Mit diesem Artikel möchten wir versuchen, eine aktuelle Einordnung des Zustandes des NPD-Landesverbandes in Schleswig-Holstein vorzunehmen. Gerade in Zeiten von zivilgesellschaftlicher Reduktion des Nazi-Problems auf den „NSU“ und das „NPD-Verbot“ halten wir es für sinnvoll, auch weniger spektakuläre neonazistische Zusammenhänge aus antifaschistischer Perspektive zu beleuchten und deren gesellschaftliches Potential abzuschätzen.
Einleitung
In Schleswig-Holstein ist die NPD nach der
Fusion mit der DVU und dem frühzeitigen Scheitern der „Deutschen Liga
für Volk und Heimat“ (DLVH) im neonazistischen Milieu konkurrenzlos.
Zwar gibt es im rassistischen Parteienspektrum seit 2011 noch die
kulturrassistische, eher konservativ-bürgerliche Kleinstpartei „Die
Freiheit“, diese ist allerdings bisher weitgehend erfolglos und bis
jetzt zu keiner Wahl angetreten.
Trotz dieser Alleinstellung
gelingt der NPD die Herstellung einer zivilgesellschaftlichen
Anschlussfähigkeit kaum oder nur in sehr spezifischen Kontexten. Eine
breite Öffentlichkeit erreicht die NPD nur über Negativ-Schlagzeilen
nach militanten Auseinandersetzungen¹⁺² oder Razzien³⁺⁴. Auch der
jährlich stattfindende und maßgeblich von NPD-Kadern organisierte
“Trauermarsch” in Lübeck geht in den breit mobilisierten Gegenprotesten
unter. Die NPD agiert und agitiert in Schleswig-Holstein fast
ausschließlich in ihrem eigenen subkulturellen Umfeld und bleibt
gesamtgesellschaftlich marginalisiert.
Aktuelle Situation des Landesverbands
Aktuell
steckt der Landesverband Schleswig-Holstein der NPD in einer handfesten
Krise. Neben großen personellen Problemen sind auch inhaltliche und
strukturelle Defizite unübersehbar. Bei der Landtagswahl im Mai 2012
schlug sich das in einem herben Misserfolg nieder, wo mit einem
Wahlrgebnis von 0,7% nicht nur das vorherige Ergebnis verschlechtert,
sondern auch die Hürde zur Parteienfinanzierung (ab 1%) verfehlt wurde.
Ein
Einzug in den Landtag war schon vor der Wahl auch innerhalb der NPD als
unmöglich betrachtet worden und so wurde der Wahlkampf zu einer Farce.
Bei den wenigen Plakaten, die überhaupt aufgehängt wurden, handelte es
sich um alte Plakate des NPD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern mit
Link zu deren Internetauftritt, teilweise sogar mit regional auf das
andere Bundesland bezogene Themen. Eine eigene inhaltliche
Schwerpunktsetzung fehlte völlig.
Ein Großaufmarsch in Neumünster
sollte am 1. Mai, wenige Tage vor der Wahl, die nötige
Öffentlichkeitswirkung erzielen. Dazu war eigens der NPD Chef-Rhetoriker
Udo Pastörs angereist. Am Auftaktort fanden sich allerdings nur rund 30
Neonazis ein. Die restlichen 105 „Kameraden“ zogen den direkten
Konflikt mit der Polizei ihrer genehmigten Versammlung vor und wurden
sämtlich in Polizeigewahrsam genommen, darunter auch ein Teil des
Landesvorstands der NPD S-H und Udo Pastörs. Da auch der
Versammlungsleiter Jens Lütke inhaftiert wurde, konnte die angemeldete
Demonstration nicht stattfinden und die einzigen zum Auftaktort
erschienenden Neonazis irrten, von ihren “Kameraden” im Stich gelassen,
durch die Stadt und konnten nicht einmal einer direkten Konfrontation
mit Antifaschist_innen entgehen.
