Zur Würdigung Peter Singers durch die Giordano-Bruno-Stiftung

Peter Singer

Die Giordano-Bruno-Stiftung verlieh in einem Festakt am 3. Juni in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main der italienischen Philosophin Paola Cavalieri und dem australischen Philosophen Peter Singer den mit 10.000 Euro dotierten "Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung". Cavalieri und Singer wurden, so die Stiftung, "für ihr engagiertes Eintreten für Tierrechte ausgezeichnet, insbesondere für die Initiierung des Great Ape Project (GAP).

 

Unterstützt von renommierten Primatologen wie Jane Goodall fordert das Great Ape Project für Orang-Utans, Gorillas, Bonobos und Schimpansen einige jener Privilegien ein, die bisher nur für Menschen gelten: Recht auf Leben, Recht auf Freiheit und ein Verbot der Folter. In Neuseeland und Spanien wurden dazu bereits Gesetzesentwürfe erarbeitet." Die Giordano-Bruno-Stiftung unterstütze derartige Bestrebungen, da sie sich folgerichtig aus den Prämissen des von der Stiftung vertretenen "evolutionären Humanismus" ergeben, wie Stiftungssprecher Michael Schmidt-Salomon betont: "Wir Menschen sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern evolutionär entstandene Organismen wie andere auch. Das sollte sich in einem verantwortungsvolleren Umgang mit der nichtmenschlichen Tierwelt niederschlagen, speziell in unserem Verhältnis zu jenen Lebewesen, mit denen wir unsere Evolutionsgeschichte seit Jahrmillionen teilen."1 Es gehe darum "positive säkulare Alternativen zu entwickeln, die uns Menschen zu einem glücklicheren und verantwortungsvollerem Leben befähigen. Dies setzt unter anderem voraus, dass wir uns von der größenwahnsinnigen Vorstellung befreien, wir stünden über der Natur. In Wahrheit sind wir ein Teil von ihr und mit den Schimpansen enger verwandt als diese mit den Gorillas. Eine zeitgemäße Ethik muss daraus Konsequenzen ziehen. Paola Cavalieri und Peter Singer haben das in vorbildlicher Weise getan."

 

Die von der Giordano-Bruno-Stiftung vertretene Position des "evolutionären Humanismus" geht auf den Evolutionsbiologen und ersten Generaldirektor der UNESCO, Julian Huxley, zurück. Im Auftrag der Stiftung wurden Huxleys Ideen u.a. im Manifest des evolutionären Humanismus wieder aufgegriffen. Im Kapitel "Macht euch die Erde untertan"? Warum wir uns vom Speziesismus verabschieden sollten bezieht die Stiftung sich auf Jeremy Bentham, "dem Vater des modernen Utilitarismus",2 und auf Peter Singer. Als "tierethische Maxime des evolutionären Humanismus" wird formuliert: "Füge nichtmenschlichen Lebewesen nur so viel Leid zu, wie dies für den Erhalt deiner Existenz unbedingt erforderlich ist!"3

 

Die Giordano-Bruno-Stiftung folgt der Philosophie Singers, die "Personen", also Lebewesen, die sich ihrer eigenen Existenz bewusst sind, ethische Privilegien zuspricht, darin, dass "nicht alle menschlichen Lebensformen die Eigenschaften von Personen besitzen",4 und schlägt als sinnvolle Grenze, ab der dem Individuum das unhinterfragbare "Menschenrecht auf Leben" zugesprochen werden sollte, die Geburt vor.

Michael Schmidt-Salomon schreibt: "Als Peter Singer in den 80er und 90er Jahren mit ähnlichen Thesen an die Öffentlichkeit trat, war die Aufregung groß. Vor allem in Deutschland wurde eine Hetzjagd sondergleichen auf den australischen Philosophen veranstaltet. Verantwortlich dafür war in erster Linie eine gut geschmierte religiöse Propagandamaschine, nachteilig wirkte sich aber auch der Umstand aus, dass Singer insgesamt doch recht idealistisch die ökonomischen Verwertungszusammenhänge ausblendete, in die er mit seiner Theorie vorstieß. Unter den gegebenen sozioökonimischen Bedigungen mussten viele Vertreter von Behindertenverbänden befürchten, dass Singers Argumentation nicht - wie intendiert - dazu genutzt würde, um die Rechte der Tiere aufzuwerten, sondern um die Rechte von Menschen (insbesondere behinderter Menschen) abzuwerten."5

