[GRIECHENLAND / ITALIEN] INTERVIEW VZF / ALFREDO COSPITO

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Bevor ich eure Fragen beantworte, möchte ich unterstreichen, dass das, was ich sagen werde, meine Wahrheit ist. Einer unter vielen individuellen Gesichtspunkten, Sensibilitäten und Nuancen in jenem Sammelbecken des Denkens und der Aktion, das unter dem Namen FAI/FRI3 läuft. Informelle Föderation, die, unter Ablehnung jeglicher hegemonialen Versuchung, ein Instrument, eine Methode einer der Komponenten des Anarchismus der Aktion darstellt. Anarchismus der Aktion, der nur wenn er sich informell macht, sich also nicht in organisatorische Strukturen zwingt (spezifische, formelle, der Synthese), wenn er nicht auf einer aufdringlichen Suche nach Konsens ist (folglich die Politik ablehnt), sich mit einem breiteren chaotischen Universum Namens „schwarze Internationale“ identifizieren kann.

 

Um uns besser zu verstehen: die FAI/FRI ist eine Methodologie der Aktion, die nur von einem Teil der Schwestern und Brüder der schwarzen Internationale praktiziert wird, sie ist keine Organisation aber keineswegs nur eine einfache kollektive Unterschrift, sondern ein Instrument, das zur Wirksamkeit neigt, mit dem Ziel, die Zellen und einzelnen GenossInnen der Aktion durch einen Dreipunktepakt der gegenseitigen Hilfe – revolutionäre Solidarität, revolutionäre Kampagnen, Kommunikation zwischen den Gruppen und Einzelnen – zu stärken.

 

«REVOLUTIONÄRE SOLIDARITÄT: Jede Aktionsgruppe der FAI verpflichtet sich, eventuell verhafteten oder flüchtigen GenossInnen ihre revolutionäre Solidarität zu geben. Die Solidarität wird sich vor allem in der bewaffneten Aktion, im Angriff auf Strukturen und Menschen, die für die Gefangenschaft der GenossInnen verantwortlich sind, konkretisieren. Die Möglichkeit einer fehlenden Solidarität existiert nicht, weil damit die Prinzipien vernachlässigt würden, worauf das anarchistische Leben und Fühlen beruht. Unter Hilfe in der Repression begreift man selbstverständlich nicht die der technisch/legalen Art: die bürgerliche Gesellschaft bietet genug Anwälte, Sozialhelfer oder Seelsorger an, damit sich die Revolutionäre um anderes kümmern können.

REVOLUTIONÄRE KAMPAGNEN: Sobald eine Gruppe oder Einzelperson durch die Aktion und die folgende Erklärung eine Kampfkampagne angestossen hat, werden die anderen Gruppen und Einzelnen der FAI in ihren eigenen Zeiträumen und Modalitäten diese Kampfkampagne weiterführen. Alle Einzelnen/Gruppen können eine Kampfkampagne gegen bestimmte Ziele einfach dadurch lancieren, indem sie das Projekt durch eine oder mehrere Aktionen „fördern“, die sie als einzelne Aktionsgruppe unterzeichnen und ihrer Signatur die Berufung auf die Föderation hinzufügen. Wenn eine Kampagne nicht geteilt wird, wird sich, falls notwendig erachtet, die Kritik durch die Aktionen/Erklärungen äussern, die dazu beitragen, das Ziel der Kampagne genauer zu erfassen oder sie in Frage zu stellen.

DIE KOMMUNIKATION ZWISCHEN DEN GRUPPEN/EINZELNEN: Die Aktionsgruppen der Informellen Anarchistischen Föderation müssen einander nicht kennen und das ist auch nicht notwendig, denn man würde sich so der Gefahr aussetzen, von der Repression einfacher getroffen zu werden und auch LeaderInnenrollen der Einzelnen und eine Bürokratisierung zu entwickeln. Die Kommunikation zwischen Gruppen/Einzelnen spielt sich im Wesentlichen über die Aktionen selbst und die Infokanäle der Bewegung ab, was ein gegenseitiges Kennen überflüssig macht.»4

 

Dieser Pakt der gegenseitigen Hilfe setzt sich de facto über die Vollversammlung, ihre Leaders, ihre SpezialistInnen des Wortes und der Politik und die autoritären Mechanismen hinweg, die sich auch in der anarchistischen Szene entwickeln, wenn die Vollversammlung zum Entscheidungsorgan wird. Was die schwarze Internationale in den nächsten Jahren tun sollte, ist die Neuknüpfung des schon lange gerissenen „schwarzen Fadens“. Ein Faden, der den früheren Anarchismus der „Propaganda der Tat“, als Kind des Internationalen Kongresses von 1881 in London, mit der heutigen informellen, anti-organisatorischen, nihilistischen, anti-zivilisatorischen und antisozialen Anarchie der Aktion verbindet. Nicola und ich, einzige Mitglieder der „Zelle Olga“, kennen die anderen Brüder und Schwestern der FAI nicht persönlich. Sie zu kennen würde heissen, sie zwischen den vier Mauern einer Zelle eingesperrt zu sehen. Wir überzeugten uns von der Nützlichkeit der FAI-FRI dank der Worte (Bekennungen) und der Aktionen der Brüder und Schwestern, die vor uns gekommen sind. Ihre immer durch die Aktion bekräftigten Worte haben uns die unentbehrliche Konstanz geschenkt, ohne die sich in Ära des Virtuellen jegliches Projekt auf nutzlose, sterile, in den Wind gesprochene Worte reduziert. Wir brauchten einen Kompass um uns zu orientieren, ein Instrument um jene zu erkennen und zu entlarven, die aus der Anarchie eine Schwatzbude gemacht haben. Wir brauchten einen Filter um die leeren Worte von den Worten zu trennen, die Realität mit sich bringen. Wir haben in dieser „neuen Anarchie“, in ihren Bekennungen und den entsprechenden revolutionären Kampagnen eine Perspektive des realen Angriffs gefunden, der unsere destruktiven Potentialitäten verstärkt, unsere Autonomie als rebellische und anarchische Individuen bewahrt und uns die Möglichkeit zur Zusammenarbeit, um gemeinsam zuzuschlagen gibt, ohne uns direkt zu kennen. Keinerlei Spielart der Koordination kann in unsere Planung miteinbezogen werden. Die „Koordination“ würde zwingend die Kenntnis unter den Schwestern und Brüdern der unterschiedlichen Zellen und dass sie sich organisieren, voraussetzen. Solche Koordination würde die Autonomie jeder Gruppe und Einzelperson töten. Die „wirksamste“, sattelfesteste, mutigste und charismatischste Gruppe würde unausweichlich die Oberhand gewinnen und dieselben verderblichen Mechanismen der Vollversammlung reproduzieren. Langfristig würden erneut LeaderInnen, IdeologInnen, charismatische ChefInnen aufkommen und man würde in Richtung Organisation schreiten: der Tod der Freiheit selbst. Jemand könnte einwenden, dass sich auch in einer Affinitätsgruppe, in einer FAI-Zelle, eine charismatische LeaderInnen-, eine „ChefInnen“-Figur einnisten könnte. In unserem Falle würde sich der Schaden aber in Grenzen halten, weil es zwischen den Zellen keine direkte Kenntnis gibt. Die Fäulnis könnte sich nicht ausbreiten. Unser anti-organisatorisch sein bewahrt uns vor dieser Gefahr. Aus diesem Grunde muss man auf die „revolutionären Kampagnen“ bauen, die eine direkte Kenntnis der Gruppen/Einzelnen ausschliessen und so jeglichen Schimmer von Organisation abtöten. Die Kampagnen darf man nie mit der Koordination verwechseln, das ist Informalität, das ist, meiner Meinung nach die Essenz unserer operativen Projektualität. Klar sei, dass ich mich, wenn ich von Affinitätsgruppe oder Aktionszelle spreche, auf ein einziges Individuum oder auf eine grössere Affinitätsgruppe beziehen kann. Man darf daraus keine Angelegenheit der Zahl machen. Es ist klar, dass die einzelne Aktion unter den verschiedenen Komponenten der Gruppe geplant wird, in diesem Fall kann man nicht von Koordination sprechen, diese Planung muss keinesfalls auf andere FAI-FRI-Gruppen ausgeweitet werden. Nach aussen muss die Gruppe sich darauf „beschränken“, einzig durch die „revolutionären Kampagnen“ und die entsprechenden Aktionen zu kommunizieren. Unsere Kenntnis der FAI-FRI muss immer äusserst partiell sein bzw. sich auf die uns Affinen beschränken und es auch bleiben. Von der FAI-FRI müssen wir nur die der Macht zugefügten Prankenhiebe, Kratzer und Wunden erfahren. Es wäre tödlich etwas Monolithisches oder Strukturiertes zu erschaffen. Alle Einzelnen von uns müssen sich vor hegemonialen Verirrungen oder Versuchungen hüten. Die Organisation würde unsere Perspektiven enorm einschränken und den Prozess vom Qualitativen ins Quantitative verkehren. In der Aktion des Einen stärkt sich einer Anderen Willen und inspiriert. Die Kampagnen verbreiten sich sporadisch. Es toben tausend Köpfe gegen die Macht, sie alle abzuschlagen ist unmöglich. Es sind gerade diese Aktionen mit Worten (Bekennungen), die es uns ermöglichen die reinen TheoretikerInnen und Wortverliebten auf Anhieb sicher auszuschliessen, was uns die Möglichkeit gibt, uns nur zu denen zu verhalten, die in der realen Welt leben, sich dabei die Hände schmutzig machen und die eigene Haut riskieren. Diese Worte sind die einzigen, die wirklich zählen, die einzigen, die uns erlauben zu wachsen, uns weiterzuentwickeln. Die revolutionären Kampagnen sind das wirksamste Instrument um einschneidend zu sein, um Weh zu tun wo es am meisten schadet. Was uns die Möglichkeit gibt, uns in der Welt zu verbreiten wie ein Virus, der Revolte und Anarchie bringt.

