Am 14. Januar 2013 soll im EU-Parlament über ein Papier abgestimmt werden, das im Fall seiner Verabschiedung weitreichende Folgen für alle Menschen haben wird, die in der EU Schutz oder eine Zukunft suchen. Nichtsdestotrotz hat das Vorhaben auch in Kreisen, die sich mit den Themen Flucht und Migration beschäftigen, bisher kaum Beachtung gefunden.
Inhalt der „gemeinsamen Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von
Asylbewerbern “ sind weitreichende Vorschläge zum zukünftigen Umgang der EU-Mitgliedsstaaten mit geflüchteten Personen.
Das gesamte Papier ist im Wortlaut unter folgender Adresse zu finden:
http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st14/st14112-re01.de12.pdf
Der negative Höhepunkt dieses Papiers ist der Artikel 8 (im oben verlinkten pdf-Dokument auf Seite 31–32), in dem verschiedene Gründe aufgeführt sind, mit denen zukünftig die Inhaftierung so gut wie jeder geflüchteten Person legitimiert werden kann.
Pro Asyl hat den Artikel zusammengefasst und beschreibt die Haftgründe folgendermaßen.
„Das europaweit geplante Inhaftierungsprogramm zur Abwehr von Flüchtlingen
Auf der Konferenz der EU-Innenminister am 26. April 2012 wurde ein Entwurf der sogenannten "Aufnahmerichtlinie" beraten, der nun dem Europa-Parlament vorgelegt werden muss. Der Entwurf darf keinesfalls verabschiedet werden, denn er enthält sechs Inhaftierungsregelungen, die lückenlos greifen: Sie erlauben es, jeden asylsuchenden Menschen in der EU jederzeit und an jedem Ort zu inhaftieren:
Haftgrund 1: Feststellung der Identität.
Flüchtlinge sollen zum Zweck der Identitätsfeststellung in Haft genommen werden können.
Erläuterung: Eine Haftbegründung, die nahezu umfassend einsetzbar ist. Viele Menschen erhalten in Verfolgerstaaten keine Papiere oder können nur mit gefälschten Dokumenten entkommen. Schon in diesem Fall kann man sie zukünftig sofort einsperren. Aber auch wenn sie ihren Pass vorlegen, nutzt ihnen das wenig. Zweifel an der Echtheit des Dokuments reichen aus, um sie auch dann zu inhaftieren.
Haftgrund 2: Beweissicherung.
Ist der Inhaftierungsgrund „Feststellung der Identität“ nicht anwendbar? Kein Problem: Flüchtlinge dürfen auch bei stimmigen Dokumenten jederzeit zur Beweissicherung der Fluchtgründe einsperrt werden.
Erläuterung: Für Schutzsuchende ist es existenziell, ihre Fluchtgründe glaubhaft darzulegen. Falls ihnen dies nicht gelingt, müssen sie befürchten, im Asylverfahren abgelehnt zu werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum man Flüchtlinge zur Beweissicherung ihrer Fluchtgründe inhaftieren will? Deutlich erkennbar ist dies eine vorgeschobene Begründung, um Flüchtlinge sofort bei der Einreise festzusetzen.
Haftgrund 3: Prüfung des Einreiserechts.
Wie hindert man Flüchtlinge daran, ihr Recht auf Aufenthalt während der Prüfung ihres Asylantrags wahrzunehmen? Man inhaftiert sie kurzerhand bereits bei der Einreise.
Erläuterung: Eine weitere Inhaftierungsregelung, die bereits im Vorfeld jedes asylrechtlichen Verfahrens greift. Laut Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Schutzsuchende an der Grenze nicht zurückgewiesen werden. Nun können Flüchtlinge bereits zur Prüfung dieses Einreiserechts in Haft genommen werden. Unter solchen Bedingungen ist ein faires Asylverfahren unmöglich.
Haftgrund 4: Verspätete Asylantragstellung.
Mit den bisher genannten Inhaftierungsgründen dürfte die Mehrzahl aller Flüchtlinge bereits an den Grenzen ins Gefängnis geraten. Aber auch wenn Asylsuchenden die Einreise gelingt, können sie ganz schnell in Haft kommen. Eine Verspätung bei der Asylantragstellung genügt.