Nach diesem missglückten Wahlkampf
war eine Wahlniederlage folgerichtig. Nicht einmal das eigene Lager
konnte mobilisiert werden. Ganz im Gegenteil kursierten vor der Wahl in
Kameradschaftskreisen sogar offene Anfeindungen gegen NPD-Funktionäre
wegen deren angeblicher Kooperation mit dem Verfassungsschutz und
Boykottaufrufe zur Wahl.
Der Landesverband in Schleswig-Holstein
vertritt eine radikale Parteilinie und steht damit im Widerspruch zu der
Programmatik der „Seriösen Radikalität“ unter dem Bundesvorsitzenden
Holger Apfel, mit der die Bundes-NPD versucht, klassisch bürgerliche
Themen zu bedienen und ein Parteiverbot abzuwenden.
Im radikaleren
Flügel innerhalb des Landesverbandes gibt es personell große
Schnittmengen mit dem militanten und kleinkriminellen Milieu der „Freien
Kameradschaften“ und „Aktionsgruppen“. Auch die eher spießbürgerlichen
Funktionäre um den neuen Landesvorsitzenden Ingo Stawitz oder den Kieler
Ratsherren Hermann Gutsche pflegen ein offenes und intensives
Verhältnis zur nicht-parteigebundenen Neonaziszene.Die Unstimmigkeit
zwischen Landes- und Bundes-NPD wurde schon in verschiedenen Situationen
offensichtlich, so auch als im Juli 2012 das “Flaggschiff” der
Bundes-NPD durch Deutschland tourte und die regionale Neonazi-Szene mit
demonstrativer Lustlosigkeit reagierte. In Kiel konnten für die
Teilnahme an der Kundgebung nur drei Besucher angeworben werden, wobei
es sich dabei um Pflichtbesuche der etablierten Kader gehandelt haben
dürfte, immerhin waren nur der Landesvorsitzende Ingo Stawitz, sein
Stellvertreter Jens Lütke und der “Landesorganisationsleiter” Daniel
Nordhorn anwesend.
Das Verhältnis zwischen der NPD und den
sogenannten “Freien Kräften”, lose Zusammenschlüsse meist militanter
Neonazis in Kameradschaften oder “Aktionsgruppen” auf lokaler Ebene, ist
in Schleswig-Holstein schon immer eng. Während der Hochphase der
„Aktionsgruppen“, allen voran die „AG Kiel“, traten die
nicht-parteigebundenen Kräfte der NPD zunächst dominant gegenüber, in
den letzten Jahren hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Als der
ehemalige Landesvorsitzende der NPD, Peter Borchert, ab 2007 die auch
überregional wahrgenommene „AG Kiel“ aufbaute, trieb er die NPD damit
förmlich vor sich her. Ohne die damals aktiven und mitgliederstarken
„Aktionsgruppen“ war die NPD nicht mehr handlungsfähig und kooperierte
in Folge dessen eng mit den „Freien Kräften“, um ihren Einfluss zu
wahren. Da nun aber einige Führungskräfte der „AG Kiel“ und „AG
Neumünster“ ganz offen der organisierten Kriminalität zugehörten,
stellte sich selbst für NPD-Verhältnisse ein bundesweites Novum ein: Die
NPD musste die “Aktionsgruppen”, tief verstrickt in Waffenhandel und
Ähnliches⁵, bezahlen, damit sie an ihren Aktionen teilnahmen und ihre
Listen füllten⁶. Die NPD ließ ihre Struktur als Plattform für militante
Gruppen und die organisierte Kriminalität verreinnahmen, vor allem um
die Rockergruppen „Bandidos“ und „Hells Angels“⁷.
Die
AG-Kiel-Führungskader schieden nach und nach aus der aktiven
neonazistischen Szene aus. Peter Borchert und Daniel Zöllner wurden
inhaftiert, Peter von der Born wurde zunehmend inaktiver und so
hinterließen die Führungskader der „AG Kiel“ ein deutliches Vakuum, da
es sich neben dem kleinen Führungszirkel vor allem um junge,
subkulturell geprägte Mitglieder_innen aus dem Kieler Vorort
Friedrichsort handelte.
