Wir rollen wieder durch Wien - Treibstoff zu Sprengstoff!!!!

treibstoff Wien

Stehen wir über diesen Winter auf der Straße??

Seit sieben Jahren gibt es Wagenleben in Wien, seit vier Jahren gibt es die Wagengruppe Treibstoff. In diesen vier Jahren wurden über 20 leerstehende Grundstücke in Wien von uns zwischengenutzt und belebt.

 

Leerstehende Grundstücke gibt es immer noch zuhauf, trotzdem stehen wir wieder einmal auf der Straße.

„Wien ist anders“, „Smart City – Die Stadt fürs Leben“, „Die Stadt gehört dir“ - Slogans wie diese erfüllen uns mittlerweile mit Bitterkeit.

Es gibt Platz für Shoppingcenters, Bürokomplexe, Schnellstraßen, Parkplätze... aber offensichtlich nicht für Wagenleben – eine gemeinschaftliche, alternative, selbstorganisierte Wohnform.

 

Die Bedingungen, unter denen wir in Wien leben, sind unzumutbar. Alle paar Tage, Wochen, höchstens Monate stehen wir buchstäblich auf der Straße, wo wir den Behörden und der Polizei ausgeliefert sind.

 

Die ständigen Umzüge verschlingen Zeit, Energie, Geld und Material. Alle nachbarschaftlichen Beziehungen müssen immer wieder neu aufgebaut, wertvolles Material und Gerätschaften zurückgelassen und entsorgt werden.

Die Situation ist absurd:

 

Da wir in Wägen wohnen, mutet man uns zu, dass wir ständig unseren Standort wechseln, stehen wir aber irgendwo, so muss diese Fläche Bauland sein und wir brauchen Baugenehmigungen, da wir im stehenden Zustand als Bauwerke gelten.

 

Auf öffentlichen Parkplätzen, wo jeder andere parken darf, dürfen wir mit Verweis auf die „Campingverordnung“ nicht stehen, dabei campen wir nicht, denn wir haben keine Wohnungen, in die wir gehen könnten und wir machen auch nicht Urlaub.

 

Obdachlos sind wir aber auch nicht, denn wir wohnen ja – aber eben nicht in Bauwerken. Oder doch?

 

Anstatt dass man sich mit der realen Situation – es gibt uns – auseinandersetzt, meint man „es darf uns nicht geben“, weil wir nicht zu den bestehenden Gesetzen und Verordnungen passen.

So werden wir herumgeschoben und kriminalisiert, anstatt wahrgenommen und akzeptiert.

In all ihrer Härte ist diese Situation für uns erkenntnisreich:

wenn man nur ein wenig vom bürgerlichen Schema abweicht, den oben genannten Slogans wirklich entspricht, ist man der Willkür der Behörden ausgeliefert, reich an Pflichten, arm an Rechten, beobachtet von Verwaltung und Polizei aber ignoriert von Politik und wirtschaftlich Mächtigen.

 

Warum?

Weil wir weder als Wähler_innen noch Konsument_innen von Interesse sind:

Die Entscheidung, im Wagen zu leben – und das nicht nur im Urlaub, weshalb die Bezeichnung „Camping“ für uns auch nicht zutrifft - bedeutet den teilweisen Austritt aus der rund um uns dominierenden Konsumgesellschaft.

Wir leben gemeinschaftlich, hierarchiefrei und selbstorganisiert.

 

Was kann man sich darunter vorstellen?

Zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens haben wir einen reflektierten Zugang, wobei wir uns in der Striktheit, mit der wir unseren Prinzipien folgen, teilweise stark unterscheiden.

Mit Dingen, die die meisten Menschen von öffentlichen oder privaten Stellen organisieren lassen, setzen wir uns selbst und dadurch auch bewusst auseinander:

 

Strom kommt bei uns nicht aus der Steckdose sondern vom Solarpanel.

 

Essen, Kleidung, Möbel, etc kommt zum Teil aus dem „Wohlstandsmüll“ der Menschen rund um uns, Abfall wird weitestmöglich vermieden, indem wir kaputte Dinge reparieren oder umnutzen.

 

Es gibt eine Gemeinschaftstoilette, die geleert, ein Bad mit Wasserkanister, der gefüllt werden muss.