 

 

VZF: Um uns kennenzulernen, sag uns etwas über deine aktuelle Situation

 

Alfredo: Da gibt es nicht viel zu sagen. Wir wurden wegen des Knieschuss´ gegen Adinolfi, CEO von Ansaldo Nucleare, verhaftet. Aus Unerfahrenheit haben wir Fehler gemacht, die uns die Verhaftung gekostet haben: wir haben das Nummernschild des Motorrads nicht abgedeckt, das wir für die Aktion verwendeten, haben es zu nahe am Ort des Hinterhalts geparkt und vor allem haben wir eine Videokamera einer Bar nicht bemerkt. Ein schwerwiegender Fehler für den wir heute bezahlen. Wir haben uns als Zelle „Olga FAI-FRI“ zur Aktion bekannt. Ich wurde zu 10 Jahren und 8 Monaten verurteilt, Nicola zu 9 Jahren und 4 Monaten. In den nächsten Monaten werden wir einen weiteren Prozess wegen subversiver Vereinigung haben. Das ist mehr oder weniger unsere aktuelle gerichtliche Situation.

 

VZF: Die gefangenen AnarchistInnen und das Gefängnis. Welche Bedingungen habt ihr in den Sonderabteilen? Wie verhalten sich die Wärter und wie sind eure Beziehungen mit den anderen Gefangenen?

 

Alfredo: In Italien, durch die Kreisläufe der Hochsicherheit, die viele Beschränkungen bedeuten, will der demokratische Staat uns isolieren, indem er uns in vom Rest des Knastes völlig abgetrennte Abteile einsperrt. Jeglicher Kontakt mit den anderen Gefangenen ist unmöglich. Wir haben keine Möglichkeit ins Freie zu gehen, nur zwei Stunden in einen kleinen Zementhof. Die Zensur für mich und Nicola ist immer erneuert worden, darum bekommen wir die Post und Zeitschriften verspätet und unter vielen Schwierigkeiten. Die für uns besonders interessanten Sachen werden ein- und ausgehend beschlagnahmt. Im Moment sind wir in einer AS2 -Hochsicherheit 2- eingesperrt, eine spezifische Hochsicherheit für die anarchistischen Gefangenen. Das „Verhältnis“ zwischen uns und den Wärtern ist gegenseitiges Desinteresse und natürliche Feindseligkeit. Was soll man sonst noch sagen, meiner Ansicht nach sind die „zivilen“ Proteste draussen und drinnen nutzlos, das „Angebot an Lebensqualität“ drinnen ist schlicht eine Frage des Kräfteverhältnisses. Aus dem Knast muss man raus, es gehört denen drinnen, sich fähig zu machen...

 

VZF: Die Anarchie ist für uns keine Partei, hat keine Zentralkomitees, sondern ist eine Aktions-, Konzept- und Werteströmung. Was sind die Spannungen heute in der anarchistischen Bewegung in Italien? Was sind ihre Eigenschaften, ihre Gegensätze, ihre Aktivitäten?

 

Alfredo: Das ist eine wichtige Frage, die einer artikulierten Antwort bedarf. Ich verkehre seit Ende der ´80er Jahre in der anarchistischen Bewegung. In den letzten 20 Jahren hat sich viel verändert, viele Beziehungen zwischen GenossInnen sind zerbrochen, viele auch negative Dynamiken wurden angestossen, die manchmal miserable Früchte getragen und ein leaderistisches und politisches Gehabe akzentuiert aber auch neue Perspektiven eröffnet haben: eine neue Generation hat ausserhalb der Vollversammlungen, ausserhalb der Mechanismen der Politik ihre Stimme erhoben. Um auf eure Frage zur Situation der anarchistischen Bewegung heute zu antworten, muss ich einen Schritt zurück machen.

Oft denkt man, dass der Insurrektionalismus etwas aus einem Stück sei, das aus fixen Konzepten und Theorien besteht, die in ihrer „ideologischen“ Erstarrung im Laufe der Zeit unverändert geblieben sind. Eine Ideologie mit sage und schreibe (echt abartig) ihrem 'lider máximo' und ihren Dogmen. Nichts ist im Laufe der Zeit unveränderlich. Frauen und Männer schmieden die Ideen durch ihre Aktion. Es sind nicht die drei oder vier wohlbekannten GenossInnen, mit ihren Büchern und Artikeln, die den Weg weisen, umso weniger die langatmigen und unergiebigen Vollversammlungen, sondern jene unbekannten GenossInnen, die uns mit ihrer Praxis des Angriffs vorantreiben und so Richtung Leben bringen.

Gerade durch diese Praxis stellten Ende der ´90er Jahre die vor uns gekommenen Gruppen – die Cooperativa Artigiana Fuoco ed Affini (occasionalmente spettacolare) /Handwerkliche Genossenschaft Feuer und Affine (gelegentlich spektakulär); die Brigata 20 luglio /Brigade 20. Juli; die Cellule contro il capitale, il carcere, i suoi carcerieri e le sue celle / Zellen gegen das Kapital, das Gefängnis, seine Wärter und seine Zellen und Solidarietá Internazionale / Internationale Solidarität – die zwei konsolidierten Dogmen des sogenannten „Insurrektionalismus“, die Anonymität der Aktionen und die Vorherrschaft der in Entscheidungsorgan verwandelten Vollversammlung in Frage. Zwei Fixpunkte, die unaufhaltsam zu einem letalen Stillstand führten. Indem sie durch die Bekennungen ihrer Praxis Kontinuität und eine Stimme verlieh, sich der Fesseln der Vollversammlung entledigte und nicht mehr zuliess, durch die Frage der Vermittelbarkeit gegenüber den „Leuten“ und dem Rest der „Bewegung“ eingeschränkt zu werden, machte die Anarchie wieder Angst. Durch viele Bomben und Bekennungen entzauberten diese Gruppen das Dogma der Anonymität der Aktion, schlugen im Stillschweigen Breschen, das uns nach der Repressionswelle des Prozesses Marini erfasst hatte und behinderten ernsthaft jene Dynamiken, die daran waren uns in einen Citoyen-ismus hinein zu treiben, der jegliche Instanz der Gewalt auszuradieren drohte. Nach dem Erscheinen dieser Gruppen nahm der Begriff Insurrektionalismus für viele AnarchistInnen eine negative Wertigkeit an, vor allem als die JournalistInnen begannen, ihn als Synonym von „Terrorismus“ zu verwenden. An diesem Punkt machten viele einen Schritt zurück und behaupteten, dass gewisse „spektakuläre“ Attentate mit ihren Bekennungen die Leute entfernen würden. Um die Spaltungen im Anarchismus der Aktion, heute, in Italien, zu verstehen, muss man zu den Anfängen des Kampfes in der Valsusa gegen die Hochgeschwindigkeit zurückgehen: 1998, nach dem tragischen Tod von Baleno und Sole, kam es zu vielen Appellen nach demokratischer Legitimität, nach einer „gerechten“ Justiz, nach einem fairen Prozess, nicht nur von herausragenden VertreterInnen des demokratischen „Radikalismus“, sondern auch durch die anarchistische Bewegung. Ein grosser Teil der AnarchistInnen setzte sich in einem an der Grenze zur Verleumdung geführten Kreuzzug ein, in dem ihre Unschuld beteuert wurde. Sole und Baleno wurden als zwei unschuldige Opfer, als arme Naivlinge dargestellt, die von einer Geschichte überrollt wurden, die viel grösser war als sie. Als dann etwa zehn Paketbomben (zu denen es nie eine Bekennung gab) an einige für den Tod der GenossInnen verantwortliche Leute adressiert wurden, distanzierte sich fast die gesamte anarchistische Bewegung vor lauter Angst vor zukünftigen Repressionswellen von solchen Praktiken und bezeichnete sie, bestenfalls, als der AnarchistInnen „unwürdig“ und im schlimmsten Fall als regelrechte Bullenprovokationen. Mit den seltensten Ausnahmen, die in den folgenden Jahren natürlich die Aufmerksamkeit der Justiz auf sich lenkten. Seitdem wurde die grosse Mehrheit der sogenannten „InsurrektionalistInnen“ von einem so hektischen wie selbstmörderischen Drang nach Konsens überwältigt und begann ein unaufhaltsames Rennen auf die Zivilgesellschaft zu. Indem sie der Chimäre des sozialen Volkskampfes überall dort nachjagten, wo sie sich zeigte und dabei wie ins Taumeln geratene Kreisel zwischen EmigrantInnenlager, Valsusa, Hausbesetzungen und Knastkampf hin und her hüpften, verwässerten sie ihre Projektualitäten, um als glaubwürdig, zuverlässig und realistisch zu erscheinen und näherten sich immer besorgniserregender dem Citoyen-ismus an. Ein kleiner Teil von ihnen, da er sich, Jahre danach, bewusst wurde, welche gradualistisch und politisch schlechten Wenden die sozialen Kämpfen nahmen, schloss sich in den klassischen Elfenbeinturm ein und dozierte gegen Alle und Alles, bis zum Hals in einem verzweifelten praktischen Nullismus5 schwimmend. Andere hingegen lebten schrankenlos all ihre Lebenspotentialitäten aus und scherten sich einen Dreck um ObertheoretikerInnen oder maximale Systeme. Die „klarsichtigsten“ StreberInnen zum Sozialen versuchten in der Valsusa wenigstens am Anfang die Erfahrung der ´80er Jahre gegen die Aufstellung der Atomraketen in Comiso zu replizieren. Eine Erfahrung, die noch heute als konkretes Beispiel der Methodologie zum insurrektionalistischen Eingreifen im Territorium hinausposaunt wird. In Comiso hatte die Projektualität, obwohl sie wegen ihres politisch-instrumentalen Inhaltes sehr wohl kritisiert werden kann, effektiv eine aufständische Perspektive. Der mittelfristige Kampf, die Vertreibung der Amerikaner und ihrer Raketen, sollte der Funke für einen allgemeinen Aufstand im Herzen Siziliens sein, wie in der klassischen Tradition der banda del Matese6. Ausschliesslich von GenossInnen gebildete fiktive Volksbünde wurden kreiert, populistische Ansprachen an die Leute gehalten um sie zu terrorisieren und zur Revolte zu treiben, absurde Volksreden über mögliche Vergewaltigungen durch amerikanische Soldaten versuchten den Hebel beim italiotischen7 Machismo anzusetzen, was aus diesem Eingreifen ein vollständig politisches Phänomen machte, das, von einem Gesichtspunkt her, äusserst kritisierbar ist. Aber, das muss doch eingeräumt werden, in einer durchaus aufständische Optik. In der Valsusa verliefen die Dinge anders: von Anfang an wurde das aufständische Ziel schnell durch den schlichten No-Tav Kampf ersetzt. Der mittelfristige Kampf gewann Oberwasser, vom Qualitativen ging man zum Quantitativen über, zur Zählung der DemonstrantInnen an den Strassenblockaden, zum Kampf Seite an Seite mit Alpini-Veteranen8, GemeindepolizistInnen, Bürgermeister und Parteien und verlor so das Endziel aus den Augen: die Zerstörung des Bestehenden. Die aufständische Perspektive hatte sich in eine bescheidenere, politische Verbesserung des Bestehenden verwandelt. Einmal wieder hatte der „Realismus“ das vitale Potenzial des Anarchismus ausradiert. Persönlich kritisiere ich die sogenannt mittelfristigen Kämpfe nicht im Vorhinein, „ideologisch“, was ich kritisiere ist die Methode mit der man eingreift: wenn man sich unter Beschränkungen der eigenen Aktion als Bezug verhält, läuft man unweigerlich Gefahr sich zur Avantgarde zu machen. Du tust nicht mehr was du für richtig hältst, sondern das, was die Leute auf deine Seite treiben könnte. Du machst Politik. Von dem Moment an, in dem du dir, vor lauter Angst nicht verstanden zu werden, Beschränkungen auferlegst, bist du de facto schon ein politisches Subjekt, du wirst also zum Teil des Problems, zu einem der vielen Krebsgeschwüre, die unsere Existenz verpesten. Man darf die eigenen Worte und Taten nie mässigen um dem Volke, den Leuten verdaulich zu werden, sonst läuft man Gefahr vom „mittelfristigen“ Ziel, das man erreichen will, verwandelt zu werden. Als ich heute die alten Bekennungen der Gruppen gelesen habe, die nach dem Jahr 2000 die FAI zum Leben erwecken sollten, wurde mir bewusst, dass sie mit ihren Aktionen oft in mittelfristige Kämpfe eingegriffen und versucht haben, partielle Ziele zu erreichen: die Abschaffung von FIES, der EmigrantInnenkonzentrationslager usw. Aber sie zielten nie auf einen generalisierten Konsens, auf ein quantitatives Wachstum ab. Sie setzten immer auf ein qualitatives Wachstum der Aktion, auf grössere Zerstörungskraft, bessere Reproduzierbarkeit. Die Lebensqualität eines anarchistischen Individuums ist direkt proportional zum realen Schaden, den es dem todbringenden System, von dem es unterdrückt wird, zufügt. Je weniger Kompromisse es akzeptiert, desto stärker und klarsichtiger werden seine Gefühle, seine Leidenschaften, desto nüchterner sein Hass, immer scharf wie eine Rasierklinge. Leider handeln die AnarchistInnen grossmehrheitlich auf der Basis des Strafgesetzbuches, etliche Aktionen werden nicht umgesetzt, weil man sich schlicht vor den Folgen fürchtet. Wir sollten uns bewusst werden, dass für ein anarchistisches Individuum nicht der Tod oder Knast das schlimmste Schicksal ist, sondern der Angst nachgeben, der Resignation. Die Aktionen und Texte der schwarzen Internationale legen allen die totale Ablehnung dieser Resignation offen, die starke Lebhaftigkeit und Energie einer Bewegung, die die Lebensqualität, den Sinn für Gemeinschaft und Solidarität, den permanenten Kampf zum Zentrum des eigenen Daseins macht. Der Tod, der Knast, haben sich auf diesem Weg schon eingestellt aber uns nicht besiegt. Unsere Kraft ist das volle Bewusstsein dessen, was wir sind, das volle Bewusstsein, dass, sobald wir die Angst besiegt haben, sich vor uns ein erfülltes Leben eröffnet, das, egal wie lange es dauert, wert ist gelebt zu werden. Die Intensität ist das, was zählt.

