Bundespräsidenten: Vollpfosten in Amt und Würden

Erstveröffentlicht: 
04.02.2012

Bundespräsident Christian Wulff soll "das Amt beschädigt" haben. Dabei hat dieses Amt schon so manchen peinlichen Vorgänger ertragen.

 

Der Jasager

 

Theodor Heuss, als FDP-Mitglied gewählt, Bundespräsident von 1949 bis 1959: Wie alle Abgeordneten der Deutschen Staatspartei stimmte Heuss im März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zu. "Ich wusste schon damals, dass ich dieses ,Ja' niemals würde aus meiner Lebensgeschichte auslöschen könne", notierte er später in seinen Memoiren. Aber so wichtig war das nicht. Denn: "Das Ermächtigungsgesetz hat für den praktischen Weitergang der nationalsozialistischen Politik keinerlei Bedeutung gehabt."

 

 

Kurz nach Heuss folgenlosem Ja wurde sein semikritisches Buch "Hitlers Weg" verbrannt. Heuss fand dies damals "nicht zu tragisch". "Unerfreulich" sei nur, dass "mein Name neben einigen der Literaten steht, die zu bekämpfen meine wesentliche Freude" gewesen sei. Diese Freude gewann er nach dem Krieg zurück und meinte als Kultusminister von Württemberg-Baden zur Umbenennung von Straßen: "Für einen Krampf halte ich, etwa Ossietzky, Ernst Toller und gar Erich Mühsam zu verewigen."

 

Der Depp

 

Heinrich Lübke, CDU, 1959 bis 1969: Ob Lübke in Liberia seine Gastgeber wirklich mit "liebe Neger" angeredet hat, ist nicht dokumentiert. Zuzutrauen aber war das dem früheren Bauernfunktionär allemal. Denn verbürgt sind zahlreiche andere aufschlussreiche Bemerkungen, etwa diese von einem Staatsbesuch 1966 in Madagaskar: "Die Leute müssen ja auch mal lernen, dass sie sauber werden." Doch so dumm dieser Spruch war, er wies eine Klarheit auf, die Lübke in seiner zweiten Amtszeit nur noch selten erreichte.

 

Mit seinem wirren Gestammel, das die Zeitschrift Pardon der Nachwelt auf einer Platte erhalten hat, machte er sich zum Gespött. 1968 musste sich Lübke als erster Bundespräsident im Fernsehen rechtfertigen. Als Mitglied der "Baugruppe Schlempp" hatte er Unterkünfte für KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter gebaut, was Lübke stets als von der DDR gestreute Verleumdung zurückwies. Tatsächlich überhöhte die Arbeiter-und-Bauern-Macht die Rolle Lübkes und schlachtete sie propagandistisch aus. Im Kern sind die Vorwürfe aber wahr.

 

Der Ausrutscher

 

Gustav Heinemann, SPD, 1969 bis 1974: Ein Mann, der erklärtermaßen nicht den Staat, sondern seine Frau liebte und auch sonst durch nichts für das Amt qualifiziert war: Anders als seine Vorgänger hatte er keinen Führer ermächtigt und keine KZ-Baracken gebaut. Anders als seine drei Nachfolger (und als sein Gegenkandidat, der CDU-Politiker Gerhard Schröder, der prompt die 22 Stimmen der NPD bekam) hatte er weder Verantwortung in der NSDAP übernommen noch in der SA oder der Wehrmacht gedient.

 

Nein, Heinemann gehörte dem evangelischen Widerstand an. Aus Protest gegen die Wiederbewaffnung trat er 1951 als Bundesinnenminister zurück und aus der CDU aus und leitete später als Justizminister der SPD, zu der er nach dem Scheitern seiner Gesamtdeutschen Volkspartei gewechselt war, eine Humanisierung des Strafvollzugs ein und zeigte Wohlwollen für die revoltierende Jugend. Noch heute rätseln Historiker, wie es zu einer solchen personalpolitischen Panne kommen konnte.

 

Der Troubadour

 

Walter Scheel, FDP, 1974-1979: Als junger Mann war Scheel Mitglied der NSDAP und Offizier der Luftwaffe, als Außenminister wirkte er an der Ostpolitik mit und verpasste der FDP ein sozialliberales Programm (könnte heutzutage den Verfassungsschutz interessieren). Als Präsident machte er das, was der Parvenü "auf den Putz hauen" nennt: Er ließ seine Dienstvilla mit mondänen Accessoires aufhübschen, den Weinkeller mit Champagner auffüllen und hatte noch Jahre später die höchste Spesenrechnung aller Würdenträger a. D.

 

Die Bilanz wäre also ausgeglichen und der jovial-biedere Scheel vergessen, wäre da nicht ein grobes ästhetisches Vergehen: "Hoch auf dem gelben Waahaagen / Sitz ich beim Schwager vorn / Vorwärts die Rosse traahaaben / Lustig schmettert das Horn", sang Troubadix Scheel und gelangte damit, als wollte er beweisen, dass die Modernisierung der Ära Brandt eine Lüge war, auf Platz 5 der deutschen Charts.

 

Der Wandersmann

 

Karl Carstens, CDU, 1979-1984: 1933 trat Carstens der SA und später der NSDAP bei. Später fiel der Rechtsprofessor als glühender Befürworter der Berufsverbote und als ebenso glühender Gegner der Oder-Neiße-Grenze auf. Oder indem er Heinrich Böll vorwarf, dieser habe "unter dem "Pseudonym Katharina Blüm" ein gewaltverherrlichendes Buch geschrieben. Strafrechtlich relevant war das nicht. Dass ein Gericht "erhebliche Anhaltspunkte" dafür erkannte, dass Carstens als Fraktionschef der CDU/CSU vor einem Untersuchungsausschuss (zu Verbindungen des Bundesnachrichtendienstes zum Waffenhandel) eine Falschaussage gemacht hatte, hingegen schon.

