Aufruf zur Antirepressionsdemo am 30 Juli 2016 um 15.00 Uhr, Stadthaus 1 Klemensstraße, Münster. Aufruf, Infos und Material sind unter unseresolidaritaet.noblogs.org zu finden.
In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in Münster immer wieder Repressionsschläge gegen linke Strukturen. Auch wenn die Angriffe immer nur einige Einzelne treffen – sie richten sich trotzdem gegen uns alle! Zusammen werden wir deshalb am 30. Juli auf die Straße gehen um unserer Solidarität Ausdruck zu verleihen.
Was heißt hier Repression?
Bisher gibt es keine Gesellschaft, die nicht von Macht- und Verteilungskämpfen geprägt und durch verschiedene Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen strukturiert ist. Die Gesetze eines Staates repräsentieren diese Strukturen und können daher immer nur Ausdruck dieser gesellschaftlichen Machtverhältnisse sein. In Deutschland sind diese vor allem kapitalistische, rassistische und patriarchale. Wir können die gegenwärtigen gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnisse, mit den ihnen innewohnenden unversöhnlichen Widersprüchen, nur durch ihre radikale Überwindung auflösen – und während wir die herrschende Ordnung angreifen, versucht sie mit gewaltsamen Mitteln – eben durch Repression – sich selbst zu erhalten.
Repression soll einschüchtern und Angst machen: Menschen unter Druck
setzten, damit sie ihr politisches Handeln einschränken oder sogar ganz
aufgeben. Der Staat versucht durch Repression unsere Kämpfe und unseren
Widerstand zu entpolitisieren, indem er sie lediglich auf ihre
strafrechtliche Relevanz reduziert. Deshalb dürfen wir mit ihr auch
nicht umgehen, als wäre sie nur ein individuelles Problem einzelner
Betroffener. Gemeint sind immer wir alle und unsere politische Arbeit!
Deshalb müssen wir der Repression begegnen: Indem wir die politischen
Hintergründe und Ziele unseres Handelns in den Vordergrund rücken und
weiter stark machen. Das bedeutet einerseits einen offensiven Umgang mit
den Repressionen und andererseits, dass wir uns durch sie nicht davon
abhalten lassen dürfen, unsere Kämpfe weiterhin gemeinsam zu führen.
Die Situation in Münster
In Münster spielte in letzter Zeit Repression vor allem gegen den Kampf um ein Recht auf Stadt eine Rolle.
Menschen wurden aktiv gegen die Verdrängung aus den Stadtvierteln durch
immer teurere Mieten, Aufwertung und Luxussanierung. Es gibt einen
Mangel an Wohnraum und ein Bedürfnis nach einem oder mehreren Sozialen
Zentren, die gemeinsam von Bewohner*innen der Stadt unkommerziell und
selbstverwaltet organisiert werden. Es wird die Frage gestellt „Wem
gehört die Stadt?“. Doch diese Frage ist bei Politik, Polizei und
Investor*innen unerwünscht und sie wird mit Repression beantwortet.
Hausbesetzungen, die kurzzeitig zu Sozialen Zentren wurden und Raum für
die Bewohner*innen der Stadt geschaffen haben, wurden schnell und
gewaltsam geräumt. Die Chance das alte Postgebäude gemeinschaftlich zu
nutzen und die vielfältigen Ideen der Anwohner*innen darin zu
verwirklichen wurde durch eine durchgeprügelte Räumung vereitelt.
Stattdessen werden an dieser Stelle im nächsten Jahr ein E-Center und
teure Wohnungen entstehen – gegen den Willen der Anwohnenden, die sich
bei einer spät initiierten und schnell wieder vergessenen
„Bürgerbeteiligung“ klar dagegen ausgesprochen haben.
Auf Demonstrationen und Unterstützung für diejenigen, die sich gegen die Verdrängung der Menschen zu wehren versuchten, wurde mit Knüppeln, Festnahmen und Hausdurchsuchungen reagiert. Auch die „Begleitung“ dieser Demonstrationen von einer immens hohen Zahl von Polizist*innen, wie es zum Beispiel bei der Nachttanzdemo am 9. April der Fall war, ist repressiv. Diese Polizeipräsenz wirkt einschüchternd und vermittelt den Eindruck man müsse Angst vor den Demonstrierenden haben.
