In Schleswig-Holstein startet in diesen Tagen die Kampagne "An die Substanz - rechte Infrastruktur aufdecken - Nazis in die Pleite treiben". Verschiedene antifaschistische Gruppen rufen in diesem Zusammenhang dazu auf, rechte Rückzugsräume und Geschäftswelten aus der Deckung zu holen und anzugehen. Neben den gemeinsamen öffentlichen Aktionen in den nächsten Monaten können sich alle Antifaschist_innen, die sich als Teil der Kampagne begreifen wollen, mit ihren eigenen Inhalten und Aktionsformen einbringen.
Aktuelle Informationen zu der Kampagne gibt es regelmäßig auf dem Blog andiesubstanz.noblogs.org. Dort gibt es auch eine Übersicht über rechte Geschäftswelten in Kiel, Plön und Neumünster. Eine Broschüre und weiteres Material wird in Kürze an mehreren Orten ausliegen.
In den nächsten Tagen folgen Hintergrundberichte zur Situation rechter Geschäfte in Neumünster und im Großraum Kiel.
Im Folgenden noch der Aufruf zu der Kampagne:
An die Substanz: Rechte Infrastruktur aufdecken - Nazis in die Pleite treiben!
Nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vom 26. Mai 2013 mussten Antifaschist_innen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass es neofaschistischen Wahllisten landesweit in insgesamt drei Städten und einem Kreis gelungen war, Kandidaten für die nächsten fünf Jahre in Rathäuser und Kreistage zu schicken. Dies gelang ihnen, obwohl es kaum wahrnehmbaren Wahlkampf gab und Kandidaturen von Neofaschisten sich auf wenige Regionen beschränkten.
Vier rechte Kommunalwahl-Mandate 2013
In Kiel schaffte NPD-Ratsherr Hermann Gutsche den Wiedereinzug ins Rathaus, diesmal angetreten auf der Tarnliste WaKB („Wahlalternative Kieler Bürger“). In Neumünster zog Mark Proch für die NPD in die Ratsversammlung ein, im Kreis Herzogtum-Lauenburg gelang es dem kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetretenen Kay Oelke mit der Splittergruppe “Rechtsstaatliche Liga” seinen Sitz im Kreistag zu verteidigen und ins Geesthachter Rathaus einzuziehen. Trotz teilweise sinkender Wähler_innenzahlen lautet die nüchterne Bilanz aus antifaschistischer Perspektive am Wahlabend, dass neofaschistische Bewerber in Schleswig-Holstein die Anzahl ihrer kommunalen Parlamentarier im Land von zwei auf drei bzw. vier zu erhöhen konnten.
Der stete Niedergang neofaschistischer Politik-Strukturen in Schleswig-Holstein
Unweigerlich drängt sich in Anbetracht dessen die Frage auf, welche Schlüsse Antifaschist_innen daraus ziehen müssen, wenn es dem Rechtsaußenlager gelingt, ein erfolgreiches Wahlergebnis zu erzielen, vor allem angesichts der niedrigen Erwartungen im Vorfeld und der allgemein desolaten Verfassung. Zur Erinnerung: Die Schleswig-Holsteinische NPD und ihre Umfeldstrukturen befinden sich seit einigen Jahren im stetigen Niedergang. Im letzten Jahr (2012) war die Neonaziszene so schwach organisiert, dass ihr Mobilisierungspotenzial auf der Straße kaum einmal den dreistelligen Bereich bei entsprechenden Aktionen erreichte. Die NPD demonstrierte ihre Unfähigkeit dann eindrucksvoll am 1. Mai in Neumünster, als ihre Demoroute von hunderten Antifaschist_innen blockiert wurde und eine eigenmächtig gewählte Ausweichroute nach wenigen hundert Metern im Polizeigewahrsam endete.
Die öffentliche Präsenz von organisierten Neonazis beschränkt sich aktuell daher auf wenige, in der Regel unangekündigte Stände und Kleinstkundgebungen, die meist auf Dörfern und in Kleinstädten durchgeführt werden. Beunruhigende Ausnahmen waren nicht-explizit neonazistische Aufmärsche zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern, die 2012 in Leck und Neumünster von Rechten, darunter besagter NPD-Neu-Ratsherr-Mark Proch, angeführt wurden und zeitweilig Mobilisierungserfolge auswiesen. Abgesehen davon hat das einzige regelmäßige Event der Szene mit Ausstrahlungskraft, der „Trauermarsch in Lübeck“, die Fahrt nach Walhalla angetreten und ist auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Er wurde 2013 einfach abgesagt. Verantwortlich dafür sind neben der abgenommen Mobilisierungskraft und den kontinuierlichen antifaschistischen Gegenaktivitäten sicher auch andauernde parteiinterne Querelen. Zum einen zog sich der langjährige Anmelder des Aufmarsches, Roland Siegfried Fischer, von seiner Parteiarbeit zurück, zum anderen ist ein aktuelles Beispiel der Austritt Kay Oelkes kurz vor der Wahl. In Kiel musste Hermann Gutsche nach dem Wegbrechen der Strukturen der „AG Kiel“ auf den Nazi-unterwanderten Hobbyfußballclub "Bollstein Kiel" zurückgreifen, um seine Wahllisten zu füllen.
