[L] Wirtschaftskrimi um Unister: Das Venedig-Komplott

Erstveröffentlicht: 
02.08.2016

Im Krimi um Unister ist eine neue Figur aufgetaucht. Ein Widersacher des verstorbenen Thomas Wagner wusste früh von dessen dubiosem Kreditgeschäft – und wollte ihn festsetzen lassen. Woher hatte er seine Informationen?

 

Düsseldorf. Reinhard Rade begann am Sonntag, 10. Juli, um exakt 22.39 Uhr damit, seine Gedanken niederzuschreiben. „Thomas Wagner“ nannte er die Word-Datei. Etliche Indizien für einen veritablen Wirtschaftskrimi hatte er in den Wochen zuvor gesammelt. Und jetzt, so schien es, hatte er den zentralen Aspekt gefunden. Rade verfasste eine Strafanzeige gegen Thomas Wagner, den Gründer des Online-Reiseportals Unister (fluege.de, ab-in-den-urlaub.de). Die letzte Änderung an der Datei nahm er am nächsten Tag vor, um 21.30 Uhr.

Mit Rade erscheint eine neue Figur im Wirtschaftskrimi um die Leipziger Firmengruppe. Was bisher bekannt ist: Um Geld für sein klammes Unternehmen zu beschaffen, flog Wagner Mitte Juli mit einem Privatjet nach Venedig. Offenbar hatte er 1,5 Millionen Euro in bar bei sich. Das Geld sollte als Anzahlung für einen dubiosen Kredit dienen, den er von einem israelischen Diamantenhändler erhalten sollte.

Erst in der Lagunenstadt, nachdem er das Bargeld abgeliefert hatte, bemerkte der 38-jährige Internetunternehmer, dass er wohl betrogen worden war. Wagner erstattete selbst Anzeige. Auf dem Rückflug nach Leipzig stürzte das Flugzeug ab. Der Unternehmer und drei weitere Insassen starben bei dem Unglück.

Mit Reinhard Rade wusste ein Widersacher Wagners früh von dem Venedig-Deal. Aus dem Entwurf seiner Strafanzeige, die er drei Tage vor Wagners Abreise verfasste und die dem Handelsblatt vorliegt, geht hervor: Rade wollte den Unister-Chef in Italien festsetzen lassen – wegen des Verdachts der Geldwäsche.

Um das Unister-Imperium war ein Kampf entbrannt. Die beiden Gründer Thomas Wagner und Daniel Kirchhof standen sich zuletzt unerbittlich gegenüber. Beim BWL-Studium hatten sie sich 2002 kennengelernt und das Unternehmen gemeinsam aufgebaut. Lange Zeit teilten sie sich das Chefbüro, tüftelten oft bis tief in die Nacht an Projekten. Doch die Freundschaft zerbrach. Wagner setzte Kirchhof vor die Tür. Zuletzt lebten beide ihre Feindschaft aus.

Reinhard Rade zählt zum Kirchhof-Lager. Rade hat eine Vergangenheit in der rechten Szene. Doch er sei seit 20 Jahren nicht mehr politisch aktiv, gehe heute nur noch ab und an bei den Leipziger „Legida“-Demonstrationen mit, sagte er dem Handelsblatt. Er ist ein Vertrauter und Duz-Freund von Kirchhof. Die beiden kennen sich, seitdem Kirchhof 2012 wegen des Verdachts der unerlaubten Versicherungsgeschäfte und Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft musste. Rade stellte damals die Kaution, um Kirchhof aus dem Gefängnis zu holen. Rades Ehefrau, eine Rechtsanwältin, vertritt Kirchhof seit seiner Verhaftung. Im Anschluss arbeitete Rade als Berater für Kirchhof. Er geriet mit Wagner öfter heftig aneinander.

Ausgerechnet Rade wusste frühzeitig mehr als so mancher Manager bei Unister über jenen Kredit-Deal, der Wagner dazu veranlasste, die verhängnisvolle Reise anzutreten. Woher hatte Rade sein Wissen? Das Handelsblatt hat mit etlichen Akteuren dieses Krimis gesprochen. Unterlagen und Korrespondenzen liegen vor.

