"Zensur heißt Paternalismus"

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Staatliche Repression gegen Untergrund-Publikationen der radikalen Linken stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Informationsfreiheit und gesellschaftlicher Emanzipation. Die allgemeine Verfügbarkeit von Anleitungen zur Sabotage oder Pamphlete zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse zu behindern entmüdigt die Menschen. Die Sabotage von Infrastruktur und Institutionen, die die Menschenwürde in Frage stellen ist eine wichtige Handlungsmöglichkeit. Und die bürgerlich-demokratische Grundordnung nicht das Ende der Geschichte. Es kommt vielmehr darauf an was Menschen in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext mit diesen Informationen anstellen. Dies gilt es zu debattieren und eventuell entlarvend zu analysieren. Ein solcher Prozess ist eine Notwendigkeit für gesellschaftliche Emanzipation.

 

Beschlagnahmungen der autonomen Flugschrift "Interim" bei linksradikalen Buchhändlern in Berlin. Verhaftungen in Frankreich nach dem Erscheinen eines anonym verfassten, revolutionären Pamphlets. Druckausübung gegenüber Providern und Hausdurchsuchung beim Administrator einer Website von der ein klandestin verfasstes "Sammelsurium militanter Aktionen" herutergeladen werden konnte.

In den letzten Monaten häuften sich die Fälle in denen der Staat gegen vermeintliche Vefasser und Verteiler linksradikeler Untergrund-Medien einschrit. Oft wolle er damit Straftaten oder Aufrufe zu solchen verhindern, so die oft gehörte Begründung. Dahinter liegt wohl aber auch die Aufgabe der Behörden, eine praktische Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verhindern. "Wir haben das im Auge" sagt der bundesdeutsche Verfassungsschutz mit Bezugnahme auf oben genannte Publikationen. Verfasser, Herausgeber und genau Vetriebswege der Zeitschriften seien aber weitgehend unbekannt.

Den erwähnten Buchläden wurde nun gerichtlich bescheinigt, dass sie nicht haftbar für die Inhalte der von Ihnen vetrieben Medien sind. Damit ist der Versuch staatlicherseits gescheitert eine Selbstzensur von systemkritischen Inhalte zu erzwingen. Die Läden seien keine "Vorinstanz des Staatsschutzes", erklärt der Anwalt Ulrich von Klinggräf des betroffenen Buchladens OH21.

Lutz Schulenburg ist Verleger der Edition Natilus, in der das in Frankreich kriminalisierte Manifest "Der kommende Aufstand" veröffentlicht wurde. Er sieht es als seine publizistische Pflicht, Texte zu verbreiten, die sich für gesellschaftliche Emanzipation einsetzen. Gerade wenn diese die bestehenden Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellen. "Geschichte wird von Menschen gemacht und der freiheitlich-demokratischen Staat ist nicht ihre Endstation" sagt der bekennende Anarchist entschieden. Sie dürfe deshalb auch nicht vor der bestehenden Ordnung halt machen. Jedwede Zensur bleibe im "Denken des Staatsanwalts" verhaftet und gehöre hinterfragt.

Dieses Denken sollte Peer Heinlein, Geschäftsführer des politischen Providers "JPBerlin" nicht unbekannt sein. Zu seinen Referenzen als IT-Consulter zählen Berliner Staatsanwaltschaft und Bundesgrenzschutz. Auf seinen Servern war über projektwerkstatt.de die Zeitschrift "Prisma" abrufbar die Anleitungen zu militanten Aktionsformen gab. Die Staatsanwaltschaft übte Druck aus. Der Provider sagt man habe keine Wahl gehabt und "bis zur Klärung" die ganze Seite vom Netz nehmen müssen. Laut den Akten die Aktivist Jörg Bergstedt vorliegen hingegen habe die Staatsanwaltschaft von JPBerlin aber lediglich eine Kopie der entsprechenden Server-Festplatten verlangt. Aber nicht nur diese wurden bereitwillig aufgehändigt. Die Sperrung des Online-Portal sei "voraus eilender Gehorsam". Vermeintlich Linke zensierten damit eine emanzipatorische Plattform.

"Direkte, gesellschaftliche Intervention" statt Zensur, wünscht sich hingegen Verleger Schulenburg. Um enstprechend handlungsfähig zu werden brauche es das genaue Wissen für alle möglichen, auch militante Aktionsformen, erklärt Aktivist Bergstedt. Ob diese dann im gesellschaftlichem Kontext die richtige Qualität haben und angemessen sind kann dann debattiert werden.

Wie aber mit menschenverachtenden Publikationen umgehen, ohne staatliche oder anders geartete Zensur? Diese, meint Bergstedt, sei schließlich "paternalistisch" und "entmündigt den Menschen". Entsprechend reaktionäre Texte mit einer kritischen Einordnung und enlarvenden Analyse zu versehen und darzustellen, ermächtige die Menschen hingegen. Ähnlich klare Statements waren von anderen linken Gruppen nicht zu bekommen.