Nach der Auflösung der „AG Kiel“ gewann die
NPD in der Szene wieder an Bedeutung, da sie nun die entstandenen Lücken
mit ihren eigenen Mitgliedern füllen konnte. An Stelle der parteilosen
„Aktionsgruppen“ trat in den größten Städten Kiel und Lübeck jeweils
eine lose Unterstützer_innengruppe der NPD, die „Freien Nationalisten
Lübeck“ (FN HL) und Freien Nationalisten Kiel“ (FN KI), geführt von den
örtlichen NPD-Kadern Jörn Lemke (Lübeck) und Roland Siegfried Fischer
(Kiel). Sowohl thematisch als auch aktionistisch beschränken sich diese
Zusammenhäge auf die Unterstützung der NPD und sind nicht eigenständig
aktions- oder gar kampagnenfähig.
Eine interessante Konstellation
ergibt sich dabei in Kiel, wo das Gruppengeflecht für die persönliche
Feindschaft zwischen zwei Kadern genutzt wird: Die Website des
NPD-Kreisverbandes wird in letzter Zeit ausschließlich von dem Kieler
Ratsherrn Herrmann Gutsche betrieben, während der “Organisationsleiter”
Roland Fischer seine Inhalte über den Blog der „FN KI“ kommuniziert. Das
Internetportal „Mein-SH“ ist Jörn Lemke, dem Landespressesprecher der
NPD, zuzuordnen und dient allen „Aktionsgruppen“ und „freien“
Gruppierungen in Schleswig-Holstein als Plattform. Auf diesem Portal
veröffentlichen ironischerweise auch jene Spektren, die Jörn Lemke der
Spitzeltätigkeit für den Verfassungsschutz bezichtigen. Auch duldet die
NPD in Schleswig-Holstein seit vielen Jahren militante Bestrebungen in
den eigenen Reihen. Viele Kader sind selbst vorbestraft oder an
entsprechenden Aktionen beteiligt gewesen. Neben offen militant
agierenden Persönlichkeiten wie Peter Borchert⁸, Roland Fischer⁹ oder
Sven Witte¹⁰ haben auch Kader des sich eher seriös gebenden Flügels
einschlägige Vorstrafen: Ingo Stawitz warf Steine und prügelte auf
Gegendemonstrant_innen ein¹¹, Heino Förster war an Brandstiftungen auf
die Unterkünfte von Asylbewerber_innen beteiligt ”¹² und auch der
Angriff auf eine Kundgebung des DGB zum 1. Mai 2011 in Husum wurde
maßgeblich von NPD-Mitgliedern geplant und durchgeführt. So ist zu
erkennen, dass eine Trennung zwischen dem radikaleren Flügel der NPD und
militanten “Freien Kräften” künstlich wäre und nicht die realen
Machtverhältnisse widerspiegelt.
Interne Struktur des Landesverbands
Grundsätzlich
lässt sich die Personalsituation der NPD in Schleswig-Holstein in
verschiedene Kreise trennen. Neben den öffentlich auftretenden Kadern
gibt es eher verdeckt auftretende Unterstützer_innen und eine Basis aus
aktions- oder erlebnisorientierten Neonazis, auf die bei Aktionen zurück
gegriffen werden kann.
Bei den Kadern lassen sich wiederum die nur lokal aktiven von denen mit landes- oder gar bundesweiter Bedeutung unterscheiden.
Der
Landesvorsitzende, und damit auch automatisch Mitglied des
Bundesvorstands der NPD, ist Ingo Stawitz aus Uetersen, ein altgedienter
Kader der Neonaziszene, in Personalunion außerdem Vorsitzender des
Bezirksverbands Westküste. Bekannt wurde er auch durch seine abrupten
und uneinvernehmlichen Wechsel der Parteien, so war er neben lokalen
Bündnissen wechselnd für die DVU, DLVH und NPD aktiv. Sowohl
organisatorisch als auch programmatisch bleibt Stawitz selbst eher
schwach, diese Aufgaben werden weitgehend von anderen übernommen. Seine
Wahl dürfte aufgrund der Vorbelastung der anderen Kader beim letzten
Parteitag und in direkter Folge der Wahlniederlage alternativlos, aber
keine Wunschentscheidung gewesen sein.
