Im Frühjahr 2011 besetzten tunesische Flüchtlinge aufeinanderfolgend mehrere Gebäude in Paris, auch als Antwort auf die stetigen Kontrollen, Razzien und Vertreibungen von den öffentlichen Plätzen und Parks der Stadt, die ihnen Unterschlupf und einen Ort sich zu treffen bieten. Zur gleichen Zeit kam es auf den Strassen von Paris in diesem Kontext zu Demonstrationen, Unruhen und Konfrontationen mit der Polizei, sowie zu Störungen von Veranstaltungen, die der Welt ein „neues Tunesien“ präsentieren und verkaufen wollten. Einige Anarchisten waren Teil dieser Besetzungen und Aufstände.
Der Text reflektiert ihre Erfahrungen der Intervention in diesen Kampf, er erzählt von den Begegnungen mit den tunesischen „Harragas“ auf Basis von Affinität und Selbstorganisation, vom Experimentieren mit anderen Beziehungen, die sich nicht auf materiellen Unterschieden gründen (Papiere besitzen oder keine Papiere besitzen) sondern aus einer gemeinsamen totalen Kritik am Bestehenden erwachsen, und von der Notwendigkeit der Zurückweisung von (linken) Kräften, die vermitteln und mit der Macht verhandeln wollen, als Voraussetzung, um sich autonom organisieren zu können. Er stellt die Frage nach den Möglichkeiten einer Intervention und nach den Perspektiven eines Teilkampfes, und stellt, im Wissen darum, dass die Ziele eines solchen Kampfes begrenzt sind, der quantitativen Ausweitung die qualitative Vertiefung gegenüber.
Wenn
der Kampf der anarchistischen Gefährten in Paris innerhalb eines
bestimmten Kontexts geführt wurde, den wir hier nicht auf diese Weise
vorfinden, können dennoch einige Punkte, die aus ihren Erfahrungen
hervorgehen, einen wichtigen Beitrag zu Diskussionen leisten, die hier
geführt werden.
Für einige Leser mag es vielleicht paradox
erscheinen, den Erfahrungen des Pariser Kampfes mit den tunesischen
Harragas1, auf den wir hier zurückkommen werden, so viel Gewicht zu
geben. Denn, von welchem Interesse könnte ein Kampf sein, der sich nur
über sehr kurze Zeit (die 2 Monate von Mai bis Juni 2011) in einem
beschränkten Raum (einige Viertel einer Metropole) entfaltet hat, bevor
er sich aus Mangel an Kämpfenden wieder erschöpfte, und der aus einem
materiellen Blickwinkel nur sehr dürftige Resultate erzielte? Dennoch,
wenn man die grosse Brille irgendeines „revolutionären Subjekts“ oder
des berühmten „weltweiten Klassenkampfes des Proletariats gegen die
Besitzenden“ für 2 Minuten ablegt, das heisst, wenn man sich die Fragen
auf eine andere Art stellt, wird dieses Paradoxon schon relativer. Auf
diese Weise könnte man mehr bezüglich Intensität und Gegenseitigkeit,
Spannung und Methode reflektieren, als abhängig von quantitativen
Kriterien wie Dauer, Ausmass, Beteiligung oder Befriedigung von
Forderungen. So gesehen kann diese vergangene Erfahrung also vielleicht
einige Vorschläge für die kommenden Kämpfe liefern und dazu beitragen,
Umrisse von Gegensetzlichkeiten und Komplizenschaften rund um die Frage
der Intervention in die soziale Konfliktualität zu aufzuzeichnen.
Paradox?
Wie
dies im Allgemeinen bei jedem Teilkampf der Fall ist, und umso mehr in
einem Kontext, der nicht am Brodeln ist, müssen wir vielleicht zunächst
klarstellen, wovon wir ausgehen. In diesem Sinne, angesichts der
Widersprüche und der Verwirrung, die in den sogenannten radikalen
Milieus oft herrschen, entledigen wir uns gleich zu Beginn von falschen
Fragen, wenn auch auf die Gefahr hin, etwas lange einige theoretische
Hypothesen zu entwickeln.
Der Mangel an Erfahrung in dieser Art von
Kämpfen ausserhalb von „sozialen Bewegungen“, der Fetischismus der
Formen („man muss sich organisieren!“, aber... um was zu tun?), oder
auch die Verlockung eines Teils der Bewegung, aus der Ausweitung „auf
andere Leute“ ein Ziel an sich zu machen, führt offensichtlich zu
Bilanzen, die oft widersprüchlich sind. Was in diesem Kampf mit den
Harragas auf dem Spiel stand, schien, für unseren Teil, nicht darin zu
bestehen, wer weiss was für eine kollektive Kraft anwachsen zu lassen,
diejenige einer Bewegung auf der verzweifelten Suche nach „Verankerung“,
oder umgekehrt diejenige von neuen Subjekten (die „letzten Ankömmlinge,
die mit einer revolutionären Erfahrung ausgestattet sind und nichts zu
verlieren haben“), eine Kraft, die es also genügen würde, aufzudecken.
Wenn die Suche nach einer Schlüsselkategorie (die „Arbeiterklasse“, die
„Bauern der Dritten Welt“, die „Wütenden der Metropolen“, etc.), die in
der Lage ist, eine Umwälzung in Gang zu setzen, in der Vergangenheit
viele Revolutionäre zu so manchen Enttäuschungen geführt hat, dann lasst
uns jegliche soziologischen Spekulationen den Mülleimern des Gauchismus
überlassen. Es sind nicht abstrakte Entitäten, die die Welt verändern,
sondern Individuen, mit allem, was sie sind und projektieren, und deren
materielle Bedingungen nur ein Aspekt sind. Den Illusionen der Dialektik
über die Kategorien muss ein Ende gesetzt werden: die Ausgebeuteten
sind als solche nicht Träger irgendeines positiven Projektes,
einschliesslich dem einer klassenlosen Gesellschaft. Um sich zu
befreien, haben sie nichts selbstzuverwalten ausser ihre eigene
Negierung, indem sie alles zerstören, was sie existieren macht: die
Lohnarbeit, die Waren, die Rollen und die Hierarchien.
In diesem
Rahmen kann unsere Intervention in einen Teilkampf nur mit einer Analyse
verbunden sein, und zwar mit derjenigen seiner Möglichkeiten für einen
Bruch mit der Ordnung der Dinge, um herauszufinden, wie wir, in seinem
Innern oder an seiner Seite, agieren wollen oder nicht. Wieso der Bruch?
Weil es unmöglich ist, mit der Freiheit zu experimentieren, ohne
Gitterstäbe durchzusägen, weil einzig ein Bruch mit der Normalität den
Imperativen der Unterdrückung Zeit und Raum entreissen kann, um mit
anderen Beziehungen zu experimentieren, die fähig sind, die Zerstörung
der alten Welt zu vertiefen.
Teilkämpfe und Brüche
Wir
brauchen hier nicht abzustreiten, dass sich diese Konzeption in Bezug
auf Räume von sozialer Intervention und Möglichkeiten eines Bruchs der
alten progressistischen und possibilistischen Praxis entgegenstellt.
Dieser letzteren zufolge würden alle Teilkämpfe, Schrittchen für
Schrittchen, von Kräfteanhäufung zu Sympathisantenvermehrung, von
Radikalisierungen zu Überwindungen, schlussendlich vielleicht eines
Tages, wenn die Bedingungen endlich reif sind, die angeblich von
niemandem abhängen, in einer Art grossem kollektiven Organismus
„zusammenlaufen“. Vielleicht ist auch das der Grund, wieso sich viele in
einem ersten Moment weigern, sich mit den offensichtlichen Grenzen
auseinanderzusetzen, die alle Teilkämpfe haben, während sie sich
jedesmal wieder in sie stürzen. Aber jedes Schrittchen zählt, in
Erwartung darauf, dass am Schluss die Guten gewinnen, nicht wahr? Dieser
kumulativen Art und Weise, zur Insurrektion oder zur Revolution zu
gelangen, stellen wir die Idee und die Möglichkeit von Sprüngen
entgegen, von abrupten Übergängen ins Unbekannte der tausendundein
Möglichkeiten. Ein Unbekanntes, das zwar die ganze Barbarei aufdecken
kann, die wir in uns tragen wie verfaulte Früchte, die in dieser Welt
herangewachsen sind, aber auch den ganzen Rest, all das, was sich nie
ereignet hat. Angesichts der kleinen Buchhalter der Revolution ziehen
wir die soziale Explosion mit all ihren Ungewissheiten der
Aufrechterhaltung eines Bestehenden voller Ausbeutung und Herrschaft
vor.
Die kumulative Art und Weise, die sozialen Umwälzungen zu
betrachten, und folglich die Intervention in die Kämpfe, die sich daraus
ableitet, wirft verschiedene Probleme auf. Zuallernächst, wenn sie
nicht klassisch ideologisch ist, beruht diese Betrachtungsweise auf der
Vorstellung, dass wir uns in einem Kontext von sozialer Befriedung
befinden, in dem es nicht möglich ist, dass irgendein partieller Bruch
die Gesamtheit mit sich reisst. Nach der letzten Restrukturierung
befinden wir uns aber nicht mehr in den 80er und 90er Jahren, und es
scheint uns im Gegenteil, dass, sowohl aufgrund eines zusätzlichen
Integrationsgrades des Kapitals (durch die Globalisierung sowie durch
die Technologie), als auch aufgrund der neuen Restrukturierungen, die
diesseits der Erdkugel im Gange sind (Abbau des Sozialstaates, Rückgang
der verfügbaren Arbeit, Übergang zu einer autoritäreren Verwaltung der
sozialen Verhältnisse), eine aktuelle Hypothese vielmehr eine von
Pulverfässern wäre, die sich regelmässig entfachen. In diesem
Zusammenhang dreht sich die Frage also nicht mehr darum, „sich zu
erweitern“ oder zu Kräften zu kommen, sondern darum, wie wir in unserem
Masse dazu beitragen können, dieses Pulver der sozialen Unzufriedenheit
zu entzünden, welche spezifischen Beiträge wir liefern können, um dieses
explosive Gemisch anzureichern. Innerhalb eines Teilkampfes wäre das
Ziel der Intervention dann vielmehr, ihn zu vertiefen, indem
Verbindungen geschaffen werden, um die bestehende Konfliktualität zu
nähren, anstatt seine spezifischen Aspekte hervorzuheben, indem er vom
Rest der sozialen Frage getrennt wird (indem man die Schönheit eines
Waldgebietes oder die Schlichtheit eines Tals, die Entsetzlichkeit des
Einsperrens von Kindern oder die Brutalität der Polizei in den Vierteln
hervorhebt). Vertiefen bedeutet hier gleichermassen, mit allem zu
brechen, was in Dialog mit der Linken oder den Institutionen steht, und
mit jenem Teil der Bevölkerung zu kämpfen, der sich weniger Illusionen
über die x-ten Ausbesserungen der Fassade der Herrschaft macht, weil er
sie an eigener Haut erfährt.
