Schulden - Die ersten 5000 Jahre

Schulden, die ersten 5000 Jahre

Ein Buch von David Graeber, US-Amerikanischer Anthropologe und Anarchist, gehört zu den Gründern der Occupy-Bewegung

 Dieses Buch ließ selbst Frank Schirrmacher, Herausgeber der F.A.Z., zweifeln, ob die Linken all die Jahre nicht doch Recht hatten. Es sei ein „herrliches und hilfreiches Buch“. Das macht gespannt auf das Buch eines amerikanischen Anthropologen, der sich selbst als Anarchisten verstanden wissen will und der zu den Gründern der Occupy-Bewegung zählt.

 

Es soll um Schulden gehen in diesem Buch. Das verspricht schon der Titel. Der nicht unbescheidene Untertitel verspricht gar eine Aufarbeitung der ersten 5000 Jahre. Eine große Aufgabe, die sich Graeber da auf fast 500 Seiten vorgenommen hat. Wir werden sehen, ob es halten kann, was es verspricht und – viel wichtiger – ob es zu neuen Erkenntnissen führt, ob es gar die Sicht auf die Welt und ihre zurzeit größte Sorge, die Wirtschaft, verändern kann.

 

 

Kapitel 1: Über die Erfahrung der moralischen Verwirrung


Das Kapitel beginnt mit einer Anekdote, wie Graeber einst auf einer Gartenparty eine Anwältin, „aber eine von der engagierten Sorte“, die für eine Stiftung arbeitet, kennenlernte und mit ihr ins Gespräch kam. Ich stutze, als er schreibt, die Anwältin habe den IWF (Internationaler Währungsfonds) nicht gekannt. Was lernen diese angel-sächsischen Anwälte eigentlich? Wie kann sie dann für eine Stiftung arbeiten? Aber was soll’s, darum geht es ja in diesem Buch nicht.

 

Der IWF sei das „Äquivalent zu den Jungs, die kommen und einem die Beine brechen.“, lese ich. Oho. Doch er hat interessante Fakten dazu und die sollte man sich tatsächlich einmal genauer anschauen. Der IWF ist also so etwas wie ein globaler Schuldeneintreiber. Angefangen habe das Ganze mit der OPEC. Als die reichen Ölstaaten zu ihrem Geld kamen, haben sie das erstmal haufenweise nach Amerika getragen und die völlig überforderten Banken wussten gar nicht, was sie mit diesen plötzlichen Geldbeständen anfangen sollten.

 

Was macht man in so einem Fall? Genau – man schwätzt Leuten Kredite auf, die sie zwar gar nicht brauchen, aber von denen man sich Rückzahlung und natürlich ordentliche Batzen an Zinsen verspricht. Also sind sie nach Afrika und haben irgendwelchen Diktatoren große Kredite angedreht. Ob die nun in irgendwelche dunkle Kanäle flossen oder dem Land zu Gute kamen, war dabei selbstverständlich herzlich egal. Später übrigens, seit 2000, da immer noch so viel Geld da war und die Länder schon versorgt waren, wurde das Spiel auf die amerikanische Bevölkerung ausgeweitet. Irgendwann vergab man Kredite, ohne sich je für Sicherheiten der Kreditnehmer wie Einkommen und Vermögen zu interessieren.

 

Zurück zu den afrikanischen Diktatoren. Was passiert, wenn diese plötzlich nicht mehr zurückzahlen können? Nun, zum Glück gibt es den IWF, weiß Graeber. Denn der hat diese Staaten nun in der Hand, kann ihnen Strukturanpassungen vorgeben. Auch das wurde gut verkauft. Denn die Öffnung der Märkte musste natürlich mit einer Demokratisierung einhergehen. Wie toll: Die schwachen Märkte dieser Länder wurden den billigen Nahrungsimporten westlicher Agrarindustrie ausgesetzt und verkaufen konnte man das Ganze als Demokratisierung? Klingt super, klingt einfach. Der IWF hat sich also mitnichten um die armen hungernden Menschen gekümmert, sondern knallharte Interessenspolitik betrieben.

 

Richtig interessant wird es jetzt erst. Das grundsätzliche Problem sieht Graeber in einem einfachen Satz, nämlich in der „Voraussetzung, dass Schulden überhaupt zurückgezahlt werden müssen.“ Ein sehr spannender Gedanke, über den ich so noch nie nachgedacht habe. Das klingt so selbstverständlich, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen. Wenn ich mir Geld leihe, dann zahl ich das natürlich zurück, sonst krieg ich Ärger. Logisch. Ist es aber gar nicht, schon gar nicht im globalen Finanzsystem betrachtet. Denn dort gibt es Zinsen.

 

Graeber drückt das so aus: „Das Erstaunliche an dem Satz „man muss seine Schulden zurückzahlen“ ist, dass er nach der ökonomischen Standarttheorie gar nicht stimmt.“ Und wieso ist das so? Ganz einfach: „Wer Geld verleiht, muss ein gewisses Risiko tragen.“ Das leuchtet ein. Eben dafür habe ich ja Zinsen. Ich kann mir eigentlich nicht sicher sein, dass ich das Geld zurückbekomme, je unsicherer ich mir bin, desto höhere Zinsen verlange ich. Trotzdem wird es als selbstverständlich erachtet, dass Schulden zurückzuzahlen seien.

 

Das Problem an dieser Vorstellung destilliert Graeber prägnant und einleuchtend: „Stellen wir uns aber einmal vor, es gäbe ein Gesetz, dass der Bank garantiert, dass sie ihr Geld unter allen Umständen zurückbekommt, selbst wenn es bedeuten würde, dass ich, sagen wir einmal, meine Tochter in die Sklaverei oder meine Organe verscherbeln müsste oder etwas in der Art. Warum sollten sie mir dann das Geld nicht geben? Und lieber warten, bis jemand hereinspaziert, der einen realistischen Plan für einen Waschsalon oder dergleichen hat? Im Grunde ist genau das die Situation, die der IWF auf globaler Ebene geschaffen hat – auf diese Weise kriegt man alle Banken dazu, dass sie einer Bande offensichtlicher Gauner Milliarden von Dollar zuschieben.“

 

Denkt man einmal weiter, ist es nicht nur der IWF, der für diese für Banken komfortable Situation gesorgt hat. Denn schließlich springt der Steuerzahler ja gerne mal in die Bresche (leider wird er nicht danach gefragt), wenn eine der großen Banken sich ein wenig verzockt hat. Passiert ja jedem mal. Da vergessen wir auch schnell wieder die Finanzkrise von 2008, wenn heute, vier Jahre später, plötzlich wieder Meldungen auftauchen, JPMorgan habe, wieder einmal, beinahe fünf Milliarden einfach verzockt. Ja machen die denn einfach so weiter?

 

Einen weiteren Gedanken, den Graeber anreißt, will ich noch kurz darstellen. In der Dehnbarkeit des Begriffs Schulden sieht er die Grundlage zu ihrer Macht. Es gebe „keine bessere Methode (…), auf Gewalt gegründete Beziehungen zu verteidigen und moralisch zu rechtfertigen, als sie in die Sprache von Schuld zu kleiden – vor allem, weil es dann sofort den Anschein hat, als sei das Opfer im Unrecht.“

 

Jedenfalls freue ich mich auf die weitere Lektüre. Es hat fulminant begonnen. Das lässt hoffen.

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