Organisatorisch und
programmatisch führend im NPD-Landesverband ist sein Stellvertreter und
ehemaliger Landesvorsitzender Jens Lütke aus Martensrade im Kreis Plön.
Als eines der wenigen Mitglieder der Schleswig-Holsteinischen NPD
verfügt Lütke über die organisatorischen Fähigkeiten, strukturelle
Parteiaufgaben wie Wahlen oder Parteitage zu organisieren. Öffentlich
tritt er immer weniger auf, bei der nächsten Bundestagswahl steht er
nicht einmal auf der Landesliste. Die ambivalente Haltung der Partei ihm
gegenüber ist zum einen auf der herben Wahlniederlage unter ihm als
Landesvorsitzenden begründet, in dessen Wahlkampf keine positiven
Akzente gesetzt werden konnten und Lütke weder einen kraftvollen
Auftritt nach außen noch Schutz für seine Parteikameraden nach innen
schaffen konnte. Ganz im Gegenteil tauchte er vor der Wahl förmlich ab.
Zudem wird ihm aufgrund seiner autistischen Erkrankung mit Distanz
begegnet, da Menschen mit Behinderung nicht in das Weltbild der Neonazis
passen.
Jörn Lemke ist Landespressesprecher und für die
Erstellung der Parteizeitung „SH-Stimme“ zuständig. Wie bereits
beschrieben ist er außerdem im Verhältnis zu nicht-parteigebundenen
Strukturen von Bedeutung. Im Allgemeinen versucht er sich an der
Öffentlichkeitsarbeit, gilt in neonazistischen Kreisen allerdings als
unfähig. So wurde ihm schon vor Jahren die Betreuung des Lübecker
„Trauermarsches“ entzogen. Zudem mehren sich gegen ihn und Roland
Fischer die Gerüchte, als „V-Person“ für den Verfassungsschutz aktiv zu
sein, weshalb ihm teilweise feindselig und mit Misstrauen begegnet wird.
Ob ein Angriff auf ihn im November 2012 in diesem Zusammenhang von
Neonazis begangen wurde, ist noch unklar.
Schatzmeister des NPD
Landesverbandes ist Wolfgang Schimmel. In NPD-Kreisen gilt er als
zuverlässig und wurde auch schon für bundespolitische Tätigkeiten
eingesetzt. Neben der rein organisatorischen Aufgabe der Finanzbetreuung
bleibt er aber eher blass. Zudem ist er aufgrund seiner Ehe mit einer
„Nicht-Deutschen“ bei seinen rassistischen Parteikameraden unbeliebt,
außerdem soll ihm auch der antifaschistische Protest gegen seine Person
über die letzten Jahre zugesetzt haben.
Der derzeit aktivste
Kader in Schleswig-Holstein ist Daniel Nordhorn,
“Landesorganisationsleiter” und Vorsitzender des Kreisverbands
Segeberg-Neumünster. Nordhorn bezieht sich gerne in direkter Linie auf
den Nationalsozialismus, ist geschichtsinteressiert und -verherrlichend,
öffentlich vertritt er aber meist die „Raus aus dem Euro“-Kampagne der
Bundespartei. Nordhorn ist als Anmelder für die Mehrzahl der Infotische
in Schleswig-Holstein verantwortlich. Inwieweit seinem emsigen
Engagement in Zukunft auch durch höhere Aufgaben Rechnung getragen wird,
bleibt abzuwarten, denn er gilt Teilen des Landesvorstands als zu
unbeherrscht.
Personen, die der Landesverband in den nächsten
Monaten verstärkt in die Öffentlichkeit rücken will, sind der Kieler
Ratsherr Hermann Gutsche und der Abgeordnete des Kreistages in
Lauenburg, Kay Oelke. Obwohl beide während ihrer Amtszeiten keine
Akzente setzten konnten und öffentlich kaum wahrnehmbar waren, sollen
sie nun die Zugpferde für den Wahlkampf zur Kommunalwahl 2013 werden.