Der zweite problematische Punkt in dieser
klassischen Sichtweise ist schliesslich, dass sie oft an der alten,
marxistisch angehauchten Methodologie anknüpft, jener der objektiven und
äusserst ökonomizistischen Bedingungen dieser Brüche. Da es „die
Klasse“ oder „die Proletarier“ in ihrer Gesamtheit sind, wovon alles
abhängt, bleibt nichts anderes zu tun, als darauf zu hoffen, dass sie
sich manifestieren. Und so ist gewissen Leuten zufolge jeder Teilkampf
bestenfalls nur ein Ausdruck der Grenzen des Verhältnisses
Kapital/Arbeit und schlechtestenfalls ein schlichtes Kondensat der
existierenden Widersprüche, das uns Material zur theoretischen Reflexion
liefert. In dieser alten Debatte kann man auch in die andere Richtung
neigen, das heisst, auf die Seite der (oft minoritären) Revoltierenden,
die sich, einschliesslich ihrer Widersprüche, bereits manifestieren, und
man kann die Hypothese aufstellen, dass es immer möglich ist, dass sich
Brüche in Richtung einer Umwälzung der sozialen Verhältnisse ereignen.
Oder jedenfalls, dass sie von keiner angeblich objektiven Bedingung
festgelegt, oder von vornherein zum Scheitern verurteilt werden. Die
jüngste Erfahrung in Tunesien zeigte uns wieder einmal, falls es
notwendig war, dass es ein Teil der Bevölkerung ist, dem es, ausgehend
von präzisen Gebieten (Zentrum-West und Süden) und indem er sich während
langer Wochen mit Entschlossenheit und ohne irgendeine Garantie mit der
Macht konfrontierte, gelungen ist, die Türen in Richtung einer solchen
grossräumigen Umwälzung aufzustossen.
Die Frage der Kämpfe
anzupacken, bedeutet also vielleicht, noch einmal auf die Frage der
agierenden Minderheiten zurückzukommen: Was können die Revolutionäre,
und im Speziellen die Anarchisten, dazu beitragen, um in Richtung von
Momenten des Bruchs zu gehen? Und, wenn mit wenigen zu agieren, nicht
bedeutet, isoliert zu agieren, wie können wir in die Konfliktualität
intervenieren, um gleichzeitig ihre Verbreitung zu fördern und uns an
ihrer Vertiefung zu beteiligen?
Teilkämpfe und Revolten
In
Wirklichkeit sind diese Fragen an die Projektualität eines jeden
gebunden, das heisst, an die Fähigkeit, an Ziele gebundene Instrumente
und Methoden zu entwickeln, die sich aus den Analysen ableiten, die man
von der Konfliktualität macht. Wenn man zum Beispiel bedenkt, dass es
nicht darum geht, die Kritik auf Details zu richten, sondern direkt auf
die Gesamtheit dieser Welt, dann kann man die Revolten und Teilkämpfe
nur anders betrachten.
In Revolten wie jener vom November 2005 oder
jener, die seit einigen Jahren Griechenland erschüttert, scheint uns die
essenzielle Frage die nach ihrer Generalisierung zu sein, das heisst,
nach der Ausweitung ihrer Ladung an Negativität ausserhalb von jeglicher
Mediation. In einem Teilkampf hingegen kann die Frage nicht die nach
der Verbreitung seiner Ziele und Forderungen sein, es sei denn, man hält
am mythischen Modell eines Streiks fest, der sich generalisiert,
sondern wäre vielmehr die nach seiner qualitativen Vertiefung.
Wie
könnte ein Teilkampf, also ein Kampf mit einem Ziel, das festgelegt (ein
materielles Problem zu lösen oder sich einem Projekt der Macht
entgegenzustellen) und beschränkt ist (seine Dauer ist oft die der
Befriedigung seiner Forderungen), zu einer allgemeineren Kritik des
Bestehenden übergehen? Denn es gibt keinen Zweifel daran, dass der
Reformismus recht gut den Charakteristiken der Teilkämpfe entspricht, in
dem Sinne, dass er im Detail und auf quantitative Weise agieren, das
heisst, grosse Mengen mobilisieren will, um bestimmte einzelne Elemente
der Herrschaft umzugestalten. Wenn wir also nicht in die Fallen der
Ideologie (Teilthemen künstlich mit Worten verbinden) oder der Politik
(seine Ideen je nach Moment und Mehrheit anpassen) geraten, das heisst,
nicht auf die notwendige Kohärenz zwischen Mitteln und Zwecken
verzichten wollen, scheint es uns, dass wir von der qualitativen
Dimension dieser Teilkämpfe ausgehen müssen, um so agieren zu können,
dass sie sich in Revolten, das heisst, in Richtung einer Infragestellung
des Bestehenden verwandeln.
Anders gesagt: es ist die Mischung aus
anderen Beziehungen innerhalb des Kampfes (durch die
Selbstorganisation), aus permanenter Konfliktualität (sich dem Feind
entgegenstellen, anstatt sich mit ihm zusammenzusetzen) und aus
verstreutem Angriff (die verschiedenen Zahnräder angreifen, die sich aus
jedem Teilaspekt ableiten, das heisst, eine praktische Analyse der
Gesamtheit der Herrschaftsverhältnisse vorschlagen), die uns erlauben
könnte, ausgehend von unseren Grundlagen anderen kämpfenden Realitäten
zu begegnen, aber auch, mit anderen Individuen einen Vorgeschmack von
Freiheit, Autonomie und Freude am Kämpfen zu teilen. Dabei gehen wir
nicht von der Vorstellung aus, dass wir einzig von einem Meer aus
Gleichgültigkeit und Resignation umgeben sind, und auch nicht davon,
dass wir die Einzigen sind, die das Ausleben der Freiheit gegenüber der
Autorität, die Wut und den Zorn gegenüber der Befriedung, und die
Konflikthaltung gegenüber der Verhandlung vorziehen, sondern im
Gegenteil davon, dass der soziale Antagonismus auch zahlreiche
potenzielle Komplizen birgt.
Durch Methoden und Inhalte wie diese
werden wir sicherlich nicht einem Maximum an Unbekannten begegnen, aber
vielleicht gemeinsam mit anderen Individuen, die von einer radikalen
Opposition gegen einen Aspekt der Herrschaft ausgehen, dazu beitragen,
Räume der gegenseitigen Bereicherung zu öffnen. Räume, die, auch wenn
sich der Teilkampf nicht in eine Revolte verwandelt und erlöscht,
dennoch weiterhin als Erfahrung widerhallen und eine antiautoritäre
Beziehung sozial verbreiten könnte.
Ausgehend von diesen Dimensionen
wollen wir noch einmal auf den Kampf mit den Harragas vom letzten Jahr
zurückkommen, mit den Möglichkeiten als Massstab, die sich in Sachen
Begegnungen auf subversiven Grundlagen, aber auch gemeinsamem
Experimentieren bezüglich Selbstorganisation und Konfliktualität darin
aufgetan haben.
Bevor wir diese paar Punkte angehen, und um die
beiden Seiten der Begegnung, die sich in Paris ereignete, etwas zu
präzisieren, werden wir erst ein wenig bei der genauen Situation auf
beiden Seiten des Mittelmeeres verweilen, selbstverständlich im Wissen,
dass nichts so homogen ist, das heisst, dass sich sowohl gewisse
Harragas nicht an den Ereignissen in Tunesien beteiligt haben und einem
anderen Weg gefolgt sind, wie sich gewisse Gefährten vorher nicht an
anderen Kämpfen mit Sans-Papiers oder gegen die Ausschaffungsmaschinerie
beteiligt haben.
Von Sidi Bouzid nach Paname*...
Zwei
Wochen nach dem 14. Januar 2011 und dem Sturz von Ben Ali in Tunesien
konnte man auf den Mauern von Paris ein Plakat in Solidarität mit den
Aufständischen von beiden Seiten des Mittelmeeres lesen. Sich in hohem
Ton Fragen über die Volksauflehnungen stellend, begann es wie folgt:
„In
den letzten Wochen sind in Tunesien und Algerien tausende und
abertausende Individuen auf die Strasse gegangen, um ihre Wut und ihre
Revolte gegen unerträgliche Lebensbedingungen zu bekunden.
Mitten im
Winter haben diese Strassenblockaden, diese massiven Plünderungen von
Supermärkten und Lagerhallen, diese Brandstiftungen von Sitzen der
politischen Parteien, diese Verwüstungen von Villen der Reichen und von
Gymnasien, diese Angriffe auf Polizeiposten, diese Meutereien und
anderen siegreichen Angriffe gegen die Gefängnisse unsere Herzen
erwärmt...
