[Aufgrund sprachlicher Ungenauigkeiten im ursprünglichen Bericht gibt diese Übersetzung in eigener Formulierung die wesentlichen Informationen wieder. Es geht in dem Artikel um den Prozess gegen sechs Personen die beschuldigt werden das Abschiebe-Gefängnis in Vincennes im Rahmen eines Gefangenenaufstandes am 22 Juni 2008 angezündet zu haben. Der Abschiebeknast brannte vollständig aus.]
Hier ein kurzer Bericht zum Prozess der Angeklagten von Vincennes am 27. Januar 2010
Zahlreiche Pariser Genossen und weitere interessierte Menschen erschienen zum Prozess, in einem selbstverständlich komplett abgeschirmten Klassenjustizgebäude. Im Wartesaal gegenüber des Anhörungssaals überwiegt die Farbe Blau der Kleidung mobiler Gendarmerie-Einheiten. Je nach Laune dieser Herren Polizei-Beamten darf sich bewegt werden oder nicht. Die Toiletten des Tribunals werden zeitweise, aus Furcht vor einer unangebrachten Aufkleber- und Tag Welle, wie ein Gendarm bezeugt, geschlossen gehalten. Draußen läuft ein Haufen "Zivis" herum und gafft die Leute an.
- Drei Tage sollte dieser ungerechte Prozess der Beschuldigten der Gefangenenrevolte von Vincennes gedauert haben. Drei Tage einer einzigen Justiz-Parodie wie es sie in diesem Land kaum jemals gegeben hat. Anwälte, denen der Zugang zu den Akten verweigert wird und mit großer Vorsicht zu genießende Beweismaterialien. Stellt euch vor, das als "Belastungsmittel" nur 15 Minuten der 35 Stunden gesicherter Aufnahmen der Überwachungskameras des Abschiebeknastes hinzu gezogen wurden. Dazu kommen große Zweifel über die Unbefangenheit eines Richters, der einen der geladenen Menschen bereits verurteilt hatte. Und einer der Beschuldigten wird im Gare du Nord aufgegriffen, auf dem Weg zum Prozess.
Wir haben mit diesen drei Tagen polizeiliche und juristische Schikanen und Klüngel eines zuvor unereichten Niveaus erlebt.
Ein Prozess oder eher die Parodie eines völlig Surrealistischen Prozesses
- Im Laufe des Prozesses stellte sich zum Beispiel heraus, dass die Ermittlungsakten über den Tot des Tunesischen Herrn, infolge dessen die Wut der Gefangenen und das Feuer des CRA-[*]Vincennes ausbrach, den Prozessakten nicht beigefügt wurde. Dies zeigt serwohl, inwiefern es sich um einen Prozess des Staates gegen die in Lagern der Schande zusammen gepferchten "sans-papiers" handelt.
- Der Verteidigung wurden Teile der Akte mit der Begründung vorenthalten, diese stünden "unter Verschluss".
- Ein Richter und ein Staatsanwalt mit surrealistischen Stellungnahmen, die geradezu Frage und Antwort für die Ordnungs-BeamtInnen übenahmen, welche eigentlich als "Zeugen" und Anzeigeerstatter gegen die Beschuldigten geladen waren.
Abschluß dieses ereignissreichen Tages: Nadie Atman, einer der Hauptbeschuldigten wird am Abend freigelassen, bleibt jedoch unter "Justizkontrolle".
Folgetermin für den "Prozess": 1. Februar 14 Uhr.
Wir bleiben natürlich mobilisiert.
Ein gepeitschter Zeuge der Klassenungerechtigkeit (injustice de classe) die dieses "Land der Menschenrechte" regiert (Mit großen Gensefüsschen für die Menschenrechte).
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* CRA: Centre de retention administratif (Verwaltungs-Verwahrung-Zentrum)
Weitere Infos
25., 26. und 27. Januar 2010: Prozess wegen des Aufstands, durch den das Abschiebelager in Vincennes in Brand gesetzt wurde.
13:30 Uhr, Landgericht Paris, 16. Kammer, U-Bahnhof Cité
*Der Aufstand, der zu dem Brand im größten Gefängnis für Ausländer in Frankreich geführt hat, ist eine konkrete und historische Antwort auf die Existenz von Abschiebelagern sowie auf die gesamte Politik der Kontrolle von Migrationsströmen.*
*Am 25., 26. und 27. Januar 2010 wird zehn Personen wegen dieses Aufstands vor dem Landgericht Paris (U-Bahnhof Cité) der Prozess gemacht.*
*Unsere Solidarität soll der Größe der Herausforderung entsprechen: Dem Freispruch der Angeklagten und darüber hinaus der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit.*
Am 22. Juni 2008 hat das größte Abschiebegefängnis Frankreichs gebrannt.
