Ausgrenzung an Hochschulen

Dies würde sich zudem an den Hochschulen fortsetzen. Kids aus subalternen Milieus müssten ständig den Spagat zwischen ihrer Welt und dem des Bildungsbürger*innentums bewältigen. Darüber hinaus vermitteln ihnen Mit-Studierende und Dozierende über die Alltagskommunikation und dem darin zum Ausdruck kommenden „Geschmack“ ständig das Gefühl, nicht dazu zu gehören.

 

Beispiel für Ausgrenzung: Die Ersti-Ralley

Dieses Spiel der unterschwelligen Ausgrenzung spielt übrigens auch die Sowi-Fachschaft munter mit. Zum traditionellen Programm der Campus-Ralley für Erstis in der Orientierungswoche gehört ein Spiel, bei dem Erstis Bilder von Soziologen mit dem richtigen Namen versehen und ihnen Zitate aus ihren Werken zuordnen müssen. Eine Aufgabe, die Erstis selbstverständlich überfordert (was der Witz an der Sache zu sein scheint). Die unterschwellige Messsage dieses universitären Initiationsrituals an die Erstis ist jedoch: „Du kannst das nicht, du bringst Grundfertigkeiten nicht mit, du bist dumm. Wenn du das nicht kannst, gehörst du hier nicht hin“ Und zu allem Überfluss gibt’s na klar jedes Jahr wieder eine handvoll Streber*innen, die die Rätsel doch lösen können und damit mit ihrem Habitus die ausschließende Wirkung des Spiels noch verstärken.

 

Rassismus reproduzieren

Wenig verwunderlich reproduziert dieser Kartoffelhaufen am Sowi-Institut ständig am laufenden Band eurozentrische Rassismen. Aber weil Rassismus so ein hässliches Wort ist, mit dem man im Bildungsbürger*innentum natürlich nichts zu tun hat, reden die etwas karriere-orientierteren Studies und Dozierende dann lieber von „Diversität“.

 

Von Selbstkritik keine Spur am IfS

Die Idee, dass sich ein größtenteils biodeutscher privilegierter Kartoffelhaufen mittels des Diversitäts-Gedankens sich selbst kritisch hinterfragt, und versucht Maßnahmen zu entwickeln, wie der eigenen rassistischen, klassistischen kartoffeligen Ausschließlichkeit entgegen gewirkt werden kann, sich sicher sinnvoll. Nur leider passiert dies trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht am IfS.

 

Diversität als Aufstandsbekämpfung...

Diversität spielt am IfS nur eine Rolle, wenn es um Aufstandsbekämpfung geht. Der im Schreiben der Institutsleitung erwähnte „Institutstag für Diversität in Forschung und Lehre“ wurde 2015 als direkte Reaktion auf die Kritik an Herfried Münkler, die im Sommersemester 2014 von der Fachschaft und im Sommersemester 2015 deutlich spektakulärer von „Münkler-Watch“ geäußert wurde, veranstaltet. Begründung war dabei explizit an erster Stelle der „Institutsfrieden“, der durch die ständige Kritik bedroht sei.

 

Teile und Herrsche

Unter dem Druck der Öffentlichkeit sah man sich also gezwungen, zum einen mittels einer scheinbar selbstkritischen Beschäftigung von den vorhandenen Problemen abzulenken. Darüber hinaus bietet der Institutstag für Diversität den eher karriere-orientierten Leuten unter den Kritiker*innen ein sozial akzeptiertes Tätigkeitsfeld, dass sich auch noch gut im Lebenslauf macht. Hier zeigt sich das Potential des Angebots als Strategie des Teilen und Herrschens. Statt eine fundierte Kritik zu entwickeln, freuen sich Studierende von Heute über die scheinbar positive Aufnahme ihrer Anliegen durch die Autoritäten ihrer Welt. Und die damit verbundenen Hoffnungen vernebeln den Kopf für klare Analyse.

