Die Diskussion über angeblich "antirussische Tendenzen" im deutschen Fernsehen geht weiter. Im Internet dokumentieren Aktivisten Falschmeldungen von ARD und ZDF.
Der Streit über die Ukraine-Berichte der öffentlich-rechtlichen Sender geht weiter. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) ist verärgert über die publik gewordene Kritik. Der ARD-Programmbeirat hatte dem Sender "antirussische Tendenzen" vorgeworfen. Man berichte stets mit "professioneller Distanz, auch proukrainischen Kräften gegenüber", sagte WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn SPIEGEL ONLINE. Er sei "stolz darauf, was unsere Korrespondenten leisten".
Für Unmut sorgt beim WDR auch, dass der Beirat sein Urteil nur auf rund 40 Berichte stützte. Das federführende ARD-Studio Moskau hat bislang aber mehr als 800 Beiträge zur Ukraine-Krise gesendet.
Der Programmbeirat betont, das Protokoll sei nicht von seinen Mitgliedern durchgestochen worden. An seinem Standpunkt hält der Vorsitzende Paul Siebertz aus München aber fest: Viele Deutsche teilten die Kritik, das zeigten auch viele kritischen Bemerkungen etwa im SPIEGEL-ONLINE-Forum, so Siebertz: "Die Kommentierungen waren ja ganz bemerkenswert."
Die Kritiker in den Gremien bekommen Rückendeckung durch Aktivisten. Sie nennen sich "Ständige Publikumskonferenz". Im Internet sammeln sie Falschmeldungen, präsentieren Beweise und formulieren Programmbeschwerden.
"Problematische Entwicklungen auf ukrainischer Seite werden totgeschwiegen", sagt Initiatorin Maren Müller. Gleichzeitig werde der russische Präsident Wladimir Putin zur Schreckensperson stilisiert. Müller hatte im Januar die Petition"Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr!" gestartet. Sie hatte den Eindruck, dass ZDF-Mann Lanz linke Politiker besonders hart anging, Müller war selbst früher Mitglied der Linken. Mehr als 200.000-mal wurde die Petition unterschrieben.
"Fragwürdiges Verdrehen von Tatsachen"
Damals sei auch die Idee zur Publikumskonferenz entstanden, sagt Müller. Der Verein dokumentiert auf seiner Webseite unter anderem eine Falschmeldung, die sowohl ARD als auch ZDF verbreitet haben. Im Mai waren in der Stadt Krasnoarmeisk in der Ostukraine tödliche Schüsse gefallen, als Wähler am Referendum der Separatisten teilnehmen wollten. Beide Sender meldeten, es seien Rebellen gewesen, die auf Zivilisten schossen. In Wahrheit hatte die ukrainische Nationalgarde das Wahllokal gestürmt und Anhänger der Separatisten beschossen. Maren Müller sagt, beide Sender hätten wider besseren Wissens gelogen. "Wenn das nicht antirussisch ist", sagt sie.
Sie glaubt, dahinter eine Methode zu erkennen, ein "journalistisch fragwürdiges Verdrehen von Tatsachen". Die Sender sprechen von "bedauerlichen Fehlern". Sie könnten souveräner damit umgehen. So beanstandeten die Aktivisten auch einen Report des "heute-journals", gezeigt wurden Kämpfer eines Freiwilligenbataillons ukrainischer Kämpfer, darunter erkennbar Rechtsradikale. Das Wappen des Bataillons "Asow" ist zu sehen, die Wolfsangel, ein Symbol, das auch bei deutschen Neonazis beliebt ist. Als Kritik daran aufkam, schnitt das ZDF den Bericht aus der Internetversion des "heute-journals" heraus, weist an der Stelle aber nicht auf den Grund hin.
Ein anderer Fall beschäftigt zurzeit die ARD. Es geht um einen Bericht im Magazin "Weltspiegel". Erzählt wird das Schicksal eines eingeschlossenen ukrainischen Truppenteils. Die Einheit wurde begleitet von einem WDR-Team. Die Reporter - ukrainische Ortskräfte - schlossen sich am 29. August einem Konvoi an, der Verwundete aus dem Kessel bringen sollte, aber durch feindliches Feuer aufgerieben wurde. So heißt es in dem "Weltspiegel"-Beitrag.