Heute, trotz hunderten von Toten, scheint der
Freiheitsdrang der Aufständischen nicht bereit, zu erlöschen. Besser
noch, er könnte sich ein bisschen überall verbreiten. Denn es ist
überall ein bisschen das gleiche explosive Pulver, das sich anhäuft, und
zwar jenes des Elends und der alltäglichen Unterdrückung. Denn überall,
und auch hier, ist es ein und dieselbe Welt, die uns unterwerfen will:
eine Welt der Kohle und der Macht für einige, eine Welt der
Einsperrungen und der Todesschläge für alle anderen. Eine Welt zu
Diensten der Bosse und der Staaten, was auch immer ihre Farbe ist, was
auch immer die Art und Weise ist, auf die sie uns ausbeuten und
kontrollieren wollen. Jetzt, wo sich neue demokratischere Meister
hervortun, um sich den Kuchen in Tunesien aufzuteilen, fragen wir uns,
ob es wirklich das war, wofür tausende Revoltierende unter dem Schrei
„Freiheit!“ gekämpft haben?“2
Und die Antwort lies nicht lange
auf sich warten, mit einerseits der Verbreitung der Auflehnungen und
Insurrektionen in Ägypen, und später in Libyen und in Syrien, sowie
andererseits dem Zustrom von tunesischen Migranten, die auf der kleinen
italienischen Insel Lampedusa ankamen. Infolge der Instabilität der
Macht begannen die von Tunesien durchgeführten Kontrolloperationen an
den Grenzen nachzulassen und manchmal sogar auszusetzen. Die schweren
Pforten des europäischen Kontinents – gepanzert mit Ausschaffungslagern,
die in die libysche Wüste ausgelagert wurden, mit Kriegsschiffen vor
den italienischen und spanischen Küsten oder mit Minenfeldern an der
griechischen Grenze – haben sich also einen Spaltbreit geöffnet. Nahezu
26'000 tunesische Harragas sind im Zeitraum von 2 Monaten in Lampedusa
angekommen.
Unter dem Deckmantel eines „humanitären Notfalls“
reagierte die italienische Macht mit der Errichtung von 13 temporären
Auffanglagern im Süden der Halbinsel. Die In-Gang-Setzung dieser
Massnahmen war auch an die Unmöglichkeit gebunden, alle Neuankömmlinge
direkt in den üblichen Ausschaffungszentren (den CIE) einzusperren,
welche seit 1998 existieren, da diese in den letzten Jahren infolge der
Revolten, die darin aufeinanderfolgten, erhebliche Schäden erlitten
hatten. Alleine in den Monaten Februar und März 2011 haben Revolten und
Ausbrüche beispielsweise die Lager von Gradisca, Modena, Turin und Bari
teilweise beschädigt.
Um die Harragas zu Hunderten auf den
Kontinent in diese 13 „Empfangs- und Identifikationszentren“ [CAI ] zu
verlegen, hat der Staat damals sowohl Touristenschiffe angefordert wie
Militärboote eingesetzt. Das Ziel in diesen Lagern war es, die Haragas
zu registrieren und nach ihrer Nationalität und den zahlreichen
geltenden Status (Asylsuchender, Flüchtling, Sans-Papier, der im
Schengen Raum bereits registriert ist oder nicht,...) zu sortieren. Im
ersten dieser Zentren, das am 27. März in Manduria in Apulien für 3'000
Personen öffnete, wurden auf offenem Feld, im Innern einer doppelten
Umzäunung von jeweils 2 und 4 Metern hohen Gittern, riesige blaue Zelte
aufgestellt, die mit „Innenministerium“ gestempelt waren. Soldaten,
Polizisten und Humanitäre vom Typ Rotes Kreuz bewachten und verwalteten
das Lager, die einen indem sie den Schlagstock und die anderen indem sie
die Überredungskunst und die Erpressung einsetzten.
Bereits am 28.
März haben nahezu 500 Harragas gemeutert und sind aus Manduria
ausgebrochen: die meisten wollten die Reise fortsetzen und Frankreich
oder andere Länder erreichen, wo sie Kontakte hatten. Am 2. April, bei
Tagesanbruch, gelang es 200 mit Steinen gegen ihre Kerkermeister
bewaffneten Festgehaltenen die Gitterzäune zu durchbrechen und zu
flüchten. Am Nachmittag, während einer Solidaritätsdemonstration,
entkamen 400 weitere aus dem Lager: viele um davonzuflüchten, andere um
sich der Demonstration anzuschliessen und dann mit Rufen von „Freiheit!“
gemeinsam die Strasse zu blockieren. Angesichts dieser unerwarteten
Situation konnte die militärische Verstärkung nichts ausrichten: es
blieb ihnen nichts anderes übrig, als entweder ungeniert in diese
aufgebrachte Menge zu schiessen, oder ihr zu gestatten, das Lager zu
verlassen, wann immer es ihr passt. So sind die Tore von Manduria
permanent geöffnet worden..... In den Lagern von Potenza, Santa Maria
Capua Vetere (in der Nähe von Neapel), Pozzallo und Kinisa (errichtet
auf einer Asbestmülldeponie in Sizilien) war die Lage nicht weniger
explosiv.
Anfang April haben die Regierungen von Tunesien und
Italien schliesslich ein Abkommen unterschrieben: im Austausch gegen
eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung von 6 Monaten für alle Harragas,
die vor dem 5. April angekommen sind, akzeptierte Tunesien, all jene
automatisch wieder auf sein Territorium aufzunehmen, die nach diesem
Datum in Italien ankamen. Europa offerierte ihm sogar als Nachschlag
zusätzliche Kontrollmittel (Wärmebildkameras, Boote, Geländewagen,...),
um seine Grenzen zu verstärken. Von einem Tag auf den anderen sind die
tunesischen Harragas, die in Lampedusa oder anderswo an den Küsten
angekommen sind, für unverzüglich ausschaffbar erklärt worden. Die
Fluggesellschaft Air Mistral, Eigentum der italienischen Post, führte
damals zwei Flüge täglich durch, um mit jedem Flug 30 Tunesier (plus 2
Bullen pro Auszuschaffendem) zu deportieren. Ende April, als die
temporären Aufenthaltsbewilligungen erst tröpfchenweise ausgestellt
wurden, ändert sich die Funktion der provisorischen Empfangszentren, um
auf Verordnung zu Ausschaffungszentren zu werden. Nachdem die Harragas
einmal nach ihrer Nationalität (es gibt auch Ägypter und Libyer
darunter) und ihrem Ankunftsdatum identifiziert sind, ist ihr Schicksal
besiegelt: es wird die Zwangsausschaffung sein! Natürlich gibt es
glücklicherweise immer Individuen, die revoltieren, wie dies zum
Beispiel im Zentrum von Santa Maria Capua Vetere der Fall war. Dort
haben die Festgehaltenen sogar erreichen können, dass auch die Tunesier
des Lagers, die nach dem 5. April angekommen sind, eine temporäre
Aufenthaltsbewilligung erhielten, und dass diejenigen mit anderen
Nationalitäten einen Asylantrag einreichen konnten. Einige,
logischerweise misstrauisch gegenüber dem vergangenen Abkommen, haben
auch ihr Schicksal direkt selbst in die Hand genommen: wenige Tage nach
dem Abkommen organisierten 90 Festgehaltene erfolgreich einen
kollektiven Ausbruch. In Pozzallo, in Sizilien, revoltierten etwa 40
Eritreer und Somalier und brachen aus. Diejenigen, die wieder
aufgegriffen wurden, wurden ins Gefängnis verlegt. Im Verlaufe des
Prozesses haben sie von ihren zahlreichen Versuchen, nach Italien zu
gelangen, und von ihrer Abschiebung (kraft Migrationsabkommen zwischen
Europa und Libyen) in die drei libyschen Lager erzählt, in denen die
Folter zu einer Verwaltungsweise erhoben wurde. In Libyen haben die
Repräsentanten des Übergangsrates Italien und Frankreich übrigens
schnell mehrmals versichert, dass die in dieser Angelegenheit mit
Gaddafi unterzeichneten Abkommen geltend bleiben werden, sobald sie an
der Macht seien. Dies ist übrigens einer der Gründe, weshalb die NATO
die libysche Marine nicht bombardiert hat, die Europa später zu sehr
nötig hatte, um seine Aussengrenzen zu überwachen.
Auch in den
permanenten Ausschaffungszentren gingen die Revolten und die Widerstände
weiter. Am 21. April zum Beispiel gelang es 15 Sans-Papiers aus dem von
Modena auszubrechen, nachdem sie die Gitterstäbe eines Fensters
durchgesägt hatten. Am 2. Mai in Mailand revoltierten im Lager 7
Tunesier, die in Genua verhaftet worden waren. Sie wurden ins Gefängnis
gesteckt und zu 10 Monaten Haft verurteilt. Vor den Zentren von
Brindisi, Bari, Turin, Modena, Bologna, Mandurien, Santa Maria Capua
Vetere und Sizilien fanden Solidaritätskundgebungen statt.
Ab
dem 15. April, während die Aufenthaltsbewilligungen nach und nach
ausgestellt werden, versuchen Tausende von tunesischen Harragas, ihre
Reise fortzusetzen. Oft aufs Land transportiert und dort mitten im
Grünen ausgesetzt, kehren sie im Allgemeinen schliesslich zu Fuss in ein
Stadtzentrum zurück und nehmen dort einen Zug nordwärts, in Richtung
Vintimille und italienisch-französische Grenze. Zum Preis von Dutzenden
Abschiebungen durch die französischen Gendarmen (die am 17. April sogar
den ganzen Zugverkehr vorübergehend einstellen), gelingt es vielen,
durchzukommen. Nach dieser ganzen Rundreise ist es nicht verwunderlich,
dass eine der Parolen, die in den Versammlungen und Demonstrationen in
Paris laut werden wird, folgende ist: „Wir sind da! Wir sind da! Wir
werden uns nicht bewegen!“
Nach mehr als 2 Monaten Schinderei
(und nachdem sie beim Überqueren des Mittelmeeres den Tod riskiert
hatten: 2000 Ertrunkene von Januar bis Juni 2011), haben einige dieser
Unerwünschten angefangen, gemeinsam mit Kameraden und Gefährten zu
kämpfen, wie in Marseille oder in Paris. Auch wenn mehrere Hundert unter
ihnen schliesslich die Erpressung der „freiwilligen“ Rückreise (dafür
bekamen sie 300 Euro) akzeptierten, die nicht zuletzt von Vereinen wie
France Terre d'Asile gefördert wurde, sind dutzende andere geblieben,
mit der Absicht, zu kämpfen, trotz den zahlreichen Räumungen von Squats
oder den Razzien. Es ist also nicht nur etwas Erlebtes und eine
Entschlossenheit, die Auflehnung gegen das Regime von Ben Ali und das
Aufeinanderfolgen von Revolten, um bis nach Paris zu gelangen, sondern
auch ein Verlangen und ein Projekt, sowohl jenes, das zu erleben, was
verboten und unmöglich war, wie jenes, zu bleiben, um der Armut zu
entkommen, das die Begegnung begünstigt hat, weit jenseits der sozialen
Bullen der Linken, die diese Art von Kämpfen für gewöhnlich
mitverwalten. Eine Begegnung, die auch durch die Erfahrung ermöglicht
wurde, die von vielen unter uns im Laufe der Jahre angesammelt wurde,
und die es vor allem ermöglichte, den Rhythmus der Geschehnisse ein
klein wenig zu beschleunigen.