Zurück zu eurer anfänglichen Frage zu den Spannungen, den Eigenschaften und den Gegensätzen der anarchistischen Bewegung heute in Italien, muss ich sagen, dass die Debatte über die Benutzung von Signaturen und Bekennungen oder nicht noch sehr lebhaft ist. Auch in diesem Falle würde ich daraus keinen „ideologischen“ Diskurs machen, ich habe nichts gegen Aktionen ohne Bekennungen. Meiner Ansicht nach neigen sie einfach dazu zu verschwinden, eröffnen keine Diskurse, haben ein minimales Reduktionspotenzial. Darum habe ich mir die Methodologie der FAI-FRI zu eigen gemacht. Die „InsurrektionalistInnen“ hier bei uns machen hingegen einen „ideologischen“ Diskurs daraus. Wer sich mit einer Signatur bekennt, ist ein zu verleumdender Feind. Wer sie kennt, weiss über den Grund solcher Intransigenz genau Bescheid. Das Kommunizieren durch die Bekennungen bedroht eindeutig ihre „Macht“, ihre theoretische Hegemonie. Die Aktionen mit Bekennungen entlarven ihren praktischen Nullismus total. Hinter sich haben sie das Scheitern einer klassisch insurrektionalistischen Projektualität, die unfähig ist sich der Wirklichkeit anzupassen, vor sich kluge Reden oder wenig mehr. Als Reaktion auf eine Wirklichkeit, die sie erdrückt, kommt Panik auf, Wut und Hass gegen alles, was sich ausserhalb ihres starren, zum Scheitern verurteilten Schemas bewegt. Die mehrheitliche Komponente des Anarchismus der Aktion, hier in Italien, besteht aus jenen InsurrektionalistInnen, die sich mit unbestrittener Begeisterung und Hingabe der sozialen Tendenz verschrieben haben. Ab und zu machen sie sich die Hände mit der Aktion „schmutzig“, aber immer mit einem Auge auf die Zivilgesellschaft, ganz politisch immer aufmerksam darauf bedacht, ihre Schritte zu mässigen. Von einer „klassischen“ insurrektionalistischen Projektualität her kommend, sind sie heute, als Wunderwerk des politischen Realismus, beim revolutionären „Citoyen-ismus“ angelangt. Noch einige Jahre und es wird schwierig sein, sie von den Militanten der Federazione Anarchica Italiana zu unterscheiden, mit denen sie immer öfter auf Demos, Umzügen und Protestversammlungen zu sehen sind. Oft unwahrscheinliche freie Republiken lobpreisend, machen sie zwei Schritte vorwärts, zwei zurück, de facto auf der Stelle tretend, aber immer in guten und netter Gesellschaft. Die ungelegene Dritte, die sogenannte „verrückt gewordenen Variable“ des Anarchismus der Aktion in Italien, ist die informelle FAI und noch früher alle die Gruppen die sie geschaffen haben: Cellule Metropolitane /Metropolitane Zellen; Rivolta anonima terribile / Schrecklich anonyme Revolte; Nucleo Rivoluzionario Fantazzini / Revolutionäre Zelle Fantazzini9; Cellule contro il capitale, il carcere, i suoi carcerieri e le sue celle / Zellen gegen das Kapitak, das Gefängnis, seine Wärter und seine Zellen; Solidarietá Internazionale / Internationale Solidarität; Sorelle in armi / Schwestern in Waffen; Nucleo Mauricio Morales /Zelle Mauricio Morales10; Brigata 20 luglio / Brigade 20. Juli; Cellule armate per la solidarietá /Bewaffnete Zellen für die internationale Solidarität; Rivolta animale / Revolte der Tiere; Cellula rivoluzionara Lambros Fountas / Revolutionäre Zelle Lambros Fountas11; Cellule Damiano Bolano/ Zelle Damiano Bolane; Individualià sovversive anticivilizzazione / Subversive anti-zivilisatorische Individuen; Cospirazione fuoco nero / Verschwörung schwarzes Feuer und Nicola und ich des Nucleo Olga / Zelle Olga. Etwa hundert und mehr Aktionen auf 20 Jahre verteilt. In jenen Jahren habe ich als Zuschauer die Panik der AnarchistInnen aller „Strömungen“ miterlebt. Hier jene, die von der Repression und der Ähnlichkeit mit der Signatur ihrer Föderation terrorisiert waren. Dort die anderen, völlig perplex (ich war es auch), weil man nicht begriff was brodelte. Als Reaktion hagelte es die gemeinsten Anschuldigungen: Geheimdienste, Autoritarismus. Die Schlaueren ignorierten das Phänomen und hofften auf ein rasches Ableben, aber als sich der Virus FAI-FRI, dank euch VZF, sich auf der halben Welt verbreitete, hagelte es und hagelt es immer noch grosse Reden von „anonymen“ ZensorInnen der Orthodoxie: „Arcipelago“, „Brief aus der anarchistischen Galaxie“, grosse Reden, auf die nie Taten folgen, wenigstens hier in Italien.

 

VZF: In deinen Texten sprichst du von Macht. Beziehst du dich ausschliesslich auf die Macht des Staates oder auch auf die diffuse Macht in der Gesellschaft und in ihre Strukturen?