Am Abend der Nachttanzdemo kam es auch zu Aktionen mit Sachschäden in
der Hafengegend – aber die Gewalt, die von solchen Aktionen ausgeht,
ist nichts im Vergleich zu der Gewalt die tagtäglich durch die
Verdrängung am Hafen ausgeübt wird. Auch die willkürlichen Festnahmen
von anwesenden Personen, nur weil sie scheinbar auf das
“Linksextremen-Bild” der Beamt*innen vor Ort passten, treffen Menschen
und keine ersetzbaren Gegenstände. Diese Personen wurden teils bis zum
darauf folgenden Morgen festgehalten, und gegen eine von ihnen machte
die Polizei im Nachlauf öffentlich Druck mit Fahndungsfotos, die sie in
der Presse abdrucken ließ.
Diese „öffentliche Identitätsfeststellung“ einer vermeintlichen Täterin
kann unfassbare Auswirkungen auf die Betroffene und ihr Umfeld haben:
Freund*innen, Familie, Job/Studium/Schule und Wohnung – und auch auf den
gesamten Alltag, z.B. den morgendlichen Gang zur Bäckerei und jedes
Bewegen in der Öffentlichkeit. Sie soll einschüchtern, isolieren,
legitimen und notwendigen Protest, Wut und Eigeninitiative
kriminalisieren und verhindern.
Politik, Polizei und Justiz, sowie Invenstor*innen wollen damit sagen: „Euch gehört die Stadt nicht“.
Wir antworten: Doch!
Über Münster hinaus…
Nicht nur in Münster sind Menschen, die sich gegen diese Verhältnisse wehren von Repression betroffen.
Beim Refugeestrike Bochum beispielsweise kämpfen in Bochum Geflüchtete für eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge und menschenwürdige Lebensumstände in der Stadt. Geflüchtete, die in einer Schul-Turnhalle an der Querenburgstrasse untergebracht sind, sollen nach Planungen der Stadt weit abgelegen in Industriezelte gesteckt werden. Da dort nur ein Leben ohne jede Privatsphäre, mit wenig Platz und ohne die Möglichkeit selbst zu kochen für sie möglich ist, verweigern etwa 70 Menschen den bevorstehenden Transport. Am 1. Juni stand eine Räumung des Protests bevor. Auch wenn die angekündigte Räumung nicht stattgefunden hat, kündigte Stadtdirektor Townsend an, dass die Stadt die Sozialarbeiter*innen aus der Halle abziehen werde, sich nicht mehr um die Reinigung der Unterkunft kümmern, die Versorgung mit Lebensmitteln einstellen und alles nicht mehr gebrauchte Inventar abziehen. Da sich die Stadt Bochum durch eine breite Solidarität in der Bevölkerung aktuell keine gewaltsame Räumung nicht leisten kann, versucht sie nun über solche Mittel den Protest zu behindern und die Menschen in die Zelte zu zwingen.
In Hamburg-Altona besetzten am 11. Mai 2013 Aktivist_innen die Breite Straße 114 und 116. Schon kurze Zeit später räumte die Polizei das Haus mit Gewalt. Ende August 2014 wurde im Rahmen der Squattingdays dieses Haus erneut besetzt und gleich von der Polizei geräumt. In dieser Nacht wurden fünf Personen von der Polizei mitgenommen. Die Vorwürfe waren unter anderem versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, schwerer Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Eine der fünf Personen saß noch vier Monate in U-Haft, drei Personen wurden bis zum Ende der Squattingdays in Gewahrsam gehalten, nur eine Person wurde unter Auflagen früher freigelassen. Ihre Vorwürfe erfuhren sie allerdings erst bis zu 40 Stunden später vor der Haftrichterin. Mehrere Stunden lang wurde zudem anwaltlicher Beistand verwehrt und es wurde versucht die Akteneinsicht zu verhindern. Erst nach mehrfachem Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, laut der ein*e Beschuldigte*r in Untersuchungshaft ein Recht auf Akteneinsicht hat, durfte die Verteidigung eine Akte mit mehreren hundert Seiten für eine halbe Stunde einsehen, weil die Zeit laut Behörden nichts Anderes zuließ. Die Prozesse laufen bis heute unter unsäglichen Zuständen weiter.
