Hearing zur Aufarbeitung der Brechmittelfolter in Bremen 1991-2004

Ein Denkmal für Laya Condé

Am 14.6. fand auf dem Bremer Marktplatz das Öffentliche Hearing »Wer war beteiligt an der Tötung von Laye Condé? Untersuchungen zur Rolle von Politik, Justiz, Polizei und Medizin – Von der Brechmittelfolter zum Racial Profiling« statt. Über den ganzen Tag hinweg fanden sich 200 Leute zusammen, um auf Einladung der Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé einen Blick zurück zu werfen auf die Bremer Zeit der Brechmittelfolter zwischen 1991 und 2004 und zu einer Einschätzung zu kommen, was eine politisch-gesellschaftliche Aufarbeitung bedeuten könnte.


Auf dem Hearing kamen viele derer, die in ihren Wirkungskreisen versucht hatte, die Brechmittelpraxis abzuschaffen oder zu einer Verurteilung dieser Praxis zu kommen – und dabei gescheitert waren – in längeren Redebeiträgen zu Wort:

So blickte zunächst die Rechtsanwältin Christine Vollmer, die auch für die Nebenklage tätig war, auf den 2013 eingestellten 3. Prozess gegen den Polizeiarzt, der das Brechmittel verabreichte, zurück. Die beiden vorangegangenen Freisprüche des Landgerichts Bremen waren vom Bundesgerichtshof kassiert worden, und Vollmer hob hervor, dass das Bremer Landgericht auch im 3. Prozess den Willen vermissen ließ, das Handeln des Angeklagten angemessen zu untersuchen.

Für das ehemalige Antirassismusbüro (ARAB) stellten Danja Schönhofer und Mathias Brettner noch einmal die gesellschaftliche Stimmung Anfang/Mitte der 1990er Jahre dar. Die gesundheitlichen Gefahren der Brechmittelvergabe seien bekannt gewesen, die Proteste dagegen sehr deutlich. Der politische Wille der Verantwortlichen zur rücksichtslosen Verfolgung von Drogendelikten sei jedoch nicht zu brechen gewesen, so sei etwa auch die Broschüre des ARAB Polizisten, die zum Brechen reizen gewaltsam beschlagnahmt worden.

Im Beitrag des ARAB war schon auf die Rücksichtslosigkeit der Polizeiärzte verwiesen worden, darauf legte auch Ghislaine Valter in ihrem Bericht über die medizinische Situation im Abschiebeknast Ende der 1990/Anfang der 2000er Jahre ihren Schwerpunkt.

Der heutige Fraktionvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Matthias Güldner, schilderte die aufgeladene Stimmung gegenüber Drogendealern in der Bremer Bürgerschaft und den vergeblichen Versuch seiner Fraktion, nach dem Tod von Achidi John 2001 die Brechmittelpraxis in Bremen zu beenden.

Nach der Pause kamen Hans-Joachim Streicher und Vera Bergmeyer auf die Rolle der Medizin zurück. Streicher schilderte, wie zunächst immer mehr Betroffene in seine Praxis kamen und er dann gegenüber der Ärztekammer versuchte, zu einer klaren Ächtung dieser Praxis zu kommen. Bergmeyer arbeitete die Doppeldeutigkeit der Ärztekammer-Beschlüsse heraus, die sich einerseits gegen die gewaltsame Vergabe von Brechmitteln aussprach, andererseits aber vorsätzlich Spielraum ließ, diese Praxis doch genauso durchzuführen.

Für die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé umriss Gundula Oerter die repressive Drogenpolitik, die in ihrer Irrationalität an der gesellschaftlichen Realität vorbeigeht und  durch ihre kompromisslose Verbots- und Verfolgungspraxis eine wichtige Hintergrundfolie derder Brechmittelfolter darstellt.