Nach eigenen Angaben hat Rade sein Insiderwissen von einem Freund erhalten, obwohl zwischen Rades Freund und Unister nie eine Verbindung bestand – bis zum 28. Juni.

An jenem Tag traf der Rade-Vertraute im Hannoveraner Hotel Luisenhof einen Ex-Banker namens Karsten K. sowie Finanzvermittler Heinz B. und einen weiteren Berater. Die Männer machten ihm (erfolgslos) ein Kreditgeschäft mit einem israelischen Diamantenhändler schmackhaft.

Als der Rade-Freund das Hotel verließ, warteten schon die nächsten Interessierten auf ein Gespräch mit den Finanzvermittlern. Zwei Männer um die vierzig Jahre alt, beide trugen Anzug. Das alles hatte der Rade-Freund zufällig beobachtet. Und zählte eins und eins zusammen: nämlich, dass auch die Wagner-Vertrauten nun über ein ähnliches Geschäft verhandeln wollten. All das erzählte er später Rade, der das dann, als Anzeige formuliert, niederschrieb.

Tatsächlich waren die beiden Männer im Auftrag Wagners im Luisenhof. Zwei junge Manager, mit denen der Unister-Chef noch viel vorhatte: Es handelte sich um den Aufsichtsratschef sowie den Vorstandsvorsitzenden der „Capital One AG“, einer Aktiengesellschaft, in die Wagner das werthaltige Reisegeschäft ausgliedern wollte, um es an die Börse zu bringen.

Die Unister-Delegation traf in der Lobby auf die drei Finanzberater. Es wurde Kaffee gereicht. Wohlige Gesprächsatmosphäre wollte trotzdem nicht aufkommen. Die Finanzvermittler stellten sich nur kryptisch vor, reagierten auf Nachfragen ausweichend. Nach 25 Minuten hatten die beiden Unister-Manager genug. Noch vom Handy sollen sie Wagner von dem merkwürdigen Treffen berichtet haben. Sie stuften demnach die Geschäftsleute als unseriös ein. Für sie war das Thema zunächst erledigt.

Nicht so für Thomas Wagner. Noch am gleichen Tag, um 20.18 Uhr, meldete er sich per E-Mail bei Finanzberater K.. „Haben Sie mal kurz Zeit für ein Telefonat? Ich bin noch im Büro zu erreichen.“

Karsten K., ehemaliger Bankdirektor und Unternehmensberater, antwortete am Folgetag. Er fasste das Gespräch in Hannover zusammen. Privatfinanzier sei ein Israeli namens Levi Vass, der seit über 30 Jahren im weltweiten Diamantengeschäft tätig sei, daneben soll er an verschiedenen Spielbanken beteiligt sein. Er habe Wohnsitze in Slowenien und Italien. „Im Internet ist er nicht zu finden (auch keine Negativmerkmale), was angesichts der Diskretion seiner Geschäfte nicht verwundert.“

Der Deal sollte wie folgt ablaufen: In Venedig treffe man sich in einem seriösen Hotel. Der Kreditnehmer bringe zehn Prozent der Summe in bar als Anzahlung mit. Im Gegenzug gebe es 25 Prozent des Kredits in bar zurück. Der Rest des Geldes sollte über die Banken fließen. „Wichtig wäre noch: ab dem 20. Juli beginnen in Italien die großen Ferien; dann wird auch Herr Vass – wie ich hörte – für zwei Monate absent sein.“

Karsten K. wollte dem Handelsblatt nichts zu seiner Rolle in dem dubiosen Geschäft sagen. Er verwies auf die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Die ermittelt in der Sache inzwischen wegen Betruges.

Für Wagner tickte die Uhr. Seiner Unternehmensgruppe klebten die Gläubiger an den Versen. Die Hanse-Merkur verlangte Geld aus einem zweistelligen Millionen-Kredit zurück. Google hatte ebenso noch offene Forderungen wie das Finanzamt. Und Krankenkassen pfändeten bereits Konten von Unister-Firmen.

Um der Pleite zu entgehen, hoffte Wagner angeblich auf 15 Millionen Euro aus Venedig. Doch wie sollte er das nötige Bargeld beschaffen?