Hierzu wurde eine eigene Website eingerichtet, auf welcher die beiden
über ihre “erfolgreiche” parlamentarische Arbeit berichten sollen und
wie sie den “Blockparteien” das Fürchten lehren wollen. Bemerkenswert
ist, dass die Seite während ihres viermonatigen Bestehens noch keinen
einzigen Eintrag aufweisen konnte. Größere Bekanntheit erlangte Gutsche
nur, als die Polizei seine Wohnung stürmte, weil sie dort im
Zusammenhang mit Geschäften der „Hells Angels“ zwei Pistolen und zwei
Maschinenpistolen vermutete¹³.
Ein interessantes Beispiel für die
persönlichen Machtkämpfe und Streitereien innerhalb der neonazistischen
Szene und damit auch innerhalb der NPD ist der jüngste Parteiaustritt
vom “Organisationsleiter” in Kiel und Anmelder des jährlichen
“Trauermarsches” in Lübeck, Roland Siegfried Fischer. Fischer lebt seit
längerem getrennt von seiner Frau Silke, Mutter der beiden gemeinsamen
Kinder. Nach längeren persönlichen Konflikten, unter anderem um das
Sorgerecht, soll es auch schon zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Ein
Outing und andere Proteste nach dem Bekanntwerden seiner neuen Adresse
machten Fischer zunehmend nervös, sodass er nur noch unter einem
Pseudonym in seiner Wohnung lebt. Der Ehestreit bekam eine
parteipolitische Dimension, als Silke in die NPD eintreten wollte, was
Roland händeringend versuchte zu verhindern. Hermann Gutsche machte sich
daraufhin offen für sie stark. Der Landesvorstand entschied sich für
Silke und verlor mit Roland Fischer einen der aktivsten Kader der
letzten Jahre. Abzuwarten bleibt nun die Entwicklung bezüglich der von
Fischer aufgebauten Gruppe „FN KI“ und seiner Beteiligung am
“Trauermarsch”, der schließlich auch von Kadern mit bundesweiter
Bedeutung wie Thomas Wulff und Dieter Riefling mitgetragen wird.
Insgesamt
scheint die wortwörtliche „Kameradschaft“ innerhalb der NPD entgegen
dem eigenen Selbstverständnis nur mäßig ausgeprägt. Im Vorfeld der
letzten Wahl und anderer Ereignisse konnte die NPD trotz ihres
martialischen Auftretens und dem selbsternannten “Kampf um die Straße”
nie die Oberhand gewinnen. Stattdessen wurden die Neonazis Ziel
zahlreicher Proteste, wie z. B. im Rahmen der Kampagne “Farbe Bekennen”,
im Zuge derer verschiedene Funktionsträger der NPD angegriffen wurden.
In keinem bekannt gewordenen Fall konnten die “Ordnerstrukturen” einen
Angriff verhindern, im Gegenteil wurden die Betroffenen mit ihren
eingefärbten Häusern allein gelassen. Die meisten Neonazis bekamen von
ihren „Kameraden“ weder Unterstützung bei der Säuberung noch Schutz vor
wiederholten Angriffen. Teilweise schien nicht einmal die Führung des
Landesverbandes über alle Angriffe informiert worden zu sein, denn
einige Angriffe fehlten oft wochenlang nach ihrem Bekanntwerden in den
Aufstellungen der NPD-Webseiten. Eine gute Kommunikationsstruktur und
“kameradschaftlicher” Zusammenhalt sehen anders aus.
Die anderen
Funktionäre der NPD haben meist nur regionale Bedeutung und prägen nicht
das Bild des Landesverbandes mit. Ein kurioses Beispiel hierfür ist
Marcus Tietz aus Ahrensbök, ehemaliger “Organisationsleiter” der NPD im
Kreis Ostholstein. Dieser verletzte sich jüngst mit einem Messer an dem
Armen, um einen Angriff des politischen Gegners vorzutäuschen. Durch die
dilettantische Ausführung dieses Planes hat Tietz jetzt ein Verfahren
wegen Vortäuschens von Straftaten erhalten und verlor seine
Parteifunktionen.
