Künstler_innen sind die ersten Gentrifizierungsopfer

Dein Block Mein Kiez

Vom 17. bis 19. Juni findet in Berlin das Kunstfestival 48h Neukölln statt. Das diesjährige Thema ist „Luxus Neukölln“. Schirmherr des Festivals ist Wolfgang Joop. Das Festival will sich, wie der Chef von 48h Neukölln Martin Steffens in einem Interview mit dem Bezirksamtnahen Blog Neuköllner Nachrichten beschreibt, vom „Sauftourismus“ der Weserstraße abgrenzen und die Gefährdung künstlerischer Freiräume durch Gentrifizierungsprozesse in Neukölln thematisieren. Soziale oder rassistische Verdrängung, wie sie auch vom Bezirksamt im Allgemeinen und dem Migrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch im Besonderen forciert werden, wird allerdings kein Thema sein.

 

Steffens schafft es im Interview kein einziges die Verdrängung marginalisierter Menschen zu erwähnen. Eine soziale Perspektive ist weit und breit nicht zu finden. Die massive Vertreibung von Menschen aus Rumänien und Bulgarien sowie anderen Migrant_innen aus Osteuropa aus den Kiezen , die vor allem der Antiziganist Arnold Mengelkoch vorantreibt, kommt gar nicht vor. Die soziale Kontrollmaßnahme Hartz-IV wir ebenfalls nur marginal und verklausuliert erwähnt. Steffens heult rum, daß das Festivals selbst bedroht sei, weil „die Zahl der Stellen auf dem zweiten Arbeitsmarkt […] im Moment ganz drastisch reduziert“ wird. Schließlich sind es vor allem arbeitslose Menschen in „MAE Maßnahmen“ - die sogenannten 1-Euro-Jobber_innen – die das Festival organisieren und durchführen. So wird die Zwangsmaßnahme 1-Euro-Job, die weder eine existenzsichernde Beschäftigung darstellt noch eine ernsthafte soziale Teilhabe ermöglicht, von Steffens gerechtfertigt und der Druck auf lohnabhängige Menschen offensiv verteidigt.

 

Die paßt vorzüglich in die Konstruktion von Künstler_innen als eigentliche Opfer der Gentrifizierung. Schließlich sind sie, wie Steffens erläutert, „grundsätzlich arm“, verdienen in der Regel weniger als das Existenzminimum und sollen dennoch neidisch „als Luxusgeschöpfe“ wahrgenommen werden. Hinzu kommt, daß sie laut Steffens „latenten Drohungen“ ausgesetzt sind. Das Hohelied auf die Künstler_innen kulminiert in dieser selbstgestrickten Legende in der Feststellung, daß sie die genuinen ersten Opfer der Gentrifizierung sein sollen.

 

Steffens ersetzt die soziale Verdrängung in den Kiezen, die zunächst Migrant_innen und in Neukölln vor allem Sinti und Rroma betrifft, durch einen neuen Opferdiskurs, in dem nicht marginalisierte Menschen unterstützt werden müssen, sondern unkritische und unpolitische, staatsloyale Kunstnetzwerke in den Vordergrund gestellt werden. Mit Wolfgang Joop tritt ein Schirmherr auf, der wie Steffens analysiert eine „exzeptionelle Persönlichkeit ist, die mit dem Thema Luxus eng verbunden ist“, der das kapitalistischen Spektakel als Modeschöpfer_in in Gang hält. Mit dem Aktion Karl-Marx-Straße, eine kommerzielle Imagekampagne für die Neuköllner Karl-Marx-Straße für welche die Brandenburgischer Stadterneuerungsgesellschaft mbH (BSG) verantwortlich zeichnet, und dem Bezirksamt sind sowohl der ausschlaggebende konzeptionelle und politische Akteur im Boot, die seit Jahren die soziale Verdrängung in den Kiezen betreiben.

