Sächsischer Verfassungsschutzpräsident Meyer-Plath: „Es gibt eine Grenze der Transparenz“

Erstveröffentlicht: 
29.07.2014

Dresden: Auch fast drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU kann nach Ansicht von Sachsens oberstem Verfassungsschützer nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine über Ländergrenzen hinweg im Untergrund agierende Neonazigruppe länger unentdeckt bleibt. „Aber ich sehe, dass die Chance wesentlich geringer ist“, sagt Gordian Meyer-Plath. Nach Pannen bei der Fahndung nach den Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) sollte das Landesamt unter seiner Führung neu strukturiert und transparenter werden. Seit einem Jahr ist er offiziell Verfassungsschutzpräsident.

 

Bei ihrem Amtsantritt haben sie angekündigt, die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz transparenter machen zu wollen. Geht das überhaupt bei einem Geheimdienst?

Gordian Meyer-Plath: Ich sehe uns nicht als Geheimdienst, sondern als Nachrichtendienst. Das heißt, wir gewinnen mit den Mitteln, die uns der Gesetzgeber zur Verfügung stellt, Nachrichten. Und dazu gehört es auch, diese weiterzugeben. Natürlich gibt es eine Grenze der Transparenz, weil wir sonst gar nicht handlungsfähig wären. Und eine Grenze ist der exakte Einsatz unserer nachrichtendienstlichen Mittel: Wie heißt der V-Mann in der Region X, wann genau erfolgte die Observationsmaßnahme in der Region Y und welche Telefonanschlüsse werden überwacht? Würden wir beispielsweise diese Mittel preisgeben, wären sie stumpf und nutzlos. Transparenz heißt, darüber zu reden, dass es diese Mittel gibt und wie sie gesetzlich geregelt sind und wo die Risiken und Chancen dieser Mittel liegen.

Und was ist da konkret in den letzten Monaten passiert?

Gordian Meyer-Plath: Wir sind proaktiv auf die Akteure der Extremismusprävention zugegangen und haben Gespräche angeboten. Wir sind mit den Menschen, gerade in der Fläche des Landes ins Gespräch gekommen. Wir haben mit Bürgermeistern, mit zivilgesellschaftlichen Gruppen vor Ort gesprochen und haben eigene Veranstaltungen organisiert. Diese nutzen wir dann, um zu sagen, wer sind wir eigentlich, was kann ein Präsident oder ein anderer Vertreter der Behörde eigentlich erzählen und auf welcher Grundlage macht er das? Woher weiß er die Dinge, über die er berichtet? Und das haben wir im letzten Jahr sehr stark gesteigert. Auch die Zahl der Personen, die wir damit erreicht haben.

Nun hatte die nach den NSU-Pannen eingesetzte Expertenkommission ja auch Änderungen bei der operativen Arbeit empfohlen. Beim Einsatz von V-Personen beispielsweise, wo die Werbung der Informanten, deren Führung und die Analyse der gewonnenen Informationen klar getrennt werden sollen. Was hat sich hier getan?

Gordian Meyer-Plath: Das sind Dinge, die nunmehr organisatorisch implementiert sind, bei denen wir aber natürlich noch eine Weile brauchen, um mit dieser neuen Arbeitsorganisation Erfahrungen zu sammeln. Die Trennung ist aus meiner Sicht aus vielerlei Hinsicht wichtig: Einerseits, weil es unterschiedliche Typen von Mitarbeitern dafür braucht. Ich möchte eher den Spezialisten haben, weil es etwas anderes ist, ob es mir gelingt, mit einem Menschen, der das eigentlich erst einmal gar nicht will, ein Gespräch zu führen, oder ob ich mit jemanden über Jahre eine Informationsbeziehung eingehe. Und noch wichtiger : Die klare Trennung zwischen Kollegen, die eine solche Informationsbeziehung mit den V-Personen eingehen, und denen, die die Ergebnisse auswerten. Das war vorher hier im Amt nicht so klar getrennt. Da bestand die Gefahr, den absolut notwendigen kritischen Blick der Analysten auf das, was da auf den Tisch kommt, zu verlieren.

