Nazimorde mit Hilfe des Verfassungsschutzes?

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In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass eine Neonazi-Gruppe, die sich als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bezeichnet, über Jahre mordend durch die gesamte Bundesrepublik zog. Auf das Konto des Nazitrios Uwe Mundlos, Uwe Böhrnhardt und Beate Zschäpe sollen zwischen 2000 und 2011 insgesamt mehrere Bombenanschläge, mehr als ein Dutzend Banküberfälle und mindestens zehn Morde gehen. Bei den Ermordeten handelte es sich um neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Allein drei Opfer der Mordserie wurden in Nürnberg um ihr Leben gebracht.

 

Morde mit Unterstützung des Verfassungsschutzes?

 

Seit Tagen wird nun in der Öffentlichkeit darüber spekuliert, wie es möglich war, dass Neonazis über ein Jahrzehnt unentdeckt in die BRD neonazistische Verbrechen begehen konnten. Eine skandalöse Rolle in dieser Mordserie spielt wohl einmal mehr der Verfassungsschutz (VS).

Die Neonazis Mundlos, Böhrnhardt und Zschäpe waren Ende der 90er Jahre in dem vom VS durchsetzten und maßgeblich mit aufgebauten „Thüringer Heimatschutz“ in Jena organisiert. Nach einer Polizeirazzia im Jahr 1998, bei der Bomben und weitere Waffen bei den drei Neonazis gefunden wurden, konnte das Trio flüchten, obwohl es von der Polizei observiert worden sein soll. Danach sollen die Neonazis 13 Jahre lang im Untergrund gelebt und aus diesem heraus ihre Verbrechen geplant und durchgeführt haben.

Auch wenn bisher nichts als gesicherte Information betrachtet werden kann, scheint es so als wäre dem Neonazitrio nicht nur von Nazikameraden zur Flucht verholfen und auch während ihrer Zeit im Untergrund von verschiedenen Verfassungsschützern unterstützt worden. Der ehemalige thüringischer VS-Chef, welcher heute Bücher in dem extrem rechten Ares-Verlag veröffentlicht, wurde 2000 – also kurz nach dem Verschwinden der Neonazis – aus seinem Amt entlassen, da einige Skandale seiner Behörde an die Öffentlichkeit gelangten. Dass in dem abgebrannten Haus des Neonazitrios sogenannte legale illegale Ausweispapiere gefunden wurden, welch nur Bundesbehörden ausstellen können, belegt, dass der VS auch nach dem Verschwinden der FaschistInnen Kontakt zu diesen gehabt haben muss. Der größte Skandal ist wohl, dass ein VS-Angestellter in Hessen, der von seinen NachbarInnen aufgrund seiner neonazistischen Gesinnung „Kleiner Adolf“ genannt wird, bei dem im Jahr 2006 verübten Mord eines türkischen Internetcafe Besitzers selbst vor Ort gewesen sein soll. Der VS begnügt sich derweil damit zu dementieren und die Schuld hin und her zu schieben.

Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems!

Zahlreiche PolitikerInnen fordern nun eine Zentralisierung der Verfassungsschutz Ämter und behaupten, dass so in der Zukunft „VS-Fehler“ vermieden werden können. Außerdem soll der VS enger mit der Polizei zusammenarbeiten. Dass dies nur einen vom Grundgesetz nicht zugelassenen Ausbau des Überwachungsstaates bedeuten würde und keinesfalls zukünftige Neonazi-Verbrechen verhindern würde liegt im Wesen des VS. Wenn es um die extreme Rechte geht ist der Verfassungsschutz ein Teil des Problems, da er durch keinerlei Instanzen überwachbar ist. Seit Jahren werden Neonazis und ihre Strukturen massiv durch den VS finanziert und mit aufgebaut. Allein der Thüringer VS soll zwischen 1994 und 2000 über 1,5 Millionen Euro an V-Leute in der Neonazis-Szene gezahlt haben. Dieses Geld wird laut Aussagen vieler Neonazi-AussteigerInnen dazu genutzt, extrem rechte Strukturen aufzubauen, Veranstaltungen zu planen und Propagandamaterial zu drucken.
In der NPD befinden sich laut aktuellen Zeitungsartikeln über 100 vom VS bezahlte Neonazis, davon eine Vielzahl in Führungspositionen. So kann der VS direkt auf die Politik der NPD eingreifen und eine faschistische Partei somit steuern. Genau dies führte 2001 zum Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte damals, dass es nicht beurteilen könne, ob die verfassungswidrigen Aussagen von NPD-FunktionärInnen oder von V-Leuten gemacht wurden.

