Batasuna 3.0 distanziert sich von der Gewalt der ETA

Inigo Iruin (rechts) und Rufi Etxeberria im Hintergrund Persönlichkeiten der linken Unabhängigkeitsbewegung, soweit nicht im Knast

Die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung hat sich mit der Vorstellung der Parteistatuten von SORTU ausdrücklich von der Gewalt der ETA distanziert. Eigentlich dürfte juristisch einer Zulassung nichts mehr im Wege stehen, sagen auch Verfassungsrechtler. Doch die spanische Regierung will das Verbot trotz allem beantragen. Alles ist also offen, weil in Spaniens Sondergerichtsjustiz stets alles möglich ist.  Erstaunliches kam gestern vom Obersten Gerichtshof in Spanien, der das Urteil (2 Jahre Knast) von Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi kassiert hat, weil die Richterin am Sondergericht befangen war.

 

"Sortu" heißt die neue Partei, mit der die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung wieder in die Institutionen im spanischen Baskenland einziehen will. Sortu bedeutet: schaffen, aufbauen, sprießen. Der Name ist Programm, auch wenn sich an den Zielen der Bewegung nichts geändert hat. Es geht weiter darum, ein vereintes, unabhängiges Baskenland in Europa zu erreichen, allerdings betonen die Protagonisten, auf "ausschließlich politischen und demokratischen Wegen". Deshalb wurde am Montag bei der Vorstellung der Parteistatuten etwas Neues auf den Weg gebracht. Im Euskalduna-Palast wurde die Partei im baskischen Bilbao von Persönlichkeiten vorgestellt, die in der Geschichte der 2003 in Spanien verbotenen Batasuna (Einheit) oder zuvor Herri Batasuna (Volkseinheit) eine bedeutende Rolle gespielt haben.

 

Sortu verzichtet nicht nur im Namen sondern auch organisatorisch auf Bezüge zu den Vorgängern. Rufi Etxeberria und der Anwalt Iñigo Iruin machten deutlich, dass ein Kapitel der baskischen Linken definitiv abgeschlossen ist: die Koexistenz mit der Gewalt der Untergrundorganisation ETA. Anders als behauptet war Batasuna nie mit der ETA verbunden, es hätten aber "Abhängigkeitsverhältnisse" bestanden, sagte Iruin. Die Gewalt wurde über Jahrzehnte als Ausdruck eines politischen Konflikts geduldet. Aus der historischen Erfahrung, dass die ETA entscheidend zum Ende der Franco-Diktatur beigetragen hat, hielten viele sie angesichts der Fortdauer von Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts, Folter, Verboten von Zeitungen, Organisationen… durch Spanien für ein notwendiges Übel.

 

Nach einem tief greifenden Reflektionsprozess wurde damit gebrochen. Damit soll ein definitiver Friedensprozess auf den Weg gebracht werden, wie er auch von internationalen Vermittlern, darunter vier Friedensnobelpreisträgern, gefordert wird. In den neuen Statuten heißt es: "Die neue Partei wird ihre Aktivitäten ausgehend von der Ablehnung von Gewalt als Instrument oder Methode entfalten, um politische Ziele zu erreichen." Unbedeutend davon, wer Gewalt ausübe, "wird sie offen und unverblümt verurteilt, eingeschlossen die der Organisation ETA", denn "fundamentale Freiheiten und Rechte von Menschen" dürften nicht verletzt werden. Mitglieder, die gegen dieses Gebot verstoßen, werden sofort ausgeschlossen. Es soll damit "die Instrumentalisierung durch Organisationen verhindert werden, die Gewalt ausüben", erklärte der Batasuna-Anwalt (Unterstreichung aus dem Original). Etxeberria betonte am Dienstag noch einmal in einem Interview mit einem spanischen Radio, dass es "keinen Weg zurück gibt", egal ob auch die neue Partei verboten wird oder nicht.

 

Auch daran zeigt sich, dass es sich kein taktische Manöver handelt, um im Mai wieder zu den Kommunalwahlen antreten zu können. Seit langem hat sich in der baskischen Linken durchgesetzt, dass Aktionen der ETA eher verhindern, dass ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland entsteht. Denn sie spalten die Kräfte, die für diese Ziele eintreten. So war es die baskische Linke, welche die ETA dazu gezwungen hat, die Waffen seit 18 Monaten schweigen  zu lassen. Erstmals in ihrer Geschichte wird sie einen Waffenstillstand von internationalen Beobachtern kontrollieren lassen, wie es allseits von ihr gefordert wurde, bestätigte sie vor einem Monat. Damit soll verhindert werden, dass sich in ihren Reihen erneut die militärische Logik Bahn bricht, mit dem sie den letzten Friedensprozess Ende 2006 gesprengt hatte.

 

Die neue Partei erfüllt, darin sind hochrangige Juristen weitgehend einig, die Anforderungen des Parteiengesetzes, das extra geschaffen wurde, um Batasuna 2003 zu verbieten. Gerade wurde es von den regierenden Sozialisten (PSOE) mit Hilfe der ultrakonservativen Volkspartei (PP) weiter verschärft. Der angesehene spanische Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo erklärte in Radio Euskadi: "Diese Statuten gegen weit über das hinaus, was gefordert werden kann." Er bescheinigt "außerordentliche Gewissenhaftigkeit" und eine "juristische Unangreifbarkeit". Er erinnerte, dass Batasuna-Mitgliedern niemals die "Bürgerrechte aberkannt wurden", und damit auch eine Partei gründen könnten. Auf Basis von Misstrauen oder Vermutungen dürfe man keine Parteien verbieten.