 

Unsere Fahrzeuge reparieren wir selbst, Fertigkeiten und Wissen werden weitergegeben.

 

Kulturelles Leben wir Kino, Konzerte, Lesungen, Beisl findet am Platz statt, wobei diese Veranstaltungen für Besucher_innen offen sind.

 

Am Wagenplatz leben Menschen verschiedenen Alters und aus verschiedenen Ländern miteinander, wir haben oft Besuch aus dem Ausland und auch wir besuchen auf unseren Reisen vielfach andere Wagenplätze.

 

So zu leben ist weder neu noch einzigartig. In Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Spanien, überall gibt es solche Wagenplätze, in großen Städten häufig mehrere.

 

Wien tut sich in Bezug auf die Ignoranz, mit der das Wagenleben behandelt wird in negativer Weise hervor:

Obwohl wir uns in den vergangenen vier Jahren an die Fristen und Bedingungen die uns gestellt wurden, gehalten haben und mit dem überwiegenden Anteil unserer Nachbarn in gutem Einvernehmen standen, werden wir seitens der Stadt und der Polizei nicht nur nicht unterstützt, sondern vielmehr behindert und schikaniert.

 

Die Vorkommnisse der letzten 10 Tage haben uns wieder einmal vor Augen geführt, dass Wien wirklich anders ist.

Alles was hier ein bisschen von der Norm abweicht, wird zu Tode verordnet und verwaltet.

 

Das Grundstück in der Rappachgasse, das wir gestern Nacht besetzt haben, gehört nach unseren Informationen der Stadt Wien. Es steht seit einigen Monaten leer.

Nach unserer Odyssee der vergangenen Tage hoffen wir, hier zumindest über den Winter bleiben zu können.

Denn obwohl wir als Individuen mobil sind, brauchen wir einen Platz für längere Zeit, um unsere Infrastrukturen aufbauen zu können. Nicht einmal Wohnungsmieter_innen, die sich nicht um die Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung etc. selbst zu kümmern haben wird zugemutet, alle paar Monate auszuziehen und etwas Neues zu suchen.

 

Noch einmal unsere wichtigsten Anliegen und Forderungen:

 

Die Polizeirepression muss ein Ende haben!



Wir benötigen vor dem Winter einen sicheren Platz und des weiteren eine dauerhafte Lösung für Menschen, die in Wägen wohnen!

 

Keine negativen Intervention der Stadt- und Bezirkspolitik, wenn Mietverhältnisse oder Duldungen mit privaten Grundstückbesitzer_innen zustande kommen!

 

Leerstandsnutzung und Nachnutzung privater als auch städtischer Liegenschaften muss abseits kapitalistischer Verwertungslogik möglich sein!

 

Abschaffung des §60 Abs. 2 in der Wiener Bauordnung, der unsere Wägen zu Bauwerken macht!

 

Anwendung der Sonderwidmung „alternatives Leben“!

 

Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gehört abgeschafft!

 

Bewegungs- und Bleibefreiheit für alle Menschen!

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Aus der Sicht des sozialdemokratischen Wohnbaus sind Wagenplätze ein Schritt in Richtung Trailerparks wie in den USA, oder der neue Trend der Containerdörfer in Osteuropa in die verarmte Bevölkerungsschichten abgeschoben werden.
Der Platzverbrauch eines Wagenplatzes im Vergleich zu einem Gemeindebau ist auch zigfach größer.

Die Bedenken der Stadt bei der Zwischennutzung sollten wohl klar sein: Die Stadt sorgt sich, dass ihr nicht freiwillig wieder weg zieht sondern um den Erhalt kämpfen werdet...

 

Wenn Wägen keine Bauwerke mehr wären würde das die Flächenwidmung und die Landschaftsplanung aushebeln und das könnte zu noch mehr Wildwuchs führen. Die Zersiedelung verursacht hohe gesellschaftliche Kosten im Vergleich zu kompakten Dörfern und Städten.
Eine generelle Aufhebung ist daher unrealistisch. Viel eher werdet ihr eine Ausnahmeregelung erwirken können, die Wagenplätze stark limitiert.

