Es ist so lange her.
75 Jahre. 900 Monate. 27.394 Tage. Und doch ist es keine Ewigkeit. Nicht einmal ein durchschnittliches europäisches Menschenleben lange ist es her: Der erste und für so Viele tödliche Probelauf zur Vertreibung und Vernichtung von Menschen.
Es ist so nah.
Anichstraße. Gänsbacherstraße. Kranebitten. Dort passierten am 9. November 1938 grausame Morde an vier Innsbruckern, deren einzige Schuld es gewesen war, unschuldige Juden gewesen zu sein, viele Andere wurden gedemütigt, geschlagen, schwer verletzt.
Was so nah ist, kann niemals lange her sein. Was in unserer Nachbarschaft, in unserer Stadt an diesem 9. November passierte, darf nie lange her gewesen sein. Wir müssen die Erinnerung an diese dunklen Stunden in der Geschichte unserer Stadt am Leben erhalten, als wären nicht 27.394 Tage verstrichen, sondern höchstens einer.
Was lange her ist, droht irgendwann in Vergessenheit zu geraten. Was uns nah ist, ist in unserem kollektiven Gedächtnis, geht nicht verloren, bleibt unter uns, wühlt uns immer wieder auf, macht uns aufmerksam und wehrhaft gegen Versuche, doch endlich mit diesem Gedenken an damals aufzuhören, denn irgendwann müsse ja auch mal genug sein, Schwamm drüber und lasst doch endlich Gras über die Sache wachsen.
Doch wäre dieses Gras rot, blutgetränkt rot.
Es ist so lange her.
Und doch hat sich die Politik erst jetzt dazu durchgerungen, den Bereich der so genannten Traditionskultur im Spannungsbogen das Damals und des Heute zu beleuchten. Nein: die Politik wurde dazu durchgerungen. Wohl auch mittels eines historischen Gutachtens von Michael Wedekind, dessen Stoßrichtung schon vor Veröffentlichung in der Politik für betriebsame Hektik sorgte. Es ist im doppelten Sinne ein historisches Gutachten:
Kaum zuvor wurde so manche Verbindung ZWISCHEN Politik, Traditionskultur und ewiggestrigem Gedankengut beziehungsweise das Instrumentalisieren von so genannter Traditionskultur DURCH die Politik so schonungslos aufgezeigt. Dieses Gutachten ist der Landespolitik vermutlich etwas zu kritisch, weil: zu fundiert ausgefallen.
Wenn nun etwa Kulturlandesrätin Beate Palfrader meint, dass sie den dem damaligen NS-Gauleiter Hofer gewidmeten Standschützenmarsch von Sepp Tanzer „derzeit nicht spielen würde“, ist das zwar ein erstes, zartes und spätes Aufflammen historischen Bewusstseins und historischer Sensibilität. Diese Flamme aber will und muss genährt werden, denn sie droht schon wieder von eben der gleichen Landespolitik erstickt zu werden, wenn etwa Landeshauptmann Günther Platter, Bezug nehmend auf eben dieses Gutachten meint, sich „Tradition nicht kriminalisieren“ zu lassen. Eine solche Aussage ist stammtischkompatibel, sie taugt dazu, bei diversen Eröffnungen von Kleinkraftwerken oder bei Schützenaufmärschen eine Delle an der Schulter zu bekommen – sie taugt aber nicht, sich der gesamthistorischen Verantwortung, die ein Landeshauptmann mit übernehmen muss, zu stellen.
Manche Verbände oder Bünde fürchten, durch das Wedekind-Gutachten ins rechte Eck gestellt zu werden. Einigen dieser Verbände und Bünde, etwa dem Kameradschaftsbund, sei klar gesagt: Man kann niemanden dort hin stellen, wo er ohnehin schon immer war.
Als politischer Kabarettist weiß ich: regt sich Widerstand, hat man den Finger nicht nur auf eine offene Wunde gelegt, sondern man bohrt mit diesem Finger in eben dieser Wunde. Die Wunde, die vor 75 Jahren aufgerissen wurde, klafft noch immer. Trotz vieler, oft später versöhnender Gesten von offizieller Seite.
Es ist Aufgabe und Auftrag auch von uns die Öffentlichkeit suchenden Kulturschaffenden, unbequem zu bleiben und darauf zu drängen, dass die Wunde endlich behandelt wird. Denn sie droht stets sich zu entzünden, da und dort eitert sie schon:
- Wenn etwa in Wien ein Gudenus krakeelt, dass „der Knüppel aus dem Sack“ müsse und er sich in Parolen wie „Hadsch ma ham' nach Pakistan“ ergießt.
- Wenn etwa unserer Stadt Innsbruck Ende November ein sogenannter „Verbandstag“ Deutscher Burschenschaften unter Federführung der rechtsextremen Burschenschaft Brixia bevorsteht.