 

Genau aus den von der Stiftung selbst angeführten Kritikpunkten aber ist die Philosophie Singers als aussichtsreicher Ansatz, der dazu beitragen kann, den speziesistischen Normalzustand zu überwinden, abzulehnen. Bereits in unserem Text Ein Gespenst geht um: Das Gespenst des Antispeziesismus haben wir uns klar von Positionen, die sich aus der Philosophie des Utilitarismus ergeben, distanziert. Wir schrieben hierzu:  

 

Der romantische Tierschutz stammt ursprünglich aus bürgerlichen, konservativen Teilen der Bevölkerung. Marx und Engels führen im Kommunistischen Manifest die „Abschaffer der Tierquälerei“ neben Humanitären, Verbesserern der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierern und Winkelreformern „der buntscheckigsten Art“ als Vertreter jenes Teils der Bourgeoisie an, der wünschte, den sozialen Missständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern. Unser Ansatz aber folgt einer linken, historisch-materialistischen Theorietradition; er ist deshalb unvereinbar nicht nur mit dem Tierschutz, sondern auch mit gewissen moralphilosophischen Tierrechts-Ansätzen, die in der Tradition bürgerlichen Denkens stehen und davon ausgehen, es handle sich beim Speziesismus um ein moralisches Vorurteil, welches bestimmte Handlungen hervorbringe. Mit dem marxistischen Philosophen Marco Maurizi kritisieren wir solche Ansätze als metaphysische Konzepte, welche sich zudem als Erben des bürgerlichen Liberalismus entpuppen, wenn sie etwa die unterschiedliche Wertigkeit von Leben proklamieren wie der „Präferenzutilitarismus“ des bürgerlichen Philosophen Peter Singer. Leider ist der Begriff des Speziesismus in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit Singer verbunden (Singer war an der Verbreitung des Begriffes „Speziesismus“, nicht „Antispeziesismus“ beteiligt, dieser tauchte erst Anfang der 90er durch die Vegane Offensive Ruhrgebiet auf). Das Wort „Speziesismus“ wurde zwar erstmals 1970 vom Psychologen Richard D. Ryder benutzt, um einen Art- oder Speziesegoismus oder -zentrismus auszudrücken, eine „Artenarroganz“ des Menschen gegenüber anderen Spezies, popularisiert wurde das Konzept aber in erster Linie durch Singers erstmals 1975 erschienenes Buch Animal Liberation, in welchem er das Konzept einer utilitaristischen Tierethik entwarf. Der Utilitarismus kehrt mit seiner Auffassung, dass der Einzelne über das Gemeinwohl sein eigenes Wohl fördert, zwar die Moral des bürgerlichen Liberalismus, welche davon ausgeht, dass das Handeln im eigenen Interesse letztlich auch für das Gemeinwohl am ergiebigsten ist, formal um, bleibt aber dessen Logik durchweg verhaftet. Der eigentliche Sinn des Liberalismus zeigt sich in seiner Wirtschaftslehre, die freien, möglichst weltweiten Waren- und Kapitalverkehr und die Nichteinmischung des Staates in die Unternehmensführung proklamiert. Der Liberalismus ist somit ein Programm des Bürgertums aus der Zeit, als es viele miteinander konkurrierende, von Kapitaleignern patriarchalisch geführte Unternehmen gab, die gegen ältere Wirtschaftsformen, wie Handwerk bzw. Zünfte und Leibeigenschaft, das kapitalistische Wirtschaftssystem durchsetzten. Die Tierbefreiungsbewegung als Teil der antikapitalistischen Linken muss sich von dem, was durch die Rezeption bürgerlicher tierethischen Überlegungen an falschem Bewusstsein in die Bewegung geflossen ist, trennen.