Als wichtigster Unterstützer der NPD in
Schleswig-Holstein gilt der Verleger Dietmar Munier. Er betreibt in
Martensrade die “Lesen und Schenken”-Verlagsgesellschaft, in welcher
diverse rassistische, militaristische und neonazistische Schriften
verlegt oder vertrieben werden wie zum Beispiel das monatlich
erscheinende Hetzblatt “Zuerst!” oder die “Deutsche Militärzeitschrift”
(DMZ). Neben der ideologischen Bedeutung seines Verlages bietet Munier
auch ganz konkrete logistische Unterstützung und langjährige feste
Arbeitsstellen für NPD-Kader. So nutzen Neonazis immer wieder seine
Dienstwagen für Fahrten zu Parteiaktionen, aber auch zu militanten
Übergriffen wie am 1. Mai 2011 in Husum. Daneben wird aller
Wahrscheinlichkeit nach die Parteizeischrift “SH-Stimme” in Martensrade
verlegt und gedruckt. Jens Lütke absolvierte bei Munier seine Ausbildung
und arbeitet seitdem dort. Ideologisch bietet Munter neben seinen
Schriften und Devotionalien auch Auftritte bekannter neonazistischer
Theoretiker wie dem Holocaust-Leugner Ernst Zündel¹⁴.
Zu bemerken
ist, dass unter den Kadern keine einzige Frau zu finden ist. Entgegen
dem bundesweiten Trend der rechten Szene, zumindest kleine
Frauenorganisationen aufzubauen, sind solche in Schleswig-Holstein
überhaupt nicht vorhanden.
Als integrative Veranstaltung findet
regelmäßig ein Sommerfest der NPD auf wechselnden Außenflächen und
Feldern statt. Daneben partizipiert die Partei auch an szeneinternen
Veranstaltungen, außerdem werden gemeinsam Sonnenwendfeiern begangen
oder diverse Denkmäler, z.B. in Laboe, besichtigt. In unregelmäßiger
Folge werden auch Liedermacherabende oder Konzerte veranstaltet.
Aufgrund der überschaubaren Größe der Szene und den Möglichkeiten zur
klandestinen Durchführung der Veranstaltungen in einem Flächenland wie
Schleswig-Holstein bleiben diese Veranstaltungen meist ohne
antifaschistischen Protest. Ausnahmen bilden die “Heldentage” zum 8. Mai
und Volkstrauertag, wo die Neonazis insbesondere in den Großstädten mit
Protesten rechnen müssen, wie dieses Jahr in Lübeck, und das kürzlich
verhinderte Fußballturnier von „Bollstein Kiel“¹⁵.
Aktionen
Die
NPD in Schleswig-Holstein beschränkt sich aktionistisch meist auf
Infostände oder kleine Kundgebungen. Wenn diese in den größeren Städten
durchgeführt werden, dann allerdings nicht in den Innenstädten, da die
Neonazis hier mit zu starkem antifaschistischem Gegenwind rechnen
müssen. In Kiel nimmt dieses Spiel teilweise so kuriose Züge an, dass
ein Infotisch aus Angst vor antifaschistischen Protesten in einem
Stadtteil nach 20 Minuten wieder abgebaut wird und die Neonazis in einen
anderen Stadtteil umziehen, wo sich das ganze dann wiederholt. Ein
besonderer Trend ist zudem im Gebiet es Kreisverbands
Segeberg-Neumünster zu erkennen, wo Daniel Nordhorn und sein Gefolge im
Jahr 2012 schon 17 Infostände in teilweise kleinsten Ortschaften
abgehalten haben. Der jüngste in der Kreisstadt Bad Segeberg ging im
antifaschistischen Protest unter¹⁶, in den Dörfern mit wenig Einwohnern
bleiben die Infotische meist unbemerkt. Dennoch hat dieser kleine
Kreisverband unter Daniel Nordhorn die anderen Kreisverbände in puncto
Aktivität damit weit übertroffen.
