Textbeitrag zur Diskussion: Sinn und Unsinn von Militanz

Es gibt keine „Nachkriegszeit“.

Als die Front sich entfernte, nannten die Toren es „Friede“.

Die Toren verteidigten den Frieden,

indem sie den bewaffneten Arm des Geldes unterstützten.

Hinter der nächsten Düne gingen die Kämpfe weiter;

die Hauer gespenstischer Tiere ins Fleisch geschlagen,

der Himmel voller Stahl und Rauch, ganze Kulturen auf der Erde ausgelöscht.

Die Tore bekämpften die Feinde von heute,

indem sie die Feinde von morgen fütterten.

[…]

Sie verteidigten den Schatten von Zivilisation.

Sie verteidigten das Trugbild eines Planeten.“

 

Wu Ming

 

 

Schon die öffentliche Frage nach „Sinn und Unsinn“ von Militanz führt uns auf ein undefiniertes Glatteis, auf dem jede Diskussion zwangsläufig ins schlittern kommt. Sei es wegen dem eigenwilligen Gebrauch des Wortes Militanz im Deutschen, dass sich auf politische Gewalt verengt, sei es wegen der Unmöglichkeit für all jene, die politische Gewalt leben öffentlich für solche zu propagieren oder auch nur Aufgrund der bipolarität der Frage.

 

Wir sind ehrlich, für uns ist politische Gewalt teil unseres Lebens. Aber nicht um nachdem Steinwurf auf das Architektur Büro, dem Ladendiebstahl oder dem boxen des Nazis die Maske abzulegen und tagsüber einem Bürgerlichem Leben nachzugehen. Und auch nicht für eine zur schau gestellten vermeintlichen politischen Identität / Subkulturalität. Wir sehen vielmehr ähnlich, wie unsere Freund*innen, dass der alte Dualismus von „Pazifismus und Radikalität“ uns im Wege steht:

 

„Vierzig Jahre Triumph der Konterrevolution im Westen hat uns ein Fehlerpaar beschert, das gleichermaßen verhängnisvoll ist und zusammen eine unbarmherzige Einheit bildet: Pazifismus und Radikalismus. Der Pazifismus lügt und lügt sich was vor, indem er die öffentliche Diskussion und die Versammlung zum vollendeten politischen Modell erhebt. Deshalb hat sich eine Bewegung wie die der Plätze als unfähig erwiesen, mehr zu werden als ein unüberschreitbarer Ausgangspunkt. [...]



Jahrzehnte der Befriedung der Massen und der Massierung der Ängste haben den Pazifismus zum spontanen politischen Bewusstsein des Bürgers werden lassen. Bei jeder Bewegung muss man sich seither mit dieser traurigen Tatsache herumschlagen. Es gab Pazifisten, die schwarz gekleidete Aufständische an die Polizei auslieferten, wie 2011 zu sehen an der Plaça de Catalunya, oder in Genua 2001, als Leute des »Schwarzen Blocks« gelyncht wurden. Die revolutionären Kreise brachten darauf als eine Art Antikörper den Radikalen hervor – die Figur, die in allem und jedem das Gegenteil des Bürgers tut. Auf die moralische Ächtung der Gewalt der einen antworten die anderen mit deren rein ideologischer Verherrlichung. Wo sich der Pazifist vom Lauf der Welt freisprechen und gut bleiben möchte, indem er nichts Böses tut, spricht sich der Radikale durch kleine illegale Aktionen, verziert mit unversöhnlichen »Stellungnahmen«, von jeder Beteiligung am »Bestehenden« los. Beide sehnen sie sich nach Reinheit: der eine durch gewalttätige Aktion, der andere, indem er sich diese versagt. Jeder ist der Albtraum des anderen. Es ist zu bezweifeln, dass diese beiden Figuren lange bestehen könnten, wenn nicht jede die andere tief in sich tragen würde. Als würde der Radikale nur leben, um den Pazifisten in sich selbst erschauern zu lassen, und umgekehrt. [...]

