Zunächst muss ja mal festgehalten werden, dass der 14.6. in Paris eine massive Konfrontation mit der geballten Staatsmacht war, die Heiligendamm bzw. Rostock und alles, was z.B. in Hamburg nach 1989 war locker in den Schatten stellen dürfte. Aus Paris war zu hören, dass dies die „größten Riots seit 1968“ im Zentrum von Paris waren…von daher sind Resümees nicht ganz einfach – zumal ohne genaueres Hintergrundwissen von „französischen Demolagen“.
Wir gehen aus unseren Beobachtungen von ca. 15.000 Teilnehmer*innen im vorne laufenden „antagonistischen Block“ aus – davon mindestens 3.000 zur Konfrontation entschlossen, davon ca. 500 aus dem europäischen Ausland. Der Gewerkschafts-“block“ dahinter hatte auf alle Fälle mehrere Hunderttausend Teilnehmer*innen – ob nun insgesamt tatsächlich 1e Million, wie die CGT – Gewerkschaft veröffentlichte können wir nicht beurteilen… jedenfalls nicht „nur 80.000“ wie lt. Polizeiangaben.
Unsere Fragen und Reflexionen sind eher politischer, als taktischer Natur. Und eben nur ein Wahrnehmungsausschnitt, wie auch teilweise unterschiedlich wahrgenommen bei uns selber.
Warum konnte die Demo nicht geschlossen durchgeführt werden?
War das vielleicht gar nicht der Plan? Aus unserer Sicht gab es 2 Schlüsselsituationen:
Die eine bei der ja fast 2- stündigen Schlacht auf der Kreuzung vor dem Neckarhospital. Da sind die Gewerkschafter – aus unserer Sicht sehr nachvollziehbar – auf Abstand geblieben. Politisch wäre es vielleicht doch sinnvoller gewesen nach Attacke Nr. 15 auf die Bullen mal aufzuhören, keinen Anlass für weitere (reflexartige) Tränengassalven zu liefern und mit z.B. Hilfe von Megafonen dort die Geschlossenheit der Demo vorrangig zu setzen.
Die 2. Situation war dann ca. 1 km vor dem Invalide, wo eine sehr überschaubare Polizeikette in einer engeren Straße den Fluss der Riesendemo innerhalb des vorderen Gewerkschaftsblocks unterbrechen konnte und ein Großteil deswegen hinten erneut aufstockte ….und dann auch größere Teile der Demo auf „Vorschlag“ der Polizei links ins „Nirgendwo“ abbog.
Ergebnis von beiden Situationen: Auf dem Invalide ist nur ein Bruchteil der Demo angekommen – viele waren vom Aufstellungsort sogar noch nicht einmal losgelaufen.
Und: Nirgendwo war die echte Masse der Demo dann öffentlich ersichtlich – sicherlich auch ein weiterer Grund dafür, dass diese letztlich medial weitestgehend unterging.
Offene Feldschlacht auf dem Invalides:
Also es bedarf ja nun wirklich keiner großen Expert_innen- Kenntnis um zu wissen, dass dies gegen eine Polizeiarmada mit (schließlich dann doch) 2 Wasserwerfern und etlichen Hundertschaften nicht zu gewinnen ist. Scheinbar gab es keinen „Plan B“. Da hatten es die Bullen dann geschafft die Demo in die aus ihrer Sicht sinnvolle Aufteilung / Spaltung zu bewegen. Entsprechend (noch) hemmungsloser die Polizeigewalt. Wobei die Bullen ja ansonsten auf uns doch eher ziemlich planlos wirkten…
Demoroute?
Auf den ersten Blick ein Fehlgriff. Es gab am Rande lediglich ein paar Bankfilialen die mit wenig Phantasie als „sinnvolle politische Angriffsziele“ herhalten konnten… aber es ging und geht doch um viel mehr – oder? Warum wurde nicht auf deutlich größeren Straßen und dann in Richtung Regierungsgebäuden gelaufen… die Demoroute: Langweilig, oft zu eng und eben ziemlich unpolitisch… auch ein Faktor, warum die Demo – trotz ihrer realen aber vor allem potentieller Stärke – „weggeschwiegen“ werden konnte.
Nächster Nachteil der Route: Weit entfernt vom eher „linken Paris“ im Nordosten, der vermutlich für einen „Plan B“ geeigneter gewesen wäre.
Und wir so?
Immerhin haben sich ja doch mehrere Hundert Menschen aus verschiedenen Ländern auf den Weg nach Paris gemacht – und das trotz der sehr kurzfristigen Mobilisierung und der für viele sehr großen Entfernung. Außerdem gab und gibt es immerhin etliche Soli Aktionen auch in Deutschland und die Auseinandersetzung in Frankreich wird zumindest von Teilen der linksradikalen „Bewegung“ deutlich mehr wahrgenommen. Viel mehr war nicht zu erwarten – zumal ja für viele Frankreich nicht nur geografisch „weit weg“ ist.
