Staat und Nazis Hand in Hand?

Silvio-Meier-Demo 2010: "Kampf den Nazis! Kampf dem Staat! Für eine Gesellschaft ohne Rassismus und Ausgrenzung!"

Über Neonazi-Gewalt und ihre gesellschaftlichen Ursachen.
Deutschland - ein Land kotzt sich aus,
einen alten braunen Brei.
Seh’ ich aus dem Fenster, wird mir übel von dieser Heuchelei.
Alle schauen sich hilflos um und wissen nicht warum
und in welchen Löchern die Ratten lagen, die hier marschieren und losschlagen.
Doch sie lagen nicht in Löchern rum, oft sahen wir sie auf der Straße gehen
und sie grüßten dich mit gestrecktem Arm, du hast einfach weggesehen.
SLIME, „Schweineherbst“, 1994

 

 Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Die erst jetzt, Jahre später bekannt gewordenen faschistischen Morde des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) erfüllen uns mit tiefer Trauer. Dass Neonazis in Deutschland über Jahre hinweg unbemerkt Sprengstoffanschläge begehen, sowie zahlreiche Menschen erschießen können, hat auch uns verwundert und erschreckt. Wir möchten betonen, dass nicht die Tatsache, dass Nazis skrupellos Menschen ermorden verwunderlich ist, sondern dass dies im Deutschland des 21. Jahrhunderts über Jahre hinweg weder die Behörden, noch die demokratische Zivilgesellschaft, noch unabhängige Antifaschist*innen bemerken.

 

Gewalt ist schließlich zentraler Teil faschistischer Ideologie, friedliche Nazis gibt es nicht. Ob sich die fundamental gewalttätige Ideologie der Neonazis in realen Taten manifestiert und welche Ausmaße diese annehmen, hängt nicht von den einzelnen Nazis ab, sondern von der Gegenwehr, die ihnen - von welcher Seite und in welcher Form auch immer - entgegenschlägt. Es ist kaum verwunderlich, dass VertreterInnen der Nazi-Partei NPD sich in Interviews von den Gewalttaten des NSU distanzieren. Dies taktische Kalkül angesichts der nun reflexartig wiederauflebenden Debatte um ein erneutes NPD-Verbotsverfahren sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieselben NPD-Vertreter in einer für sie günstigen politischen Situation diejenigen wären, die ihnen verhasste Menschen-Gruppen mit Terror und Gewalt überziehen würden. So hegen, wie interne Partei-Leaks offenbaren, zahlreiche NPD-Mitglieder große Sympathie für die Gewalttaten des NSU. Die Ideologie der Nazis, die sich „fremdrassige“ Menschengruppen imaginiert, die durch ihre reine Existenz den „deutschen Volkskörper“ schädigen würden, bietet in ihrer logischen Konsequenz keinen anderen Ausweg, als dass jene „volksschädlichen Elemente“ ausgelöscht werden.

 

183 Todesopfer rechtsradikaler und rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990 (nach einer aktuellen Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung) sprechen eine deutliche Sprache. Wer durch das Bekanntwerden des NSU von der Gewalttätigkeit deutscher Neonazis überrascht wurde, wie scheinbar viele Politiker*innen und Journalist*innen, muss die Augen vor dem hiesigen Alltag verschlossen gehabt haben. Tagtäglich registrieren zivilgesellschaftliche und antifaschistische Initiativen bundesweit zahlreiche rechte Aktionen, Pöbeleien, Überfälle und Angriffe – nebenbei keinesfalls ausschließlich in dem Gebiet der ehemaligen DDR oder in ländlichen Regionen. Die Opfer sind meist als „Ausländer“ Stigmatisierte und (vermeintliche) Linke, sowie (vermeintliche) Jüdinnen und Juden, Homo- und Transsexuelle, Wohnungslose und Sinti und Roma.