Wäre es denn heute noch möglich, dass eine über die Ländergrenzen hinweg im Untergrund operierende Neonazigruppe so lange unentdeckt bleibt wie der NSU?

Gordian Meyer-Plath: Es wäre vermessen, das auszuschließen. Aber ich sehe, dass die Chance wesentlich geringer ist. Einfach durch die Art der Zusammenarbeit, wie sie seit 9/11 im Bereich des Islamismus schon völlig selbstverständlich war. Das heißt, die tagesaktuelle Nebeneinanderlegung der polizeilichen und Verfassungsschutz-Lagen von Bund und Ländern, die jetzt erst durch den NSU auch auf die Bereiche Rechts- und Linksextremismus übertragen wurde. Das erhöht die Chance - insbesondere wenn es Anhaltspunkte gibt, dass da schon einmal etwas war -, dass es nicht wieder verloren geht. Aber eine Gruppe, die vorher keiner auf dem Schirm hatte und die die Blaupause „NSU“ nutzen würde, die hätte nach wie vor natürlich die Chance, schreckliche Straftaten zu begehen. Da kann sich niemand hinstellen und sagen, jetzt haben wir hier eine Architektur, die absolute Sicherheit schafft.

Im jüngst vorgelegten Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Landtags sprechen sich Linke und Grüne in einem Minderheitenvotum für die Auflösung des Landesamtes aus. Braucht es denn überhaupt noch einen Verfassungsschutz?

Gordian Meyer-Plath: Zu sagen, Demokratie ist in Deutschland so gefestigt in all seinen Facetten und überall, dass wir darauf verzichten können, dass eine auf gesetzlicher Grundlage agierende Behörde, deren Erkenntnisse und Arbeitsweisen auch gerichtlich überprüfbar sind, sich um die Ortung von Extremisten kümmert, finde ich kühn. Klar klingt es sympathisch zu sagen, das kann die Zivilgesellschaft alles selbst. Aber wer setzt die Parameter, wenn da einer behauptet, „das sind alles Nazis oder das sind alles linke chaotische Steinewerfer, Glatzen, Langhaarige und Bärtige“? Dass es eine Behörde gibt, die genau das definiert, die beschreibt, was für Gefahren für die demokratische Grundordnung wo lauern, und bei der sich all diese Dinge, die sie äußert, auch gerichtlich überprüfen lassen, halte ich für unverzichtbar, nach wie vor.

ZUR PERSON:

Gordian Meyer-Plath wurde 1968 in Karlsruhe geboren. Er studierte Mittelalterliche und Neuere Geschichte, Amerikanistik und Öffentliches Recht in Bonn und Brighton. Von 1994 bis Sommer 2012 war er in unterschiedlichen Positionen in der Verfassungsschutzabteilung des brandenburgischen Innenministeriums tätig. Nach dem Rückzug von Präsident Reinhard Boos, der den sächsischen Verfassungsschutz 2012 verlassen hatte, übernahm Meyer-Plath die Führung des Landesamtes zunächst kommissarisch. Seit dem 1. August 2013 ist der verheiratete Vater zweier Kinder sächsischer Verfassungsschutzpräsident.

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Zu sagen [...] dass wir darauf verzichten können, dass eine auf gesetzlicher Grundlage agierende Behörde, deren Erkenntnisse und Arbeitsweisen auch gerichtlich überprüfbar sind, sich um die Ortung von Extremisten kümmert, finde ich kühn. Klar klingt es sympathisch zu sagen, das kann die Zivilgesellschaft alles selbst.

Haha, und was ist mit der Polizei? Auch wenn das jetzt vielleicht blöd klingt, aber die hat sich im NSU-Komplex nicht ganz so dumm angestellt wie der VS.

 

Meyer-Plath ist übrigens Burschenschafter.