....und von Paname nach Paname
Im
Grunde führen mehrere Gruppen von Kameraden seit zahlreichen Jahren
einen Kampf mit Sans-Papiers Kollektiven (von Afrikanern, Romas, oder
schlicht verbunden mit besetzten Orten) und gegen die verschiedenen
Zahnräder der Ausschaffungsmaschinerie. Der Anfang geht bis auf das Jahr
1996 zurück, als sich vermehrt autonome Sans-Papiers Kollektive
bildeten, um eine allgemeine Regularisierung zu erreichen. Der Kontext
bestand damals aus grossen Demonstrationen, Kirchenbesetzungen mit oder
ohne Hungerstreik, und Verhandlungen mit der Linken über die Kriterien
für eine Regularisierung. Zu dieser Zeit stürzten sich die Kameraden
auch in Blockierungen von Zügen und Schiffen (diejenigen, die Algerier
vom Bahnhof von Paris bis zum Schiff in Marseille deportierten), während
Hotels von IBIS (der Staat reservierte dort Zimmer, um die Sans-Papiers
nahe beim Flughafen provisorisch einzuschliessen) sowie Filialen von
Air France besetzt und angegriffen wurden, ohne die Kampagne 2004/2005
gegen den Bau von neuen Ausschaffungsgefängnissen zu vergessen
(zahlreiche Sabotagen gegen die Firma Bouygues, Hauptbauunternehmen der
Gefängnisse und Zentren).
Ab 2006 taucht erneut der Wille auf,
die Ausschaffungsmaschinerie zu blockieren, aber dieses Mal nicht mehr
ausgehend von spezifischen Knotenpunkten oder von Kampagnen, sondern
indem man sich dem gesamten Dispositiv annimmt. Es ist allerdings auch
so, dass die Sans-Papiers Kollektive fast alle verschwunden oder nunmehr
zu Nestern von Politikern geworden sind, die mit den linken oder
linksextremen Parteien verbündet sind. Ausserdem werden die seltenen
Regularisierungen, die in diesen letzten Jahren dem französischen Staat
kollektiv entrissen wurden, wie überall in Europa, praktisch nur noch
aufgrund von Arbeitsverträgen ausgestellt, und nicht mehr wie zuvor im
Namen des „Familienlebens“ oder der (in Klandestinität) erlangten
„langen Anwesenheit“. Die Aufenthaltsbewilligungen von 10 Jahren sind
ebenso de facto verschwunden, zugunsten von provisorischen Papieren für
einige Monate oder maximum ein Jahr.
In diesem Kontext wird sich der
Kampf in Paris sowohl flussaufwärts (das heisst, gegen die Razzien in
den Quartieren und gegen die Transporte) wie flussabwärts (das heisst,
direkt gegen die Aussschaffungszentren) ausrichten. Einerseits, um mit
den Sans-Papiers, dort, wo sie sich befinden, durch die Revolte
Verbindungen zu knüpfen, andererseits, um zu versuchen, Sandkörner in
das Räderwerk der Ausschaffungsmaschinerie zu streuen. Die Vermehrung
von Revolten in den Zentren ab 2008, die im Juni in der Brandstiftung
von jenem von Vincennes gipfeln wird, wird somit den Feinden aller
Grenzen wieder Leben einhauchen. Rund um den Prozess vom März 2010 gegen
die 10 für diese Brandstiftung Angeklagten mangelte es ausserdem nicht
an Solidaritätsgesten auf allen Gebieten (Sabotagen, Demonstrationen,
Sprayereien, Baladen und Brandstiftungen), die zu zwei Wellen von
Hausdurchsuchungen durch die anti-“terroristische“ Einheit der Polizei
und zu Untersuchungen gegen Kameraden aus Paris führten.
Ab
April 2011 verstanden einige unter ihnen, dass im Bauch der Metropole
etwas am geschehen ist. Einerseits nahm man wahr, dass die Polizei auf
den grossen Boulevards und Plätzen im Norden und im Westen der Stadt,
aber auch beim Gare de Lyon (dem Pariser Bahnhof für die Züge, die aus
dem Süden des Landes kommen) gigantische Razzien aufzog, wie man sie
seit langem nicht mehr gesehen hatte. Durch die Belästigung der Bullen,
um ihrer schmutzigen Arbeit zu schaden, aber auch verbunden mit der
Situation in Italien, dauerte es nicht lange, um festzustellen, dass
tausende Tunesier in der Hauptstadt am ankommen sind. Es ist ein
winziges Ereignis, das die Begegnung auslösen wird: als die Polizei
eines Abends so weit geht im Park von Porte de la Vilette, während der
Essensverteilung durch humanitäre Vereine an die tunesischen Harragas,
eine Razzia durchzuführen, verteidigen sich die Harragas mit allem was
ihnen in die Hände kommt, und werfen Steine und Flaschen gegen die
Bullen.
Zwischen der Ringautobahn und einer Eisenbahnlinie gelegen,
beherbergt dieser Park gegen 400 Harragas. Rasch gehen auch wir dort
mehrere Tage nacheinander vorbei und helfen sogar bei einer ihrer ersten
autonomen Demonstrationen in Paris. Eine Gruppe von etwa 30 unter
ihnen, notdürftig in einem halb-institutionellen Squat untergebracht,
beschliesst damals, sich an der 1. Mai-Demonstration zu beteiligen,
wobei die Spitze der Demo der CGT [Confédération générale du travail –
Allgemeiner Gewerkschaftsbund] entrissen wurde. Das formelle Kollektiv
von Lampedusa nach Paris war geboren, auch wenn es glücklicherweise eine
leere Hülse blieb. Die Idee war es nun, einen Ort zu finden, um sich
einzurichten und sich zu organisieren, das heisst, die polizeiliche
Umzingelung des Gartens von La Vilette zu durchbrechen, die jeden Tag
dutzende Harragas in die Polizeiposten und Ausschaffungszentren führt.
Da der sozialistische Bürgermeister, der selber von tunesischer Herkunft
ist, heuchlerisch gegen die Razzien im Garten protestierte, und da die
Stadtverwaltung einige leere Liegenschaften besitzt, wurde noch am
selben Abend des ersten Mai die Avenue Bolivar 51 (im 19.
Arrondissement) besetzt.
Bevor wir uns in eine kurze
Zusammenfassung des Ablauf der Ereignisse stürzen und dann die Frage der
qualitativen Vertiefung angehen, können wir gleich von Anfang an
präzisieren, dass die oben erwähnte Erfahrung von Kameraden und
Gefährten, auch wenn sie natürlich keine fix-fertigen Antworten liefert,
zumindest geholfen hat, zu versuchen, die Spannung zu nähren, und
gewisse Kampfmethoden wie die Selbstorganisation oder die
Konflikthaltung gegenüber den Medien, den Vetretern, den Gewerkschaften
und den karitativen Bullen zu stützen.
Kurze Schilderung
Wir
werden uns hier mit einer kurzen Schilderung der Ereignisse
zufriedengeben, einerseits, weil diese schon anderswo in detaillierterer
Ausführung3 existiert, und andererseits, weil, auch wenn Chronologien
oder Berichte zwar einen Beitrag in Sachen unmittelbarer Anregung oder
Agitation liefern können, es uns rückblickend scheint, dass es nicht so
sehr die Gegeninformation oder die technischen Gegebenheiten sind, woran
es generell mangelt, sondern vielmehr ihre In-Perspektive-Setzung.
Welches Interesse besteht darin, in einer Welt, die von Informationen
aller Art übersättigt ist, die im selben Rythmus wie die anderen Waren
in ständigem Fluss konsumiert werden, einige nackte Daten aufzulisten,
noch dazu, wenn sie vom (sozialen und zeitlichen) Raum losgelöst sind,
der sie hervorgebracht hat? Unabhängig vom wachsenden Verlust einer
gemeinsamen Sprache unter den Revoltierenden, würde dies zusätzlich
voraussetzen, dass einzelne Taten direkt zu jedem sprechen können, in
dem Sinne, dass sie dazu beitragen, sich eine Erfahrung anzueignen. Die
folgenden Informationen können also nur als ein Teil gesehen werden, und
mit einem Bezug auf die Analyse, die wir daraus zu ziehen versuchen.
Sie haben nicht den Anspruch, alles, was geschehen ist und erlebt wurde,
zusammenzufassen oder zu erschöpfen. Um auf diesen Kampf
zurückzukommen, könnte man ihn als eine doppelte Bewegung bezeichnen,
eine von Besetzungen und eine von Demonstrationen, während er selbst von
zwei Themen durchdrungen war, von der Unterkunft („ein Ort, um sich zu
organisieren“) und der Aufenthaltsbewilligung („Papiere für alle oder
überhaupt keine Papiere mehr“). Ein erster Faden verläuft also von Ort
zu Ort, von Besetzungen zu Räumungen, unterbrochen von Notpausen in
Squats von Kameraden, die bereits geöffnet sind, und ein zweiter Faden
besteht aus Initiativen auf der Strasse, die von wilden Demonstrationen
bis zu Baladen, von mehr oder weniger demonstrativen Versammlungen bis
zu Störungen von Ausstellungen der „Tunisie nouvelle“** reichten.