Zwischen Juni 2008 und Juni 2009 wurden etwa zehn ehemalige Insassen festgenommen und inhaftiert - die meisten waren fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Sie werden wegen Sachbeschädigung angeklagt, sowie wegen Zerstörung von Gebäuden des Ausreisezentrums in Vincennes und/oder wegen Gewaltanwendung gegen Polizeibeamte.
Während der sechs Monate vor dem Brand war das Abschiebelager in Vincennes der Ort ununterbrochener Protestbewegungen seitens der inhaftierten Menschen ohne Papiere (sans-papiers). Hungerstreiks, Brandstiftungen, Verweigerungen der Registrierung, Auseinandersetzungen mit der Polizei, individuelle oder kollektive Widerstände folgen in dieser Zeit Schlag auf Schlag aufeinander. Draußen verurteilen Demonstrationen und Aktionen die Existenz solcher Lager selbst und verkünden ihre Unterstützung der Aufstände.
Am 21. Juni 2008 verstarb Salem Souli in seinem Zimmer, nachdem er erfolglos medizinische Versorgung verlangt hatte. Am nächsten Tag wurde ein von den Insassen organisierter Marsch im Gedenken an diesen Mann gewaltsam unterdrückt. Daraufhin brach ein kollektiver Aufstand aus und das Abschiebezentrum ging in Flammen auf.
Ein Prozess als Exempel
Um zu verhindern, dass diese Art von Aufständen sich ausbreitet, muss der Staat hart zurückschlagen, er muss Verantwortliche finden. Die zehn Personen wurden festgenommen, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Ob sie schuldig oder unschuldig sind, interessiert doch nicht. Durch die Bestrafung dieser Personen hofft der Staat den Protest, den Ungehorsam und die Widerstandsaktionen von denen, die sich innerhalb der Mauer dieser Zentren befinden oder eines Tages befinden werden, zu brechen.
Der Aufstand von Vincennes ist kein isolierter Vorfall. Überall, wo sich Abschiebezentren befinden, brechen Aufstände aus, finden Brandstiftungen, Ausbrüche, Hungerstreiks, Meutereien und Zerstörungen statt. Das war der Fall in Frankreich (z.B. haben in Nantes, Bordeaux und Toulouse Abschiebezentren gebrannt) und in zahlreichen anderen europäischen Ländern (wie Italien, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien) oder auch in Ländern, wo die Grenzkontrollen nach außen verlegt werden, wie in der Türkei oder in Libyen.
Der Brand des Abschiebezentrums in Vincennes hat nicht nur eine symbolische Bedeutung: Der Wegfall von 280 Unterbringungsplätzen hatte sofort eine erhebliche Verminderung von Razzien und Abschiebungen in der Pariser Region zur Folge. Konkret wurden mehrere tausend Festnahmen verhindert. Durch diese Aktion haben die Inhaftierten das Funktionieren des Abschiebeapparats für eine Weile verhindert.
Ausländerknast: einsperren, abschieben, Immigranten abschrecken
Die Abschiebezentren stellen eine der Station zwischen der Verhaftung und der Abschiebung dar. Sie dienen dazu, die Ausländer einzusperren, bis alle erforderlichen Voraussetzungen für die Abschiebung vorhanden sind, sprich ein Pass oder ein von einem Konsulat ausgestellter Passierschein und ein Platz in einem Flugzeug oder auf einem Schiff.
Je mehr ein Staat beabsichtigt abzuschieben, desto mehr Abschiebezentren werden errichtet. Überall steigt ihre Anzahl unaufhörlich. In Europa geht die Tendenz hin zur Verlängerung der Inhaftierungszeiten, was es nicht nur ermöglicht, mehr Menschen abzuschieben, sondern auch, sie von der Einwanderung abzuschrecken.
De facto sind diese Orte zur Inhaftierung auch Orte der Strafe. Daher werden sie zunehmend wie Gefängnisse ausgestattet: Videoüberwachung, kleine Einheiten, Isolationszellen... Das größte im Bau befindliche Abschiebezentrum Frankreichs in Mesnil-Amelot (240 Plätze), das in wenigen Wochen aufgemacht werden soll, ist zum Beispiel genau nach diesem Modell durchdacht. In Holland, wo die Selbstmorde und „ungeklärten“ Todesfälle in den Zentren sehr häufig sind, dauert die Inhaftierung 18 Monate und kann sogar sofort nach der Freilassung wiederholt werden. Die Häftlinge werden in individuellen, sehr kleinen Zellen untergebracht, manchmal sogar auf Gefängnis-Schiffen, mit sehr wenig Zugang zu frischer Luft.
Menschen ohne Papiere: Von der Arbeitskraft nach Maß...