- Wenn etwa in den Medien irrwitzigerweise über die Kosten des Polizeieinsatzes diskutiert wird, um eine friedliche Gegendemonstration der Zivilgesellschaft gegen diesen so harmlos klingenden „Verbandstag“ zu begleiten.
- Wenn es plötzlich zum Problem stilisiert wird, dass wir Innsbruck nach 1994, 2000 und 2009 nicht schon wieder zum Brennpunkt von über Arierparagrafen sinnierenden Burschenschaftern machen wollen.
Nicht wir, die wir rechtsextremes Gedankengut verurteilen und für ein Miteinander und für eine weltoffene Gesellschaft einstehen, sind das Problem. Es würden erst gar keine Kosten für einen Polizeieinsatz entstehen, gäbe es dieses Treffen Deutscher Burschenschaften nicht. Während die hohe Politik Milliarden und Milliarden in notverstaatlichte Banken pumpt, soll es plötzlich ein Problem sein, eine zutiefst und in höchstem Maße legitime Demonstration abzuhalten, ein so wichtiges Zeichen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus zu setzen? Es ist geradezu ein Muss, dieses Zeichen zu setzen.
Wenn eine mittlerweile so bunte und weltoffene Stadt wie Innsbruck nun schon wieder ins Visier der rechtsextremen Pseudo-Elite kommt, erwarte ich mir als Kulturschaffender das einzig sinnvolle Zeichen seitens der Stadt Innsbruck und seitens der Congress und Messe Innsbruck Gesellschaft:
„Wir wollen euch nicht.“ Wir wollen keine Anhäufung von Menschen in unserer Stadt, die ein revisionistisches Geschichtsbild pflegen und hinter vorgehaltener Hand meinen, dass das, dem wir heute hier gedenken, so nie stattgefunden hat.
Muss eine Messe und Congress Gesellschaft wirklich jede Veranstaltung bei sich aufnehmen? Müssen wirklich Auslastung, Kostendeckung und Einnahmen oberste Priorität haben? Nein. Und nochmals nein.
Stellt man sich in dieser unserer Stadt offen gegen rechtsextreme Burschenschaften, kann es schon einmal geschehen, dass einem von einem Trupp beschmisster junger Männer unverhohlen und unmissverständlich signalisiert wird, dass sie einen schon einmal kriegen werden – und ich bin wohl nicht der Einzige, dem solches widerfahren ist. Und trotzdem oder gerade deshalb müssen wir Kulturschaffende unsere Funktion als Sprachrohr, als gehört Werdende auch immer wieder dazu verwenden, Stopp zu sagen und Farbe zu bekennen, müssen aufzeigen und aufrütteln und müssen vor allem selber hellwach sein und nicht von Subvention zu Subvention denken und vielleicht schon beim Ersinnen einer Idee mit der Schere im Kopf hantieren und uns beschneiden, weil wir sonst anecken könnten.
Auf der anderen Seite braucht es auch ein neues Denken der öffentlichen Hand. Die öffentliche Hand hat als fütternde Hand geradezu die Pflicht, gebissen werden zu wollen. Wer Gefälligkeitskultur fordert und fördert, schafft die Kultur an sich ab.
Meine Damen und Herren, wir denken heute an einen Tag vor 27.394 Tagen und wohl nicht nur mich überkommt kalter Schauer, wenn ich mir vor Augen führe, was sich damals abgespielt hat. Ich denke heute aber auch an einen Tag in knapp drei Wochen, an dem Innsbruck wieder zum Sammelbecken deutschnationaler, rechtsextremer Burschenschafter werden soll und wohl nicht nur mich überkommt kalter Schauer wenn ich mir vor Augen führe, was dort gedacht und gesprochen werden wird.
Es ist nicht mehr lange hin.
Und es ist so nah.
Diese Rede wurde im Rahmen der Gedenkveransaltung "75 Jahre Novemberpogrom in Innsbruck" am Jüdischen Friedhof in Innsbruck gehalten.
Quelle: www.provinnsbruck.at
Innsbruck gegen Faschismus
Am 29. und 30. November trifft sich in der Innsbrucker Messe die Deutsche Burschenschaft (DB) – Dachverband deutschnationaler, schlagender Verbindungen aus Deutschland und Österreich – um ihren Verbandstag abzuhalten. Viele von ihnen zählten und zählen Nazis, Mörder und Faschisten zu ihren Mitgliedern, welche sich in verpflichtenden „Mensuren“ mit Säbeln gegenseitig das Gesicht verunstalten um „Ehre“ und „Tapferkeit“ zu beweisen. Vor 2 Jahren wurde ein „Arier-Nachweis“ gefordert. Frauen sind sowieso ausgeschlossen.
Demonstration gegen das Treffen der Deutschen Burschenschaft: Samstag, 30. November 2013, 13h
Trotzdem oder gerade deswegen
https://autonome-antifa.org/?breve4769