Die
Avenue Bolivar 51, die am Abend des 1. Mai besetzt wurde, wird drei
Tage später, trotz den Verhandlungsversuchen von einigen, von hunderten
Bullen geräumt4, was zu 128 Personen in Polizeigewahrsam und etwa einem
Dutzend Ausschaffungen führte (nach Italien, von wo aus die Tunesier
zurückkommen konnten). Am 7. Mai wurde im gleichen Viertel das Gymnasium
Fontaine-au-Roi in Beschlag genommen, bevor es der Grossteil der
Kameraden 2 Wochen später wieder verlässt und es die Stadtverwaltung
Anfang Juni wieder in die Hände nimmt. Schliesslich wurde am 23. Juni an
der Rue Bichat ein Wohnheim besetzt, ein Gebäude, das 4 Tage später
wieder geräumt wurde, was zu 17 Personen in Polizeigewahrsam führte (die
Harragas, die in das Ausschaffungszentrum von Vincennes geschickt
wurden, werden einige Tage später wieder herausgelassen, das Verfahren
gegen die Gefährten wird während eines Prozesses im Juli eingestellt).
Man wird auch feststellen, dass es der Rue Botzaris, einem Gebäude, das
dem Tunesischen Staat gehört, das diesmal mit der Linken und unter der
Schirmherrschaft der kleinen Chefs der Vereine besetzt wurde,
ebensowenig gelang, sich zu halten (15 Tage). Schliesslich ist es
während der selben Zeit, gegen Mitte Juni, als der Staat im Park
Buttes-Chaumont nächtliche Hetzjagd machte und jenen von Porte de la
Villette, wo einige Harragas weiterhin schliefen, mit Gewalt leerte und
somit den letzten sichtbaren Niederlassungspunkt in der Hauptstadt
eliminierte. Von da an fanden sich diejenigen, die keine Rückkehrhilfe
akzeptiert oder ihr Glück nicht anderswo versucht haben (in Italien oder
in anderen Städten), definitiv zerstreut wieder, von manchmal
schrecklichen Versuchen, sich durchzuschlagen (sechs Migranten aus
Tunesien, Ägypten und Libyen starben bei einem Brandunfall in einem
Squat in Pantin am 28. September 2011), bis zu mehr oder weniger
geglückten temporären Wiederaneignungen (Besetzungen in den Banlieus,
die autonom oder gemeinsam mit Kameraden unternommen wurden).
Neben
diesem Ortswechsel unter dem permanenten Druck eines Staates, der fest
entschlossen ist, jeden Versuch von wildem Zusammenschluss und
Selbstorganisation zu verhindern, können wir sagen, dass die
Versammlungen genauso konfliktreich (mit der Jagd auf die Feuerwehrleute
und dann auf die BAC [Brigade anti-criminalité] in zivil vor der Avenue
Bolivar 51), wie gegen-informativ (Transparente, Flugblätter und
offenes Mikrofon bei der Metrostation Couronnes im Juni) sein konnten,
ebenso, wie die Demonstrationen genauso Baladen sein konnten, um sich
die Strasse zu nehmen, wie in kurzen Konfrontationen mit der Polizei
enden konnten (wie am 9. Mai neben dem Gymnasium, in Solidarität mit
Kaufhausdieben, die in flagranti erwischt wurden). Schliesslich haben
die aufeinanderfolgenden Störungsaktionen bei der Village du Jasmin beim
Place de l'Hôtel de ville (22. Mai), beim Geschäftssitz der AFTAM***
(27. Mai), beim tunesischen Immobiliensalon an der Porte de Champerret
(11. Juni), oder bei der Einweihung des Bouazizi-Platzes durch den
Bürgermeister (30. Juni) ihrerseits versucht, die Initiative zu
bewahren, Ideen beizutragen, und aus einer spezifischen Situation ein
soziales Problem zu machen.
Was war dieser Kampf?
Einer
der Aspekte, der diesen Kampf am meisten gekennzeichnet hat, ist
derjenige, dass es sowohl an Zeit wie an Raum fehlte, um damit anfangen
zu können, mit irgendetwas zu experimentieren. Die verschiedenen
Bilanzen, die links und rechts (mündlich) gezogen wurden, meistens, um
aus diesem Teilkampf ein Gegenbeispiel zu machen, werden daher oft
karikaturistisch, denn sie beziehen sich mehr auf eine Abwesenheit, auf
das, was nicht geschah, als auf einen bestimmten Inhalt, der sich kaum
abzuzeichnen begann. Diese Bilanzen reflektieren in Wirklichkeit oft die
strikt materialistische und utilitaristische Konzeption ihrer Autoren
(„die Effizienz des Kampfes“ in der Befriedigung der Bedürfnisse oder
„indem viele Leute erreicht werden“, die Tatsache, dass die Besetzungen
nicht angedauert haben), um negative Schlussfolgerungen zu ziehen,
während man die qualitative Dimension des Kampfes, das heisst, sein Wie
und sein Warum vergisst. Für uns fasste er sich nicht in Bezug auf
Besetzungen zusammen, um mit der Stadtverwaltung und dem Staat einen Ort
und Papiere auszuhandeln, sondern es handelte sich mehr um eine
Gelegenheit, um in Richtung von Momenten des Bruches zu gehen und neuen
potenziellen Komplizen zu begegnen.
Deshalb ist eine der
Schwierigkeiten, die von den oben aufgelisteten Fakten gestellt wird,
dass diese für sich alleine über diesen Aspekt in einer Gesamtbewegung
nicht Rechenschaft abgeben können. Die Intensität und der Inhalt dieser
Erfahrung sind je nachdem, für den einen oder anderen, sehr verschieden
gewesen, nicht nur abhängig von seiner Beteiligung oder Subjektivität,
sondern auch abhängig von den Ideen und Momenten, über die man
diskutiert. Wenn nicht alles auf ein und dieselbe Ebene gestellt werden
kann, unter dem blossen Vorwand, dass es sich um ein und denselben Kampf
handelt, dann müssen wir beispielsweise einen Moment wie die Besetzung
des Gebäudes an der Avenue Bolivar von jenem, der beim Gymnasiums von
Fontaine-du-Roi folgte, unterscheiden. Im einen Fall handelte es sich um
eine gemeinsame Besetzung mit bis zu 200 Harragas, einen Anfang von
Selbstorganisation, bei der der Antagonismus nach aussen gerichtet war,
wohingegen es sich im zweiten Fall um einen schlichten Schlafplatz
handelte, wo eine Menge von (vereinsmässigen, religiösen, politischen)
Aasgeiern hinkamen, um ihre Betrügereien auszuüben, indem sie sich auf
ein inneres Klima eines Kriegs eines jeden gegen jeden stützten.5
Ebenso
wird man die Möglichkeiten nicht auf die gleiche Art analysieren, je
nachdem, ob man „den“ Kampf als ein homogenes und quantitatives Ganzes
betrachtet, das an spezifische Bedürfnisse (wohnen) und an eine
bestimmte Bedingung (über keine gültigen Papiere verfügen) gebunden ist,
oder ob man das untersucht, was durch ein potenziell subversives
Experimentieren zur Gemeinsamkeit eines Teils seiner Beteiligten werden
konnte: die Zurückweisung der konstituierten Autoritäten, die
Entschlossenheit, das zu entreissen, womit man sein Schicksal direkt
verbessern kann, mit dem Eingehen des sich daraus ableitenden Risikos,
der Wille, hier und jetzt einen gewissen Geschmack von Freiheit zu
erleben. So gesehen verkörperte sich dieser Kampf weniger in irgendeiner
Zentralität zwischen vier Mauern („einem“ Ort, um sich zu
organisieren), als vielmehr in vielfältigen Begegnungen, die mit dem
kurzen Zusammenwohnen bis zum Gymnasium verbunden waren, und mit der Art
und Weise, sich in einer Demo zu entdecken. Anstatt in den
schallgedämpften Büros der Bürokraten der Stadtverwaltung konnte der
Kampf in einem offensiven und mobilen Verhältnis in der Metropole
beginnen (durch die Zirkulation der Harragas und durch den Willen,
Initiativen und Störungen zu vermehren), weniger ausgehend von einer
unüberwindbaren Trennung zwischen „mit“ oder „ohne“ Papiere, „mit“ oder
„ohne“ Unterkunft, als ausgehend von der Lust, zu kämpfen und mit der
Normalität zu brechen. Kurz, die Linien weben und fügen sich in diesem
Fall mehr um Verlangen, Affinitäten, Inhalte und Methoden zusammen, als
ausgehend von starren anfänglichen materiellen Unterschieden.
Es
geht natürlich nicht darum, hier Unterschiede abzustreiten, die
existierten, sondern darum, zu bekräftigen, dass das, was die
Diskrepanzen organisieren konnte, ebensosehr an die Perspektiven und an
die Art und Weise, sie zu beleben, gebunden war, und dass es eben diese
Aspekte sind, deren Vertiefung uns in solchen Kämpfen am wichtigsten
erscheint. Um ein Beispiel zu machen: die Kameraden, welche die
Verhandlungen mit der Stadtverwaltung befürworteten, hätten fast schon
einen gemeinsamen Pol mit den Harragas bilden können, die bereit waren,
dem aufgekreuzten Imam (oder den tunesischen Vereinen) zu folgen, denn
sie alle waren schlussendlich bereit, den Kampf mittels Autoritäten zu
vermitteln (jeder mit den seinen) und durch die Befriedigung von
Forderungen Effizienz zu beweisen. Auf der anderen Seite hätten
Gefährten, welche für die Autonomie der Praxis waren, um sich selbst und
direkt das zu nehmen, was man benötigte, fast schon einen gemeinsamen
Pol mit den Harragas lancieren können, die sich gegen jegliche Führung
sträubten und voller kommunikativer Wut waren (was sich, deutlicher
gesagt, in der Öffnung von Besetzungen ausdrücken konnte, im Teilen von
Illegalismen und Geldbeschaffungsplänen, in der Tatsache, aktiv zu
werden, um Racheakte und Angriffe gegen die Stadtverwaltung und die
Ausschaffungsmaschinerie auszuüben, etc.). Wir sagen in beiden Fällen
„fast“, weil der Kampf nicht die Zeit hatte, sich zu entwickeln, und
weil diese Pole nur Spannungen sind, die sich auch anders und in diverse
andere Richtungen hätten aufteilen können.