 

Wenn wir die Mordserie des NSU betrachten, macht uns zwar auch die Brutalität und abscheuliche Selbstinszenierung der TäterInnen kurzzeitig sprachlos, vor allem aber die Nichtreaktion der Behörden. Sowohl den Thüringer, als auch den Bundesbehörden waren die drei TäterInnen schließlich keine Unbekannten. Schon 1997 wurde gegen sie und andere Mitglieder der (legalen) Nazi-Gruppe „Thüringer Heimatschutz“ wegen dem Bau von Bombenattrappen ermittelt. Sie fielen damals bereits in Jena durch Morddrohungen gegen Linke, Gewerkschafter*innen und Journalist*innen auf. Die Polizei verhörte sie mehrmals, ließ sie aber immer wieder laufen. Erst als in der Garage eines der späteren NSU-Mitglieder fünf funktionsfähige Rohrbomben und 1,4 Kilogramm Sprengstoff entdeckt wurden, mussten die späteren MörderInnen untertauchen. Seitdem fehlte angeblich jede Spur von ihnen – bis zum November dieses Jahres, als zwei der drei TäterInnen Selbstmord begingen und die Dritte im Bunde sich der Polizei stellte.

 

Dass polizeilich gesuchte Menschen im heutigen Deutschland untertauchen können, ohne dass die Behörden davon etwas mitbekommen, ist so gut wie unmöglich. Der deutsche Staat verfügt über die modernsten und mit am Besten miteinander verknüpften Exekutivinstitutionen der Welt: Wer nicht ins Ausland flieht, den kriegen die deutschen Behörden früher oder später – wenn sie es nur wollen. Angesichts der Vehemenz mit der Verfassungsschutz und Polizei vielerorts gegen Linke vorgehen, ist das Versagen der staatlichen Repressionsbehörden im Fall NSU nur dadurch zu erklären, dass der deutsche Staat den inneren Feind längst auf der linken Seite des politischen Spektrums ausgemacht hat. Die außerparlamentarische Linke steht, scheinbar im krassen Gegensatz zur neofaschistischen Rechten, seit einigen Jahren verstärkt im Fokus von Verfassungsschutz & Co. Die sogenannte „Extremismusklausel“ von Bundesfamilienministerin Schröder fixiert die nicht nur wissenschaftlich unhaltbare Gleichsetzung von Links und Rechts und knüpft die Vergabe von staatlichen Geldern an ein Bekenntnis zum Grundgesetz. Sie zielt darauf ab, die Arbeit linksradikaler Antifa-Gruppen massiv zu erschweren. Jedoch sind es vielerorts gerade jene, die in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren effektive Arbeit gegen Neonazis leisten. Zitat Katharina König, Landtagsabgeordnete in Thüringen: „Wenn die Landesregierung keine Ahnung hat, soll sie halt die Antifa fragen.“ Dass die Antifa fundamentale gesellschaftliche Ursachen für Neonazi-Gewalt benennt und die Leibnizsche These von „der besten aller möglichen Welten“, gerade auch angesichts der permanenten Aktualität des Faschismus verneint, ist dem deutschen Staat ein Dorn im Auge.

 

„Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus schweigen.“ schrieb einst Max Horkheimer. Auch unserer Meinung nach ist es kein Zufall, dass ausschließlich die bürgerliche Gesellschaft / der Kapitalismus zu jeder Zeit seiner Existenz faschistische Ideologie hervorgebracht hat. Die im Kapitalismus systematisch zu reinen Subjekten der Konkurrenz vereinzelten Individuen, tendieren auf individualpsychologischer Ebene zu Ideologien kollektiver Identität. Als emotionalem Ausgleich zu einem gesellschaftlichen Alltag, in dem jede*r auf sich allein gestellt ist, sucht sich das moderne Individuum einerseits Autoritäten und andererseits möglichst starke Kollektive, beides um ein gewisses Maß an Sicherheit und Halt in einer ihm feindlich gesinnten Umwelt zu erheischen. Rassismus und Nationalismus erweisen sich somit als reaktionärer Kompensationsversuch der bürgerlichen Ohnmacht, die das Elend der Welt zwar sieht und im Regelfall auch negativ bewerten kann, als „Privatperson“ allerdings über keine Mittel verfügt, in das gesamtgesellschaftliche Geschehen tatsächlich einzugreifen.

