Antwort auf „Diskussionsbeitrag zum Umgang mit Gewalt gegen Frauen (in linken Strukturen)“ aus einer feministischen und emanzipatorischen Perspektive



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Dieser Text bezieht sich auf den „Diskussionbeitrag zum Umgang mit Gewalt gegen Frauen“, der von der Roten Aktion Anfang Dezember 2015 veröffentlicht wurde (linksunten.indymedia.org/de/node/161395). Wir wollen unsere – teils massive – Kritik an diesem konkreten Text formulieren und die Auseinandersetzung gleichzeitig um inhaltliche Aspekte erweitern, auf die nicht oder nicht ausreichend eingegangen wurde.

 

Zunächst: Wir finden es gut und wichtig, dass eine breitere Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt gegen Frauen in und außerhalb der linken Szene stattfindet und freuen uns, dass die Rote Aktion einen Beitrag hierzu verfasst hat. Jede Beschäftigung einer Gruppe mit sexistischen und patriarchalen Unterdrückungsmechanismen – auch und vielleicht besonders innerhalb der eigenen Strukturen – ist wünschenswert und bietet das Potential, die Situation für Betroffene dieser Mechanismen zu verbessern. Wir teilen die Forderung, dass eine selbstkritische Auseinandersetzung diesbezüglich eine Notwendigkeit, keine Option, darstellt und dass eine Nicht-Positionierung nicht möglich sein kann.

 

Entschieden kritisieren wir den Bezug des gesamten Textes auf ein binäres Geschlechtskonstrukt. Es wird ausnahmslos von „Männern“ und „Frauen“ gesprochen. Menschen, die sich nicht oder nicht vollständig einem dieser Geschlechter zuordnen, werden ausgeschlossen und schlicht nicht wahrgenommen. Eine Betrachtung der gesonderten Gewalt- und Unterdrückungsmechanismen, denen trans- und intersexuelle Menschen ausgesetzt sind, findet nicht statt.
Sich weiterhin im gesellschaftlichen Bild von „Frauen“ und „Männern“ zu bewegen, finden wir wenig revolutionär und trans- und intersexuellen Menschen gegenüber diskriminierend.

 

Problematisch ist auch, dass an mehreren Stellen des Textes das Bild erzeugt wird, es würde sich (fast) niemand sonst mit der – auch szeneinternen – Unterdrückung von und Gewalt an FLTI (FrauenLesbenTransInter) beschäftigen und emanzipatorische Forderungen in diesem Rahmen stellen. Dies ist nicht richtig und lässt die teilweise sehr gute und fundierte Arbeit vieler feministischer Gruppen sowie die langen Kämpfe von Betroffenen außen vor.
Auffällig ist auch, dass in diesem Text, der sich vieler feministischer Themen und Ansätze bedient, der Begriff “Feminismus” kein einziges Mal auftaucht.

 

„Frauenfrage und Klassenfrage“


Im gesamten Text wird wiederholt von „der Frauenfrage“ gesprochen und diese in den Kontext einer angenommenen Revolution eingeordnet. Dabei wird die „Frauenbefreiung“ als notwendiger Schritt hin zu dieser Revolution betrachtet, insbesondere mit dem Ziel, „Frauen zu aktivieren“ und diese als revolutionäres Potential in die Bewegung einzugliedern. An diesem Grundtenor und einigen spezifischen Ausdrücken im Text stören wir uns massiv.

 

Erstens ist die Bekämpfung von sexistischen und patriarchalen Unterdrückungsmechanismen kein Mittel zum Zweck. Es geht nicht darum, wie möglichst viele FLTI für die Revolution gewonnen werden können oder – wie an anderer Stelle gefordert wird – als Bewegung ein antisexistisches Vorbild für die Massen zu sein. Der Kampf für die Verbesserung der Lebenssituation von FLTI muss keine andere Funktion erfüllen; es muss sich kein Sinn für ihn ausgedacht werden. Gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen müssen abgebaut, Menschen vor sexualisierter und anderer Gewalt geschützt und Betroffene von solcher Gewalt unterstützt werden – völlig unabhängig davon, ob es irgendwann eine Revolution geben wird oder nicht. Es ist das Leid von FLTI heute, das Veränderungen notwendig und erkämpfenswert macht.
Hierbei fällt uns auch die absolute Betrachtung von “Befreiung” und Nicht-Befreiung im Text negativ auf. Es kann viele Schritte auf dem Weg zur Abschaffung patriarchaler Machtstrukturen geben, die erstrebenswert sind und die ihren Sinn nicht erst mit der Erlangung der “endgültigen Befreiung” erlangen.