 

Diversitäts-Tag: Ein Flop

Und so läuft es dann auch. Zum Glück durchschauen die meisten Studierenden den Schwindel oder freuen sich einfach über den vorlesungsfreien Tag. Nur etwa 100 Studierenden beteiligten sich trotz Tonnen von Freibier auf der anschließenden Party am Diversitätstag. Ganze Lehrstühle (Münkler vorneweg) boykottierten die Fachforen. Für die Weiterführung der auf dem Event gegründeten AGs wurden weder Haushaltsmittel noch Personal zur Verfügung gestellt. Und so wurde die neue Kultur des sich selbst kritisch Hinterfragens wie gewünscht nach einem kurzen Spektakel wieder zu den Akten gelegt.

 

Diversität aus der Versenkung geholt

Die erste nennenswerte Erwähnung und Bezugnahme der Institutsleitung auf den „Institutstag für Diversität“ seit damals ist nun ausgerechnet der Brief von Dekanin Blumenthal und Direktor Giesecke an die Besetzung. Und die Situation ist wieder vergleichbar. Das Institut und die Uni stehen wegen der Entlassung des Stadtsoziologen Andrej Holms in einem schlechten Licht in der Öffentlichkeit. Und ähnlich wie „Münkler-Watch“ erzeugt die Besetzung einen massiven Druck. Und siehe da: Der Institutstag taucht wieder auf. Explizit als Angebot für den Falle einer freiwilligen Aufgabe. Und natürlich wieder ohne feste Personalstellen oder Haushaltsmittel.

 

Diskursive Strategie zum Vermeiden von Vorwürfen

Es zeigt sich deutlich, wie sehr das Gequatsche von „Diversität“ zum einen eine diskursive Strategie zum Vermeiden von Rassismus-Vorwürfen ist. Darüber hinaus ist damit die Hoffnung verbunden, Teile der Kritiker*innen einbeziehen zu können und aufs Abstellgleis zu schieben. Es bleibt zu hoffen, dass das Kalkül der Institutsleitung nicht aufgeht, und sich nicht wieder einige mit fadenscheinigen Angeboten, die nur der Aufstandsbekämpfung dienen, kaufen lassen.

 

Mehr Infos:

 

Theoretisches praktisch: Bourdieus Kapital-Theorie erklärt Kartoffel-Rassismus am IfS:

http://maqui.blogsport.eu/2015/09/07/ist-wissenschaft-ohne-afrikaner-rassistisch-und-sexistisch/

 

Der Aufstand am Institut für Sozialwissenschaften und Albert Camus „Der Mensch in der Revolte“:

http://maqui.blogsport.eu/2017/01/31/der-aufstand-am-institut-fuer-sozialwissenschaften-und-albert-camus-der-mensch-in-der-revolte/

 

Klebezettel-Kommunikationsguerilla gegen AKP-Besuch an der HU:

http://maqui.blogsport.eu/2016/11/27/b-klebezettel-kommunikationsguerilla-gegen-akp-besuch-an-der-hu/

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Zustimmung zur Aktion. Allerdings finde ich den Begriff "Kartoffelhaufen" problematisch - klar müssen sich die priviligierten SoWis keine großen Sorgen machen ... ihr reproduziert damit aber weiter diskriminierende Begriffe. Ähnlich wie bei positiven Vorurteilen stellt das letztlich die Basis für gruppenbezogene Aggressionen.

Rassismus, Vorveruteilung und gruppenspezifische Stigmata sind in jeglicher Form konsequent abzulehnen - ohne Ausnahmen. Sie dürfen nicht im gesellschaftlichen Diskurs bleiben.

Schon durch die Verwendung des Wortes Kartoffeln für Studis aus dem Bildungsbürgertum (oder meinst du eigentlich Bio-Deutsche) hast du die gleichen Denkmuster verwendet wie die Rassisten und dich als wiedersprüchlich gezeigt.

 

Die Schichtzugehörigkeit und die Chancen in der Gesellschaft (Marktlage), werden bestimmt durch Beruf, Bildung, subj. Charakterika und Einkommen. Die Ersti Woche hat dagegen sogut wie keinen Einfluss;)