 

Die Giordano-Bruno-Stiftung aber sieht im Marktprinzip "kaum etwas anderes als eine Übertragung evolutionärer Regeln auf das Wirtschaftsverhalten des Menschen".6 Mit dieser "unbestreitbaren Stärke" des Marktmodells, das Adam Smith insofern zu Recht als eine Art des "natürlichen Wirtschaftens" begriffen habe, seien zwar Gefahren verbunden, doch daraus folgt für die Stiftung lediglich: "Unsere Aufgabe besteht darin, endlich jene strukturellen Bedingungen zu schaffen, die gewährleisten, dass der Eigennutz der Individuen sowie der von ihnen geschaffenen Institutionen in humanere Bahnen gelenkt wird."7

Angeblich anthropologisch konstante Verhaltensweisen führen liberale Ökonomen seit je an, um das martkwirtschaftliche System zu rechtfertigen. Es ist wissenschaftlich aber unzulässig, von den Verhaltensweisen mancher Menschen, die allesamt unter denselben Bedingungen beobachtet wurden, nämlich denen des Kapitalismus, auf eine allgemeine Menschennatur zu schließen. Genau das tut aber die psychologisierende Methode der liberalen Wirtschaftstheorie: Das "Streben nach Nutzenmaximierung", das jedem Individuum zu eigen sei, komme am besten im Kapitalismus zum Tragen und ermögliche dort Wohlstand für alle durch den konkurrenzförmigen Anreiz zur Anstrengung. Die Erkenntnis des Historischen Materialismus bestand darin, dass Menschen nicht gleich bleiben, sondern sich über die verschiedenen Stufen der Entwicklung von Gesellschaften hin verändern. Einen individualistischen Drang zur Maximierung des eigenen Nutzens kann man erst im Kapitalismus, das heißt etwa in den letzten 300 oder 400 Jahren der Menschheitsgeschichte, beobachten. Der Kapitalismus produziert also erst das Bewusstsein, das die Verfechter des Systems nachher als angebliche "Natur" des Menschen deuten.8

Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Marktprinzip die "Übertragung evolutionärer Regeln auf das Wirtschaftsverhalten des Menschen" sei; vielmehr muss ideologiekritisch geprüft werden, inwieweit die moderne Evolutionsbiologie Gesetze, die unter den Bedingungen des liberalen Marktes gelten, zu einer allgemeinen Natur des Menschen erklärt hat. Tatsächlich hat nämlich etwa die Bevölkerungstheorie des englischen Nationalökonomen Thomas Malthus die Evolutionstheorien von Charles Darwin oder Alfred Russel Wallace maßgeblich beeinflusst.

 

 

1835 las Darwin An Essay on the principle of population as it affects the future improvement of society von Malthus. Dem darin beschriebenen Bevölkerungsgesetz liegt die Annahme zugrunde, die Zunahme der Nahrung könne nicht mit der Vermehrungsrate einer Bevölkerung Schritt halten, werde die Bevölkerungsrate nicht gehemmt. Für letzteres sorgen Kriege, Epidemien und Ähnliches. Malthus betrachtete dies als ein von Gott eingeführtes Naturgesetz; wer sich gegen die Naturgesetze auflehne, lehne sich gegen Gott auf. Die Einführung von Sozialgesetzen sei daher widernatürlich und widergöttlich. Darwin übertrug Malthus‘ Ideen auf das Zusammenleben der Spezies in der Natur und übernahm sowohl den Mechanismus in Malthus‘ Bevölkerungsgesetz – er wird bei ihm zur natürlichen Auslese –, als auch die Begrifflichkeit vom „struggle of existence“, die ins Deutsche so unglücklich mit „Kampf ums Dasein“ übertragen wurde. „Sozialdarwinistisch“ interpretiert wurde Darwin von anderen, von Eugenikern wie seinem Vetter Francis Galton oder vom Deutschen Alfred Ploetz, der den Begriff der „Rassenhygiene“ prägte. Darwin bedauerte später auch, anstatt dem Begriff „natural selection“ nicht besser den Begriff „natural preservation“, also Erhaltung statt Auslese, gewählt zu haben. Auch der Begriff „struggle“ sei unglücklich gewählt – vor allem die Übersetzung ins Deutsche als „Kampf“ kritisierte Darwin ausdrücklich. Es bleibt allerdings bei Darwin das Problem bestehen, dass er eine Bevölkerungstheorie, welche geprägt war durch die Umstände (und Abwehrung der aufkommenden sozialen Kämpfe) in der industrialisierten Gesellschaft Englands innerhalb eines, wenn man so will, „noch ungebändigten Raubtier-Kapitalismus“, einfach auf die Natur übertrug - Darwin schrieb ausdrücklich über seine Theorie: „Es ist die Lehre von Malthus in vielfacher Kraft auf das gesamte Tier- und Pflanzenreich angewandt.“ Damit hat er nachhaltig ein Bild der Natur und von Tieren geprägt, das von der Vorstellung eines ewigen gegenseitigen Kampfes geprägt ist. Tatsächlich aber gab und gibt es nach Darwin Evolutionsforscher, die dieses Bild relativieren. So betonte schon der russische Anarchist und Wissenschaftler Pjotr Alexejewitsch Kropotkin vielmehr das soziale Element statt dem Kampf als Treibkraft der Evolution: Nicht der Stärkste siegt, sondern die kooperative Gesellschaft. Sein wichtigstes wissenschaftliches Werk heißt Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt; Kropotkin stellt darin eine fundierte Gegenthese zum Sozialdarwinismus seiner Zeit auf. Anhand zahlreicher Beispiele aus Natur und Geschichte weist er nach, dass die erfolgreichste Strategie in der Evolution auf gegenseitiger Hilfe und Unterstützung und eben nicht auf Kampf und dem Überleben des Stärksten beruht.