 

Das Kunstfestival 48h Stunden Neukölln wurde geschaffen und hat immer noch die Aufgabe Neukölln als kreative Marke zu „verkaufen“. Steffens erklärt im Interview mit den Neuköllner Nachrichten, daß „48 Stunden Neukölln immer noch ein Aushängeschild des Bezirks“ ist, daß selbstverständlich selbstorganisierte und „unangemeldete“ Veranstaltungen kontrollieren möchte. Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse werden hierbei aus ihrem sozialen Rahmen geschält, entpolitisiert und lediglich ästhetisiert. Freiräume sollen nur als Konsum- und Kunsträume verfügbar sein, ohne jeden Anspruch auf soziale Intervention jenseits des kapitalistischen Mainstreams.

 

Um diesen Diskurs eine kritische Öffentlichkeit entgegen zu setzen, findet im Tristeza in der Panierstraße zeitgleich zu 48h Neukölln die jährliche Veranstaltungsreihe „Dein Block – mein Kiez“ statt. Am Mittwoch, dem 15. Juni, soll ab 19 Uhr unter dem Thema 2Solidarität statt Quartiersmanagment“ über rassistische und antiziganistische Verdrängung in Neukölln, vernetzte Repressionsmaßnahmen gegen Bewohner_innen und mögliche Gegeninterventionen diskutiert werden. Am Samstag findet zwischen 17 und 22 Uhr ein HipHop Open Air statt. Am Sonntag wird der in Neukölln hegemoniale antiziganistischen Diskurs durch den Film „Willkommen zu Hause“ (2010) über Abschiebungen von Rroma in den Kososvo gebrochen.

 

Hintergrund

Webseite 48h Neukölln hier

Interview mit Steffens (Chef 48h) in den Neuköllner Nachrichten hier

Tristeza hier

Dein Block Mein Kiez #4 hier

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Eure Überschrift ist ja wohl einfach falsch, verkürzt und eigenbezogen. Natürlich gehören KünstlerInnen mit zu den Benachteiligten kapitalistischer Gentrifizierung, jedoch machen sie in der Masse erstmal tatsächlich sehr wenig aus und zum Zweiten sind die Arbeiterinnen und Arbeiter, soweo die Erwerbslosen die zuerst und am krassesten von Gentrifizierung betroffen sind und ihre Wohnungen räumen müssen, beziehungsweise ihren Lebensstandart noch weiter runterschrauben müssen um ihre Wohnung weiter bezahlen zu können.

 

Fuck Gentrification - Smash Capitalism - Working Class Unite!

Wohl eher nicht, genau so eine Ansicht wird darin doch kritisiert...

Hier wird in der Betrachtung völlig ausser Acht gelassen, dass Studenten und Künstler selber Gentrifizierer sind. Denn die Gentrifizierung (ich nenne sie Lattemachiatisierung) geht immer in zwei Steps voran. Man hat ein mit Altbauten durchsetztes, unattraktives Viertel, in welchem sich aus Kostengründen  diese beiden Gruppen niederlassen. Erste Szenelokale entstehen, welche auch einen Sog auf jenes junge Publikum ausüben, die dort selber nicht wohnen.  Das Viertel wird immer hipper, die Mieten steigen und Investoren werden wach. Genauso ist es im Hamburger Schanzenviertel abgelaufen.  Und bedingt durch kurze Aufenthaltsdauer (Studentenschaft) in den Wohnungen haben Vermieter und Eigentümer die Möglichkeit, bei jedem Auszug die Miete nach oben zu schrauben.

Genau das geschieht jetzt auch gerade in Hamburg Wilhelmsburg. Da machen sich gerade die ersten Szenelokale etc. breit. Noch 10 Jahre, und das Viertel ist nicht mehr wiederzuerkennen. Künstler und Studenten sind diejenigen, die den Boden für den 2. Step bereiten, nämlich  für die Umwandlung in Eigentumswohnungen.

Bald wird die Lattemachiatisierung in Städten wie Hamburg und Berlin im innerstädtischen Bereich abgeschlossen sein, denn dann gibt es nichts mehr zu gentrifizieren. In Hamburg zeichnet sich das jetzt schon ganz klar ab. Dann werden wir Zeuge eines interessanten Phänomens werden. Dann werden solche Prozesse in Gegenden ablaufen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Da werden dann unter Umständen Viertel wie Mümmelmannsberg von den genannten Gruppen als "Geheimtipp" entdeckt werden. Mal sehn, was die Zukunft da so bringt.