 

Was lässt sich schließlich und trotzdem tun gegen Neonazis und ihre (alltägliche) Gewalt?

Zunächst einmal muss es allen Nazi-Gegner*innen ein Anliegen sein, dass die staatliche Repression gegen unabhängige Antifaschist*innen z.B. mittels der „Extremismusklausel“, permanenter Überwachung und haufenweise Strafverfahren aufhört. Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern – und das beweist die Mordserie der NSU auf tragische Weise erneut – extrem wichtig! Das in den letzten Jahren von Politik und deutscher Öffentlichkeit in besonderem Maße gepflegte Feindbild „Linksextremismus“ schwächt letztlich jene, die effektiv und wo es sein muss unkonventionell gegen Neonazis arbeiten.

Zweitens sollte das Geld, mit denen der Verfassungsschutz seine V-Leute, beziehungsweise die rechte Szene selbst finanziert, lieber in Antifa-Projekte investiert werden. Liebe Verfassungsschützer*innen: Wir stellen auf Anfrage gerne unsere Kontodaten zur Verfügung. Auch ein zuletzt in die Diskussion eingebrachtes „Verbot“ des Verfassungsschutzes ist an sich erstmal eine gute Sache.

Drittens würde ein Verbot der für den bundesweiten Neofaschismus zentralen Organisations- und Finanzierungsinstanz NPD unserer Einschätzung nach zu einer unvergleichlichen Schwächung der Nazi-Szene und deren Aktivitäten führen und ist deshalb auch zu befürworten. Allerdings lassen sich Einstellungen und Denkweisen nicht verbieten. Die infolge medial aufgegriffener Nazi-Gewalttaten regelmäßig und reflexartig geführte Diskussion über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren verschleiert, dass Rassismus, Nationalismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit in quasi allen gesellschaftlichen Milieus existieren und verhindert eine Auseinandersetzung mit deren tiefer liegenden sozialen Ursachen.

 

 

Und wieder setzt du dich hin und fängst an zu beten,

dabei müsstest du wissen, du solltest schreien und diese kleinen Tiere zertreten.

Doch das geht zu weit, ich seh’ euch winden

und während sie immer mehr Menschen anzünden,

bist du noch immer am Reden, am Differenzieren, man dürfte seine Werte jetzt nicht verlieren.

Dieser Wert im Klartext heißt, das Weiterleben vom großdeutschen Geist!

SLIME, „Schweineherbst“

 

 

Am allerwichtigsten ist aber, selbst aktiv zu werden. Da aus der selbsternannten „Mitte“ der Gesellschaft, von den etablierten Parteien, kein adäquater Umgang mit den Neonazis zu erwarten ist (von Verfassungsschutz und Polizei brauchen wir hier gar nicht zu sprechen), diese im Gegenteil durch rechtspopulistische Diskurse wie der “Leitkultur”-Debatte im Jahr 2000 oder der Sarrazin-Diskussion 2010 den in der bürgerlichen Gesellschaft stets latenten Rassismus anfeuert und Neonazis in ihrem menschenverachtendem Treiben noch bestärkt, müssen wir das Problem eben selbst angehen. Und da Antifaschismus ausschließlich hinsichtlich der Alternativlosigkeit wie Den-Müll-runter-bringen ist (irgendjemand muss es ja machen), sich aber ansonsten auch mit jeder Menge Spaß verbinden lässt, rufen wir euch, werte Leser*innen, dazu auf, euch in der Jugendantifa zu organisieren. Kämpft mit uns gemeinsam gegen Nazis, Antisemit*innen, Rassist*innen, Sexist*innen, Nationalist*innen und das kapitalistische System in seiner besonders widerwärtigen deutschen Variante, das jene beständig hervorbringt, toleriert und bestärkt!

 

Join your local Antifa!

Nazi-Gewalt unmöglich machen!

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Antifaschistische Jugendaktion Kreuzberg
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Contact: mail[at]riseup.net

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kapitalismus ist faschimus

hier noch ein cooles lied von kapitulation bonn passend zum thema:

http://www.youtube.com/watch?v=9ug2aVwLfOQ