 

Weiterhin kritisieren wir einen im ganzen Text präsenten Grundton, der FLTI als passiv darstellt und aus unserer Sicht einen entmündigenden Charakter hat. Beispiele sind, dass es das Ziel sein müsse, „Frauen zu aktivieren und zu organisieren“ oder dass „Frauen“ ein „integraler Bestandteil“ der revolutionären Bewegung sein sollen. Beide Formulierungen stellen FLTI als externe Subjekte dar, die von den (cis-männlichen) Interna beeinflusst und zu revolutionären Personen gemacht werden müssten (cis bezeichnet Personen, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren).
Die Formulierung von „besonderen Bedürfnissen“ der nichtmännlichen Arbeiterklasse ist antifeministisch und schlicht falsch: FLTI haben den gleichen Wunsch, keine Gewalt erfahren zu müssen, wie cis-Männer – es sind die Unterdrückungsmechanismen, denen sie ausgesetzt sind, die sich unterscheiden und auf die reagiert werden muss.

 

Auch das Plädoyer direkt zu Beginn, dass „Frauen“ kämpfen müssten, und die Anmerkung, „revolutionäre Frauen“ ließen sich „nicht so leicht klein kriegen“ unterstellt Betroffenen von Unterdrückung und Gewalt eine Mitverantwortung durch Passivität. Unterdrückung und Gewalt werden jedoch aktiv ausgeübt und die Verantwortung für selbige liegt auf der Seite der Ausübenden.
Personen, die sich aufgrund von Sexismus und der aus ihm resultierenden Gewalt aus der Bewegung zurückziehen, haben sich nicht „klein kriegen“ lassen. Es mangelt ihnen oft an Unterstützung, Schutz, Solidarität und irgendwann an eigenen Reserven. Manche haben vielleicht auch einfach keine Lust mehr, sich mit noch mehr Sexismus herumschlagen zu müssen, als die Gesellschaft ihnen sowieso aufzwingt. Schwach sein ist legitim und die Norm, ständig stark sein zu müssen, ist tief patriarchal und weit davon entfernt, emanzipatorisch zu sein.

 

Ein zentraler Kritikpunkt liegt darin, dass permanent nur von „Frauen aus der Arbeiterklasse“ gesprochen und deren Befreiung als wünschenswert deklariert wird. Patriarchale Gewaltverhältnisse betreffen aber auch selbstständige, bürgerliche oder reiche FLTI und sind in vielen Aspekten unabhängig von der Zugehörigkeit einer Betroffenen zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Es entsteht hier der Eindruck, dass nur FLTI schützenswert seien, die eine Revolution mittragen würden oder potentiell tragen könnten.
Aus unserer Sicht ist die Frage nach der „Arbeiterklasse“ als Unterdrückungsform für einen Diskurs über patriarchale und sexistische Machtausübung nur insofern relevant, dass das Patriarchat als Unterdrückungswerkzeug den Kapitalismus und seine Hierarchien aufrecht erhält und beide einander unterstützen.

 

Insgesamt finden wir es schade, dass der Text zu diesem wichtigen Thema so ideologisch aufgeladen ist, dass es teilweise schwerfällt, sich inhaltlich mit dem Aspekt der patriarchalen Gewaltausübung auseinanderzusetzen, ohne sich in den vielen Absätzen über die klassenkämpferische Revolution zu verlieren.

 

Positiv finden wir, dass der Text detailiert auf die unterschiedlichen ökonomischen Verhältnisse der Geschlechter im Kapitalismus, sowie insbesondere den Aspekt der primär weiblich geleisteten Reproduktionsarbeit eingeht. Ein Verständnis hiervon ist für die Einordnung des Zusammenhangs von Patriarchat und Kapitalismus wichtig. Die Feststellung der doppelten Ausbeutung von FLTI im herrschenden System ist treffend dargestellt. 
Auch hier greift der Text leider nicht weit genug, da nicht auf die zusätzlichen Unterdrückungsmechanismen eingegangen wird, die beispielsweise FLTI of Colour oder FLTI mit körperlichen Einschränkungen in dieser Gesellschaft bedrohen (Intersektionalität).