Die Wahrheit liegt womöglich in der Mitte
Müllers Publikumskonferenz kritisiert den daraus entstandenen Film "Flucht aus Ilowaisk". An anderer Stelle habe die ARD selbst von einem Militärkonvoi gesprochen, der mit Gewalt einen Durchbruch versuchte. Zwischen beiden Darstellungen scheinen Welten zu liegen. Der ARD-Beitrag suggeriert, dass die Separatisten ein Massaker an Verwundeten verübten, ein Kriegsverbrechen. Die Kritiker dagegen glauben, das ukrainische Militär habe die Rebellen täuschen wollen und nicht nur Kranke aus dem Kessel bringen wollen, sondern auch Kampftruppen.
Die Wahrheit liegt womöglich in der Mitte. Die ARD bedauert, dass der Eindruck entstand, es habe sich um einen reinen Verwundetentransport gehandelt. Tatsächlich ist im Beitrag die Rede auch von Panzern, das "hätte aber deutlicher formuliert werden können". Nach Angaben des Teams aus Ilowaisk sei aber der Abzug aller Soldaten vereinbart worden. Zur Einrichtung eines solchen "Korridors" hatte Russlands Präsident die Separatisten in einer Ansprache in der Nacht zuvor aufgefordert. Putin sprach nicht nur von Verwundeten.
Maren Müller stößt sich auch an der Intonation des Beitrags. Die ARD habe nicht klargemacht, dass die Reporter bei dem Truppenteil "embedded" gewesen sein. Die ukrainischen WDR-Mitarbeiter seien zudem stramm patriotisch gestimmt und voreingenommen. Fotos zeigten, dass im Jeep des ARD-Teams ein Kämpfer mit Maschinengewehr aus dem Fenster gezielt habe.
Der WDR widerspricht: Das Team habe die Truppe begleitet, war aber nicht "eingebettet". Ilowaisk erreichten die Reporter per Bus, die Fotos vom Kämpfer mit Gewehr im Jeep seien entstanden, bevor sie das Auto für ihre Flucht benutzten.
Maren Müller fallen aber viele Beispiele ein, Falschmeldungen oder Propaganda der Ukrainer, die von deutschen Medien übernommen wurden. "Ich verstehe, dass Journalisten heute viel mehr leisten müssen als früher", sagt sie. Die Reporter hätten nicht mehr genug Zeit für gründliche Recherche. Aber es falle ihr auf, dass die Fehler immer zulasten Russlands gingen.
Man sei "einer Wertehaltung verpflichtet, dem Frieden, der europäischen Einigung und der Rechtsstaatlichkeit", sagt WDR-Mann Schönenborn. "Das machen wir zum Maßstab auch bei der Bewertung des Verhaltens Moskaus". Was er meint: Russland verhält sich aggressiv, Putin unterliegt keiner demokratischen Kontrolle und wird auch deshalb kritischer gesehen als westliche Regierungen.
Das ist der Kern der Vorwürfe, sowohl vom Programmbeirat als auch von vielen Zuschauern: Unabhängig von Einzelfällen haben sie das Gefühl, Russland komme in der Summe zu schlecht weg.
Andere Beobachter kommen auch zu anderen Schlüssen. So hat die Berliner Publizistin Gemma Pörzgen für die Fachzeitschrift "Osteuropa" die Ukraine-Berichterstattung analysiert. Sie machte vor allem bei Print- und Onlinemedien einen Mangel an Osteuropa-Kompetenz aus. ARD und ZDF aber hätten sich "im Großen und Ganzen bewährt".
Ständige Publikumskonferenz der öff.-rechtl. Medien
Die Ständige Publikumskonferenz der öff.-rechtl. Medien ist das im Text genannte Forum, dass sich kritisch mit der Berichterstattung unserer "Qualitätsmedien" befasst. Von Interesse auch jenseits des Behandelns der antirussischen Propaganda.
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