Schön, dass hier offenbar jemand probiert die Sache vom Standpunkt der Stadt Wien aus zu beleuchten. Außer Frage steht, dass die genannten "Bedenken" der Stadt existieren. Haltlos sind sie dennoch, daher kurz und bündig:

 

- Niemand macht einem Gemeindebau den Platz streitig. Es geht hier nicht um ein "entweder-oder".

- Bis auf eine Ausnahme (für die es Gründe gab) hat die Wagentruppe Treibstoff sich noch nie geweigert ein Grundstück zum abgemachten Zeitpunkt zu verlassen. Selbst wenn klar war, dass das Grundstück auch weiterhin leer stehen wird.

- Du willst nicht ernsthaft der Logik mancher Baupolizisten folgen, die LKWs zu Bauwerken erklärt haben? Dann erklär mir folgendes: Wenn Wägen wirklich Bauwerke wären, bräuchten man für die Räumung oder das bloße Verlassen eines Wagenplatzes eine Abrissgenehmigung?

- Die gesellschaftlichen Kosten die Wagenplätze angeblich verursachen, hätte ich gerne näher erläutert. Mit den PKW-fahrenden, Licht-brennen-lassenden, 20-Liter-Wasser-fürs-Klo-gehen-verbrauchenden HäuserbewohnerInnen kann wahrscheinlich jede/r WäglerIn mithalten, was gesellschaftliche Kosten angeht.

 

Im übrigen kann man Univ. Prof. Mag. Christian Kravagna nichts mehr hinzufügen, wenn er meint: 

 

"in einer Stadt, die angeblich die höchste Lebensqualität weltweit zu bieten hat, kann es nicht angehen, dass gerade diejenigen Lebensprojekte, die für “Leben” in einer ziemlich überverwalteten Stadt sorgen, dem lächerlichen Hausordnungsprinzip zum Opfer fallen, mit dem sich eine einstmals progressive sozialdemokratische Politik (vergeblich) dem rechten Druck zu erwehren sucht. Alles, was den scheinbar konsensualen status quo in Richtung Vervielfältigung von Lebensformen aufbricht, kann dieser Stadt nur gut tun.
Geschichte: zum Ursprung des einstmals sozialistisch/sozialdemokratischen Wohnbaus der 1920er Jahre: die Wagenburgen von heute müssen in der Tradition der informellen Siedler aus der Zeit des 1. Weltkriegs betrachtet werden; sie waren es, die freien Lebensraum jenseits des profitorientierten Wohnungsmarktes beanspruchten und die Stadt Wien damit zu wegweisenden Projekten des kommunalen Wohnbaus herausgefordert haben. Politisch kann (ungeachtet der Parteifarbe) so oder so auf alternative Lebensformen reagiert werden. Aber mit ein ein klein wenig Geschichtsbewusstsein sollte eine Stadt wie Wien zumindest wissen, woher sie kommt: aus den “Wagenburgen” ihrer glorreichen Zeit."

 

 

"in einer Stadt, die angeblich die höchste Lebensqualität weltweit zu bieten hat, kann es nicht angehen, dass gerade diejenigen Lebensprojekte, die für “Leben” in einer ziemlich überverwalteten Stadt sorgen, dem lächerlichen Hausordnungsprinzip zum Opfer fallen, mit dem sich eine einstmals progressive sozialdemokratische Politik (vergeblich) dem rechten Druck zu erwehren sucht. Alles, was den scheinbar konsensualen status quo in Richtung Vervielfältigung von Lebensformen aufbricht, kann dieser Stadt nur gut tun.
Geschichte: zum Ursprung des einstmals sozialistisch/sozialdemokratischen Wohnbaus der 1920er Jahre: die Wagenburgen von heute müssen in der Tradition der informellen Siedler aus der Zeit des 1. Weltkriegs betrachtet werden; sie waren es, die freien Lebensraum jenseits des profitorientierten Wohnungsmarktes beanspruchten und die Stadt Wien damit zu wegweisenden Projekten des kommunalen Wohnbaus herausgefordert haben. Politisch kann (ungeachtet der Parteifarbe) so oder so auf alternative Lebensformen reagiert werden. Aber mit ein ein klein wenig Geschichtsbewusstsein sollte eine Stadt wie Wien zumindest wissen, woher sie kommt: aus den “Wagenburgen” ihrer glorreichen Zeit.