 

Gewalt gegen FLTI


Zur Bekämpfung von patriarchaler Gewalt gehört zunächst das Verständnis der verschiedenen Formen, die solche Gewalt annehmen kann. Dieser Absatz des Diskussionsbeitrages ist differenziert dargestellt. Es ist wichtig, festzustellen, dass es nicht nur präsente körperliche, sondern auch psychische Gewalt gegen FLTI gibt und dass diese nicht nur von Einzelpersonen, sondern z.B. auch durch Medien und gesamtgesellschaftlichen Diskurs ausgeübt wird.
An dieser Stelle möchten wir anmerken, dass eine Triggerwarnung vor diesem teilweise sehr detailierten Absatz notwendig gewesen wäre – so wichtig die Ausarbeitung der vielen verschiedenen Formen von Gewalt ist, kann eine solche Darstellung für Betroffene retraumatisierend wirken.

 

Zentral finden wir auch die Einordnung von Gewalt gegen FLTI als Aufrechterhaltungsmechanismus des Patriarchats: Patriarchale Gewalt ist nicht persönlich, sondern dient zur Herrschaftssicherung der weißen, körperlich befähigten cis-Männer – wie im Text treffend gesagt: „ob das den Gewaltausübenden bewusst ist oder nicht“. Ein wichtiger struktureller und systemischer Bezug.
Auch die Feststellung, dass männliche und weibliche Gewaltausübung unterschiedlich bewertet werden, ist gut getroffen. Dass „weibliches“ und „männliches“ Verhalten als anerzogen beschrieben werden, wurde treffend erkannt. Eine klarere Analyse, dass bereits die Unterteilung in das binäre Geschlechtsmodell ein Konstrukt ist, fehlt jedoch an dieser Stelle deutlich.

 

Umgang innerhalb der emanzipatorischen Bewegung


Die wichtigste Forderung muss an dieser Stelle immer diejenige nach Parteilichkeit und Solidarität mit Betroffenen sein. Wichtig ist auch anzuerkennen, dass ein Wiedererzählen des Vorgefallenen, ggf. mehrfach und vor vielen Menschen, retraumatisierend sein kann und diese psychische Belastung von Betroffenen ferngehalten werden sollte. Die Ablehnung einer „Beweispflicht“ teilen wir unbedingt.

 

Die Konsequenz des Textes, nämlich dass der strikte Ausschluss von Tätern aus linken Strukturen gefordert wird, finden wir richtig. Es fehlt leider der Einbezug des Wunsches der Betroffenen. Es kann Situationen geben, in denen eine betroffene Person sich eine Auseinandersetzung mit einem Vorfall wünscht, jedoch keinen direkten Ausschluss des Täters. Es ist wichtig, dass die betroffene Person über den weiteren Umgang bestimmen kann und niemand über ihren Kopf hinweg entscheidet. Dies kann übergriffig sein und Betroffene in die Passivität drängen.

Im Kern steht aber, dass Täter in emanzipatorischen Kreisen nichts zu suchen haben. Wir wollen an dieser Stelle betonen, dass daran auch lange Freundschaften zu Gruppenmitgliedern oder vorbildliche Theoriearbeit etc. nichts ändern. An interpersonellen Beziehungen scheitert die Ausübung von Solidarität in der Praxis leider häufig.

 

Die Forderung nach einem „solidarischen und aufmerksamen Umfeld“ finden wir gut und entscheidend. Leider folgt hierauf, dass das Ziel der Gruppe sein solle, in Betroffenen Kampfkraft aus den Gewalterfahrungen zu wecken. Betroffene müssen nicht kämpfen! Jede Reaktion von Betroffenen ist zu akzeptieren und auf ihre Bedürfnisse ist einzugehen. Auch den Ausdruck, Betroffene sollten ihre „Ohnmacht abwerfen“ kritisieren wir, da Traumatisierung und damit einhergehende Gefühle keiner aktiven Kontrolle unterliegen.