 

 

Was die Ethik Peter Singers betrifft, so ist dem Psychologen und Aktivisten in der Behindertenbewegung Michael Zander zuzustimmen, wenn er diese als "Ethik als Nutzenkalkül" bezeichnet und urteilt: "Diese Variante der utilitaristischen Ethik ist ein einziger inhumaner Irrtum. Wer ethisches Handeln an einen ‚Nutzen‘ und an ‚Glück‘ bindet, muß notwendigerweise jene mißachten, die er nicht für ‚nützlich‘ und ‚glücklich‘ hält."9

Obwohl Michael Schmidt-Salomon erkannte, dass Peter Singer "doch recht idealistisch die ökonomischen Verwertungszusammenhänge ausblendete, in die er mit seiner Theorie vorstieß", verkennen auch er und die Giordano-Bruno-Stiftung ökonomische Zusammenhänge, weil sie ideologisch im Liberalismus der bürgerlichen Aufklärung verhaftet bleiben, dessen korrelierendes Substrat die bürgerliche Herrschaft ist. Mit der Abschaffung des feudalabsolutistischen Ständestaats und der Einrichtung der bürgerlichen Demokratie hat das Bürgertum sich vom Adel emanzipiert. Diese Revolution aber brachte noch lange nicht die Freiheit für alle, am wenigsten für die Tiere. Wir begrüßen zwar, dass die Giordano-Bruno-Stiftung die Unhaltbarkeit des Speziesismus erkannt hat und wissenschaftlich begründet einen "verantwortungsvolleren Umgang mit der nichtmenschlichen Tierwelt"10 fordert, denken aber nicht, dass dieses Ziel allein durch aufklärerischen Humanismus, unter Beibehaltung der Rahmenbedingungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems, dessen Merkmal gerade die systematische Durchorganisierung der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur auf noch nie dagewesene Art und Weise ist, erreicht werden kann.  

 

ANTISPEZIESISTISCHE AKTION TÜBINGEN

 

  1. http://www.presseportal.de/print.htx?nr=2045040. [zurück]
  2. Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur, Aschaffenburg 2005, S. 120. [zurück]
  3. Ebd., S. 124. [zurück]
  4. Ebd., S. 125. [zurück]
  5. Ebd., S. 126f. [zurück]
  6. Ebd., S. 109. [zurück]
  7. Ebd., S. 114. [zurück]
  8. http://www.marxistische-aktion.de/?page_id=117 ("2. Kritik der Politischen Ökonomie"). [zurück]
  9. http://www.jungewelt.de/2011/06-01/001.php. - Gänzlich daneben sind allerdings die Angriffe von "antideutscher" Seite wie beispielsweise der polemische Artikel Wahlverwandte unter sich in der "Jungle World", in welchem wieder einmal nicht differenziert wird zwischen bürgerlichen Ideen verhaftet bleibenden Tierrechtsansätzen und der antikapitalistischen Tierbefreiungsbewegung. In intellektuell unredlicher Vorgehensweise wird etwa Susann Witt-Stahl von der Tierrechtsak­tion Nord (TAN), indem der Autor Peter Bierl Zitate aus dem Zusammenhnag reißt, in ideologische Nähe zu holocaustrelativierenden Positionen gerückt, obwohl Witt-Stahl sich ausdrücklich gegen den sog. "KZ-Vergleich" ausspricht (vgl. ihren Text Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern. [zurück]
  10. http://www.giordano-bruno-stiftung.de/evolutionaerer-humanismus. [zurück]