 

Alfredo: Wenn ich von Macht rede, beziehe ich mich auf all ihre Aspekte, auf die deutlicheren und die heimtückischeren, eher versteckten. Die Macht schleicht sich überall in die Beziehungen zwischen GenossInnen ein, in unsere Liebesbeziehungen, in die herzlichen und freundschaftlichen Beziehungen. Darum finde ich es vorrangig, nach einer neuen Art und Weise der Planung, des Erlebens der eigenen Leidenschaften, der Wechselbeziehung untereinander zu suchen, um die Qualität unserer Aktion, unseres Lebens, unseres, primär als RebellInnen, Seins zu verbessern. Ich denke weiterhin, dass die Gesellschaft nur unter dem Zeichen von Herrschenden und Beherrschten existiert. Noch besser gesagt, unter Herrschenden und denen, die sich beherrschen lassen. Sicher gibt es diffuse Verantwortlichkeiten, beide dieser Subjekte tragen zur Beschneidung meiner Freiheit, meines Glücklichseins bei. Die demokratischen BürgerInnen als gute DienerInnen fürchten und respektieren die demokratischen BürgerInnen die Macht, betteln um ihre Gnade, festigen die Ketten, die unsere Hände fesseln. Was nicht heisst, dass die Verantwortlichkeiten gleich sind, es gibt unterschiedliche Grade. Zwischen einer Frau und einem Mann der Macht, einem Reichen, einem Manager, einem Industriellen, einem Politiker, einem Wissenschaftler, einem Technokraten und dem „einfachen“ Bürger, Angestellten, Arbeitenden, der um des lieben Friedens willen, mit seinem Einverständnis, mit seinem Stimmzettel den Status quo billigt, schlage ich ohne zu zögern gegen die Ersteren zu. Was der Verachtung keinen Abbruch tut, die ich für die „freiwillige Dienerschaft“, die Resignierten empfinde. Wenn der „gute“ Bürger sich zwischen mich und die Freiheit stellen würde, würde ich keinen Moment zögern und entsprechend handeln. Mit meinem klein bisschen Erfahrung kann ich immerhin sagen, dass die Leute, das Volk, die Ausgeschlossenen, die Unterdrückten viel besser sind, als wir sie durch unsere „ideologischen“ Brillen sehen können. Ich kämpfe nicht nur für die Resignierten, sondern für meine eigene Freiheit, mein Glück selbst. Der einzig mögliche Bezug ist meine „Gemeinschaft“. Mein Konzept von „Gemeinschaft“ steht dem allumfassenden, autoritären und abstrakten Konzept von „Gesellschaft“ diametral entgegengesetzt gegenüber. Meine Beteiligung an einer nihilistischen, anarchischen, anti-zivilisatorischen „Gemeinschaft“, die völlig anders ist und im permanenten Kampf gegen das Bestehende steht, zwingt mich der „Gesellschaft“ tagtäglich den Krieg zu erklären. Ich will keinen Konsens sammeln, sondern durch die gewaltsame Aktion die Bindungen der realen Solidarität mit meinen Brüdern und Schwestern stärken. Die schwarze Internationale ist meine auf der Welt verstreute „Gemeinschaft“, WeggefährtInnen, die mein Bedürfnis zum Angriff ohne wenn und aber teilen, ohne sich zu kennen. Mit allen Unterschieden sind wir ein einzig Ding, eine geballte Faust, ein Haken im Magen der „Gesellschaft“: «Das Eis der Strategie mit dem Feuer der Aktion hier und jetzt kombinieren, die Intensität mit der Dauer, mit dem unmittelbaren Zweck den sozialen Apparat zu zerstören für die Befreiung unserer Leben » (VZF – Werden wir gefährlich). Im Kampf sind neue Ideen erblüht, wie Samen im Wind durch das Feuer der Aktion in die Ferne getragen, vorher undenkbare Intuitionen und Strategien wurden geboren. In einer Moderne, wo Begriffe wie Gesellschaft und Macht ihre ganze Synonymie enthüllen, empfinde ich das Bedürfnis nach neuen Inhalten und neuen Worten um meinen permanenten Drang zur neuen Anarchie zu übermitteln. Neue Worte brauchen, weil mir die alten zu eng gestrickt sind. Neue Inhalte für eine total andere Projektualität. Dieselben Worte in verschiedenen Breitengraden können sehr unterschiedliche Konzepte ausdrücken. Die sogenannte „informelle Organisation“, wenigstens wie sie zwischen Ende der ´70er und Anfang der ´80er in Italien theoretisiert wurde, ist etwas, da von der Informalität der FAI-FRI sehr weit entfernt ist. Den italienischen InsurrektionalistInnen nach musste die informelle Organisation hauptsächlich auf dem Instrument der Vollversammlungen und auf der Bildung von selbstverwalteten Basiskomitees und Bünde gründen. Wo die AnarchistInnen, nachdem sie durch Netzwerke, Kontakte und Affinitäten zu ihrer Bildung beigetragen hätten, wie eine regelrecht agierende Minderheit versuchen sollten die „reale Bewegung“ Richtung Aufstand zu orientieren. Das Schlachtfeld dieser aufständischen Strategie: der „mittelfristige Kampf“. Die angeführten „konkreten“ Beispiele sind immer dieselben: das schon erwähnte Comiso und der wilde Streik der Eisenbahner in Turin 1978 (??)12. Etwas peinlich berührt, so erinnere ich mich, erlebte ich vor den Richtern im Prozess Marini die Erklärung eines Genossen über den Unterschied zwischen der insurrektionalistischen Methodologie und dem Konzept der bewaffneten Bande von Azione Rivoluzionaria (kommunistisch-anarchistische bewaffnete Organisation der ´70er Jahre) und das ganze um die Distanzen zum lottarmatismo13 zu unterstreichen, eben die Haarspaltereien eines gewissen „edlen“ Insurrektionalismus, dem ich mich überhaupt nicht verbunden fühlte. Heute treten unter den AnarchistInnen hier in Italien in den No-Tav Prozessen erneut gewisse Strategien auf, dazu mit der gefährlichen Begleiterscheinung der Sympathien von demokratischen Magistraten und linken Intellektuellen. Die mit offenen Armen empfangene Zivilgesellschaft, um die der Repression folgende Angst zu bekämpfen Nichts ist weiter entfernt vom antisozialen, anti-organisatorischen, nihilistischen, exquisit anarchistischen Konzept der FAI-FRI. Darum wenn ich von der FAI rede, beziehe ich mich nicht auf die informelle Organisation, sondern auf eine andere Aktionsmethodologie. Bestimmte Worte sind überholt, Worte wie „Organisation“ ziehe ich vor nicht zu verwenden, weil sie uns nicht darstellen, etwas anderes sind als wir. Wie Macht und Gesellschaft, mit all ihren dazugehörenden Abscheulichkeiten und Monstrositäten, anders sind als wir.

 

VZF: Ein grosser Teil der anarchistischen Bewegung bekämpft den Staat und die Institutionen sowohl in der Praxis als auch in der Theorie, aber tun gegen die Zivilisation und die Technologie nicht dasselbe. Im Gegenteil sind diejenigen zahlreich, die sich selbstorganisierte Fabriken und ein „anarchistische Regierung“ unseres Lebens vorstellen. Was denkst du über die Technologie und Zivilisation?

 

Alfredo: Noch heute ist die wissenschaftlich und positivistisch geprägte Vorstellung des Anarchismus des 19. Jahrhunderts vorherrschend. Noch heute, im Jahr 2014, gibt es Leute, die sich dem absurden „Problem“ stellen was am Tag nach der Revolution zu tun wäre. Wie die Produktion verwalten, wie mit den unvermeidlichen Hungersnöten umgehen, wie die Fabriken selbst verwalten, wie die zukünftigen sozialen Verhältnisse regeln. Wenn ich den Kampf gegen die Zivilisation und die Technologie ins Zentrum meiner Aktion stelle, wird die Vorstellung von Revolution, wie sie vor einem Jahrhundert gemeint war, fallengelassen. Die gesamte Zivilisation in Frage stellen, setzt eine totale, apokalyptische, utopische, unrealisierbare Zerstörung voraus. Die Revolution, mit ihrer „einfach“ machbaren Umkehrung der sozialen Verhältnisse ist ein armseliges Ding, ein nutzloses Palliativ, weil Erschafferin einer neuen Zivilisation. Indem wir der Zivilisation den Krieg erklären, erfüllen wir das Bedürfnis, nicht ausserhalb (unmöglich, sie verlässt uns nie, sondern wir schleppen sie immer mit uns herum) von ihr aber gegen sie zu leben. Indem wir Gemeinschaften im permanenten Krieg gegen die Gesellschaft bilden, errichten wir Momente des Glücks, erleben Funken intensiver Glückseligkeit in unseren Leben. Die Revolution ein ungenügendes Instrument, mit seinem politischen, konkreten „Realismus“, auch in ihrer libertären Variante, mit ihren selbstverwalteten Gemeinden, mit ihrer Verwaltung-Regierung der Welt, mit ihrer unvermeidlichen Bildung von Status quo: sie bricht Flügel, zerbricht Hoffnungen, schafft neue Ketten. Die Revolte, mit ihrer unendlichen Bruchkraft, mit ihrem Mangel an Perspektiven, mit ihrer absoluten Verneinung der Politik: realisiert Hoffnungen, sprengt Ketten. Die revoltierenden Frauen und Männer zerstören Ketten ohne andere schmieden zu wollen, was genügt um jegliche Existenz mit Abenteuer und Glück zu erfüllen.

 

VZF: Was denkst du über das internationale ALF/ELF-Netz? Gibt es Aussichten auf eine Verbindung mit der FAI?

 

