Pressefreiheit in Deutschland: Der Chef der Spione schiesst gegen Whistleblower

Erstveröffentlicht: 
06.08.2015

Wie Ermittlungen gegen den kritischen Blog netzpolitik.org für alle Beteiligten peinlich wurden – und trotzdem ihren eigentlichen Zweck erfüllten.

 

Von Toni Keppeler

 

Der Skandal hatte von Anfang an absurde Züge: Da wissen die Deutschen vom Whistleblower Edward Snowden, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA über Jahre hinweg die Mobiltelefone der Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihres Amtsvorgängers Gerhard Schröder und etlicher weiterer politischer EntscheidungsträgerInnen abgehört hat. Die Kanzlerin ereiferte sich kurz, so etwas gehe «unter Freunden» gar nicht. Die Bundesanwaltschaft aber hielt es nicht für angemessen, ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen die Spione und ihre Dienstherren einzuleiten. Dann veröffentlichten zwei Journalisten des Blogs netzpolitik.org vertrauliche interne Papiere des Bundesamts für Verfassungsschutz – es geht darin um die geplante verschärfte Überwachung sozialer Netzwerke –, und schon reagierte Hans-Georg Maassen, der Chef dieser Behörde, mit Strafanzeigen. Generalbundesanwalt Harald Range leitete gegen die Journalisten ein Ermittlungsverfahren wegen «Landesverrat» ein.  

 

Das billigste Bauernopfer

 

Inzwischen ist so gut wie jedem und jeder in der regierenden Koalition aufgefallen, dass dies ein bisschen peinlich ist und die Pressefreiheit in Deutschland infrage stellt. Merkel (CDU) distanzierte sich genauso von Range wie ihr Justizminister Heiko Maas (SPD) und ihr Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Maas ist der Vorgesetzte von Range, de Maizière der Chef von Maassen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister sowie gegen unbekannt (gemeint ist damit ihr Informant) demnächst eingestellt wird. Der Generalbundesanwalt wurde am Dienstagabend gefeuert; er war das billigste Bauernopfer, weil er sich ohnehin im kommenden Februar in den Ruhestand hätte verabschieden müssen. Der Skandal scheint bereinigt zu sein, alle Beteiligten sind ein bisschen lädiert. Und trotzdem dürfte Verfassungsschutzchef Maassen sein eigentliches Ziel erreicht haben: Er wollte potenzielle WhistleblowerInnen einschüchtern.

 

Die Geschichte des Skandals ist verworren: Netzpolitik.org zitierte in den inkriminierten Beiträgen vom 25. Februar und 15. April aus den vertraulichen Papieren des Verfassungsschutzes. Die beiden Publikationen hatten je eine Strafanzeige beim Landeskriminalamt Berlin zur Folge. Das aber fühlte sich nicht zuständig und reichte den Fall an die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe weiter. Die wiederum fragte beim Verfassungsschutz nach, ob es sich bei den zitierten Papieren denn um «Staatsgeheimnisse» handle. Nur dann liegen entsprechende Ermittlungen in der Kompetenz der Bundesbehörde. Natürlich kam in dem Gutachten der VerfassungsschützerInnen das Wort «Staatsgeheimnis» gleich mehrfach vor, und Generalbundesanwalt Range blieb nichts anderes übrig, als ein Verfahren einzuleiten.

 

Gleichzeitig wies er seine BeamtInnen an, «mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit» keine Telefone zu überwachen, keine Personen zu observieren, niemanden zu vernehmen und nichts zu durchsuchen. Kurzum: In diesem Ermittlungsverfahren sollte niemand wirklich ermitteln. Range galt schon immer als eher wankelmütiger und unentschlossener Jurist. Er wollte das Ansinnen des Verfassungsschutzes nicht schlankweg zurückweisen; das wäre ein Affront gegen den Innenminister gewesen. Gleichzeitig musste er seinen eigenen Chef – den Justizminister – schützen und die heisse Kartoffel zumindest ein bisschen kühlen.

 

Warnung an alle WhistleblowerInnen

 

In seiner Not gab Range bei einem unabhängigen Wissenschaftler ein zweites Gutachten in Auftrag. Ohne das erhoffte Ergebnis. In einem vorläufigen Zwischenbericht sprach dieser Jurist ebenfalls von einem «Staatsgeheimnis», das da verraten worden sei. Justizminister Maas zog daraufhin die Notbremse: Er ordnete an, dieses Gutachten aus dem Verkehr zu ziehen, bevor es fertig geschrieben war. Der Generalbundesanwalt – damals noch im Amt – grummelte zwar am Dienstag bei einer Pressekonferenz etwas von einem «unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz», fügte sich aber der Anweisung seines Ministers. Doch damit beschleunigte er nur seinen Rauswurf.

 

Stattdessen erarbeitet nun das Justizministerium ein drittes Gutachten, das spätestens Ende dieser Woche vorliegen soll. Es ist davon auszugehen, dass darin das Wort «Staatsgeheimnis» nicht mehr vorkommt, der Vorwurf des «Landesverrats» damit hinfällig ist und das Verfahren der Bundesanwaltschaft sang- und klanglos eingestellt wird. Alles andere wäre für Maas eine Blamage. Die Anzeigen des Verfassungsschutzes gegen die Journalisten von netzpolitik.org und gegen unbekannt gehen dann zurück zum Landeskriminalamt Berlin.

 

Das muss in diesem Fall nur noch wegen des «Verrats von Dienstgeheimnissen» ermitteln, und die beiden Journalisten wären aus der Schusslinie. Die Veröffentlichung von verratenen Dienstgeheimnissen ist nämlich in Deutschland keine Straftat. Die Ermittlungen würden sich nur noch gegen unbekannt richten, gegen die undichte Stelle im Verfassungsschutz. Und genau die war wohl das eigentliche Ziel des Chefs der Spione. Der als harter Knochen bekannte Maassen wollte potenzielle WhistleblowerInnen in seiner Behörde warnen: Ihr werdet nicht ungestraft davonkommen. Indirekt trifft er damit auch die Presse. Ohne WhistleblowerInnen würde so mancher Skandal nicht mehr aufgedeckt. Man kann unterstellen, dass dieser Nebeneffekt erwünscht ist.

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