Ein anderes Beispiel,
das deutlich aufzeigt, inwiefern es genauso sehr, wenn nicht sogar noch
mehr, die Ideen und ihre praktische Umsetzung sind, die den Kampf
organisieren, wie angeblich objektive Unterschiede der Bedingungen, ist
die Frage des Zusammenschlusses unter Individuen. Nach und nach hatten
mehrere unter uns das Gefühl, dass unter gewissen Kameraden/Gefährten
und einigen Harragas ein Anfang einer gemeinsamen Perspektive entstehen
konnte. Einerseits hatten nicht alle Lust, mit etwa Hundert Personen
(für viele unbekannt und in einem angespannten Klima) im selben Raum
zusammenzuwohnen, andererseits entsprach dies auch der libertären Idee
von dezentralisierteren Kämpfen mit mehr koordinierten als einheitlichen
Formen. In der gleichen Weise konnte der Unterschied zwischen weiterhin
mit den Behörden über Orte zu verhandeln/sie sich öffnen zu lassen oder
sich selber einen zu nehmen, sowie das Verlangen, für viel mehr als für
Papiere und ein Dach über dem Kopf und auf horizontale Weise zu
kämpfen, ausreichende Grundlagen bilden, um, wie beim Wohnheim der Rue
Bichat6, einen affinitätsbezogeneren Raum zu öffnen, ohne deswegen
geschlossen zu sein. Diese entstehenden Affinitäten waren natürlich auch
an Diskussionen über Grenzen, Chefs oder das Gesetz, den Unterschied
zwischen „Unterstützern“ und „Solidarischen“, die Bedeutung des Wortes
„anarchistisch“ (verbreitet durch die Stadtverwaltung in ihrem
Kommuniqué, um die Räumung der Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen7) oder
auch über das Ziel selbst eines solchen Kampfes gebunden. Wenn ein Teil
der Harragas aus dieser 4-tägigen Besetzung heute noch immer präsent
ist, wer weiss, was diese Initiative in Sachen neuer Komplizenschaften
auf antiautoritären Grundlagen hätte ergeben können?
Zur Erinnerung,
dieser Zusammenschluss von etwa 30 Individuen auf der Grundlage von
Affinitäten mag von gewissen Kameraden als eine Art „Verrat“ am Kampf
erlebt worden sein, weil er eine andere Möglichkeit, sich zu
organisieren, in sich trug: nicht mehr die Einheit, so verfault wie die
Situation im berüchtigten Gymnasium, sondern die Diversität, nicht mehr
die kollektive Zentralisierung („sie“ und „wir“ in zwei Gruppen,
gerechtfertigt durch Unterschiede der Bedingungen), sondern die
Koordination von Affinitätsgruppen (Individuen, die sich, mit oder ohne
Papiere, aufgrund von Ideen und Praktiken zusammenschliessen). Dieser
Versuch, der aufgrund der schnellen polizeilichen Räumung unfruchtbar
war, ist manchmal auch als der „Wille, eine Avantgarde unter den
Harragas zu kreieren“, verschrien worden, womit man indirekt behauptete,
dass es offensichtlich unmöglich ist, dass Antiautoritäre und Harragas
eine gemeinsame Projektualität entwickeln können. Der Gipfel der
Ohnmacht in Bezug auf Subjekte, die für die Autoritären zu
undiszipliniert sind, oder schlicht die Projektion der eigenen
Denkkategorien auf die Gegner?
Allerdings ist es vielleicht kein
Zufall, wenn wir mit gewissen anwesenden Harragas mehr potenzielle
Affinitäten als mit vielen Kameraden gefunden haben, und zuallererst ein
von Feindseligkeit gefärbtes Misstrauen gegenüber den Medien, den
Parteien und den Gewerkschaften8, den Geschmack für die Konfrontation
mit den Bullen und eine Entschlossenheit, die einen Kontrast zum
militanten Aktivismus bildete. Und, auch wenn die Tatsache, sich nach
koordinierten Affinitäten zu organisieren, vielleicht nie verhindern
wird, dass militante Feuerlöscher rumschreien, wenn einige Harragas es
bevorzugen, zusammenzubleiben und sich mit den Zivibullen zu
konfrontieren, anstatt sich aufzuteilen und in die Busse der
Stadtverwaltung zu steigen, die sie in ein gefängnisgleiches Wohnheim
bringen, so wird dies auf jeden Fall zumindest erlauben, das Gewicht
jener, die mehr Politiker und mehr Demokraten sind, zu minimieren. Man
hat das übrigens am Anfang bei der Bolivar Besetzung gesehen, als sich
das Funktionieren als „Kampfkollektiv“ mit seinen grossen Versammlungen
durch die blosse Präsenz einiger professioneller Lügner, die mit
tunesischen Vereinen und Parteien in Verbindung standen, leicht gelähmt
und blockiert wiedergefunden hat. Die Öffnung von Bichat war hingegen
ein Versuch, damit zu beginnen, Orte zum Leben, zur Selbstorganisation
und zur Vertiefung von Affinität zu vermehren, ein jeder auf
geschärfteren Grundlagen des Kampfes, ein Versuch, der dafür gedacht
war, sich mit anderen zu koordinieren. Wenn wir auch nie wissen werden,
wie diese Projektualität, die den Kampf anders ins Auge fasste, sich
hätte weiterentwickeln können, so bleibt nichtsdestotrotz, dass wir
dadurch, dass wir wieder mit dieser Idee von Affinität und Koordination
zu experimentieren beginnen – nicht nur unter Gefährten, sondern, wie es
sich bereits in der Vergangenheit ereignet hat, auch mit anderen
Revoltierenden –, vielleicht die Tyrannei der Zahl werden verlassen und
andere Möglichkeiten, zur sozialen Konfliktualität beizutragen,
entdecken können.
Zum Schluss ein letzter Punkt, den man oft ein
bisschen scheinheilig vergisst, und der ebenfalls über die Grenzen der
berühmten materiellen Bedingungen hinausgeht: das Verhältnis zum Gesetz.
Einerseits zeugt es von stumpfsinnigstem Paternalismus oder von
Verblendung, zu denken, dass Sans-Papiers nicht fähig seien, alleine mit
einer Polizeikontrolle umzugehen oder zahlreiche gesetzliche Grenzen zu
überwinden, wenn man genau weiss, wie zahlreiche von ihnen sich bereits
im Alltag zu helfen wissen, um zu überleben. Andererseits entscheiden
nicht wenige Kameraden und solidarische Individuen, aus persönlichen
Gründen oder aus taktischer Entscheidung, über diesen Aspekt des Kampfes
eher zu schweigen. Die Frage des Gesetzes und seiner Konsequenzen ist
nicht vernachlässigbar, denn der Wille zu kämpfen der einen kann leicht
unvereinbar werden mit den Anwandlungen zu verhandeln der anderen,
genauso wie der Drang, seine Wut gegenüber der Autorität und ihren
Vermittlern auszudrücken, sich schnell gemässigteren Entscheidungen (die
natürlich im Namen der Einheit verteidigt werden!) entgegenstellen
kann. Um ein Beispiel zu machen, so haben sich einige bekannte Harragas
(am 9. Mai) in letzter Minuten dem Start einer wilden Demonstration im
Quartier, die vom Gymnasium aus loszog, entgegengestellt, indem sie die
andern dazu aufriefen, sich ihr nicht anzuschliessen, mit dem Vorwand,
dass diese die Stadtverwaltung, welche die Brücken der Verhandlung
bereits abgebrochen hatte, noch kälter machen könnte. Indem trotzdem
daran festgehalten wurde, weil sie für uns Sinn machte, wurde sie nicht
nur von den meisten anwesenden Harragas geteilt, sondern hat sie auch
ermöglicht, die ganze im Gymnasium angestaute Wut und Frustration gegen
eine Polizeipatrouille ausbrechen zu lassen, die gerade dabei war,
Supermarktdiebe zu verhaften. Sie konnte auf der Strasse vor den Augen
aller den Unterschied aufzeigen zwischen unglücklichen Armen, die in
Erwartung einer institutionellen Lösung vor sich hin vegetieren, und
Revoltierenden, die gegen das Bestehende etwas anderes als eine
Forderung nach Papieren oder nach Unterkunft zu bekräftigen haben,
insbesondere einen gewissen Sinn für Solidarität.
Für uns ist die
Selbstorganisation nicht nur eine Methode, die es erlaubt, in Richtung
von mehr Autonomie zu gehen, sie ist auch die konkrete Möglichkeit, in
jedem Moment in Richtung von mehr Konfliktualität zu gehen, während man
ohne die üblichen Mitverwalter des Elends auskommt. Sich nach seinen
Perspektiven und Verlangen zu organisieren und dabei das Eingehen von
Risiken zu akzeptieren, die diese mit sich bringen, ist also auch eine
Art und Weise, sich nicht auf das Joch des Gesetzes zu beschränken. Um
nur ein Beispiel zu machen: Auf diese Weise konnten sich Individuen, die
45 Tage Ausschaffungshaft und dann eine Hin- und Rückfahrt
Frankreich-Italien riskierten, und andere, die mehrere Monate Gefängnis
riskierten (weil sie unter richterlicher Kontrolle standen oder grosse
Prozesse vor sich hatten), über gemeinsame Besuche in leerstehenden
Häusern oder die Konfrontation mit den Bullen (bei Demonstrationen oder
während Zwangsräumungen) einig werden. Auch hier war es glücklicherweise
so, dass die Individuen nicht nur von ihrer materiellen oder
rechtlichen Situation bestimmt sind, und dass die Solidarität, die
Neugierde und die Lust nach der Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse
die anfänglichen Verhältnisse übersteigen und neu definieren können.
Ein Kampf, um was zu tun?