Alfredo: Für die GenossInnen wie ich, die sich in den Kämpfen der ´90er Jahre in Italien entwickelt haben, ist der Beitrag den die Aktionsgruppen zuerst der ALF und dann der ELF mit ihrem internationalen Netzwerk der revolutionären und anarchistischen Vorstellungswelt und Organisationsweise in Affinitätsgruppen geleistet haben, sehr wichtig gewesen. Ihre ökologistische und animalistische Perspektive hat die Vorstellungen vieler AnarchistInnen verändert. In Italien wurde ihre Neigung zur Affinitätsgruppe als konkretes Beispiel der informellen Organisation von den InsurrektionalistInnen mit Enthusiasmus willkommen geheissen. Die ersten ALF-Aktionen in Italien waren einer anarchistischen Vorstellung eng verbunden. Mit der Zeit wurde die anarchistische Perspektive schwächer. Der einzige Vorbehalt, den ich heute gegen sie zu haben vermag, ist ihre Missbilligung des Angriffs auf Personen. Auch wenn ich weiss, das rege Debatten stattgefunden haben, diese ihre Position kann ich ehrlich gesagt nicht verstehen. Da verstehe und teile ich eher die von den mexikanischen ITS demonstrierte Gewalt, ihre anti-zivilisatorische, wilde, anti-ideologische Konzeption. Was die „Verbindungen“ zwischen der FAI-FRI und der ELF/ALF angeht, die gibt es zweifellos, sind eine Tatsache, von der man Kenntnis nehmen muss. Es genügt die Bekennungen der russischen ELF-FAI-FRI und der mexikanischen ALF-FAI zu lesen. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, ich kann nur nochmals feststellen, dass die FAI-FRI eine Methodologie ist, eine Methode. So zu zeichnen heisst, andere in der Welt verteilte FAI-FRI-Gruppen einzuladen, an einer eigenen Kampfkampagne teilzunehmen, die eigene Kraft zu verstärken, dafür zu sorgen, dass sich unsere Aktionen auf der ganzen Welt schnell vermehren. Die eigene Aktion wirksamer und zerstörerischer zu machen. Nicht mehr, nicht weniger. Die Schwestern und Brüder der ALF und der ELF, die mit FAI-FRI gezeichnet haben, haben diese Methodologie angenommen ohne irgendwie auf ihre Geschichte zu verzichten. Wir spielen nicht Risiko, die FAI-FRI ist keine Organisation, die sich in der Welt verstreute Signaturen einverleibt. Man nimmt nur dann an der FAI-FRI teil, wenn man handelt und zuschlägt und sich als FAI bekennt. Danach kehren alle zu ihren eigenen Projekten zurück, zur eigenen individuellen Perspektive, innerhalb einer schwarzen Internationale, die eine Vielzahl an allesamt aggressiven und gewalttätigen Praktiken enthält. Ich habe mich auch davon überzeugt (vielleicht irre ich), dass die Brüder und Schwestern, die mit FAI gezeichnet haben, es getan haben, um ihr anarchistisch sein, ihren Anschluss an die anarchistische Projektualität, an dem was ich „neue Anarchie“ nenne, klarzustellen, um sich von jenem Ökologismus zu distanzieren, der völlig auf Empathie, auf Pietismus gründet.

 

VZF: Jetzt ist die FAI ein internationales Netzwerk von AnarchistInnen der Aktion, mit dutzenden Zellen in vielen Ländern der Welt. Dieses Abenteuer begann 2003 mit einem offenen Brief in Italien der FAI an die antiautoritäre Bewegung. Wenn du magst, sag uns kurz wie du die Entwicklung der FAI siehst und was jetzt ihre Bezugspunkte sind.

 

Alfredo: Als ich im weit zurückliegenden 2003 den „offenen Brief an die anarchistische und antiautoritäre Bewegung“ las, der von der Handwerklichen Genossenschaft Feuer und Affine (gelegentlich spektakulär), der Brigade 20.Juli, den Zellen gegen das Kapital, die Kerker, all seine Wärter und seine Zellen und von Internationale Solidarität unterzeichnet war, war ich sehr betroffen. Viele lasen diesen Text einzig als provokanten Studentenstreich gegen den alten dogmatischen Anarchismus der Federazione anarchia italiana. Heute noch vertreten würdigste Genossen wie etwa Gustavo Rodriguez in ihren Texten diese These, weil von italienischen AnarchistInnen schlecht informiert, die nichts wissen und von Anfang an viel getan haben, um diese neue Tendenz der Anarchie zu behindern. Ich öffne eine kurze Klammer, die Texte von Rodriguez zur schwarzen Internationale sind meiner Meinung nach bemerkenswert. Einige von ihm eingehend behandelte Anregungen eröffnen uns wirklich neue Perspektiven. Das gesagt, nahm ich von Anfang an den Entscheid zur Signatur FAI sehr ernst, da ich darin nicht einzig einen Angriff auf die alte formelle Föderation sah, sondern eine neue Projektualität. Obwohl ich damals von dieser Perspektive weit entfernt war, begann ich mit diesem langsamen Prozess, der mich 2012 dazu brachte, als Zelle Olga FAI-FRI zu handeln. Wenn ich heute den „offenen Brief an die anarchistische und antiautoritäre Bewegung“ lese, wird mir bewusst welch langer Weg zurückgelegt wurde, wie sehr sich diese Vorstellung der Anarchie entwickelt hat und wie sehr sie dabei ist, sich weiterzuentwickeln.

 

«FÖDERATION weil wir deren Bedeutung einer diffusen und horizontalen Verästelung lieben: Föderation von Gruppen oder Einzelnen, Frauen und Männern, Freie und Gleiche vereint durch die Praktiken des Angriffs gegen die Herrschaft, im Bewusstsein des Wertes der gegenseitigen Hilfe und der revolutionären Solidarität als Instrumente der Befreiung. Wir verstehen die Föderation als zeitlich stabile Beziehungen, die aber gleichzeitig immer im Fluss, in andauernder Entwicklung sind, dank des Aufwands an Ideen und Praktiken der neuen Gruppen oder Einzelnen, die entscheiden werden, daran teilzunehmen. Wir denken an eine nicht demokratische Organisation: ohne Vollversammlungen, VertreterInnen, Delegierte oder Komitees, ohne all diese Organe, die das Entstehen von LeaderInnen, das Aufsteigen von charismatischen Figuren begünstigen, als Ergebnis der Praxis selbst (Bekennungen zu den Aktionen) und der Verbreitung der Theorie durch die Informationsinstrumente der Bewegung. Zusammenfassend, an die Abschaffung der Versammlung, die durch die horizontal-anonyme Debatte unter Gruppen/Einzelnen, die durch die Praxis selbst kommunizieren, ersetzt wird. Die Föderation ist unsere Stärke, die Stärke der Gruppen/Einzelnen, die sich in der Aktion durch einen genau definierten Pakt der gegenseitigen Hilfe unterstützen.

ANARCHISTISCH weil wir die Zerstörung des Staates und des Kapitals wollen, um in einer Welt zu leben, wo Freiheit und Selbstbestimmung „herrsche“, wo jede Art von sozialem Experiment möglich sei, das keine Ausbeutung des Menschen über den Menschen und des Menschen über die Natur bedingt. Radikal gegen jegliches marxistisches Geschwür, bezaubernde Sirene, die zur Befreiung der Unterdrückten antreibt, aber in Wirklichkeit ein betörender Apparat ist, der die Möglichkeit einer befreiten Gesellschaft erdrückt, die eine Herrschaft durch eine andere ersetzt .

INFORMELL da keinerlei avantgardistischen Konzeption und wir uns auch nicht einmal als Teil einer aufgeklärten agierenden Minderheit wahrnehmen; und da wir hier und jetzt unseren Anarchismus einfach leben möchten, haben wir die informelle Organisation folglich die Informalität als einziges organisatorisches Instrument betrachtet, das uns vor autoritären und bürokratisierenden Mechanismen bewahren könnte indem es unsere Unabhängigkeit als Gruppe/Einzelne schützt und uns eine gewisse Spanne an Widerstand und Kontinuität gegenüber der Macht garantiert. Die informelle anarchistische Föderation, auch wenn sie den bewaffneten Kampf praktiziert, lehnt die auf monolithischen Organisationen basierte Konzeption ab, die „klassisch“ strukturiert sind: Stützpunkte, Reguläre-Irreguläre, Untergrund, Kolonnen, Führungskader, enormer Geldbedarf. Strukturen, die unserer Meinung nach durch die Macht leicht angreifbar sind: es genügt der klassische Infiltrierte oder Denunziant um die gesamte Organisation oder einen grossen Teil davon wie ein Kartenhaus einstürzen zu lassen. Ganz anders als in einer informellen Organisation die aus 1000 Einzelnen oder Gruppen, die einander nicht kennen (vielmehr erkennen sie sich durch die ausgeführten Aktionen und den sie Pakt der gegenseitigen Hilfe, der sie verbindet) wo bedauerliche Infiltrierungs- oder Denunzierungsfälle auf die einzelne Gruppe beschränkt bleiben, ohne sich weiter zu verbreiten. Dazu, wer zur Federazione anarchica informale gehört, ist nur in dem spezifischen Moment der Aktion und ihrer Vorbereitung effektiv in der FAI militant, sie betrifft nicht das gesamte Leben und die gesamte Projektualität der GenossInnen, was erlaubt jegliche Spezialisierung in bewaffnetem Kampf definitiv in der Dachkammer zu entsorgen. Sobald verwurzelt, wird es für die Macht extrem schwierig uns zu zerstören.»14

 

Die vitale Schwungkraft der FAI-FRI ist ihre kontinuierlichen Erneuerung, ihrer stimulierende Entwicklung. Heute ist der Bedürfnis zur Überwindung alter Konzepte wie „Organisation“, „befreite Gesellschaft“, „Revolution“ immer dringlicher. Andere Konzepte wie „Föderalismus“, „Informalität“, „gegenseitige Hilfe“, „horizontal-anonyme Debatte unter Gruppen/Einzelnen durch die Praxis“, „Ablehnung der Vollversammlung“ bewahren ihre ganze Kraft und bleiben die Eckpfeiler, worauf unsere Projektualität basiert. Die AnarchistInnen der Aktion der FAI haben sich seit jenem 2003 neue Perspektiven gegeben, haben neue Verbindungen entwickelt. Die nullistischen Wahnvorstellungen der reinen TheoretikerInnen des Aufstandes ignorierend, haben sie gegen jeden politischen „Realismus“ erreicht, das Begriffe wie Nihilismus und antisozialer Kampf, lebendiger denn je, neu auftreten konnten. Das Gehirn der FAI-FRI ist das andauernde chaotische Debattieren von Frauen und Männern durch die Aktion. Neue Worte und Perspektiven werden kommen um neue Wege zu beschreiben, die wir uns heute nicht einmal vorstellen können. Worte, die dann ihrerseits, von noch wirksameren und durchschlagenderen Begriffen, weil in der Aktion getestet, überholt sein werden. Ein andauerndes Experimentieren der Revolte, nichts Festgelegtes, nicht Unveränderliches im Laufe der Zeit, als einziger Fixpunkt der unstillbare Wunsch nach Freiheit und der andauernde Drang zur Anarchie. Nicola und ich haben uns mit der Aktion gegen Adinolfi dieser Projektualität angeschlossen (wenn auch verspätet) und zur FAI-FRI unseren anti-zivilisatorischen und anti-technologischen Beitrag geleistet. Äusserst interessant sind die Beiträge auf derselben Linie der englischen FAI und die der mexikanischen und chilenischen. Zieht jedenfalls in Betracht, dass die Nachrichten, die wir im Knast erhalten, wenige und zensiert sind, folglich ist das Wissen um das, was hier draussen geschieht äusserst beschränkt. Die von euch, VZF, geprägte Entwicklung und Internationalisierung der FAI führte zu jener Beschleunigung, die parallel dazu zur Geburt des Begriffes „schwarze Internationale“ führte. Bezugspunkt der Methodologie FAI-FRI kann nur diese „Internationale“ sein, mit ihrem gesamten Universum an Aktionen mit und ohne Bekennungen, an Zusammenstössen, Barrikaden und gewaltsamen Angriffen. Die „neue“ nihilistische Perspektive mit ihrem gesamten anti-organisatorischen Potential ist die grösste Frucht des Dialoges durch die Aktionen. Eine äusserst wichtige, vitale Rolle haben dann jene, die durch die Aktionen, nicht durchs Geschwätz, unsere Methodologie kritisieren und die Gefahr hervorheben, die wir immer laufen: das sich alles auf eine Signatur reduziert. Um unsere Gefahr zu vermeiden, muss man die „revolutionäre Kampagnen“ bessere entwickeln, die zu oft bei anderen FAI-FRI-Gruppen kein Gehör finden. Manchmal hingegen (ich hoffe immer häufiger) überraschen sie uns, eine für alle die Operation „Phönix“, die in Griechenland begann und sich auf der halben Welt verbreitet hat.