Die Abschiebezentren sind Teil der Politik des „Managements der Migrationsströme“, das sich selbst nach den Kriterien der „ausgewählten Zuwanderung“ ausrichtet, das heißt je nach Bedarf an Arbeitskräften in den europäischen Ländern. Es ist nicht neu, dass die Arbeitgeber reicher Länder auf Gastarbeiter zurückgreifen, um ihre Profite zu maximieren. Sei es auf legale Weise wie im Fall der Zeitarbeit oder des früheren „OMI-Vertrags“ (der es erlaubt, das Aufenthaltsrecht mit der Dauer der Saison-Arbeit zu verknüpfen), oder eben als Schwarzarbeiter, Ausländer werden am häufigsten in den besonders belastenden Beschäftigungssektoren eingestellt (Bau- und Gaststättengewerbe, Reinigung, Saisonarbeit...). Diese Beschäftigungssektoren benötigen flexible Arbeitskräfte, anpassungsfähig an die unmittelbaren Produktionsbedürfnisse.
Zusätzlich zur Rechtlosigkeit aufgrund ihres Status, z.B. im Fall eines Unfalls, eröffnet die permanente Gefahr der Verhaftung und Abschiebung, die den Menschen ohne Papiere droht, den Arbeitgebern natürlich die Möglichkeit, sie unterzubezahlen oder sogar gar nicht zu bezahlen, was nicht selten vorkommt. Diese nach unten gerichtete Nivellierung der Bezahlung sowie der Arbeitsbedingungen erlaubt es dem Arbeitgeber, die Ausbeutung aller Arbeiternehmer voranzutreiben. Wiederkehrende Streiks von Menschen ohne Papiere zeigen, wie sehr die französischen Arbeitgeber und der Staat diese Arbeitskräfte brauchen, aber auch wie die Menschen ohne Papiere, indem sie sich gemeinsam organisieren, manchmal den Arbeitgebern standhalten und Regulierungen erreichen können.
... zum idealen Sündenbock
Die Migrationspolitik, in der die Abschiebezentren ein Rädchen im Getriebe darstellen, dient auch der Stigmatisierung von Menschen ohne Papiere. Der Staat macht sie zu den Sündenböcken für die Schwierigkeiten in der französischen Gesellschaft. Die spektakuläre Durchführung von Abschiebungen durch den Staat trägt dazu bei, gleichzeitig das Ausmaß der „Gefahr“ aufzuzeigen, die irreguläre Einwanderung für Frankreich und Europa darstelle, sowie die Effizienz eines Staates, der seine Bürger davor schütze.
Der Staat benutzt Kunstgriffe wie die sogenannte „Bedrohung durch Schleichmigration“, das „Gesindel der Banlieues“, die „verschleierten Frauen“ oder die Kampagne zur nationalen Identität, um den schlimmsten xenophoben und rassistischen Mief auszugraben und um zu versuchen, einen Konsens rund um seine Macht und sein Weltbild aufzubauen.
Grenzen überall
Die Abschiebezentren sind unentbehrliche Elemente zur Durchführung einer europäischen Politik der Kontrolle von Migrationsströmen, die, während sie die Aufhebung der Grenzen innerhalb des Schengen-Raums behauptet, diese dann aber nach außen hin insbesondere durch die Einrichtung von Frontex verstärkt.
So wird die Kontrolle an die Pforten Europas verlagert, im Einvernehmen mit Ländern wie Libyen, Mauretanien, der Türkei oder der Ukraine, wo Lager finanziert werden, um unerwünschte Ausländer einzusperren, noch bevor sie es überhaupt schaffen können, Europa zu betreten.
Gleichzeitig verstreuen sich die Grenzen innerhalb dieses Gebiets, sie werden mobil und daher omnipräsent: Jede Identitätskontrolle kann zur Abschiebung führen. Denn die Grenze ist nicht nur eine Linie, die das Territorium umgibt, sondern vor allem ein Kontrollpunkt, ein Ort des Drucks und der Auswahl. So sind schon die Straße, öffentliche Verkehrsmittel, Behörden, Banken und Zeitarbeitsagenturen Teil der Grenzbehörde.
Die Abschiebezentren, wie all die Lager für Migranten, sind Teil der mörderischen Grenzen des Schengen-Europas. Es sind Orte, wo man wartet, eingesperrt, manchmal auf unbestimmte Zeit und ohne Gerichtsurteil, wo man stirbt mangels Gesundheitsversorgung, wo man sich lieber umbringt als abgeschoben zu werden. Grenzen müssen aus der Welt geschafft werden!
*Aus all diesen Gründe, und weil es kein „gutes“ Management von Migrationsströmen gibt, weil jeder/jede selbst entscheiden können soll, wo er/sie leben möchte, sind wir mit den Angeklagten des Aufstands und des Brands des Abschiebezentrums in Vincennes solidarisch!*
FREISPRUCH ALLER ANGEKLAGTEN!
BEWEGUNGS- UND NIEDERLASSUNGSFREIHEIT!
SCHLIESSUNG DER ABSCHIEBEKNÄSTE!
ÜBERHAUPT KEINE PAPIERE MEHR!
SOLIDARITÄTSWOCHE vom 16. bis zum 24. Januar 2010
liberte-sans-retenu@riseup.net