Im Juli trafen sich in Hamburg einige sehr wenige Medianaktivisten (Berlin, Hamburg und Nürnberg) zu einem bundesweiten de.indymedia.org-Treffen. Es ging ausschließlich darum, wie und ob der Betrieb der Seite weiter gewährleistet werden kann. Nach einer Bestandsaufnahme kamen sie zu dem Entschluss, dem Projekt de.indymedia.org und sich eine Frist bis zum Frühjahr 2013 zu geben. Bis dahin sollen wieder mehr Aktive gefunden werden und auf ein neues CMS umgestellt (oder zumindest damit begonnen) werden. Werden diese beide Ziele nicht erreicht, so wird de.indymedia.org deaktiviert und archiviert.
Aber der Reihe nach: Was ist passiert?
Vor elf Jahren war die Situation noch eine andere. Im Internet konnten nur Leute etwas veröffentlichen, die eineN BekannteN mit HTML-Kenntnissen zur Seite hatten. Dementsprechend traten die Medien auf. Die Medienlandschaft war sehr homogen. Indymedia wurde in Seattle geboren und nahm den Kampf um die Nachrichten mit der Waffe Openposting auf. Weltweit gründeten sich nach und nach weitere Indymedia Centers (IMCs). So auch in Deutschland. Mittlerweile operieren zwei sehr erfolgreiche IMCs in Deutschland. Es ist immer noch eines der wenigen unkommerziellen und politischen Nachrichten-Projekte. Auch wenn die Artikel tendenziell aus dem Antifa-Bereich stammen, ist es ein strömungsübergreifendes Projekt, welches durch die Moderation lesbar gehalten wird. Aber ein Kuriosum ist heute festzustellen: Während die Seite in der linken Bewegung als Informationsquelle immer noch nicht wegzudenken ist, so gibt es immer weniger Menschen, welche einen selbstgeschriebenen Artikel posten, sich als ModeratorInnen oder ÜbersetzerInnen sowie TechnikerInnen einbringen, usw usf... sprich: Sich am Netzwerk aktiv beteiligen wollen. Scheinbar ist den meisten nicht mehr bewusst, dass "auch Du Indymedia bist". Indymedia funktionert und hat zu funktionieren. Punkt. Es hat sich ein Anspruchsdenken eingestellt: "Warum gibt es keinen Artikel zu ...?", "Wir brauchen dringend ein Feature zu ...!" sind Betreffs von Emails, die täglich auf der Kontakt-Maillingliste eintreffen. Natürlich hat sich das Internet verändert: JedeR kann ohne IT-Ausbildung einen Blog betreiben, weshalb solche Seiten eine nicht mehr zählbare Menge bilden. Die "Crowd" sorgt dafür, dass mit deren Hilfe das größte Lexikon der Welt entstehen konnte und weiter wächst. OpenSource-Software und Linux ist nicht mehr nur für irgendwelche durchgeknallten Nerds einsetzbar, sondern eine große Entwickler-Community sorgt dafür, dass auch normale AktivistInnen die Software einsetzen können, die einfach einen Film drehen oder Bilder bearbeiten wollen. Ferner wurde OpenPosting kommerzialisiert: Mensch kann leicht auf Video-, Bilder- und Weblog- sowie Social Network Portalen seinen / ihren Inhalt unterbringen. Finanzkräftige Unternehmen sorgen dafür, dass die Seiten funktionieren. Jedoch zu deren Bedingungen...
Warum dann noch Indymedia?
Natürlich hat Indymedia damit ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal verloren: Aktionen totschweigen kann heute niemand mehr. Eher gehen Informationen im Rauschen unter, was heute eher das Hauptproblem ist (Mit ein Grund, warum Google eines der größten Konzerne der Welt ist). Nicht nur deshalb ist de.indymedia.org immer noch ein wichtiger Kommunikationskanal über Aktionen linker AktivistInnen. Dort sind Informationen von und für AktivistInnen zu finden. Noch wichtiger aber: Betrieben wird die Seite von einem Kollektiv und keinem Shareholder. Dies jedoch ist ein Merkmal, welches vielen nicht so richtig bewusst ist. Ferner ist die Ausrichtung des Netzwerkes entscheidend: Es gibt eine politische Ausrichtung: Nazis, Sexismus o.ä. sind unerwünscht. Diese politische Richtung wird natürlich wahrgenommen und zu recht genau von der LeserInnenschaft kontrolliert.
Was läuft schief?