 

Wir fordern insgesamt, dass in Gruppen mit emanzipatorischem Anspruch eine Auseinandersetzung mit patriarchal bedingten Ungleichgewichten und auch mit Fragestellungen der Gewalt(-empfindung) stattfinden sollte, bevor/ohne dass konkrete Vorfälle passieren. Es darf nicht nur darum gehen, Täter zu bekämpfen, sondern muss auch darum gehen, Täter zu verhindern. Kollektive Beschäftigung damit, was Gewalt überhaupt ist, welches Verhalten als „mackrig“ wahrgenommen wird und wo Grenzüberschreitung beginnt, kann zu einem aufmerksameren und für FLTI unbedrohlicherem Umfeld führen.
Die Forderung, eine Gruppe am Verhalten ihrer Mitglieder zu messen und dass die Gruppe somit Verantwortung trägt, teilen wir.

 

Wirklich relativierend und gefährlich ist, dass im Text – trotz an anderer Stelle guter Analysen und richtiger Forderungen – zu den ersten „konkreten Vorschlägen“ zählt, dass „Frauen […] am meisten an sich selbst arbeiten“ und sich stärken müssten. Diese Verantwortungsübertragung von den Ausübenden patriarchaler Unterdrückung und Gewalt hin zu den Betroffenen ist eine Form von Schuldumkehr und Victim Blaming. Diese Forderung selbst ist Teil einer sexistischen Denkweise und reproduziert patriarchale Gewalt. Nicht nur „starke Frauen“ haben das Recht, keiner Gewalt ausgesetzt zu sein.

 

Wir kritisieren außerdem, dass ein „revolutionäres Geschlechtsbewusstsein“ gefordert wird, um die verschiedenen Rollen von „Männern“ und „Frauen“ in der Bewegung zu finden. Hier wird sich erneut auf die gesellschaftlich konstruierten, binären Geschlechter bezogen, die in einer befreiten Gesellschaft unserer Auffassung nach überwunden werden sollten. In der emanzipatorischen Bewegung, die für eine solche Gesellschaft kämpft, nun eine irgendwie geartete „Unterteilung“ nach Geschlecht zu verlangen, finden wir hochgradig absurd und rückständig.

 

Insgesamt ist auch in diesem Abschnitt das Funktionsargument „Frauenbefreiung für Revolution“ omnipräsent. Beispielsweise den Ausdruck, ohne Beschäftigung mit dem Thema patriarchale Gewalt könne die „Frauenbasis“ der revolutionären Bewegung nicht vergrößert werden, ist für uns Ausdruck einer sexistischen Denkweise, nach der auf Belange von FLTI nur eingegangen wird, wenn etwas damit erreicht werden kann – etwas über die Verbesserung der Situation für FLTI hinaus.

 

Zusammenfassend wollen wir betonen, dass wir uns darüber gefreut haben, dass sich eine Gruppe mit dem Thema beschäftigt hat und hoffen, dass ihr und unser Text dazu beitragen, dass sich weitere Gruppen dieser Auseinandersetzung anschließen.
Inhaltlich haben wir den Eindruck, dass die Rote Aktion einige richtige Ansätze gefunden hat, diese jedoch (noch) nicht internalisiert hat. An einigen Stellen wird widersprüchlich zu eigenen Forderungen sexistisch und paternalistisch argumentiert. Der allgemeine Bezug auf ein binäres Geschlechtskonstrukt entspricht nicht unserem feministischen Verständnis.

 

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anarcha-feministische Gruppe aus Köln


Bei Nachfragen und Kritik könnt ihr uns unter aboutfem[ät]riseup.net kontaktieren.

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danke für den guten text. schön daß es in köln eine anarchafeministische gruppe gibt. ich muß aber doch anmerken, daß ihr wie so viele cisfeministinnen so tut, als seien alle transleute weder noch. transmänner sind aber männer und transfrauen frauen, und nicht irgendwas dazwischen. klar gibt es nonbinäre transmenschen, aber eben längst nicht alle. durch die häufige behauptung von linker bzw queerfeministischer seite, alle transleute seien weder noch, werden transfrauen und transmänner in die arme der rechten getrieben. trans heisst nur, daß die geschlechtsidentität einer person nicht mit der übereinstimmt, die ihr bei der geburt zugewiesen wurde. trans ist keine identität an sich und auch keine sexuelle orientierung. und daß geschlechtsidentität und sexuelle orientierung nur konstruiert sind, halte ich für extrem unwahrscheinlich. wenn es so wäre, warum hat das konstrukt dann nur bei heterocisleuten funktioniert? homo und trans ließe sich auf diese weise nicht erklären.