Dies verweist bereits auf den Umstand, dass die Tendenz bei den "freien Kräften" keinesfalls anders aussieht: Einzelne Gruppen und Protagonist_innen der Neonaziszene, die formal außerhalb der NPD organisiert sind, machen durch Propaganda und Übergriffe ihre Präsenz deutlich. Dies betrifft die Kreise Stormarn, Ostholstein und Nordfriesland, wo der "Freie Widerstand Südschleswig" in Leck maßgeblich an Inszenierung und Zuspitzung der Proteste beteiligt war. Der Aktivismus und die Vernetzung ist aber nicht annähernd mehr mit den Zeiten des zeitweisen Hypes um "Autonome Nationalisten" in Schleswig-Holstein vor nur wenigen Jahren zu vergleichen.
Auch das faschistische Spektrum jenseits der NPD und den oft mit ihnen verbundenen „Freien“ kann dieses Vakuum nicht füllen. Parteien wie "Die Freiheit" oder " Die Rechte" und reale Gruppen des Internet-Phänomens "Identitäre Bewegung" sind zwar mal mehr, mal weniger existent, wirkliche Relevanz konnten sie aber bisher auf keinem Gebiet erzielen.
Zwischen Büchern, Wellness, Bier und Rechtsrock: Die blühende rechte Geschäftswelt im hohen Norden
Kurzum: Organisierte rechte Strukturen kriseln in Schleswig-Holstein nicht erst seit gestern größtenteils vor sich hin und doch haben neofaschistische Parteien ihre Sitze in den Rathäusern. Neben den bekannten Parteien und Organisationen muss es noch mehr rechte Lebenswelten im Land geben. Es existiert eine rechte Infra- und Geschäftsstruktur mit teilweise bundesweiter Ausstrahlung, auf die Antifaschist_innen und kritische Journalist_innen zwar regelmäßig hinweisen, die in der antifaschistischen Praxis aber oft zu kurz gekommen sind.
Allein in Kiel und Umland gibt es mehrere Läden, deren Betreiber_innen und teils auch Sortiment schlichtweg als unappetitlich zu bezeichnen sind. Der Regin-Verlag aus Kiel und vor allem aber das Verlagsimperium von Dietmar Munier, ansässig in Martensrade (Kreis Plön), versorgen die ganze Bundesrepublik mit nationalistischer, verschwörungstheoretischer, militaristischer und faschistischer Literatur.
Die namhafte Heilpraxis „Heilcentrum Pless“ wird mitten in Kiel von Henning Pless betrieben, einem in den frühen 1990ern als Vorsitzender der "Heimattreuen Jugend" bekannt gewordenen Neonazi, heute vor allem im Bereich des organisierten Gebietsrevisionismus führend tätig.
In Kiel-Gaarden existiert seit einigen Monaten der Laden "PLS-Werkzeuge", der von dem langjährigen Nazischläger und Mittlerweile-Bandido Alexander Hardt geschmissen wird. Hardt gehört zum Umfeld des seit 15 Jahren existierenden Neonazitreffpunkts „Club 88“ in Neumünster, wo die Kneipe „Titanic“, betrieben vom sich mittlerweile offen zur NPD bekennenden Horst Micheel, ein Anlaufpunkt für die rechte Szene der Region ist.
In Nessendorf (Kreis Plön) war mutmaßlich sogar schon die Neonazi-Mörder-Bande "NSU" beim seit Jahren als NPD-Unterstützer bekannten Eckart August reiten, dessen Eselpark zu den führenden Ausflugstipps Schleswig-Holsteinischer Reiseführer gehört. Und im stormarnischen Glinde wird die Szene im "Thor Steinar"-Laden "Tönsberg" eingekleidet, um sich dann fesch auf rechten Events wie "Wir sprechen Deutsch - ehrlich und laut!"-Grauzonen-Festivals in Schacht-Audorf, "Freiwild"-Auftritten in Dithmarschen, "Kategorie C"-Konzerten in Flensburg und Kiel und Neonazi-Liederabenden an geheimgehaltenen Orten zur Schau zu stellen. Solche Musikveranstaltungen gehörten in den letzten Jahren beständig zur rechten Erlebniswelt in Schleswig-Holstein dazu. Den Soundtrack zu Mord und Totschlag dazu liefert der Mailorder „Support-Wear“ des Kieler Neonazis Matthias Kussin bequem frei Haus.
Nazi-business as usual
Dass überdies in einigen Teilen des Landes neonazistische Übergriffe auch ohne sich öffentlich spektakulär in Szene setzende Gruppen zum Alltag gehören, belegen zu viele Beispiele in hässlicher Regelmäßigkeit. Ein aktuelles, erschreckendes Beispiel ereignete sich Himmelfahrt in der Gemeinde Rieseby bei Eckernförde, Antifaschist_innen als Hochburg rechter Jugendbanden bekannt. Neonazis belagerten und bedrohten unter rassistischen Parolen, Böllerwürfen und Hitlergrüßen das Grundstück einer iranisch-stämmigen Familie. Der Mob konnte eine Zeitlang ungestört agieren und löste sich erst auf, als die Polizei endlich mit genug Kapazitäten eingriff.