Zum einen sind die UserInnen frustriert, da bestimmte Inhalte nicht mehr vorhanden sind oder die Seite teilweise zu lange ohne Moderation verbleibt. Nazis treiben oft viel zu lange ihr Unwesen. Die Moderation wird daraufhin angegriffen und ihr meist unterstellt, dass dies mit Absicht geschehe. Faktisch ist jedoch die Moderation chronisch unterbesetzt. Und das seit mindestens einem Jahr. Dies führt zu Frust auf ModeratorInnen-Seite. Seit mindestens vier Jahren wird versucht, ein neues Content-Management-Sytem (CMS), sprich Software zu entwickeln, welche die Seite erstellt. Siehe dazu Feature aus 2009. Dies ist aber nicht geschehen. Viele Seiten im Indymedia-Netzwerk geben auf oder sind nicht mehr aktiv. Unter anderem unsere NachbarInnen von Imc Österreich erst in diesem Sommer! Aber oft hat es nichts mit der Software zu tun: Häufig werden Presseerklärungen über Aktionen bis ins kleinste Detail für die Mainstream-Median entworfen, damit sich niemand auf den Schlips getreten fühlt. Für Indymedia, für das eigentlich frei von der Leber formuliert werden könnte, bleibt dann nur noch eine Kopie der Presseerklärung. Viele Initiativen verwechseln Indymedia immer noch mit einem Flugblattständer. Hier gibt es noch ein Kommunikationsproblem.
Die Gründe
JedeR von uns ist natürlich von den Möglichkeiten der Web-2.0-Welt verwöhnt. Das 11 Jahre alte CMS von de.indymedia.org kann da verständlicherweise nicht mehr mithalten. Ein Symptom ist hierfür beispielsweise, dass viele zu Artikeln keine Bilder mehr auf Indymedia hochladen, da es schneller geht, sie auf einer kommerziellen Bilder-Seite zu speichern. Ferner ist eigentlich die Aufteilung in ModeratorInnen und UserInnen ohne Zwischenstufen überholt. Sehr viele NutzerInnen würden gerne die Seite mehr mitgestalten, z.B. Artikel von Nazis löschen oder Artikel ins Newswire setzen, jedoch nicht gleich mit den kompletten AdministratorInnen-Rechte für die Seite zu erhalten. Das ist vielen zu viel Verantwortung. Hier könnte ein feiner skaliertes System mehr Menschen einbinden. Auch ist mensch es gewohnt, seine / ihre eigenen Inhalte wieder zu verändern und zu aktualisieren. Dies geht jedoch mit der derzeitigen Software nicht.
Die Alternative
Viele IMCs haben auf Standard-OpenSource-CMS umgestellt: Drupal oder HyperActive als Indymedia-Lösung basierend auf Ruby on Rails. Eine Neuentwicklung für de.indymedia.org kommt bei der derzeitigen Personaldecke allerdings nicht mehr in Frage. Derzeit sind einige Unentwegte daran, Drupal so weit aufzubereiten, dass eine sogenannte UserInnen-Moderation möglich ist. D.h. dass UserInnen über bestimmte Artikel abstimmen können und ihre Artikel ändern können. Drupal ist ein sehr aktives Projekt einer großen Software-Entwicklergemeinde. Daher fällt die Hauptentwicklung nicht IMC-AktivistInnen sondern OpenSource-Entwicklern zu. Derzeit werden sogenannte Module getestet und an dem CSS für die de.indymedia.org-Seite gearbeitet (Projekt auf GitHub). Die UserInnen-Moderation sehen viele als den Schlüssel zum Weiterbestehen des Projekts. Hierdurch können viele Leute sporadisch eingebunden werden und müssen sich auf keine starre Mitarbeit festlegen. Die Kernmoderation kann dann nur mit ein paar wenigen erfolgen.
Kommerziell geht doch auch, oder?
Klar kann mensch auch auf kommerziellen Seiten Artikel (z.B. auf einem Weblog gängiger Portale hierfür) kostenlos erstellen und betreiben. Jedoch muss immer klar sein: Jederzeit können multinationale Konzerne, getrieben durch dubiose Geldgeber und unter Einfluss repressiver Sicherheitsbehörden, über Nacht die Satzungen und Nutzungsbedingungen ändern. Dann verschwinden Seiten von heute auf morgen für immer. Klar kann dagegen geklagt werden, aber das hilft in der aktuellen Aktion nichts mehr. Wenn es jedoch "nur" noch um das Erstellen eines Blogs geht, so gibt es auch hier schon länger Alternativen, welche durch Kollektive betrieben werden. Siehe hierzu diese Seite.
Deshalb: Ein Aufruf!