 

Royo sagte sogar, dass das Ministerium der Staatsanwaltschaft eigentlich die Annahme des Verbotsantrags der Regierung ablehnen müsste. Doch Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba machte schon am Montag nach der Vorstellung deutlich, dass das nicht geschehen wird. "Es werden die Richter sein", sagte er mit Blick auf die Sonderkammer am Obersten Gerichtshof, die entscheiden würden, ob "Batasuna illegal bleibt."  Dieses Sondergericht wurde mit dem Parteiengesetz extra geschaffen und hat bisher ausnahmslos alle der Verbotsanträge der Regierung fleißig abgenickt.

 

Nur in einem Fall wurde es vom Verfassungsgericht korrigiert, weil sogar eine Partei spanischer Intellektueller verboten wurde. Weil sich die Partei im Europaparlament für eine Lösung des baskischen Konflikts einsetzen wollte, wollte auch hier die Regierung und das Sondergericht ein "Instrument von ETA/Batasuna" erkennen. Das Verfassungsgericht kippte erstmals ein Parteiverbot und es könnte auch sein, dass Sortu erst vor den höchsten Richtern anerkannt wird, vielleicht erst nach den Kommunalwahlen, wie der Verfassungsrechtler betonte.

 

Die baskischen Parteien haben allesamt den gewaltigen Schritt von Batasuna begrüßt. Bis auf die PSOE und die PP hatten alle Parteien ihre Vertreter zur Vorstellung entsandt. Wie die Vereinte Linke (IU) erklärten sie, dass Madrid nun zeigen müsse, ob es die "eigenen Gesetze einhalte". Der baskische IU-Chef Mikel Arana erklärte, es gäbe nun "keine Ausrede mehr" und es werde sich zeigen, ob wahltaktische Gründe im Vordergrund stehen. Erinnert sei daran, dass die erbitterten Gegner in Spanien – PSOE und PP – deshalb die Autonome Baskische Gemeinschaft regieren, weil die Verbote die Wahlergebnisse verzerrt haben. Arana fordert "Allparteiengespräche", an denen auch Sortu beteiligt werden müsse, um zu einer Konfliktlösung zu kommen.

 

Die große Baskisch-Nationalistische Partei (PNV), auf deren Stimmen die schwer angeschlagene Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero () in Madrid angewiesen ist, um nicht durch ein Misstrauensvotum der Konservativen gestürzt zu werden, wird ebenfalls Druck daraufhin ausüben, dass Sortu zugelassen und ein Friedensprozess ermöglicht wird. In einer Stellungnahme der Parteiführung heißt es, dass "eine Zeit neuer Hoffnungen für die Politik im Baskenland" begonnen habe. Die PNV fordert Zapatero auf, dem Verbotsgeschrei - konkret wird das der PP benannt - nicht nachzugeben. Erstaunliche Töne waren auch von Zapateros Parteifreunden im Baskenland zu hören. Der Sprecher der baskischen Sektion, José Antonio Pastor, zeigte sich überrascht und sprach von einem "wichtigen Schritt in die richtige Richtung", denn eine so weitgehende Erklärung habe man nicht erwartet.

 

Wie schon im Fall der von Baltasar Garzón illegal geschlossenen Zeitung Egin oder in anderen Fällen korrigiert der Oberste Gerichtshof gestern erneut mal wieder das Sondergericht Nationaler Gerichtshof. Betont werden muss, dass damit ausdrücklich nicht die Sonderkammer an dem Gerichtshof für Parteiverbote gemeint ist. So wurde die 2jährige Haftstrafe gegen den Batasuna - Sprecher Arnaldo Otegi kassiert. Der Prozess muss wegen der klaren Voreingenommenheit der Richterin Ángela Murillo wiederholt werden. Die Sonderrichterin ist bekannt, dass ihr schon mal "egal ist, wie der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg" bestimmte Vorgänge sieht. In Fall Otegi hatte sie kommentiert, dass sie schon gewußt habe, dass er nicht auf die Frage antworten würde, ob er die Anschläge der ETA verurteilt. Ihr war auch in Prozessen schon egal, ob die Übersetzer völlig falsch übersetzt haben und bisweilen eingestanden, das Baskisch der Angeklagten nicht zu verstehen und überfordert zu sein. An harten Urteilen änderte das nichts, weshalb demnächst wohl noch weitere Urteile kassiert werden. Das alles sind deutliche Zeichen, dass eine gewisse Entspannung im Justizapparat angekommen ist. Das ist üblich, wie auch ein Freispruch von Otegi im vergangenen Friedensprozess zeigte. Was in Zeiten des harten Konflikts "Werbung für den Terror" ist, ist es in Zeiten der Entspannung plötzlich nicht mehr. Otegi sitzt weiter im Knast, dafür dass er den Vorgang der Parteigründung mit diesen Statuten und den Druck auf die ETA, die permanente und überprüfbare Waffenruhe auszurufen, vorbereitet hat. Auch hier war wieder Garzón am Werk, der sich ja gerne als Rächer der Grundrechte ausgibt.

 

© Ralf Streck, den 09.02.2011

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danke für den tollen, informativen artikel!