Kriminalisierung antifaschistischen Engagements

PolitikerInnen aus sämtlichen Parteien reagierten mit Bestürzung auf den jahrelangen Naziterror. Noch im August vertraten vor allem die konservativen Parteien – mit Bezug auf die rechtsextremen Attentate in Oslo – die Meinung, dass es in Deutschland keine Anzeichen für einen rechten Terror gäbe. Demgegenüber schwadronierten CDU, CSU und FDP in den letzten Monaten von linksterroristischen Bestrebungen in der BRD, die viel gefährlicher seinen als eine paar Neonazis die ja vom VS überwacht werden.
Seit Jahren werden Antifaschistische Gruppen und Organisationen von der bürgerlichen Rechten und dem VS verstärkt kriminalisiert und mit rassistischen und neonazistischen Gruppen gleichgesetzt. Am Beispiel Dresden zeigt sich, dass gerade die Menschen vom Staat diffamiert und verfolgt werden, die sich gegen die tödliche Ideologie der Neonazis engagieren. Nachdem im Februar 2011 über 20.000 NazigegnerInnen zum zweiten Mal in Folge den ehemals größten Naziaufmarsch Europas durch Massenblockaden verhinderten, starteten Polizei und Justiz eine enorme Repressionswelle.
So wurde ein Ermittlungsverfahren nach dem § 129 – Bildung einer kriminellen Vereinigung – eröffnet, das bei genauerer Betrachtung konstruiert wirkt, der Polizei jedoch den Einsatz jeder denkbaren Überwachungsmethode ermöglicht. Ein ganzes Haus wurde von einem Sondereinsatzkommando gestürmt, obwohl der Durchsuchungsbefehl nur für einzelne Räume ausgeschrieben war. Die Telefonate Hunderttausender überwacht und deren Telefondaten gespeichert. Es wurde ein evangelischer Pfarrer der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung beschuldigt und seine Wohnung durchsucht. Die Immunität von PolitikerInnen der Linkspartei im sächsischen Landtag wurde aufgehoben – ihnen legte man die Teilnahme an Blockaden zur Last. Dabei wurde die dazu nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament nur mit den Stimmen der NPD-Abgeordneten erreicht.

Rechter Terror in Deutschland hat Tradition

Während antifaschistischer Widerstand und jede fortschrittliche Bewegung durch Polizei, Verfassungsschutz und die bürgerliche Rechte diffamiert und bekämpft wird, werden neonazistische Morde und Straftaten verharmlost, die Verbrechen Einzeltätern zugeschrieben oder gar vertuscht.
Entgegen der allgemeinen Empörung, die diese Mordserie als eine neue Form von rechtsterroristischer Gewalt und Organisierung darstellte, zieht sich die Spur rechter Morde seit 1945 wie ein brauner Faden durch die Geschichte der BRD.
Am 26. September 1980 sprengte sich der Neonazi Gundolf Köhler auf dem Münchner Oktoberfest in die Luft und tötete 13 Menschen, 211 wurden schwer verletzt. Dieser Anschlag gilt als schwerster Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Trotz der Tatsache, dass Köhler Mitglied der paramilitärischen nazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG) war, wurde er als Einzeltäter eingestuft und die Ermittlungen rasch eingestellt. Ebenfalls 1980 erschoss das WSG Mitglied Uwe Behrendt den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Frau Frieda Poeschke in Erlangen.
Anfang der 90er Jahre wurden in zahlreichen deutschen Städten wie Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen Wohnungen von MigrantInnen durch Neonazis und andere RassistInnen, teilweise unter dem Beifall der deutschen AnwohnerInnen, angegriffen. Durch Brandsätze sterben im Jahr 1992 17 Menschen während den rassistischen Pogromen.
Allein seit 1990 zählt die Antonio-Amadeu-Stiftung mindestens 182 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland. Dass die Bundesregierung im gleichen Zeitraum von „nur“ 47 Opfern spricht, unterstreicht einmal mehr die staatliche Haltung gegenüber der extremen Rechten: Verharmlosen, Ignorieren, Vertuschen.

Die bayerische Neonazi-Szene

Auch in Bayern besteht seit Jahren eine äußerst gewaltbereite Neonaziszene. Besonders in den Reihen des „Freien Netz Süds“ (FNS) befinden sich FaschistInnen, die in der Vergangenheit durch Übergriffe bis hin zu Mordversuchen an MigrantInnen, Juden und Jüdinnen und AntifaschistInnen aufgefallen sind. So ist der 2003 wegen einem geplanten Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegungsfeier des jüdischen Gemeindehauses in München verhaftet Neonazi Martin Wiese mittlerweile wieder führender Kopf des FNS. Auch Peter Rausch, der im April 2010 einen antifaschistischen Jugendlichen in der Nürnberger U-Bahn fast zu Tode geprügelt hat, ist damals Aktivist des FNS gewesen. Mord und Terror sind keine Einzelerscheinungen, sondern eine logische Schlussfolgerung aus neonazistischer Ideologie. So reiht sich der Brandanschlag auf ein Auto eines Antifaschisten am 26.11.2011 in eine Serie von neonazistischen Anschlägen und Angriffen auf NazigegnerInnen in Fürth ein, die bisher knapp 40.000 € Sachschaden verursachten.
Betrachtet man die bayerische Neonazi-Szene genauer, fällt auf, dass sie seit Jahren enge Kontakte zu Naziorganisationen aus Thüringen und Sachsen unterhält. Dabei handelt es sich unter anderem auch um den „Thüringer Heimatschutz“ (THS), eben jener Organisation, aus dem das Jenaer Nazi-Mördertrio stammt. Auf dem vom FNS organisierten „Frankentag“ im Jahr 2009 sprach beispielsweise der THS-Funktionär André Kapke. Dieser steht im Verdacht dem Nazitrio 1998 zu Flucht verholfen zu haben. Im Gegenzug trat der Fürther Neonazikader Mattias Fischer (FNS) in den letzten Jahren auffällig oft bei Neonazi-Veranstaltungen in Thüringen als Redner auf. Fischer befindet sich nach einer Haftstrafe wegen wiederholter Volksverhetzung seit wenigen Wochen wieder auf freiem Fuß.
Die rege Zusammenarbeit zwischen thüringischer und bayerischer bzw. fränkischer Neonazi-Szene bieten viel Raum für Spekulationen über eventuelle MitwisserInnen oder UnterstützerInnen der Jenaer MörderInnen. Neben der Auffälligkeit, dass drei Morde in Nürnberg begangen wurden, ist ein weiterer Anhaltspunkt für einen solchen Verdacht die Tatsache, dass das NSU-Bekennervideo bei den Nürnberger Nachrichten direkt eingeworfen und nicht wie in anderen Fällen auf dem Postweg zugesandt wurde.

 

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