Es muss sich jedeR Nutzer_In fragen, wie wichtig ihm/ihr das Projekt ist. Die Gemeinschaft steht vor der Frage, ob es de.indymedia.org als Veröffentlichungsplattform weiter braucht. In den letzten Jahren hat sich ergeben, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich für den Erhalt des Netzwerkes einzusetzen. Falls sich keine weiteren Aktiven finden, die sich verbindlicher als jetzt einbringen, so wird sich de.indymedia.org wohl im Frühjahr/Sommer 2013 selbst auflösen. Eine Deadline ist für uns wichtig, da wir vermeiden möchten, dass das Projekt dahinsiecht und irgendwann nur noch als Spam-Seite endet, wie es anderen Indymedia-Projekten passiert ist. (siehe z.b. Indymedia DK) Frei nach dem Motto "der letzte macht das Licht aus" würde ein solches Ende auch dazu führen, dass nach unbezahlten Rechnungen die Seite dann irgendwann einfach vom Netz genommen werden würde. Um das zu vermeiden haben wir uns entschlossen, nach Ablauf der Deadline im besten Fall de.indymedia.org als Veröffentlichungsplattform weiter zu betreiben oder aber, falls die Deadline ergebnislos verstreicht, die Seite zu Archivieren und in einer letzten Kraftanstrengung zu versuchen, die Rechnungen für die nächsten Jahre aufzubringen. Darüber hinaus würden wir es Schade finden, wenn die Bekanntheit von de.indymedia.org nicht weiter genützt würde und würden die Seite daher umbauen zu einem Sammelbecken, bei denen die Nachrichten verschiedener Blogs automatisch auf einer Seite abrufbar sind. (Ähnlich zu BeTheMedia.org.uk)
Eine Bitte noch
Bevor hier eine wilde Ergänzungsschlacht losgetreten wird, tragt Euch doch bitte auf der imc-germany@lists.indymedia.org ein und diskutiert dort mit. Das macht eine Diskussion übersichtlicher. (Achtung, diese Liste ist öffentlich auch von Suchmaschinen einsehbar, also vielleicht nicht gerade die Privat-Email-Adresse dafür nehmen)
Nicht mehr
Ich gehe in letzter Zeit kaum noch auf de.indymedia.org. Wozu auch? Die Artikel finden sich fast alle auch auf linksunten. Aber hier habe ich nicht das Gefühl auf einem Friedhof unter lauter Zombies zu sein.
hä?
right
Ich habe den einleitenden Kommentar von der Person, die den Artikel rüberkopiert hat, oben rausgenommen, da es sich um einen Kommentar handelt. Here it is:
Fraglich ist, was folgender Text für die deutschsprachige Indymedia-Landschaft bedeutet, vor allem wenn das de-kollektiv seine Drohung war macht. Das sich etwas ändert nicht ja vermutlich niemand an. Aber lesst erstmal selbst und äußert eure Gedanken gerne in den Kommentaren:
Korrektur
es sollte eigentlich heißen:
Das sich etwas ändert, nimmt ja vermutlich niemand an.
Korrektur?
Ich will nicht kleinlich sein, aber "dass" wird mit Doppel-s geschrieben. Es geht hier doch um "Bildung von unten"...
hüben wie drüben
Unter dem Artikel auf de.indymedia.org wird auch diskutiert, auch wenn das dort wohl nicht erwünscht ist:
http://de.indymedia.org/2012/10/336058.shtml#comments
Wird auch Zeit, dass das Elend ein Ende hat
Ich empfinde den Text als Drohung: "Wenn ihr nicht..., dann..." Das finde ich anmaßend, aber darin spiegelt sich nun einmal die Hierarchie zwischen NutzerInnen und ModeratorInnen des Projekts wider. Wer soll euch denn die neue Website programmieren? Und vor allem: warum? Wenn ich in der Situation wäre mir zu überlegen, ob ich eine Indymedia-Seite erstelle, dann würde ich das sicher nicht mit der ModeratorInnengruppe von Indymedia Deutschland machen. Im Gegenteil würde ich dafür Sorge tragen, dass diese Leute, die für Zensur und Reformismus stehen, nicht bei dem neuen Projekt mitmachen.
Hmm
Indymedia ist schon eh überflüssig geworden. IndymediaLinksunten ist viel besser.
egal was man von indymedia hält
es hat eine wichtige funktion erfüllt. dass die entwicklung bei indymedia nicht im sinne vieler nutzer war, liegt doch aber offensichtlich daran, dass viele nutzer nur konsumenten waren. in kommentarspalten meckern ändert nichts; nur selber aktiv mitarbeiten ändert etwas. so gesehen wird auch linksunten früher oder später das gleiche problem bekommen.
scheint so, als wenn die einzige konstante der linken in deutschland darin besteht, sich regelmäßig und nachhaltig selbst zu zerlegen.
wieso?
So ein Quatsch. Wieso soll ich bei einem Projekt mitmachen, das mir nicht gefällt und dessen Zielsetzung nicht meinen politischen Ansichten entspricht? Mitarbeit? Ich kann auch was eigenes machen, oder ganz was anderes, vielleicht sogar gar nichts. Was ist denn das für ein Totschlag-Argument, dass mensch nicht kritisieren darf und stattdessen mitmachen muss? Ich kann sehr wohl meine Kritik äußern, die Aspekte, die meine Teilnahme daran verhindern, zur Sprache bringen, und das war's.
Für die Beibehaltung von de.indymedia.org
... als Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker, Antiimps, Hippies und all die anderen Trolle, die dort unterwegs sind und bei den dortigen Mods anscheinend nicht immer auf Ablehnung stoßen.
de.indy bleibt!
Tjaaaaaaaaaaa
Tjaaaaaaaaa,
bei mir war das so, dass immer mehr Artikel/ Kommentare von mir oder auch anderen (die ich gerne kommentiert hätte) plötzlich einfach "versteckt" waren. In einem Fall fragte ich per Mail nach dem Grund, Antwort: er habe den Artikel jetzt auf die Schnelle nicht gefunden ... Irgendwann hatte ich die Nase voll von dieser Zensur - und lese&schreibe seither nur noch bei linksunten ...