 

VZF: Der Anarcho-Nihilismus ist wohl die am meist verleumdete Tendenz der Anarchie, sowohl von den „offiziellen“ AnarchistInnen als auch von der staatlichen Propaganda. Was ist deine Position zum Anarcho-Nihilismus und zu den Kritiken, die er erhält?

 

Alfredo: Unter Nihilismus verstehe ich den Willen, den Anarchismus sofort und jetzt zu leben und das Warten auf eine zukünftigen Revolution sein zu lassen. Die Anarchie leben heisst kämpfen, sich bewaffnen, sich mit dem Bestehenden zu schlagen ohne abzuwarten. Nur in diesem Konflikt kann man das volle Glück auskosten, mit seiner unweigerlichen Zutat an Beziehungen, Komplizenschaft, Liebesbeziehungen, Freundschaften, Feindschaften. Es gibt keine andere Weise f für mich um die Gegenwart, das Leben befriedigt und erfüllt zu leben. In diesem Nihilismus verwirklicht sich meine reale und konkrete Anarchie, heute, sofort. Der Nihilist zerstört, baut nichts auf, weil er nichts aufbauen will. Eine Revolution würde unweigerlich andere Ketten, neue Autorität, neue Technologie, neue Zivilisation schaffen. Das anti-zivilisatorische Individuum kann nichts als nihilistisch sein, denn nur in der Zerstörung der Gesellschaft kann diese neue Anarchie entwickelt werden. Zerstörung nicht weil der Zerstörungswille auch Schaffungswille ist, sondern weil wir nichts mehr aufbauen wollen. Zerstören, weil es in der Zivilisation keine Zukunft gibt. Es überrascht mich überhaupt nicht, dass der Nihilismus die von denselben AnarchistInnen am stärksten verleumdete Tendenz ist. In ihrer unerbittlichen Konkretheit klaut sie uns das gute Ende des Gutenachtgeschichtleins (die zukünftige Revolution) und zwingt uns zur Aktion, hier und jetzt und macht denen Angst, die, feige geworden, immer bereit sind, die Auseinandersetzung aufzuschieben. Mein Nihilismus verläuft im Gleichschritt mit dem Leben, mit der Aktion, lehnt jeglichen Superman-ismus ab, hat nichts mit dem geschwätzigen Individualismus des vergangenen Jahrhunderts oder unserer Tage zu tun. Hat viel mit der individualistischen und anti-organisatorischen Anarchie von Männern der Aktion wie Novatore, Di Giovanni, Galleani gemeinsam.

 

VZF: Akzeptierst du als nihilistischer Anarchist die Vorstellung, dass „die Massengesellschaft ihre Revolution machen wird, sobald die Bedingungen reifen werden“?

 

Alfredo: Als nihilistischer Anarchist bin ich ganz klar gegen jegliche deterministische Vorstellung des Anarchismus, gegen jeglichen szientistischen15 Anarchismus. Ich glaube nicht, dass die Geschichte uns an der Hand zur Anarchie führt. Im Gegenteil, ich denke, dass gegen den Strom zu schwimmen unser stetiges Schicksal sein wird. Die Gesellschaft wird immer auf irgendeine Art und Form von Sklaverei basieren. Nur schon der Gedanke, dass wir eines Tages die „perfekte Gesellschaft“ verwirklichen werden, erfüllt mich mit Schrecken. Die Anarchie würde sich in Regime verwandeln. Die Utopie zur Dystonie.16 Ich ziehe vor zur Anarchie zu tendieren und mein Glück in diesem meinem andauernden Drang zu verwirklichen. Die Bedingungen reifen, wenn der Wille die Angst besiegt, die Bedingungen für eine Geste der Revolte sind immer reif. Umso besser, wenn die Revolte dann durch die Komplizenschaft mit anderen Individualitäten zur Gemeinschaft wird. In diesem Falle verhundertfacht sich unsere Kraft und proportional wächst auch unsere Freude. Nur die Frauen und Männer der Aktion können die realen Potentialitäten des Willens begreifen: anscheinend unmögliche Dinge werden realisiert, unglaubliche Aktionen werden beispielhaft und stärken den Willen anderer. Ein Anarchist ohne Mut ist ein Anarchist ohne Willen. Er weiss was richtig ist, aber hat nicht die Kraft, es durch Taten zu besiegeln, er schaut einfach zu, schwingt höchstens grosse Reden, schreibt. Er ist das unglücklichste aller Wesen.

 

VZF: Was meinst du zu den formellen anarchistischen Strukturen (z.B. Föderation), die im Namen ihres Massencharakters und der sozialen Akzeptanz ihre Praxis und Theorie verstümmeln?

 

Alfredo: Die formellen Strukturen haben einen Kopf – die AnführerInnen, Arme – die Militanten, Beine – die Korrespondenzkommissionen. Die Informalität der FAI-FRI hat das Individuum als Kopf, in den Affinitätsgruppen ihre Arme und in den gewaltsamen Aktionen ihre Beine. Man darf aber nicht denken, dass die Affinitätsgruppe alleine den informellen Strukturen gehöre, es gibt viele Beispiele von formellen anarchistischen Organisationen, die ihre Aktion auf Affinitätsgruppen basieren: die spanische FAI vor 1936, die Fijl17 mit ihren Aktionsgruppen, nach dem Sieg Francos, usw.. In allen diesen Fällen gab es aber eine Koordinierung, eine Linie einzuhalten, eine politische Führung. Die Freiheit der Einzelnen war beschränkt. Die besondere Eigenschaft der Informalität der FAI-FRI ist die totale Abwesenheit von Organisation, Führung, Koordinierung. Die totale Autonomie jeder Affinitätsgruppe oder jedes einzelnen Individuums. Anstatt Organisation, Dialog durch die Aktion, als Antrieb nicht mehr die Gesellschaft sondern die eigene kämpfende Gemeinschaft. Die wie in Italien theoretisierte sogenannte informelle „Organisation“ sieht wohl oder übel eine Führung vor, nämlich die ExpertInnen der Informalität, die eine Vollversammlung leiten und so indirekterweise die Affinitätsgruppen ausrichten. Der gelehrteste, der am besten reden kann. Der mit dem grössten Charisma bekommt die Möglichkeit sich den anderen gegenüber durchzusetzen. Die sich durch diese „Informalität“ bildende Hierarchie ist die hinterhältigste und am schwierigsten auszurotten, weil sie unsichtbar ist. Die „klassische“ insurrektionelle informelle Strategie sieht ein Verhalten zu spezifischen Organisationen vor, mit Verbänden und Volkskomitees, weil in ihre Perspektive die Revolution, das quantitative Wachstum enthalten ist. Perspektive, die der FAI-FRI in ihrer antisozialen, anti-zivilisatorischen Perspektive fehlt, in uns gibt es keine Politik, keinen Kompromisse, keine Anpassung und so laufen wir keine Gefahr zur führenden Klasse zu werden. Ich würde es nicht aushalten, einer Organisation anzugehören, weil dadurch meine individuelle Freiheit beschränkt wäre. Dann noch der Diskurs der Repression, es ist viel leichter eine Organisation zu zerschlagen als 10-100-1000 Einzelne und Affinitätsgruppen, die einander nicht kennen, was aber zweitrangig ist.

 

VZF: Heute in Griechenland stellen sich einige anarchistische Squats18 als Alternative zu den Kulturzentren vor, anstatt Treffs für neue GenossInnen mit der Absicht zu handeln aufzubauen. Wie ist die Situation in Italien und deine Meinung zu den Squats?

 

Alfredo: Ich habe nie grosse Sympathien für das gehegt, was in Italien „centri sociali“- Sozialzentren genannt wird. In den ´90er Jahren definierten sich die von uns besetzten Orte als „weder Zentren noch sozial“. Wir gaben uns spielerisch, existentiell, individualistisch, hatten keine soziale bzw. kommunikative Perspektive mit dem um uns lebenden Stadtteil. Wir strebten im Wesentlichen nach der Qualität unseres Lebens, unserer Beziehungen, kritisierten die „Militanz“ scharf. Vielleicht gerade darum, da ihnen die Kommunikation egal war, drückten einige von uns eine starke Gewalttätigkeit gegen das System aus. Ich glaube, dass die Besetzung, der Squat, wenn es Konfliktualität, Komplizenschaft und Aktionen hervorruft, zum wunderbaren Ort werden kann um die Konfliktbereitschaft mit dem Rest der Welt zu leben. Nur muss ich die Wahrheit sagen, in den letzten Jahren habe ich sehr selten darin verkehrt und meine Komplizenschaften anderswo gesucht.

 

VZF: Jeder Anarchist und jede Anarchistin der Aktion schlagen sich mit dem Dilemma öffentliche oder illegale Aktivität rum. Deine Position?