Inhaltlich kommt die NPD in
Schleswig-Holstein aus ihrem langjährigen Dilemma nicht heraus: Es
fehlen die Führungsfiguren und Vordenker_innen, um eigene inhaltliche
Akzente setzen zu können. Darum wird mangels eigener Möglichkeiten die
Programmatik der Bundes-NPD übernommen. Dem radikalen Landesverband
reichen allerdings keine “weichgespülten” Forderungen wie die Rückkehr
zur D-Mark.
Eine über die eigenen Reihen hinausgehende
gesellschaftliche Partizipation erhielt die NPD zuletzt in den Protesten
gegen „Kinderschänder“ in Leck¹⁷ und Neumünster¹⁸ , wo es organisierten
Neonazis gelang, sich an die Spitze von Protesten „normaler“
Bürger_innen zu setzen. Neben den klassischen Forderungen nach
Zwangskastrationen oder Lynchjustiz kam es dabei teilweise auch zu
Ausschreitungen. Des Weiteren integriert sich die NPD in Aktionen, die
vordergründig den “Freien” zugeschrieben werden, wie den schon erwähnten
“Trauermarsch” in Lübeck oder auch diverse unangemeldete und militante
Aktionen wie in Husum am 1. Mai 2011. Das Mobilisierungspotential ist
bei allen Aktionen eher schwach ausgeprägt. Ohne die maßgebliche
Unterstützung aus Mecklenburg-Vorpommern könnte der jährliche
“Trauermarsch” in Lübeck nicht mehr durchgeführt werden, Infostände
ziehen meist zwischen 2 und 10 Teilnehmer_innen an und Aktionen mit mehr
als 20 Personen sind selten. Die Demonstration in Neumünster zum
Wahlkampfabschluss am 1. Mai 2012 wäre ohne die Unterstützung aus
anderen Bundesländern nicht durchführbar gewesen. In diesem Zusammenhang
hat die NPD neben der geringen Zahl der Sympathisant_innen auch mit der
geringen Motivation in den eigenen Reihen zu kämpfen. Wahlniederlagen,
die schlecht aufgestellte Führung und nicht zuletzt antifaschistische
Interventionen machen es für die Neonazis weniger attraktiv, öffentlich
aufzutreten, als sich an szeneinternen oder militanten Aktionen zu
beteiligen. So ist der gesamte Kreis Ostholstein ein Beispiel für einen
klassischen Rückzugsraum für Neonazis mit funktionierenden
Blood-and-Honour-Strukturen. Hier sind kaum öffentliche Auftritte zu
verzeichnen, dafür eine größere Zahl intern mobilisierter Aktionen.
Fazit
Der
NPD-Landesverband steckt in einer Krise und kann im Moment kaum die
rudimentären Aufgaben einer Partei erfüllen. Während einige
Kreisverbände mit einer Handvoll aktiver Mitglieder noch vergleichsweise
gut aufgestellt sind, sind andere quasi inexistent. Aus
antifaschistischer Perspektive sollten vor allem die persönlichen
Verflechtungen wichtiger Akteure in das kleinkriminelle Milieu
beobachtet werden, denn neben dem momentan existierenden allgemeinen
destruktiven Trend liegt hier noch Potential für die Neonaziszene.
Insbesondere eine erneute Verknüpfung der NPD mit den Rocker- und
Blood-and-Honour-Strukturen um Peter Borchert bleibt abzuwarten, denn
diese sind neben der wirtschaftlichen Basis auch organisatorisch besser
aufgestellt als die NPD und könnten der Partei wieder die ersehnte
Durchschlagskraft “auf der Straße” verschaffen. Diese Entwicklungen
werden sich vermutlich nach der baldigen Haftentlassung von Peter
Borchert absehen lassen.