Wenn
wir am Anfang dieses Textes davon sprachen, nach Momenten des Bruchs zu
streben, dann bedeutet das natürlich, dass man im Alltag versucht,
autonome Projektualitäten innerhalb der Konfliktualität auszuarbeiten,
aber auch, dass gewisse Teilkämpfe zusätzliche Gelegenheiten ergeben
können, um dies zu tun, indem sie sich vielleicht in Momente der offenen
Revolte gegen einen Teil des Bestehenden verwandeln. Von einem
bestimmten Punkt aus zu starten, um zu versuchen, daraus ein soziales
Problem zu machen, läuft zunächst darauf hinaus, die Situation zu
analysieren, dann, wenn wir der Ansicht sind, dass der Raum ausreichend
ist, zu intervenieren, um unsere Ideen darin zu beleben und Methoden
vorzuschlagen (Selbstorganisation, Angriff, permanente Konfliktualität
mit den Autoritäten), die, indem sie sich innerhalb der Widersprüche des
berühmten Proletariats entwickeln, eben in diesen Momenten des Bruchs
münden könnten.
Einen gemeinsamen Parcours mit Revoltierenden zu
vertiefen, die sich untereinander kaum kennen, die im ersten Moment über
wenig Ressourcen (Geld, gültige Papiere, Unterkunft, Stadtkenntnisse,
Sprache), das heisst, über wenig Autonomie verfügen, könnte schwieriger
als gewöhnlich erscheinen, aber das würde heissen, zu vergessen, dass
viele reich an etwas viel wertvollerem waren: einer Erfahrung im
Zurechtfinden in der informellen Ökonomie unter der Diktatur von Ben
Ali, und vor allem, für einige, die Erfahrung einer kürzlichen
Volksauflehnung, gefolgt von Revolten in den italienischen Lagern, um
bis nach Paname zu gelangen. Etwas unverblümter gesagt, schien es uns
nicht absurd, uns in diesen Kampf, der auf autonome Weise (ausserhalb
der üblichen Vermittlungen) begann, hineinzubegeben, um darin Vorschläge
zu machen, trotz der Unterschiede der Bedingungen oder des Erlebten
(die nationalistischen oder religiösen Aspekte, die manchmal bei
Gelegenheit aufkamen). So gesehen konnten sich zwei Auffassungen des
Kampfes kreuzen: die Lösung von materiellen Problemen wie Unterkunft
oder Papiere durch die Kreierung eines Kräfteverhältnisses, das imstande
ist, den Staat dazu zu zwingen, der Bewegung teilweise Befriedigungen
zuzugestehen (x Regularisierungen, y Unterbringungen) oder die
Entwicklung einer sozialen Konfliktualität, zwar ausgehend von
bestimmten Fragen, aber sich an alle richtend. Die Perspektive besteht
also nicht mehr darin, mit dem Feind etwas auszuhandeln, während man
besonders darauf achtet, nicht durch vorschnelle taktische
Entscheidungen eine Position als glaubwürdige Verhandlungspartner zu
verlieren, sondern darin, innerhalb des Antagonismus einen Dialog zu
eröffnen, indem wir antiautoritäre Methoden und Perspektiven, in
Richtung einer gemeinsamen Revolte auf ebendiesen Grundlagen,
entwickeln. Noch einmal, die Idee besteht nicht darin, mit quantitativen
Zielen zu beginnen (mit allen Harragas zu kämpfen, ein Maximum an
solidarischen Individuen miteinzubeziehen), sondern einen Teilkampf
aufzubauen, dessen eigene Qualitäten es ihm ermöglichen, sich mit
anderen bereits anwesenden Kämpfen, Individuen oder Antagonismen, die
danach streben, das Bestehende in Frage zu stellen, anstatt es
umzugestalten, in Dialektik zu stellen.
Die Frage der Methode ist in
diesem Fall nicht nur ein blosses Synonym für „Form“, sondern umfasst
teilweise bereits den Inhalt, das heisst, die Möglichkeit, eine
Veränderung der sozialen Verhältnisse in Richtung einer anderen Welt
auszuprobieren. Um ein Beispiel zu machen, könnten wir noch einmal auf
die drei qualitativen Kriterien zurückkommen, die wir weiter oben
angesprochen haben. Die Selbstorganisation ist sicherlich das, was es
einem jeden erlaubt, das auszudrücken, was er ist und wonach er strebt,
ohne Gleichmachung durch den Konsens, das Kollektiv oder die Mehrheit,
aber sie ist auch die Möglichkeit, auf oft schmerzhafte Weise mit
Beziehungen ohne Führer und Geführte, ohne Verhandlungen und Autoritäten
zu experimentieren. Die permanente Konfliktualität ist sicherlich jene
Spannung in Richtung einer direkten Wiederaneignung aller Aspekte des
Lebens, aber sie ist auch das Experimentieren mit Kräfteverhältnissen
und der Vertiefung der Kritik gegen die verschiedenen Facetten der Macht
(einschliesslich der demokratischen und linken). Was den Angriff
betrifft, so handelt es sich nicht nur um eine freudige Befreiung der
bösen Leidenschaften gegen alle Hindernisse auf den Wegen der
Emanzipation, sondern so ist er auch die Erforschung der verstreuten
Zahnräder der Herrschaft, indem man an all ihren Fäden zieht, und eine
praktische Übung, die ab jetzt darauf abzielt, Praktiken von direkter
Aktion (Enteignung, Sabotage) gegen den Staat und das Kapital breiter zu
teilen und damit zu experimentieren. Diese Aspekte bleiben sicherlich
ein Entwurf, und nur mit dem antiautoritären oder anarchistischen Traum,
der sie begleitet, erhalten sie ihren wirklichen Sinn. Aber dies ändert
nichts daran, dass der Versuch einer Bilanz im Bereich eines
Teilkampfes unserer Ansicht nach vor allem auf diesen Dimensionen
beruht, das heisst, vielmehr auf dem, was bleiben kann, wenn er einmal
erlöscht ist, als auf der parasyndikalistischen Arbeit à la Sisyphus,
alle materiellen Probleme eines nach dem anderen zu lösen, koste es was
es wolle.
Noch einmal, wir können hier nur über das diskutieren,
was nicht geschehen ist, und es kann jeder leicht das Seil auf seine
Seite ziehen. In einer zweideutigen Parole wie „Papiere für alle oder
gar keine Papiere mehr“ werden die einen die Bekräftigung einer
Unterdrückung des Bestehenden (die Papiere, die uns dem Staat
unterwerfen), anstelle einer Spannung in Richtung der Negierung dieser
letzteren sehen, und andere eine Forderung, um alle Sans-Papiers in ein
und demselben Kampf anzusammeln, anstelle eines Schrittes in Richtung
einer Überwindung dieser Frage. Es ist übrigens nicht ohne Grund, dass
aus dieser Parole später manchmal „Freiheit für alle, mit oder ohne
Papiere“ wurde. In den schnellen und aufeinanderfolgenden Räumungen der
verschiedenen besetzten Orte werden die einen ein Scheitern der Methode
(nicht genügend Kompromisse mit der Stadtverwaltung, zuviel
Zurückweisung der linken Kräfte), die anderen die Sackgasse einer
radikalen Bewegung sehen, die versucht, Ziege und Kohl zu bewahren****,
indem sie einerseits besetzt, um andererseits besser verhandeln zu
können, während man sich zu sehr auf die kollektiven und materiellen
Aspekte konzentriert, um nicht die offensiven und/oder zerstörerischen
Dimensionen im öffentlichen Raum zu nähren. Schliesslich werden in der
(vielleicht schwachen, aber schwerwiegenden) Präsenz von Mitgliedern von
Vereinen, Parteien oder religiösen Cliquen die einen eine
unvermeidliche Konsequenz der Ausweitung auf alle (und somit auf jeden
x-beliebigen) sehen, während sie die anderen als ein Hinderniss für die
Selbstorganisation und als Reproduktion von Versammlungen nach dem
Abbild von Miniparlamenten analysieren werden, in denen alles
gleichbedeutend ist, weniger basierend auf radikalen Ideen und
Perspektiven als auf der illusorischen Vereinigung von politischen
Kräften, die daran interessiert sind, ein Problem zu lösen.
Ja,
einige Kameraden nahmen an den paar Sitzungen Teil, welche die
Stadtverwaltung bereitwillig zugestand, um über die Gewährung eines
Ortes zu verhandeln, aber andere – unnötig, das zu bestreiten, auch wenn
der Stadtradt von Paris dies als Vorwand benutzte, um die Räumung der
Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen – dachten, dass es die Besetzung von
Orten und ihre Verteidigung innerhalb einer Konfliktualität sind (von
den Autoritären auf die „Konfrontation mit den Ordnungskräften“
reduziert), wodurch man diesen Kampf beleben konnte. Ja, einige dachten,
dass sich der Begriff eines Kräfteverhältnisses auf einer zählbaren
Grundlage bildet, während sie sogar verteidigten, dass es
„kontraproduktiv“ war, Medien, Parteien und Vereine vor der Tür des
Bolivar-Squats (das heisst, auch ausserhalb der Versammlung) zu lassen,
aber andere dachten nicht nur, dass dies eine minimale Bedingung ist, um
auf autonome Weise zu diskutieren, sondern, dass sich ein
Kräfteverhältnis auch gegen sie richtet, indem sie sich direkt an all
jene wendeten, die sie bereits als Rekuperateure und Feinde betrachten,
und nicht an eine vage öffentliche Meinung.
Zur Schlussfolgerung
Wenn
der Faden, der uns durch diesen ganzen Text geleitet hat, jener der
Intervention in die Kämpfe ist, können wir nun versuchen, daraus einige
partielle Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne auf die umrissenen Punkte
über den Unterschied zwischen Teilkämpfen und Revolten, Verhandlung und
permanenter Konfliktualität, Selbstorganisation, um Bedürfnisse zu
Befriedigen, oder, um in Richtung von Momenten des Bruchs zu gehen,
formeller kollektiver Zentralisation und Koordination von
Affinitätsgruppen zurückzukommen, würden wir gerne ein letztes Element
anfügen.