 

Alfredo: Ich bin überzeugt, dass die einzig wirklich einschneidenden Aktionen die illegalen sind. Nur durch den Illegalismus kann man die Anarchie leben. Was die Bedeutung von Zeitungen, Büchern, Broschüren, Kundgebungen, Besetzungen nicht schmälert, aber die Priorität, die unersetzliche, die unvermeidliche Aktivität für ein anarchistisches Individuum, kann nichts anderes als die direkte Auseinandersetzung mit dem System, die gewaltsame Aktion sein. Das System weiss das wohl, in der Demokratie lassen sie dich sagen was du willst. Die wirklichen Probleme tauchen auf, wenn du das, was du sagst praktizierst. Ich bin nicht einverstanden mit den GenossInnen, die sagen, dass jede Praktik dieselbe Würde hat. Die gewaltsame Aktion hat mehr davon als die anderen. Zum Teufel mit der Gefahr der Spezialisierung, vor allem wenn die einzige sich herumtreibende Spezialisierung die Feder ist.

 

VZF: In einigen Ländern Europas besteht ein als politische Anonymität bekanntes Richtung. Die ideologischen AnhängerInnen der politischen Anonymität behaupten, dass „Bekennungen und Signaturen wie FAI das Eigentum an der Aktion schaffen“. Wir VZF denken, dass unsere Aktionen uns selbst bestimmen und die Bekennung kein Eigentumstitel sondern eine Kriegshandlung ist. Was meinst du dazu?

 

Alfredo: Das Fehlen von Signaturen und Bekennungen genügt nicht um uns von der Gefahr des Autoritarismus und des Avantgardismus zu bewahren. Die GenossInnen vom „Brief an die anarchistische

Galaxie“ klagen uns an, einen hegemonialen Willen zu haben, eine Organisation zu sein, eine der vielen anarchistischen Föderationen. Wie die Richter, die uns verurteilt haben, sehen sie in uns eine Organisation, eine bewaffnete Pseudopartei. Davon überzeugt, unser Ziel sei vom Staat anerkannt zu werden, machen sie aus uns eine lottarmatistische Karikatur. Auf diese ihre so „scharfsinnigen“ wie „granitischen“ Überzeugungen lassen sie konstruktivere und optimistischere folgen: die Überzeugung, dass es wie durch Zauberhand genügen würde, sich zu ihr nicht zu bekennen um eine Aktion nachahmbar und zum „Gut“ aller zu machen; dass, indem man sich keinen Namen und Signatur gibt, man automatisch aus einer politischen Perspektive austritt; dass, wer durch die Instrumente kommuniziert, die sich die „Bewegung“ gegeben hat – Versammlungen, Konferenzen, Zeitschriften, Internetseiten – in keine autoritären Anführer-Mechanismen und keinerlei Spezialisierung geraten könne und – als Krone des Ganzen – dass, wenn man sich nicht bekennt, es für die Gerichte schwierig wäre uns zu unterdrücken. Diese Fixpunkte sind sozusagen das Rückgrat des „klassischen“ sozialen Insurrektionalismus, wie er sich in Italien, Frankreich, Belgien...verbreitet hat...mit seinem Hochs und Tiefs, Erfolgen und Fehlschlägen. Wir übergehen all die dämlichen Anklagen, die von dieser „Strömung“ der informellen Anarchie in ihrer italienischen Komponente gegen die FAI-FRI erhoben hat: die Anklage der Niedertracht (??) für die Praktik der Paketbomben; Anklagen, die Hegemonie in der Bewegung zu wollen und die Sichtbarkeit der anonymen Aktionen zu verdunkeln(??); die Anklage eine Organisation, eine Partei (??) zu sein und abschliessend die Anklage eine Avantgarde zu sein. Denselben Scheiss, den die formelle FAI uns seit 12 Jahren unterstellt. Beschimpfungen, die eine ausgewogene Diskussion sicher nicht erleichtern und die mich überhaupt nicht überraschen angesichts der Präzedenzfälle. Dieselben GenossInnen behaupteten vor einigen Jahren, wer die Entführung von Personen praktiziere, sei es nicht wert, sich als AnarchistIn zu bezeichnen (??), um sich dann zu entrüsten, wenn sich AnarchistInnen in einem Panikanfall mit ihren „Pünktchen auf dem i...“ von unserem Schuss von Genua (meinem und Nicolas) distanzieren. Ich finde es schwierig, mich zu diesen GenossInnen zu verhalten, nicht so sehr wegen der Beleidigungen, sondern weil solche Absichtserklärungen hier in Italien, ich unterstreiche in Italien, seit mehr als 15 Jahren mit sehr viel Theorie und sehr sehr wenig Praxis einhergehen, um nicht zu sagen mit dem absolutem Nichts. Und es wäre heuchlerisch von ihnen so zu tun, als wäre dem nicht so. In Belgien, wo diese Vorstellung von Informalität konkret ihre voranschreitet, sind die Tatsachen klar und auch, leider, die repressiven Antworten der Macht. Was die AnhängerInnen der Anonymität auch sagen mögen, keine Theorie kann uns die Gewissheit der Straflosigkeit geben, vor allem wenn die Aktion vom Symbolischen zum Zerstörerischen übergeht. Die Ablehnung eines Kürzels, die Anonymität einer Aktion wird uns für die Repression undurchlässig machen und manchmal genügt nicht einmal die sogenannte „Unschuld“. Und dann, um die Wahrheit zu sagen, jene die mit dem Strafgesetzbuch in der Hand handeln, die haben mich schon immer angeekelt. Meine Herangehensweise an die Aktion mit oder ohne Bekennung ist pragmatisch, ich mache daraus keine Frage des ideologischen Prinzips, sondern der Wirksamkeit und Konkretheit. Ich selbst könnte in bestimmten Fällen vorziehen, mich nicht zu bekennen. Die FAI-FRI ist aus meiner Sicht ein sehr wirksames Instrument, einzig und allein ein Instrument. Eines der Instrumente, das meine Gemeinschaft, die schwarze Internationale, in ihrem Krieg gegen die Gesellschaft, gegen die Zivilisation anwendet. So gesagt, ich habe die Methode der FAI-FRI übernommen, weil ich gegen jegliche Organisation bin, um zu vermeiden unter welche Art von Führung auch immer unterworfen zu werden, um, mit der Kommunikation, durch Bekennungen all die mit Autoritarismus bedrohten Mechanismen wie Vollversammlungen, Verbindungen, Basiszellen, Komitees und Bewegungen zu umgehen, um meine Anonymität zu bewahren und vor allem, um durch die revolutionären Kampagnen mein Zerstörungspotential zu erhöhen, ohne meine individuelle Freiheit einzuschränken. Da man die anderen Brüder und Schwestern der FAI-FRI nicht direkt kennt, trifft das Charisma und die Autorität19 auf sehr grosse Schwierigkeiten um sich durchzusetzen, was die Gefahren für unsere Freiheit bedeutend verringert. Nur die Tatsachen sprechen, nur die Aktion als Kind des Willens zählt. Im „klassischen“ Insurrektionalismus, welch Ohrfeige der Anonymität!, kennen alle alle. Die Vorstellungen, die Anstösse entstehen im Rahmen der Versammlungen und geben so den unvermeidlichen SpezialistInnen der Theorie, der Ideologie viel zu viel schädlichem Raum. Indem man die Vollversammlung umgeht und einzig durch die Aktionen kommuniziert, erlaubt uns die FAI-FRI keine wertvolle Zeit mit stundenlangen Diskussionen über die unfehlbare Methode mit Personen zu verlieren, die sich noch nie mit Aktionen die Hände schmutzig gemacht haben und es nie tun werden. Was uns schlussendlich erlaubt, jene aus unserem Leben auszuschliessen, die nicht tun was sie sagen. Heute habe ich das Bedürfnis, dass die Energien, die ich in die Aktion stecke, erblühen, sich reproduzieren, dass sie, indem sie sich in der Welt verbreiten, neue Wege aufbauen. Mit den Bekennungen reden die Aktionen miteinander, verbreiten sich, erhöhen ihre Virulenz. Die Praxis der sogenannten Anonymität der Aktion befriedigt mich nicht ganz, so respektabel und angenehm sie auch sei. Sie stärkt unsere Aktion nicht, eröffnet keine Diskurse. Auf die Länge wirkt sie ermüdend, weil sie uns beschränkt, verzettelt und isoliert uns. Sie reduziert die Reproduzierbarkeit der Geste enorm, die, wenn nicht von Worten begleitet, alsbald erlischt. Die Anonymität der Aktion hat in einer sozialen Perspektive die Bedeutung einer Tarnung. Man will die Leute überzeugen. Man sucht den Konsens um die Revolution zu machen. Man gibt vor „Leute“ zu sein, um die eigene Aktion zum Gut „aller“ zu machen, denn ohne Bekennung könnte sie „jedermann“ gemacht haben. In diesem Fall hat die Aktion ohne Bekennung eine starke Bedeutung, eine völlig politische, soziale Bedeutung. Eine Bedeutung, die aus uns eine der vielen Avantgarden auf der Strasse zu machen droht. Das alles wird natürlich niemals in meinem Sinne sein können, denn ich lehne in meinem Agieren eine soziale Perspektive voll und ganz ab. Die Anonymität der Aktion in einer antisozialen Perspektive findet ihren Sinn in der spielerischen Freude, die man hat, wenn man das, was uns zerstört zum bluten bringt. Diese ungeheure Befriedigung wenn man das tut, was getan werden muss, einfach weil es richtig ist. Das ist nicht wenig, diese egoistische Perspektive gehört voll und ganz zum antisozialen Rüstzeug der Praktiken der schwarzen Internationale. Es war meine Praxis der Vergangenheit und könnte es zukünftig wieder werden, doch heute ist die FAI-FRI meine Perspektive auf die Welt. Der heute anzupackende Diskurs ist nicht, Bekennungen oder nicht zu den Aktionen, Signatur oder nicht, sondern eine politisch-soziale Vorstellung des Anarchismus oder die nihilistisch-antisoziale Vorstellung des Anarchismus. Eine entscheidende Wahl, diejenige zwischen Anarchismus und Anarchie, Revolution oder Revolte, alte oder neue Anarchie, eine entscheidende und unvermeidliche Wahl. Der anti-zivilisatorische Diskurs kann in einer sozialen Optik nicht existieren, genauso wenig wie ein anti-technologischer Diskurs in einer sozialen Optik nicht geben. Gesellschaft, Zivilisation, Technik, Zivilisierung können ohne einander nicht auskommen. Historisch haben nur die Parteien mit ihrem autoritären und hierarchischen Rüstzeug die Revolution gemacht, Es gibt nichts Autoritäreres als eine Revolution, nichts Anarchischeres als die Revolte. Die Revolution strukturiert, organisiert, wird Zivilisation, Fortschritt. Die Revolte destrukturiert, hat keine Zukunft, lebt in der Gegenwart, hängt unsere Existenzen in ein ewiges „Hier und Jetzt“, sättigt nie unsere Wünsche und drängt immer weiter voran, auf der permanenten Suche nach dem Unmöglichen. Ein andauernder Drang, der sich von der Zerstörung des Bestehenden nährt. Wenn ich von „neuer Anarchie“ rede, meine ich jene Anarchie, die seelenruhig ohne den Begriff von Revolution, von Realismus, Politik auskommt; der Teufel im Leibe Bakunins, der visionäre Irrsinn Cafieros, der Durst nach Gerechtigkeit Ravachols und Henrys, der Hass und die Rache Di Giovannis, Filippis Ungeduld, die Poesie und das Blei Novatores, die blutrünstige Verzweiflung Bertolis20 gehören alle zu dieser „neuen Anarchie“. Die schwarze Internationale, meine Brüder und Schwestern der FAI-FRI sind heute die Verkörperung, dieser „neuen Anarchie“. Der Moment ist gekommen um zur Kenntnis zu nehmen, dass wir etwas anderes sind, dass uns vom alten Anarchismus ein Abgrund trennt. In uns gibt es keinen Platz mehr für die grossen Illusionen: Revolution, Fortschritt, Zivilisation. Ein anderer Weg, der unsrige, als der soziale, realistische, rationale, positivistische, vorschlagende Anarchismus als Erschaffer von neuer Ordnung und Zivilisation. Ein anderer Weg, der unsrige, der in der Anti-Zivilisation die Vollendung eines Kreises findet.. Eines Kreises, der uns nirgendwohin bringt, ausser unser Leben in vollen Zügen leben. Uns als TrägerInnen einer „neuen Anarchie“, so naiv es klingen mag, zu definieren ist nützlich, um uns vom politischen Anarchismus und auch von einem gewissen nach Ideologie riechenden Insurrektionalismus zu unterscheiden.

