In Berlin findet am 28. Und 29.06. eine Konferenz mit dem Titel "Lizenz zum Terror" über die Machtergreifung der NSDAP 1933 statt. Was kann man heute noch daraus lernen und welche Bedeutung hat die Aufarbeitung der Etablierung des Faschismus in diesem Land 80 Jahre später? Ein Interview der Antifaschistischen Initiative mit Thomas Willms vom Vorbereitungskreis.
Antifaschistische Initiative: In Deutschland ist der 27. Januar der offizielle Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Weshalb konzentriert Ihr euch auf den 30. Januar 1933 als Datum der Erinnerung?
Thomas Willms: „Das Gedenken an die Opfer muss mit der Erinnerung an die Täter verbunden sein. Die Täter ergriffen die politische Macht in Deutschland am 30. Januar 1933. Erinnerung an die Täter heißt für uns: Benennung der Schuldigen und Nutznießer an der Errichtung der Nazi-Herrschaft in Deutschland und an der Entfesselung des Krieges.“
AI: Wie soll das Datum der Machtergreifung als Ausgangspunkt für eine Aufarbeitung der Naziherrschaft dienen?
TH: „Die Machtübernahme im Januar ’33 ist kein historisch freistehendes Ereignis. Die Herrschaft des nationalsozialistischen Terrors ist nicht schicksalhaft über die Weimarer Republik hereingebrochen, sondern wurde von verschiedenen Interessen- und Personengruppen beeinflusst. Ohne die Beteiligung der überwältigenden Mehrheit „normaler Deutscher“ am NS zu relativieren, muss man feststellen, dass Gruppen der gesellschaftlichen Eliten – politische Parteien, Unternehmer, Großgrundbesitzer, Akademiker, Kirchen, Vertreter des Militärs – gegenüber der Weimarer Demokratie eine faschistische Krisenbewältigung (Weltwirtschaftskrise ab 1929, Anm. d. A.) und Herrschaft in Form des Nationalsozialismus massiv unterstützten. Es gilt zu untersuchen und in der geschichtlichen Debatte zu klären, welche Gruppen welches Interesse an der Bewahrung oder der Zerstörung von Demokratie und Republik hatten.“
AI: Vom historischen Interesse abgesehen, spielt die Aufarbeitung der Machtergreifung vor 80 Jahren überhaupt eine Rolle für heutige Politik?
TH: „Ja, das tut sie. Denn auch heute stellt sich die Frage, wie die politisch und ökonomisch Mächtigen mit demokratisch-parlamentarischen Prinzipien umgehen. Ganz offen propagierten Vertreter des BDI die Aufhebung des föderalen Prinzips der BRD, da hierdurch die ungehinderte Durchsetzung von Kapitalinteressen erschwert würde. Wir erleben zunehmend, dass Politiker unterschiedlicher Parteien sich eher den Interessen von Lobbyisten unterordneten, als die Bedürfnisse ihrer Wähler*innen ernst zu nehmen. Und es ist ebenfalls auffällig, dass selbst Entscheidungen von existenzieller Tragweite, wie die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen zunehmend parlamentarischer Kontrolle entzogen werden soll.
Die Erinnerung an den 30. Januar 1933 stellt also auch politische Fragen an die Umsetzung der Demokratie in diesem Land heute und an den notwendigen gesellschaftlichen Widerstand gegen Rechtsentwicklungen und antidemokratische und rassistische Tendenzen sowie der Propagierung regressiver Gesellschaftskritik von rechts.“
AI: Sicherlich sind rassistische und antidemokratische Tendenzen heute weit verbreitet. Aber Ursachen und Erscheinungsformen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Rollbacks sind sehr vielfältig. Wie wollt Ihr das mit der Konferenz abdecken?
TH: „Natürlich ist das sehr umfangreich. Aber wir haben uns bemüht, mit den verschiedenen Vorträgen ein breites Spektrum abzudecken. Zur Eröffnung am Freitag beleuchten Kurt Pätzold und Sven Fritz die ideologische Verkehrung damaliger und heutiger Neonazis: „Rassenkampf statt Klassenkampf“. Die Umlenkung der sozialen Frage in rassistische und antisemitische Erklärungsmuster war eine der wichtigsten Grundlagen für die nationalsozialistische Massengefolgschaft.
Am Samstag wird es Vorträge zur Rolle der politischen Parteien bei der Abschaffung der Demokratie und den gesellschaftlichen Akteuren, die Hitler unterstützten geben. Auch werden wir betrachten, welche Rolle die gescheiterte Arbeiterbewegung für die Etablierung des Dritten Reichs hatte. Heute hat sich in mehreren europäischen Ländern die Befürchtung mittlerweile bewahrheitet, dass nationalistische und faschistoide Strömungen sich gegen linke und andere emanzipatorische Bewegungen durchsetzen können und starke Positionen in den Parlamenten und auf der Straße einnehmen."
Das Jahr 1933 - Vorgeschichte, Geschichte und Geschichtsbild
Geschichtspolitische Konferenz der VVN-BdA
Humboldt-Universität Berlin, Kinosaal
28. Juni, 19.15 Uhr – 21.30 Uhr &
29. Juni, 09.15 Uhr – 17.00 Uhr
Das Programm findet Ihr unter www.dasjahr1933.de/geschichtskonferenz-28-29-juni-2013/
Machtübergabe, nicht Machtergreifung
Leute,
die Rede von der "Machtergreifung" ist ein von den Nazis selbst propagandierter Mythos.
Es war faktisch eine MachtÜBERGABE.
Bewahrung oder Zerstörung von Demokratie und republik
"Es gilt zu untersuchen und in der geschichtlichen Debatte zu klären, welche Gruppen welches Interesse an der Bewahrung oder der Zerstörung von Demokratie und Republik hatten."
Find ich gut! hoffe allerdings, dass dort auch das zum teil fragwürdige verhalten der KPD in den letzten jahren der weimarer republik zur sprache kommt. so könnte man mal näher auf deren rolle beim volksbegehren und volksentscheid zur absetzung der preußischen regierung im august 1931 eingehen, als man mit stahlhelm, dnvp und nsdap zusammenarbeitete, um das "bollwerk der demokratie" (preußen) zu stürzen. oder auch die zusammenarbeit mit der nationalsozialistischen betriebszellenorganisation nsbo beim berliner verkehrsarbeiterstreik 1932, sollte näher untersucht werden, so wie das ganze versagen der an moskaus rockzipfel hängenden KPD-Führung in bezug auf die sozialfaschissmusthese, die die gefahr des wirklichen faschismus aus reinem machtkalkül gegenüber der arbeiterschaft total unterschätzte.
freue mich auf die veranstaltung!