Erläuterung: Mit dieser Regelung würde das deutsche Haftrecht deutlich verschärft, denn Abschiebungshaft darf bislang nicht als Bestrafung oder Disziplinierung angeordnet werden, sondern nur zur Vorbereitung oder Sicherung der Abschiebung. Nun sollen die Behörden noch vor Abschluss des Asylverfahrens zugreifen und sicherstellen können, dass jeder Flüchtling jederzeit in ihrer Verfügungsgewalt bleibt.
Haftgrund 5: Nationale Sicherheit und Ordnung.
Eine Generalklausel, die so gut wie jede Inhaftierung legitimiert. Diese Bestimmung ist für die Behörden insbesondere dann hilfreich, wenn keiner der vorher aufgeführten vier Inhaftierungsgründe passt.
Erläuterung: „Nationale Sicherheit und Ordnung“ sind völlig unbestimmte Rechtsbegriffe. Behörden haben hier einen unfassbar großen Handlungsspielraum, um Haftmaßnahmen zu rechtfertigen.
Haftgrund 6: Gefahr des Untertauchens.
Für Flüchtlinge im Dublin-II-Verfahren soll es noch eine weitere Möglichkeit geben: Einsperren aufgrund der „ernsthaften Gefahr des Untertauchens“.
Erläuterung: Bereits heute werden Asylantragsteller als „flüchtig“ eingestuft, wenn sie nicht in ihrer Unterkunft angetroffen werden. Aus Sicht der Behörden ist damit der Fall einer „Gefahr des Untertauchens“ gegeben. Die Folgen sind Festnahme und Inhaftierung.
Inhaftierung von Minderjährigen.
Haft für geflohene Kinder und Jugendliche
wird im Richtlinienentwurf ausdrücklich erlaubt.
Erläuterung: Dies ist völlig inakzeptabel. Eine Inhaftnahme richtet bei Kindern schwere seelische Schäden an und ist ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.“
An den Außengrenzen der EU, z.B. in Malta, Ungarn und Griechenland werden Geflüchtete bereits heute unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert und teilweise bis zum Ende ihres Asylverfahrens in Gefängnissen festgehalten.
Auch in Deutschland könnten neu ankommende Geflüchtete statt in Sammelunterkünften, in denen sie bereits heute auf engstem Raum zusammengepfercht und von der Mehrheitsgesellschaft isoliert werden, zukünftig sofort in Gefängnissen untergebracht werden.
Durch die geplanten Maßnahmen wird die Suche nach Asyl weiter kriminalisiert, die Fluchtursachen werden konsequent ignoriert. Menschen, die sich in einer Notlage befinden, werden rassistisch ausgegrenzt und ihrer letzten Freiheit beraubt.
Beteiligt Euch an den Protesten, beispielsweise indem Ihr eine E-Mail an die deutschen EU-Abgeordneten schreibt und diese auffordert, das Papier abzulehnen!
http://flucht-ist-kein-verbrechen.de/index.php?id=1696
Quellen:
http://www.flucht-ist-kein-verbrechen.de/de/hintergrund/
http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st14/st14112-re01.de12.pdf
RDL
Dazu:
Wir fragen uns manchmal auch, ob Menschenrechte in der EU nur eine hohle Phrase sind - Ska Keller zu aktuellen EP-Entscheidungen in der Asylpolitik
In Ba-Wü gibt es aber auch mit grüner Regierung keinen Winterabschiebestopp
Winterabschiebestopp in Thüringen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz - aber nicht in Baden-Württemberg
Inhaftierung
Das sind genau die gleichen Inhaftierungsgründe wie in Australien. Und dort sind mittlerweile ALLE Flüchtlinge bis zum Ende ihres Verfahrens inhaftiert und das kann Jahre dauern. Mittlerweile sogar auf Inseln, die nicht zu Australien gehören. Das geht in Europa jetzt in dieselbe Richtung. Das muss unbedingt verhindert werden!!