An die Substanz gehen!
Auch wenn der rechte Sumpf in Schleswig-Holstein nicht immer übermäßig stark präsent ist, verfügt er zwischen einflussreichen Publizisten, unscheinbaren Geschäftsleuten, NPD-Umfeld, rechter Kneipen-Szene, trister Dorfjugend und rassistischen Sarazzin-Leser_innen im Land über eine feste Verankerung. Soll er trocken gelegt und auf diesem Wege auch das ohne größere Mühen stets abrufbare neofaschistische Wähler_innenpotenzial dezimiert werden, müssen wir als Antifaschist_innen unser Blickfeld auch dorthin erweitern, wo sich ihre Klientel seine Nischen, Geldquellen, ideologische Versicherungen und Erlebniswelten geschaffen hat. Dies sind auch Felder, die uns mitunter nicht zwangsläufig auf offener Straße ins Auge springen und die über letzten paar verbliebenen großen Namen auf den NPD-Wahllisten hinausgehen.
Die Demos und Aktionen gegen "PLS-Werkzeuge" in Kiel und "Tönsberg" in Glinde sind aktuelle positive Beispiele für die richtige Richtung, in deren Fußstapfen wir uns mit der Kampagne "An die Substanz! Rechte Infrastruktur aufdecken - Nazis in die Pleite treiben!" begeben wollen. Unser Ziel ist es, Informationen über die rechte Infrastruktur breit zugänglich zu machen, gemeinsam zur Tat zur schreiten und rechten Gewerbetreibenden die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz zu nehmen. Einige der genannten Beispiele haben sich in den vergangenen Jahren als hartnäckig auch gegenüber langjährigen antifaschistischen Kampagnen erwiesen, andere sind von antifaschistischen Interventionen bisher weitestgehend unbehelligt geblieben. Insgesamt sehen wir jedoch noch eine Menge ungenutzt gebliebenen Spielraum dafür, den Druck auf die rechten Geschäftsleute im Land merkbar zu erhöhen und zur einen oder anderen Ladenpleite beizutragen.
In der vorliegenden Broschüre geben wir eine kurze Übersicht über Geschäfte, Hintergründe und Personal des rechten Wirtschaftslebens in Schleswig-Holstein. Ausführlichere Informationen sind zudem auf unserem Blog andiesubstanz.noblogs.org zu finden. Dort werden wir auch aktuelle Termine und Aktionen im Rahmen der Kampagne veröffentlichen. Auch wenn der gemeinsamen Aktion ein hoher Stellenwert eingeräumt werden soll, sind alle Antifaschist_innen darüber hinaus selbstredend auch dazu aufgerufen, sich im Rahmen von "An die Substanz!" zu organisieren und auf ihre Weise und mit ihren Mitteln selbstständig aktiv zu werden, gerade auch in Bezug auf Infrastruktur, die von uns an dieser Stelle nicht explizit selbst in den Fokus genommen wurde.
Nutzen wir die nächsten Monate, um all das, was zur rechten Infrastruktur und Erlebniswelt zu zählen ist, dort wo sich die Wähler/innen von Gutsche, Oelke, Proch und Co. herumtreiben, kräftig aufzumischen, auszuhebeln und in der Versenkung verschwinden zu lassen.
It's up to you! Zusammen mit langem Atem und viel Phantasie: Gegen rechte Strukturen und rechten Lifestyle vorgehen - Nazis in die Pleite treiben!
naja eine Kampagne in Schleswig-Holstein?
Da kann und muss man noch viel mehr machen!
Es werden ja nicht mal alle Strukturen beleuchtet und benannt! Weder gibt es was zum NPD-Treffpunkt in Steinburg in der "Steinburg", noch zum Naziladen in Lägerdorf von Ragnar Böhm der ua. auch Kontake zu Combat-18 (Pinneberg) und nach Dänemark hat.
Eine Chronik von Konzerten von Rechten und extrem rechten Bands könnte man auch auf machen. Welche Nazi-Bands kommen aus Schleswig-Holstein und wo Spielen sie? Welche anderen Nazi-Bands haben wo in Schleswig-Holstein gespielt?
Wo fanden Landesparteitage der NPD in Schleswig-Holstein statt?
Was ist mit dem extrem rechten Ludendorffer im Kreis Rendsburg-Eckernförde in Schierensee und dem Ferienheim Schönhagen? de
Es gibt in Schleswig-Holstein viel mehr Nazi-Mist als Club 88 und Eselpark, leider!
Eine Kampagne ist gut, aber entweder nur gezielte Orte oder wirklich die ganze Struktur, sonst ist es nichts halbes und nichts ganzes!