Repression gegen die kurdische Bewegung in Deutschland
Auch die in Deutschland lebenden linken Kurd*innen sind immer wieder massiven staatlichen Angriffen ausgesetzt. Obwohl die kurdische Bewegung die einzige ist, die in Syrien eine wirkliche gesellschaftliche Perspektive bietet, wird sie hier oftmals unter den Generalverdacht des Terrors gestellt. Die „Partiya Karkerên Kurdistanê“, Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist in Deutschland immer noch nach §129b StGB „Terroristische Vereinigung im Ausland“ verboten. Dass es diese von den Menschen geschaffene Perspektive in Syrien ohne die PKK so nie gegeben hätte, wird vom deutschen Staat nicht zur Kenntnis genommen. Ganz im Gegenteil, Kurdischen Aktivist*innen, genauso wie ihren Organisationen wird pauschal eine nähe zur PKK unterstellt wodurch sie ständig mit Verbotsverfahren, Meldeauflagen (Personen müssen sich täglich bei einem bestimmten Polizeipräsidium melden um zu gewährleisten das sie nicht die Stadt verlassen oder „Untertauchen“ können), Durchsuchungen ihrer Wohnungen oder Vereinsräume bis hin zu Knast konfrontiert sind. Auch ob die von der Repression Betroffenen noch aktiv sind oder in den 90er Jahren vor der Verfolgung durch den türkischen Staat geflohen sind und ihnen eine Mitglidschaft in der PKK unterstellt wird, ohne dass sie sich noch in aktiven Strukturen bewegen, spielt für die Behörden nicht immer eine Rolle.
So gab es z.B. am 11.02.2016 eine Hausdurchsuchung des linken Zentrums UJZ Kornstraßein Hannover. Schon vor einiger Zeit wurde im Innenhof des UJZ von der Polizei ein Wandbild entdeckt auf dem das Gesicht von Halim Dener abgebildet ist. Halim Dener war ein kurdischer 15Jähriger der am 30.06.1994 von der Polizei in Hannover erschossen wurde als er ein Plakat verklebte, welches das verbotene Symbol der PKK zeigte. Aufgrund dieses Wandbildes nahm die Polizei in Hannover Ermittlungen gegen Unbekannt auf. Letztendlich wurde das Zentrum durch eine SEK-Einheit gestürmt und durchsucht, alle Unterlagen und elektronischen Geräten wurden beschlagnahmt. Dass zu dem Zeitpunkt der Razzia auch ein Kinderladen (eine Art KiTa) in dem Zentrum geöffnet hatte und es zu traumatisierenden Erlebnissen für Kinder durch vermummte und bewaffnete Polizeieinheiten kommen konnte, wurde willentlich in Kauf genommen. Als Begründung dieser Razzia reichte mal wieder ein sich zusammengereimter Terrorverdacht aus.
Diese und andere Beispiele repressiver Angriffe zeigen, dass der Staat jene Menschen, die sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung zur Wehr setzen mit allen Mitteln handlungsunfähig machen möchte. Wir aber wollen den Kampf für eine befreite Gesellschaft nicht aufgegeben. Deshalb beantworten wir die Angriffe auf uns mit Solidarität.
Wir überlassen dem Staat nicht die Definition davon, welcher Protest legitim ist und welcher nicht!
Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht spalten und wir lassen uns erst recht nicht zerschlagen!
Gemeint sind wir alle! Antworten wir alle!
Fragen
Ist eine Demonstration wirklich eine wirksame und sinnvolle Antwort auf Repression und warum ist eine Demonstration Ausdruck von Solidarität? Und was hat das noch mit der Frage "Wem gehört die Stadt?" zutun? Wer ist dieser Staat eigentlich und warum geht es um die Legitimation von Protest und nicht um die Wirksamkeit oder Nachhaltigkeit von Protest?
"Am Abend der Nachttanzdemo kam es auch zu Aktionen mit Sachschäden in der Hafengegend – aber die Gewalt, die von solchen Aktionen ausgeht, ist nichts im Vergleich zu der Gewalt die tagtäglich durch die Verdrängung am Hafen ausgeübt wird."
Die Frage nach der Schwere der Gewalt finde ich an dieser Stelle uninteressant. Wen hat die Gewalt (Aktionen mit Sachschäden in der Hafengegend) eigentlich getroffen? Die Anwohnenden; welche Mittel zu welchem Zweck?
aha, ganz "kritisch"
Ich glaube nicht das eine Demonstration DAS wirksame Mittel gegen Repression ist. Es ist ein ein Mittel von ganz vielen und es ist Ausdruck von Solidarität genauso wie es die etlichen Solifotos für Eingeknastete sind die in Münster gemacht wurden wodurch gezeigt wird "ihr seid mit dem Mist nicht allein!", es ist nur ein Zeichen aber in einem solchen Fall gemeinsam mit emotionalem Support, Kohle auftrreiben etc. ist es eben eine Art Solidarität auszudrücken.
Also wenn du wirklich meinst das ganze hätte nichts mit der Frage "Wem gehört die Stadt?" zu tun dann solltest du den Aufruf vllt. nochmal lesen. Die Bullenangriffe treffen genau auf jene Aktionen in denen diese Frage zu stellen versucht wurde (wie das geschehen ist, ist ne ganz andere Geschichte siehe Unten).