Das Interesse an diesen Zeilen liegt für uns nicht darin,
eine Bilanz zirkulieren zu lassen, die jener, die ein Teil der radikalen
Bewegung von Paris gemacht haben mag, entgegengestellt ist, und auch
nicht darin, einen Kampf zu verherrlichen, der, alles in allem, seine
Potenziale nie im einen oder anderen Sinne entfalten konnte. Indem wir
aber anwesende Elemente, Bruchlinien oder offene Fährten hervorheben,
würden wir gerne einige Überlegungen verdeutlichen, die dieses
Frühlingsende 2011 durchqueren konnten, und gleichzeitig kritische
Reflexionen über die Frage der Intervention innerhalb eines bestimmten
Kampfes weitergeben. Denn diese letztere Möglichkeit versteht sich nicht
von selbst und man könnte sich auch andere Wege vorstellen, die sich
mehr daran festmachen, vorher wie nachher, daneben oder von aussen zu
intervenieren, Möglichkeiten, die ihrerseits breite Ausführungen
verdienen würden. Um nur ein Beispiel zu machen, so sind einige
Kameraden unmittelbar von diesem Kampf zu jenem der sogenannten Sorins
übergegangen (die Besetzung eines Gebäudes in Bagnolet durch ein
Kollektiv von Maliern, um eine neue Unterbringung zu erhalten), ohne
dass uns diese Verknüpfung offensichtlich scheint. Ehrlich gesagt, sein
nicht sehr konfliktreicher Charakter, gebunden an das Gewicht der
Delegierten sowie an die starke Präsenz von karitativen
Vereinsmitgliedern aller Art, seine Organisationsweise, die jegliche
Solidarität den taktischen Entscheidungen der Besetzer unterordnete,
sein Ziel selbst (ausschliesslich ausgerichtet auf eine neue
Unterbringung durch die Verhandlungen mit der Macht) schien uns keinen
Raum für eine autonome Intervention in seinem Innern zu lassen. In
dieser Art von Fällen, wenn sich ein Teilkampf entwickelt, aber auch de
facto mit einer Projektualität zusammentrifft, die schon vor ihm
existierte (beispielsweise in Bezug auf ein Quartier oder ein Thema),
kann man sich zumindest Fragen über die Palette der
Interventionsmöglichkeiten stellen, anstatt sich immer auf die gleiche
Weise in sie zu stürzen, in einer Art aktivistischem Reflex à la „besser
als nichts“:
Es scheint uns ausserdem auch, dass, wenn der Bruch
mit der Normalität, per Definition, eine soziale Tatsache ist, die
revolutionäre Intervention innerhalb der Teilkämpfe jedoch nicht
automatisch sein kann. Je nach Analyse der bestehenden Konfliktualität
und Untersuchung der konkreten Möglichkeiten, die sie birgt, treffen
viele Anarchisten oft die Entscheidung, ausserhalb zu bleiben und
anderen Wegen folgend die Begegnungen und Vertiefungen zu begünstigen.
Der bekannteste unter ihnen ist der spezifische, das heisst, auf unserer
Initiative, auf unseren Grundlagen und mit unseren Methoden lancierte,
und im Allgemeinen gegen eine Struktur oder eine bestimmte Schädlichkeit
geführte Kampf (den Bau eines Ausschaffungsknastes, eines
Kernkraftwerks, einer Waffenfabrik, einer Verbrennungsanlage,....). Der
zweite ist die Intervention in Situationen der Revolte gegen das
Bestehende, wie die Aufruhre in England in den 80er Jahren oder die 3
Wochen im November 2005 hier, oder auch in einen Kontext von
verbreiteter Revolte wie jener der 70er Jahre in Italien oder das, was
in Griechenland bereits seit einiger Zeit passiert.
Es stimmt, dass
die Teilkämpfe oft wenig geeignet sind, um darin einen subversiven
Inhalt zu entwickeln, und noch weniger, wenn wir uns ihnen unterwegs
anschliessen, in einem Moment, in dem sie durch die ganze formelle oder
informelle Bürokratie schon teilweise erstarrt sind. Trotz seiner
Grenzen ist also einer der Gründe, die uns dazu angetrieben haben, auf
den Kampf mit den Harragas in Paris zurückzukommen, gerade die Tatsache,
dass wir darin, neben anderen natürlich und nicht immer Nahestehenden,
in der Initiative sein, und somit darin teilweise konkret mit
anarchistischen Methoden und Inhalten experimentieren konnten, und auch,
weil er vom Anfang bis zum Ende offen blieb. Dieses Experimentieren mit
einer sozialen Konfliktualität zwischen Gefährten und Revoltierenden
ist in dieser Form vielleicht nicht generalisierbar oder reproduzierbar,
doch nichtsdestoweniger stellt es ein Rüstzeug in Sachen Möglichkeiten
dar, das jeder, hier oder anderswo, vertiefen und diskutieren kann.
1
Harraga. Dieser mündliche arabische Ausdruck, der ebenso auf tunesisch
wie auf algerisch verstanden wird, bedeutet „Durchbrecher“ wie „jemand,
der die Grenzen durchbricht“. Es ist ein abwertendes Synonym für einen
„illegalen Migranten“, das nach und nach auch im Positiven zum Abbild
jener Sans-Papiers wurde, die entschlossen sind, alle Hindernisse zu
überwinden.
2 Plakat Welche Freiheit?, Paris, Ende Januar 2011
3
Siehe hauptsächlich Harragas, Beilage zu Pourquoi pas?, Paris, Juli
2011, 2 Seiten, beidseitiges A2. Eine Übersetzung der darin publizierten
Chronologie findet sich in dieser Broschüre unter "Dokumente aus dem
Kampf".
4 Ein Artikel über den genaueren Vorgang der Räumung,
publiziert in der Zeitung Harragas, findet sich in dieser Broschüre
unter "Dokumente aus dem Kampf".
5 Ein Klima, das seinerseits an
vielerlei Faktoren gebunden war, wie die materiellen Bedingungen (ein
einziger grosser Raum, um zu schlafen, sich auszuruhen, zu diskutieren
und sich zu versammeln, die Unmöglichkeit, zusammen das beschaffte Essen
zu kochen...), die Erschöpfung und das legitime Misstrauen unter
Individuen, die sich nicht genügend kennen, der Mangel an Erfahrung mit
Selbstorganisation im Innern und mit Strasseninitiativen draussen, das
nicht-Weitergeben der laufenden Kampferfahrung an den Zufluss von neuen
Ankömmlingen im Gymnasium.
6 Was zur Besetzung der Rue Bichat
führte, die gleichzeitig dazu gedacht war, eine selbstorganisierte
Unterkunft für um die 30 Harragas und ein gemeinsamer Raum zu werden, um
die Offensive weiterzuführen.
7 „Die Kontakte vor Ort wurden sehr
erschwert durch die Präsenz von militanten anarchistischen oder
radikalen Kollektiven, die es bevorzugten, die Aktion und das Engagement
der Stadt und der Vereine schlechtzumachen, statt die tunesischen
Staatsangehörigen zu begleiten und ihnen wirklich zu helfen. Sie haben
eine schwere Verantwortung auf sich genommen, indem sie diese letzteren –
abgesehen von etwa einem Dutzend, die gestern Abend akzeptiert haben,
sich einer Unterkunftsstruktur anzuschliessen – dazu verleitet haben,
auf dem Platz zu bleiben, und indem sie sie explizit dazu ermutigt
haben, sich mit den Ordnungskräften zu konfrontieren“.
8 Im
besetzten Gebäude bei Bolivar ist diese Frage mehrere Male aufgetaucht.
Die gemeinsame Versammlung hat mehrmals entschieden, dass die Medien
nicht hereinkommen (was einige Harragas oder Solidarische nicht davon
abhielt, Interviews zu geben, aber ausserhalb des Ortes und als
Einzelpersonen), und dass die aussenstehenden Personen eintreten können,
aber ihre Pins, Badges und anderen Gewerkschafts- oder Vereinsbanner
ablegen müssen. Die Türe wurde ständig gemeinsam zwischen Harragas und
Kameraden gehalten. Diese Position ist im Allgemeinen in den Kämpfen von
Sans-Papiers nicht selbstverständlich und auch nicht in den
spezifischen Kämpfen der Pariser Bewegung.
* Paname ist ein Übername, der umgangssprachlich verwendet wird, um die Region von Paris und seinen Banlieues zu bezeichnen.
**
Die „Village du Jasmin“-Messe präsentierte diverse Aussteller der
Tourismusbranche, des Kunsthandwerks, lokale Produzenten und Künstler
und wurde auf Initiative des Bürgermeisters von Paris lanciert, mit dem
Ziel, die touristischen Aktivitäten im „neuen Tunesien“ wieder
anzukurbeln.
*** Verein für Hilfe und Begleitung bei Unterbringung
und gesellschaftlicher Eingliederung sowie medizinisch-soziale
Anlaufstelle.
*** „ménager la chèvre et le chou“ ist eine Redewendung, die ursprünglich von einem alten
Rätsel abstammt, bei dem es Ziege, Kohl und Wolf mit einem Boot auf die jeweilige andere
Flussseite zu bringen gilt, ohne dass sie sich gegenseitig auffressen. Es will in etwa heissen, auf
umständlichen Wegen zwei deutlich unversöhnliche Dinge erreichen zu wollen
Diskussion + Übersetzung
Zu dem Text gibt es eine Diskussionsveranstaltung im Fermento in Zürich:
https://switzerland.indymedia.org/de/2013/07/90145.shtml
Sie wurde auf den 7. September, 20h, verschoben:
https://switzerland.indymedia.org/frmix/2013/08/90357.shtml
Dort steht, dass der Text eine Übersetzung ist - kann jemand das Original als Übersetzung hier veröffentlichen?
Original
Der Originaltext "Discurs sur la methode. La lutte avec des harragas à Paris"
in der folgenden Zeitschrift : "Subversions, Revue anarchiste de critique social, Nr.1, September 2012".
Die Zeitung gibt's meines Wissens nicht im Internet. Hier Infos: http://www.non-fides.fr/?Sortie-de-Subversions-revue,2265