 

VZF: „Die Solidarität unter AnarchistInnen der Aktion ist nicht nur Gerede.“. Wie haben sich die italienischen AnarchistInnen zu eurem Prozess verhalten und wie haben sie ihre Solidarität ausgedrückt?

 

Alfredo: Es gab zwei Arten von Solidarität. Eine passive, die zu oft zum Reinwaschen des Gewissens wegen

der eigenen Inaktivität dient und die Distanz zwischen Wort und Tat nicht füllt. Dann eine aktive, konkrete, reale Solidarität, die einige revolutionär nennen,die stillschweigend in der Anonymität ausgeübt wird, wo nur die zerstörerischen Aktionen auch durch Worte sprechen. Unnötig zu sagen, welche der beiden ich vorziehe. Schlussendlich ist die grösste Solidarität, die ich erhalten kann, zu erleben wie die Projektualität dieser neuen Anarchie, in all ihren Formen weiter voranschreitet, ungeachtet der repressiven Schläge sie erhält. Ich leugne nicht, dass sich jedes Mal, wenn irgendeine Aktion uns als Kriegsgefangene in Erinnerung ruft, sowohl in Italien als auch im Rest der Welt, mein Herz mit Freude füllt. Das ist mein Leben heute. Der Krieg geht weiter, sich nie ergeben, sich nie beugen.

 

Langes Leben der FAI-FRI

 

Langes Leben der VZF

 

Hoch lebe die schwarze Internationale

 

Alfredo Cospito

 

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1 Alta Sicurezza 2 – Hochsicherheit 2, Hochsicherheitsabteile ausschliesslich für Anarchisten. In Italien eingeführte „Linie“ der Isolierung voneinander, auch der Tendenzen.

2 Verschwörung der Zellen des Feuers, Griechenland

3 Federazione Anarchica Informale/Fronte Rivoluzionario Internazionale

4 Auszug aus der Bekennung auf Prodi, damals EU-Kommissionspräsident, 21. Dez. 2003, aus Il dito e la luna - „Der Finger und der Mond“, S. 15-16

5 Kommt vom it. „nulla“ = dt. nichts, kein, umgangssprachlich eben auch „null“ wie „null und nix drauf“ etc.

6 Aufstandsversuch von Malatesta und GenossInnen 1877 im Matese-Massiv (Kampanien/Molise), die Bande ergab sich, von widrigem Wetter erschöpft, nach wenigen Tagen.

7 ital-idiotischen...

8 Traditionelle italienische Gebirgstruppe mit klassischem Federhut (z.B. Afghanistaneinsatz!)

9 Horst Fantazzini, 1939-2001, Anarcho von Bologna ± 40 Jahre Knast für Enteignungen (v.a. Banken)

10 Im Mai 2009 in Chile im Kampf gefallener anarchistischer Genosse. In einer Aktion gegen eine Polizeischule in Santiago zündete der Sprengkörper während des Ablegens

11 In Griechenland kürzlich in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit der Polizei gefallener anarchistischer Genosse der anarchistischen bewaffneten Organisation 'Revolutionärer Kampf'

12 Alle (??) in dieser Übersetzung stehen so im it. Netz-Originaltext.

13 Bewaffneter-Kampf-ismus“...

14 Auszug aus der Bekennung zum Anschlag auf Prodi, damals EU-Kommissionspräsident, 21. Dez. 2003, aus Il dito e la luna - „Der Finger und der Mond“, S. 15-16)

15 „Szientismus“ ist die Auffassung, dass es nichts ausserhalb des Gegenstandbereichs der Wissenschaft gebe, noch einen Bereich menschlicher Aktivität, also auch Politik und Ethik, auf den sich wissenschaftliche Erkenntnisse nicht erfolgreich anwenden liessen...(Wikipedia)

16 Medizinische Metapher: Dystonie ist eine Gruppe von körperlichen Bewegungsstörungen, meist Verkrampfungen und Fehlhaltungen...(Wikipedia)

17 Federación Ibérica de Juventudes Libertarias (Iberische anarchistische Förderation der Jugend, FIJL). 1932 in Madrid gegründet (Wikipedia)

18 besetzte Räume

19 Hier im it. Originaltext, autorevolezza. Wird wie autorità, mit Autorität übersetzt. Autorevolezza bedeutet aber "Autorität wegen etwas", z.B. Fähigkeit. Autorità hingegen "Autorität über jemanden".

20 Gianfranco Bertoli, italienischer Anarchist, 1933-2000, wollte 1973 während der Einweihung einer Büste für einen von der Guerilla aus Rache erschossener Kommissar (Luigi Calbresi, verantwortlich für den Tod 1969 während Einvernahmen in seinem Kommissariat des anarchistischen Genossen Guiseppe Pinelli) mit einer Handgranate den anwesenden Innenminister Mariano Rumor töten. Dessen Leibwächter traten die Granate weg, mitten in die vor allem aus Polizisten und Angehörigen etc. bestehende Einweih-Gruppe. Es gab 4 Tote und 45 Verletzte.


Vom griechischen Knast zum AS21 von Ferrara: einige Worte, „frei“ von der Leber. Interview der VZF2 an mich selbst. aus it. http://it.contrainfo.espiv.net/2014/07/22/grecia-italia-intervista-ccf-alfredo-cospito/

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Braucht wir Formen von Organisierung, die über Schaffung klandestiner informeller Zellen mit bedingt zerstörender Wirkung hinausgehen?

 

Die von NihilistInnen so verhasst bürgerliche Gesellschaft bietet viel mehr als nur das Rüstzeug für ihren eigenen destruktiven Kampf  - sie bietet ihnen ihre Lebensgrundlage. Die Nahrung, Kleidung, Werkzeuge zur Wissensvermittlung, die Tatwaffen....Keiner lebt im Vakuum

 

AnarchistInnen diskutieren nicht nur über Aktionsformen, sondern auch darüber, wie das Zusammenleben von Menschen und die Schaffung einer lebenswerten Welt gemeinsam zu erreichen ist. (solidarische Produktion, gerechte Verteilung, Umwelterhaltung und so vieles mehr sind existenzielle Fragen) Wie kann es gelingen das Leben in die eigenen Hände zu nehmen? Die klandestine nihilistische Kleingruppe in ihrer zerstörerischen Lust braucht sich mit diesen Fragen nicht zu beschäftigen. Mit ein wenig mehr revolutionärer Geduld könnnte sie sich entspannt zurücklegen und warten, bis der Mensch sich seine Lebensgrundlage selbst entzogen hat. Er befindet sich auf bestem Wege. Die Menschheit besitzt ausreichend destruktives Potential zur Auslöschung. Wer sich entscheidet diesen Prozess im Hier und Jetzt zu unterstützen kann agieren und über Taten informieren und sich anschließend den Gefangenen solidarisieren. Im Rahmen dieses Kernprogramms kann Kritik an AnarchistInnen nur denunzatorischen Charakter der Entsolidarisierung besitzen. Kritik an Machtstrukturen innerhalb anarchistischer Organisation (wie in Vollversammlungen) ist dann berechtigt, wenn sie von AnarchistInnen selbst erkannt werden. Dann kann und sollte den Machtstrukturen erfolgreich gegengewirkt werden.   


Ist Anarchismus anti-organisatorisch, nihilistisch, anti-zivilisatorisch und antisozial? Eine Frage, die erst einmal nichts mit Friedfertigkeit oder Militanz gemein hat.  Auch AnarchistInnen haben in Vergangenheit und Gegenwart zu Gewaltmitteln gegriffen nur mit anderem theoretischen Hintergrund und eigener Praxis. Muss der Anarchismus sich deshalb mit der hier als "Neuen Anarchismus" bezeichneten Destruktivität beschäftigen? Wenn, dann erzwungenermaßen, hat es doch auch in der Vergangenheit bereits eine nihilistische Strömung gegeben.