Die Frage nach Wirksamkeit und Nachhaltigkeit ergibt in diesem Zusammenhang überhaupt keinen Sinn da es darum gar nicht geht. Es gab Protestaktionen die Bullenangriffe nach sich gezogen haben. Es geht dabei nicht darum wie sinnvoll hier welche Aktion gewesen ist sondern es geht darum das Leute auf unterschiedliche Arten und Weisen ihren Protest zum Ausdruck bringen und wenn dann Personen von den Bullen mit Repressalien überzogen werden dann wird darüber versucht zu brechen, zu spalten, Protest zu verunmöglichen und eben zu deligitimieren und was legitim ist hat nun einmal für eine radikale Linke nicht die Justiz, nicht die Bullen, nicht der Staat zu entscheiden. Diesen Leute muss sich Solidarisch gegenüber verhalten werden egal wie effizient das war was da wer wie wo auch immer getan hat oder nicht hat oder haben soll (nur weil es ihnen Vorgeworfen wird heißt das ja auch nicht das diese Leute das nun waren oder nicht waren und das darf auch auf gar keinen Fall irgendeine Rolle spielen außerdem kann es ja nicht immer um reine Effizienz gehen - komischer Leistungsdruck). Die Frage nach Sinn und Wirksamkeit von Aktionen aus der radikalen Linken sollte m.M.n. schon lange einmal besprochen werden nur ist dies die völlig falsche Stelle dafür und die Frage muss weitaus breiter gestellt werden und nicht wenn es um Solidarität mit Menschen geht die von Repressionsapperaten angegriffen werden.
Und zu dem letzten Punkt eigendlich das Selbe: darum gehts doch garnicht!
Klar kann das diskutiert werden welche Mittel zu welchem Zweck gegen wen bzw. eher was genutzt werden aber wiso sollte das bei der Solidarität gegenüber Leuten die von den Bullen gestresst, schikaniert, eben einfach angegriffen werden denn bitte eine Rolle spielen? Und es wird keine Frage nach der Schwere der Gewalt aufgemacht, es wird lediglich einmal in ein vergleich gesetzt was da an einem Abend passiert ist und was seit Jahren nunmal Alltag ist und worüber sich eine Stadtgesellschaft (inkl. einiger Teile der linken) dann Tagelang aufregt. In den wenigsten linken Kreisen genauso wie dem Rest der Stadtgesellschaft hat der Beschluss zum E-Center und andere Scheiße soviel Debatte, Aufregung und Kontroverse nach sich gezogen wie dieser Furz an dem Abend. Also im Endeffekt finde ich deine Fragen recht uninteressant und zum Teil recht unsolidarisch, darüber hinaus stelle ich mit die Frage was dein "kritisches Nachfragen" denn eigendlich soll. Irgendwie Suggerierst du hier eine Position, dazu argumentieren tust du allerdings nicht. So kann Debatte nicht funktionieren!
selber "kritisch"
Ok. Demonstrationen in Knastnähe, Fotos, Post, ... zeigen auf jeden Fall „ihr seid mit dem Mist nicht allein!“. Eine Demo in Münster hingegen kostet Ressourcen und Geld, erreicht vielleicht gar nicht so viele Menschen außerhalb der „Szene“. Auch in Anbetracht eines gefühlten Demo-Reflexes der radikalen Linken in Münster, denke ich dass diese Art der Solidaritätsbekundung auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden darf. Dabei geht es nicht um einen persönlichen Angriff auf Organisierende und Unterstützende, sondern um eine Diskussion auf Augenhöhe ohne die üblichen Abwertungsdynamiken ala „ganz kritisch“. Denn meiner Meinung nach „kann Debatte [so] nicht funktionieren!“.
Ich habe den Aufruf nochmal gelesen und komme zu Folgendem Schluss:
Die Politik der münsteraner „Szene“ (entschuldigt das Pauschalisieren – es dürfen sich Menschen gern nicht angesprochen fühlen) führt an der Lebensrealität vieler Menschen einfach vorbei. Kommunikation mit Betroffenen und ebenfalls Engagierten außerhalb der „Szene“ findet nicht ausreichend statt. Es wurde versäumt, bzw. nicht geschafft, Bündnisse mit Menschen aus der Hafengegend einzugehen. Die Frage „Wem gehört die Stadt?“ sollte meiner Meinung nach mit der Stadt – d.h. in diesem Fall den Bürger_innen aus der Hafengegend – gestellt werden. Insofern hängt Polizeigewalt zwar unweigerlich mit Gentrifizierungsprozessen zusammen, allerdings ist dieser Zusammenhang für viele einfach nicht gut genug kommuniziert. Eine Demo, bei welcher üblicherweise schwarz-gekleidete, vermummte Menschen Parolen rufen, ist für mich kein nachvollziehbar-machendes Mittel zur Thematisierung von Polizeigewalt.