Ansonsten…
fällt z.B. auf, dass es noch nicht einmal einen vernünftigen Begriff für das gibt, was uns dort dann ausgemacht hat… „autonome Gruppen aus Deutschland“? – oje 80ties… „ deutsche Antifa“? – ok und dann ausgerechnet am Jahrestag vom Nazieinmarsch in Paris dort die Konfrontation mit der französischen Polizei suchen… „Global Nuit Debout“ ? … klingt irgendwie nach „Unterstützer- Komitee“ ohne eigene Identität… und „global“ ist ja auch sehr hoch gegriffen.
Am besten trifft vielleicht noch „Teil des antagonistischen Blocks“ – aber welcher „Teil“ denn dann? Der „Deutsche Teil“? Au weia! Der „internationale Teil“ – schon besser, aber auch irgendwie ganz schön allgemein… Wie lässt sich das Verhältnis formulieren? Dass es keinen identitären Begriff bisher gibt zeigt doch auch auf, wie weit wir von einem „gemeinsamem Kampf“ entfernt sind…
Nach unseren Informationen sind die Gefangenen des 14.6. jetzt alle rausgekommen und die Schwerverletzten zumindest aus dem Koma erwacht.
Kampf statt Sommerloch
"Wie lässt sich das Verhältnis formulieren? Dass es keinen identitären Begriff bisher gibt zeigt doch auch auf, wie weit wir von einem „gemeinsamem Kampf“ entfernt sind…"
Finde schon, dass einiges auf (internationale) Solidarität hinausläuft. Vielleicht braucht es gar keine identitären Begriffe, um Gemeinsamkeiten zu erkennen ?
"Nach unseren Informationen sind die Gefangenen des 14.6. jetzt alle rausgekommen und die Schwerverletzten zumindest aus dem Koma erwacht."
Unsere Stunde wird kommen. Je länger es dauert, desto mehr werden wir. Respekt vor Euch !
"unsere Stunde wird kommen"
...sagst uns dann aber bitte rechtzeitig Bescheid ;-)
Repression
Vom 14. Juni sitzen nach meinem (unvollständigen) Kenntnisstand noch zwei Menschen im Knast, einer davon bereits verurteilt. Siehe auch die Infos, die zur Represssion am 23. und 14. Juni auf paris luttes info veröffentlicht wurden: https://paris-luttes.info/bilan-de-la-repression-lors-des-6303
Gefangene
Unsere Informationen kommen immerhin aus einer Mail von der "gazette debout" auf direkte Nachfrage:
"Tous les blessés sont sortis du coma... Il n'y a pas de "prisonniers" à ma connaissance.."
Puh, möglicherweise die dort gar nicht auf dem Stand?
Repression
@Johhny
ok, da hat es dann also scheinbar Schnellverfahren mit Bewährungsstrafen gehagelt? Eine Zusammenfassung der Repression auf deutsch - also Verletzte, wie Gefangene oder Verurteilte - wäre echt klasse!
Schwierig
Ich kenne keine zentrale Übersicht, bzw. habe bisher keine gefunden. In jeder Stadt gibt es Gruppen, die sich mit der Repression seit Beginn der Bewegung gegen das loi travail befassen. Wenn wer Hinweise auf mehr hat, melden...
Antirepressionsgruppe
In Paris gibt es z.B. die groupe de défense collective de Paris, die twittern sogar ab und an: https://twitter.com/def_col
Die haben auch eine mail Adresse bei riseup: defcol (at) riseup.net
European Movement Antagonist
steht ja jetzt neuerdings auf dem Floratranspi - mal doch ein Vorschlag... läßt sich auch würzig abkürzen (EMA statt EM) und ist international leicht verständlich... außerdem mal ganz klar aufgegriffen, was unsere Kollegas in Paris so für sich formulieren...
steht natürlich
"European Movement Antagonist" auf dem Transpi
Resistance !
... außerdem "Resistence" statt "Resistance" verschrieben... peinlich... bei Flüchen und Schimpfwörtern sind wir aber sicher in der Rechtschreibung ;-)
Putz statt Plan
"Politisch wäre es vielleicht doch sinnvoller gewesen nach Attacke Nr. 15 auf die Bullen mal aufzuhören, keinen Anlass für weitere (reflexartige) Tränengassalven zu liefern und mit z.B. Hilfe von Megafonen dort die Geschlossenheit der Demo vorrangig zu setzen."
Von vielen insurrektionalistischen Anarchist*innen wird leider nur auf Putz gesetzt, weiterreichende politische Vorstellungen oder Ziele im Zusammenhang mit Straßenprotesten sind dort eher als Verrat verpönt. Dass dies die eigene Bewegung entwaffnet und in eine berechenbare und am Ende kontrollierbare politische Praxis zwingt wird kaum realisiert. Stattdessen wird das Bauchgefühl und die vermeintliche Tiefe des subjektiven Bruchs zelebriert. Wenig nachhaltig und am Ende mehr subkulturelle Lebensphase statt langfristig angelegte politische Strategie.
Die Fragen in eurem Beitrag sind durchaus die richtigen, allerdings ohne eine weitereichende Bestandsaufnahme der internationalen radikalen Linken der nicht zu beantworten.