Ausblick
Das neue Jahr
wird für den NPD-Landesverband ein entscheidendes. Zunächst einmal steht
mit einem möglichen NPD-Verbot eine existentiell wichtige Entscheidung
im Raum. Die Konkurrenz im neonazistischen Lager, „Die Rechte“ um
Christian Worch, läuft sich dafür bereits warm und die Gerüchte um die
geplante Gründung eines eigenen Landesverbandes in Schleswig-Holstein
nehmen zu. Außerdem steht mit der Kommunalwahl eine Art Schicksalswahl
bevor, denn hier entfällt die 5%-Hürde und so können schon bei etwa 1%
der Stimmen Ämter besetzt und damit auch eine politische Partizipation
erleichtert werden. Im derzeitigen Zustand ist das für den Landesverband
ein ambitioniertes, aber zumindest in einzelnen Regionen erreichbar
erscheinendes Ziel. Sollte dies allerdings schon wieder verfehlt werden,
dürften die kritischen Stimmen lauter werden und der Fall in die
politische Bedeutungslosigkeit drohen. Auch der Kampf zwischen den
Flügeln und einzelnen Personen wird vermutlich weitergehen. Ob der
Rauswurf von Tietz und der Austritt Fischers die Situation etwas zur
Ruhe bringen, wird sich zeigen, aber zumindest spricht diese Entwicklung
für eine vorübergehende Stärkung der konservativen Kräfte.Wir werden
unsere Augen und Ohren offen halten.
http://quimera.noblogs.org
¹ http://www.kn-online.de/Lokales/Polizei/Luebecker-NPD-Mitglied-attackiert
²
http://www.ahl-antifa.org/index.php/2012/januar-2012/190-hamburger-abend...
³
http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=725...
⁴
http://www.shz.de/nachrichten/schleswig-holstein/panorama/artikeldetail/...
⁵ http://www.antifa-kiel.org/index.php/news/items/wer-schoss-2010-auf-die-...
⁶ http://www.antifa-kiel.org/index.php/news/items/mit-einem-schlag-das-leb...
⁷
http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=725...
⁸ https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Borchert
⁹ http://antifarendsburg.blogsport.de/2010/04/04/nazis-verteilen-flyer-in-...
¹⁰ http://www.ahl-antifa.org/index.php/2012/maerz-2012/207-rz-startschuss-f...
¹¹ http://daserste.ndr.de/panorama/media/npdwahlkampf100.html
¹² http://de.indymedia.org/2008/06/221041.shtml
¹³ http://www.antifa-kiel.org/index.php/news/items/kieler-npd-ratsherr-guts...
¹⁴ https://www.taz.de/!96129/
¹⁵
http://www.linksfraktion-kiel.de/nc/presse/aktuell/detail/zurueck/aktuel...
¹⁶ https://linksunten.indymedia.org/de/node/73941
¹⁷
http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=697...
¹⁸ http://antifanms.blogsport.de/2012/10/26/nms-proteste-gegen-paedosexuell...
Daniel Zöllner
Daniel Zöllner ist nach wie vor auf freiem Fuß, und arbeitet seit einiger Zeit als Türsteher im "Cheyenne Club" in Rendsburg.
Die NPD in Schleswig-Holstein: Ein Zustandsbericht
Warum investiert ihr noch Zeit in diesem selbstauflösenden Verliererhaufen Namens NPD? Das personelle Potenzial des rechten Lagers in SH ist bedeutungslos, dumm und zum Scheitern verurteilt. Die Führungskader von der ehemaligen AG Kiel (Peter Borchert/Daniel Zöllner), Steinburg/Dithmarschen (unbekannt) und deren Handlangern, die einigermaßen gut organisiert, ernstzunehmend und personell gut aufgestellt waren, sind inhaftiert oder untergetaucht; und das ist auch gut so. Nutzt die Zeit sinnvoller - in diesem Sinne Carpe diem!
anonymus
Macht der NPD mal eine Freude und vermittelt dem unfähigen Vorsitzenden Stawitz eine Beschäftigung als TD2d6HBettvorleger. Dann könnte man ihn von der Parteiarbeit entbinden.