 

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"Den erwähnten Buchläden wurde nun gerichtlich bescheinigt, dass sie nicht haftbar für die Inhalte der von Ihnen vetrieben Medien sind."

Im Prozess gegen OH 21 wurde NICHT das o.g. bescheinigt! Ganz im Gegenteil. Der Staatsschutz war nur mit anderen Aufgaben überlastet, sodass der Nachweis des Vorsatzes des Buchhändlers nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte. In der Verhandlung, als die EINSTELLUNG (und nicht der Freispruch) verkündet wurde, sagte der Richter: "Es ist verboten vorsätzlich solche Zeitschriften mit diesen Inhalten auszulegen." (Gemeint waren Prisma, Radikal und eine Ausgabe der Interim.) Die Beschlagnahmten Zeitschriften wurden übrigens eingezogen, was Bestandteil des Einstellungsdeals war.

Zur Debatte um Emanzipation:

In der Interim fand in den letzten Jahren kaum noch eine Debatte statt. Selbst bei den Themen Militanz und Sexismus, die eigentlich immer die Gemüter erregen, kamen oft nur selbstbezogene Eingaben, die, wenn überhaupt, nur mit höchsten eins zwei Texte beantwortet wurden. Debatten sind etwas anders.

Debatten fanden fanden in Berlin in der Autonomen Vollversammlung (2007 bis 2011) und auf Freiräume bezogen in der WBA Vollversammlung (2008 bis 2010) statt. Doch die Autonome Vollversammlung wurde bekanntlich 2011 von verkrusteten "Linken" bekämpft und exisitiert jetzt nicht mehr. Die WBA Vollversammlung löste sich hingegen im Sommer 2010 auf, als es Kritik an den Strukturen gab. (2011 gab es wegen der Liebig-14-Räumung zwar noch eine WBA-VV, aber von einer funktionierenden Debattenförderung ist hier nicht zu sprechen.)

Auch Mailing-Listen funktionieren lange nicht mehr, sind hierarchisch verwaltet. Und die drei deutschsprachigen Indymedias, was ist mit denen? Indymedia Schweiz existiert nicht mehr. Und das aus einem der Gründe die Indymedia Deutschland und Indymedia UK belasten. In den Indymedia-Listen tobt zwischen den beiden verbliebenen deutschsprachigen Indymedias zudem eine Auseinandersetzung um irgendwelche Gebietsansprüche. Kritik gibt es zu finden, wenn auch nicht genug und konstruktiv! Und bei den Werbeversuchen für Debatten ist ein kleiner Krieg zu beobachten: Gegnerische "linke" Gruppen werfen die Flyer der jeweils gegnerischen Gruppen weg. Das ist Politik!!

Selbstbezogenheit:

Auch in diesem Text spiegelt sich eine Selbstbezogenheit wieder. Staatliche (?) Repression gegen nicht-emanzipatorische Inhalte (z.B. denen von Neonazis oder sexualverbrechende Menschen) werden kaum bis garnicht reflektiert. Und nur wenige Initiativen gehen dahin wo es weh tut: Zu den Arbeitern und Arbeiterinnen. Da es die in Deutschland nicht gibt, müsste hier zu Migranten und Migrantinnen gegangen werden, um etwas über die Arbeiter und Arbeiterinnen, die in aussereuropäischen Ländern leben, zu erfahren.

Aber auch im deutsch-bürgerlichen Raum, gibt es nur wenige Initiativen, die von einer Selbstbezogenheit weggehen. Ich hatte zum Beispiel "No Justice No Peace" (NJNP) negativ kritisiert. Nur auf den Kritikpunkt bezogen, dass zu sexistischen und migrantischen Jugendlichen gegangen wird, wäre NJNP so eine Initiative, die eine Selbstbezogenheit überwindet. Allerdings, und da kommen Wir zu den anderen Kritikpunkten, völlig hierarchisch organisiert, unter Aufgabe der eigenen Hegemonie und ohne vorbereitend auf andere partizipierende Menschen einzugehen. Letztendlich handelt es sich bei solchen Initiativen nicht um eine geplante Handlung, sondern nur um ein Reinstochern in einen Bienenstock.

Im Text werden mehrere Repressions-Fälle aufgezählt, die belegen sollen, es handle sich um eine gesellschaftlich relevante Repression. Doch tatsächlich spiegeln diese Beispiele keine diversitäre Repression wieder. Es wird sich nicht getraut, oder es wird hartnäckig übersehen, wo gesellschaftlich relevante Repression (Zensur) aktuell stattfindet.

Die mir unangenehmste Behauptung ist aber die, dass Selbstzensur aufgrund strafrechtlicher Repression nicht staatfindet. Das ist falsch! Eine solche Selbstzensur hat stattgefunden.

 

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