 Appolinaire Apetor Koffi, stellte anhand des Urteils des OVG Rheinland-Pfalz, in dem das sogenannte Racial Profiling als Verstoß gegen das GG gewertet wird, die rechtliche Diskussion über rassistische Polizeikontrollen dar. »Wenn jetzt hier auf diesem Hearing eine Polizeikontrolle stattfinden würde, wäre ich der einzige, der kontrolliert werden würde,« brachte er die gegenwärtige rassistische Polizeikontrollpraxis auf den Punkt.

Der Strafverteidiger Jan Sürig berichtete aus seiner anwaltlichen Praxis über Fälle rassistischer Polizeigewalt.

Zwischen den Beiträgen wurden zum ersten Mal Filminterviews mit Menschen gezeigt, die der Brechmittelfolter in Bremen unterworfen worden waren.Beide Interviewte stellten heraus, dass die erniedrigende Behandlung, die sie erfahren haben, bis zum heutigen Tage psychisch und körperlich nachwirkt.

Einig waren sich alle Berichtenden darin,

  • dass der Tod von Laye Condé als schlimmste Konsequenz der Brechmittel angesehen werden muss, dass sein Tod aber nicht denkbar gewesen wäre ohne die Kompromisslosigkeit, mit der das System Brechmittel über ein Jahrzehnt betrieben worden sei
  • dass es einerseits klar Hauptverantwortliche für dieses System gibt, wie vor allem den ehemaligen Bürgermeister Scherf und den damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt Frischmuth sowie den Chef des Ärztlichen Beweissicherungsdienstes Birkholz, der diese Position auch heute noch innehat, dass aber andererseits viele Leute und Institutionen sich zu ihrem Anteil am Funktionieren dieses Systems bekennen sollten
  • dass es über Jahre hinweg fundierte Kritik an der Brechmittelvergabe gegeben hat und klare Hinweise darauf, wie gesundheits- und lebensgefährlich diese Praxis ist. Allerdings sind alle Kritiker_innen gegen eine Wand gelaufen und teilweise sogar mit Strafverfahren überzogen worden. Das Durchpeitschen der Brechmittelpraxis gipfelte dann quasi in einer »Tötung mit Ansage«.
  • dass Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme der Verantwortlichen noch aussteht. Verarbeitung wurde zusammenfassend als das Anerkenntnis benannt, dass es 13 Jahre lang das System Brechmittel gab, das kompromiss- und rücksichtslos durchgesetzt wurde. Verantwortungsübernahme besteht demnach zum einen darin, wahrzunehmen, dass Brechmittelfolter damals „Beweissicherungsalltag“ war, und zum anderen auf sich wirken zum lassen, dass diese Praxis seit 2006 als Verstoß gegen das Brechmittelverbot gilt. Hier sind alle Akteure aufgerufen, darzulegen, warum sie diese Dimension, dass Brechmittelvergabe massiv in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingriff, nicht gesehen haben – oder nicht sehen wollten.


Die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé  fordert als Bausteine von Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme zum einen ein Denkmal, das an Laye Condé erinnern, aber sich auch allgemein gegen rassistísche Polizeigewalt wenden soll. Zum anderen fordert sie Entschädigungen für die Angehörigen Condés sowie alle von der Brechmittelfolter Betroffenen. Im Falle Laye Condés spricht sich die Initiative als eine Form sichtbarer Kompensation  auch für ein Aufenthaltsrecht für einen Angehörigen Laye Condés aus.

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ich fine es super, dass in letzter zeit "unsere" öffentlichkeitsarbeit so nach außen getragen wird. vor einiger zeit hat es ja auch in berlin ein tribunal gegen die brd gegeben. das ist alles sehr sinnvoll, denn wir sprechen somit tatsächlich die öffentlichkeit an, und nicht den staat, der es eh schon weiß, es aber nicht hören will. es signalisiert auch, dass der staat für uns kein ansprechpartner mehr sein kann, wenn er zb foltert, einknastet, abschiebt etc.

 

solidarische grüße!