 

Als Präsident wanderte er mit seiner Frau Veronica durchs Land und gab hernach zu Protokoll: "Es war überall sehr schön." Und sonst? Hier ein gutes Wort für die Atomkraft, dort ein Verdienstkreuz für einen argentinischen Putschisten, was man halt so macht, wenn das Amt ranzig und der Amtsträger rüstig ist.

 

Der Saubermann

 

Richard von Weizsäcker, CDU, 1984-1994: Mitte der Sechziger gehörte Weizsäcker der Geschäftsleitung des Chemieunternehmens Boehringer Ingelheim an, wo seinen Biografen Werner Filmer und Ernst Schwan zufolge "keine wichtige Unternehmensentscheidung" ohne ihn fiel. Als bekannt wurde, dass die Firma Bestandteile des Entlaubungsmittels Agent Orange, an dessen Einsatz die Vietnamesen bis heute leiden, in die USA geliefert hatte, ließ Weizsäcker wissen, er habe davon nichts gewusst. Als Adjutant des Regimentkommandeurs war Weizsäcker am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt. Vom Treiben der SS-Einsatzgruppen hinter der Front, so ließ er später wissen, habe er nichts gewusst.

 

Als 1991 ein Mitarbeiter des Sterns eine Geschichte über Kriegsverbrechen recherchierte, die Soldaten von Weizsäckers 23. Infanteriedivision begangen hatten, ließ dieser wissen, er habe davon nichts gewusst - ebenso wie er nichts darüber wusste, warum der Stern die Geschichte plötzlich nicht mehr drucken wollte. Dabei verdankt Weizsäcker seinen tadellosen Ruf vor allem der Rede, die er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", sagte er, und man möchte ihm heute noch zurufen: Potzblitz, darauf muss man erst mal kommen!

 

Befreit wurde nach Weizsäckers Lesart auch sein Vater Ernst, SS-Brigadeführer und wegen der Deportation von 6.000 französischen Juden nach Auschwitz zu fünf Jahren Haft verurteilter Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Richard stand seinem Vater als Hilfsverteidiger zur Seite, und hält das Urteil immer noch für ungerecht. Ernst von Weizsäcker hatte sich übrigens in Nürnberg damit verteidigt, von den Vorgängen in Auschwitz habe er nichts gewusst.

 

Der Richter

 

Roman Herzog, CDU, 1994 bis 1999: Nazi war Herzog nicht, er ließ sich nur von welchen fördern: von NS-Marinerichter Hans Filbinger etwa, der ihn 1978 ins baden-württembergische Kabinett holte; oder seinem Doktorvater Theodor Maunz, der erst das "Judentum in der Rechtswissenschaft" bekämpfte, dann zum einflussreichen Grundgesetzkommentator aufstieg und bis zu seinem Tod 1993 anonym für die Nationalzeitung schrieb.

 

Herzog brachte es bis zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und erläuterte als solcher, dass das verfassungsmäßige Verbot der Todesstrafe nicht etwa das bedeute, was der Laie darunter versteht (ein Verbot der Todesstrafe). Als Bundespräsident hielt er 1997 die erste "Berliner Rede" eines Bundespräsidenten, die in Ton und Inhalt an ältere Berliner Reden erinnerte: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von lieb gewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen." Dann übernahmen Schröder, Fischer und Hartz.

 

Der Frömmler

 

Johannes Rau, SPD, 1999-2004: Kein anderer späterer Bundespräsident fühlte sich bereits als junger Mann derart zur Schulmeisterei und also zum Amte berufen wie Rau. Als Redakteur evangelischer Magazine belehrte er junge Leute über den gottgefälligen Lebenswandel. Als Bundespräsident eilte ihm der Ruf voraus, er halte große Reden und erzähle famose Witze. Diesen etwa: "Karl-Otto, warum warst du nicht auf der letzten Ortsvereinsversammlung?" - "Wenn ich gewusst hätte, dass es die letzte ist, wäre ich gekommen."

 

Gar nicht witzig hingegen meinte Rau so was: "Die Welt mag im Argen liegen, aber da soll sie nicht liegen bleiben." Als ein paar Schummeleien (eine Geburtstagsfeier und private Flugreisen auf Kosten der WestLB) aus seiner Zeit als Ministerpräsident von NRW herauskamen, korrigierte er seine Aussagen so lange, bis die Öffentlichkeit eingelullt und - für einen Berufsprotestanten das Wichtigste - sein Gewissen rein war.

 

Der Banker

 

Horst Köhler, CDU, 2004-2010: Als Staatssekretär war Köhler daran beteiligt, im Zuge der Wiedervereinigung die Sozialkassen zu ruinieren, später gab er als IWF-Direktor den darbenden Argentiniern den Rest. Als Bundespräsident aber wollte er mehr sein als ein Sparkassenfilialleiter, weshalb er sich fatalerweise seinen Vorgänger statt zur Warnung zum Vorbild nahm: "Ich will den Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sehen wie einen Baum mit Wurzeln an beiden Enden des Stammes. Die Wurzeln des Vereins sind in Hamburg verankert. Aber der Verein hat es geschafft, auch in Afrika Wurzeln zu schlagen."

 

So ging das in einem fort. Köhler sprach von festen, tiefen, langen und verzweigten Wurzeln, von kulturellen, historischen, religiösen, beruflichen und ethischen, von einheimischen Wurzeln und von Wurzeln von weit her. Als er seinen Wurzelrednerjob schmiss, waren die Medien keinesfalls erleichtert, sondern warfen ihm vor, er habe damit, na klar, das "Amt beschädigt".

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