Die Frage nach Wirksamkeit und Nachhaltigkeit oder vielleicht besser Sinnhaftigkeit sollte meines Erachtens nach immer gestellt werden. Was unterstützt Menschen wirklich, wenn sie in U-Haft sitzen? Was ist mit Wohnung, Umfeld, finanzieller Existenz, …?
Ich möchte Menschen nicht vorschreiben, wie der eigene Protest aussieht. Ich möchte aber mit Menschen darüber sprechen und diskutieren. Mein politischer Anspruch bezieht sich nunmal nicht nur auf die eigene Befreiung, sondern auch auf ein langfristiges Ziel – von daher finde ich es sehr sinnvoll, Aktionsformen zu thematisieren. Eine Meinung zu etwas zu haben bedeutet auch im Umkehrschluss noch keine Delegitimierung. Wenn Justiz, Staat und Cops nicht entscheiden sollen – meiner Meinung nach eine sehr vernünftige Forderung – dann muss doch die Frage gestellt werden, wie und wer entscheidet, beurteilt, bewertet dann? Es fehlt hier einfach an Alternativen zur herrschenden Ordnung. Nicht an Spaltung, sondern an Organisationsformen sollte gearbeitet werden. Und Spaltung ist nicht die Intention meines Kommentars.
Unabhängig von diesem spezifischen Aufruf: Warum muss ich mich solidarisch mit allen Aktionsformen zeigen? Es geht auch nicht um Effizienz im Sinne von Leistung, sondern um gut geplante, ausführlich diskutierte Aktionen, die auf ihre Wirkung hin kritisch überprüft werden sollten. Häufig wird ja doch nur das gemacht, was ja eh immer schon irgendwie so gemacht wurde – und das halte ich für äußerst fraglich.
Off-Topic: Leistungsdruck ist der Politik der „Szene“ immanent . Neoliberale Werte werden reproduziert und noch viel zu selten hinterfragt; Wer hat eigentlich „Wert“ in der „Szene“ und warum? Was macht diese „Reaktions- Politik“ mit Individuen? Mit dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ verbinde ich die politische Arbeit ohne Depression, Burnout, Rückzug, … . Auf- und Abwertungsprozesse bspw. finden sich in im Umgang miteinander, … .
Ich wollte nicht unangebracht reagieren, mir stellen sich diese Fragen aber vor allem immer wieder bei der „Recht-auf-Stadt“-Politik. Vielleicht ist dieser Aufruf tatsächlich die falsche Stelle für diese Fragen. Wie bereits oben betont, geht es mir nicht um einen persönlichen Angriff, sondern um eine Gelegenheit etwas zu thematisieren – dabei bin ich über fast jede Reaktion froh. Danke also an dieser Stelle für den Kommentar.
Wenn sich eine Stadtgesellschaft (inkl. einiger Teile der Linken) aufregt, kann das einfach so ignoriert werden? Nochmal die Frage, für wen wollen wir die Stadt eigentlich? Dass so ein „Furz“ viel mehr Raum einnimmt, als Themen wie Gentrifizierung, … führe ich auf eine momentane Ohnmächtigkeit der „Szene“ zurück. Auch Ignoranz, Abgrenzungsverlangen und Überheblichkeit spielen dabei eine gewichtige Rolle.
Für dich mögen meine Fragen also uninteressant und teilweise unsolidarisch sein; und genau darin sehe ich ein weiteres Problem: Wer darf eigentlich welche Fragen stellen? Und wie wird dann damit umgegangen?
Kritische Solidarität ist für mich wertvoller, als bedingungslose.
Also. Ich sehegerade drei mögliche Arten, wie es weitergehen kann:
1. Es gibt keine Reaktion mehr.
2. Es geht weiter mit Abwertung.
3. Es ist der Anfang einer wunderbaren Diskussion.
Nochmal Off-Topic: Wie soll eine Gesellschaft eigentlich mit Gewalt umgehen? Was ist eine Alternative zu Strafsystem und Knästen, Psychiatrien, Altersheimen, … ?
Update
zur Situation: https://linksunten.indymedia.org/en/node/186177#comment-207913