Wagner hob kurz vor seiner Abreise Mitte Juli 1,5 Millionen Euro vom Firmenkonto der Holidayreporter GmbH ab, einer Unister-Tochter. Die Commerzbank verlangte jedoch für das ungewöhnliche Geschäft weitere Unterlagen: Es bestand Geldwäscheverdacht. Über eine Reihe von Darlehensverträgen verschob Wagner Geld zwischen Firmentöchtern. Am Ende stand ein Privatkredit, der mit seinem Gehalt als Geschäftsführer abgesichert war.

Das Geld war beschafft, das Feld war bestellt

Zur gleichen Zeit präparierten sich auch Wagners Widersacher. Drei Tage vor der Abreise schrieb Reinhard Rade in seine Strafanzeige viele Details. Thomas Wagner, heißt es darin, erwarte die Gewährung eines Großkredits. Der Kreditgeber sei ein angeblich schwerreicher Diamantenhändler mit Namen Vass aus Venedig, der ein tilgungsfreies Darlehen von 10 bis 25 Millionen Euro gewähre. Thomas Wagner werde, „hier vorliegenden Informationen“ zufolge, mit einem Privatflugzeug nach Venedig reisen. Lediglich beim Abflugort irrte Rade. Er ging von Düsseldorf aus. Wagner habe einen Barbetrag von zehn Prozent der Darlehenssumme bei sich.

Der kommerzielle Wechsel der Barbeträge außerhalb des Bankensystems, so schreibt es Rade für die Behörden auf, verstoße gegen deutsche und italienische Gesetze, besonders in Bezug auf Geldwäsche.

Gegenüber dem Handelsblatt erklärte Rade, er habe das Geschäft stoppen wollen. „Ich habe mich in Italien bei Anwälten erkundigt. Dort ist das Mitführen einer solchen Bargeldsumme eine Straftat. Ich wollte dies den Behörden melden, damit Wagner am Flughafen in Venedig mit dem Bargeld abgefangen wird.“ Doch dazu kam es nicht. Noch bevor Rade seine Anzeige erstattete, musste er eigenen Angaben zufolge akut ins Krankenhaus. Seine Anzeige schickte er nie ab.

Während er unangenehmen Fragen in Venedig entging, tappte Wagner wohl dennoch in eine Falle. Das Bargeld wurde er in Venedig offenbar los, an einen Mann, der sich als Levi Vass vorstellte. Nur auf die Kreditsumme hoffte er vergebens. Laut Vertrag sollte Wagner 25 Prozent der Summe in bar in Schweizer Franken erhalten.

Offenbar jubelte ihm der Mann bis auf 10.000 Franken jedoch Falschgeld unter. Noch am Abend erstattete Wagner bei der italienischen Polizei Anzeige wegen Betruges. Den Ermittlern kam der Fall, so berichten es venezianische Medien, bekannt vor. Demnach gab es nach der gleichen Masche weitere Betrugsfälle in Norditalien.

Weil sich so schnell kein Dolmetscher fand, um die Anzeige zu erstatten, blieb Wagner eine Nacht länger als ursprünglich geplant. Am Folgetag stieg er in die Piper PA 32-R. Das Wetter war schlecht. Angeblich vereiste die Maschine. Am Vormittag raste das Flugzeug im gebirgigen Gelände Sloweniens in einen Wald, brannte aus. Thomas Wagner, sein Freund und Mitgesellschafter Oliver Schilling, sowie der Finanzberater Heinz B. und der 73-jährige Pilot kamen ums Leben.

Neben der Anzeige auf Italienisch fanden die slowenischen Ermittler 10.000 Schweizer Franken in bar.

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Herr Wagner brauchte einen Kredit. Damit die Banken davon keinen Wind bekommen, sollte es Bargeld sein. Und der Kreditgeber verlangte als Sicherheit eine Art "Anzahlung". Also nimmt er 1,5 Millionen Euro mit, um auf die erste Tranche von 2,5 Millionen zu hoffen; 25 Prozent von vereinbarten 10 Mio. Euro.

An diesem Punkt hätte man eigentlich schon stutzig werden müssen, egal wie notleidend es dem Unternehmen geht. Aber offensichtlch war Wagner derart geblendet und vielleicht ein Stück naiv.

 

Der Wirtschaftskrimi endet leider unerwartet prompt. Die Beteiligten sind tot, die Unternehen der ganzen Unister-Gruppe pleite.