Seit der Niederlage der 1970er Jahre ist an die Stelle der strategischen Frage der Revolution unmerklich die moralische Frage der Radikalität getreten. Die Revolution hat also dasselbe Schicksal erlitten wie alles in diesen Jahrzehnten: Sie wurde privatisiert.“

Eure Eingangsfrage stellt genau diesen Dualismus zur schau, auf der einen Seite Bewegungsmanager*innen von IL mit ihren vermeintlichen „Aktionskonsens“ und auf der anderen Seite Identitäten / Subkulturalität / Moralismus. Für uns ist daher die Frage obsolet, denn zeigt sie nur die ausgetretenen Pfade der letzten Jahre und Jahrzehnte auf. Dazwischen aber liegt ein schmaler möglicher Weg, eine destruktive Praxis, ein Leben, dass mit all seinen Widersprüchen, jenseits des Konsums, der Normierung und Kontrolle geführt wird:

 

Diese Position behauptet sich heute als eine doppelte Trennung: Trennung vom Prozess der kapitalistischen Inwertsetzung einerseits, Trennung weiterhin von all dem, was die simple Opposition zum Empire, und sei sie auch außerparlamentarisch, an Sterilität mit sich bringt; Trennung also von der Linken. Wobei „Trennung“ weniger auf die praktische Verweigerung zu kommunizieren hinweist, als vielmehr die Neigung zu derart dichten Formen der Kommunikation, dass sie dem Feind überall dort, wo sie sich etablieren, den größten Teil seiner Kräfte entreißen.

 

Um es kurz zu machen, wir sagen, dass eine solche Position Anleihen nimmt bei den Black Panthers wegen der Kraft ihres Hervorbrechens, von den deutschen Autonomen wegen der Volxküchen, von den englischen „Neo-Ludditen“ wegen der Baumhäuser und der Kunst der Sabotage, von den radikalen Feministinnen wegen der Wahl der Worte, von den italienischen Autonomen wegen der massenhaften Autoreduktionen, und von der Bewegung 2. Juni wegen der bewaffneten Freude.“

 

Die Wirklichkeit ist meistens radikaler als all jene die über Sie diskutieren.

 

Die Kids in den Banlieus zerstören Bushaltestellen wegen deren Räumlichen Aus/Abgrenzung und bringen damit zum Ausdruck, das Sie mehr von der Welt verstehen, als die meisten in einem Gentrification-Seminar jemals tun werden.

Die Mieter*innen im Nordkiez verstehen, wenn das Bambiland angegriffen wird oder der Inverstor der CG-Gruppe bedroht wird.

Die Oma im Susatal oder der Opa in Chaldiki wissen, warum die jeweilige Baustelle angegriffen wird.

All jene die sich darüber Empören oder Ablehnen bringen nur zum Ausdruck wie sehr Sie teil des Empire sind. Wenn Thomas Ebermann Riot, politische Gewalt oder kladestine Aktionen als „Kindereien von Kleinbürgern“ diffamiert, dann bringt er zu allerst zum Ausdruck wie wenig er von all den Ausgegrenzten, den Stigmatisierten, denjenigen die nicht Verwertet werden können oder verwertet werden wollen, hält. Oder um es mit den Worten der Zeit in der Ebermann politisiert wurde zum Ausdruck zubringen – „der“ Klasse.

 

Die politische Gewalt bringt unseres Erachtens letztlich nur den Zustand der Welt zum Ausdruck:

 

Niemand, aber auch gar niemand, schaut der Zukunft noch entgegen. Es scheint so, als warten nur noch alle darauf, dass die nächsten Runden Hartz IV, loi travail, pia casa in Europa durchgeboxt werden - wie zuletzt in Frankreich. Warten auf noch mehr Depressionen, noch mehr Wohnungsnot und noch mehr Geflüchtete an den Grenzen. Warten auf noch mehr organisierte Traurigkeit. Die Krise zeigt sich dabei immer unverhohlener, als das was sie ist, systematische Erneuerung des Elends. Nach fast zehn Jahren Krise wird dabei niemand mehr leugnen können, dass die Krise aber letztlich nur eine Regierungstechnik ist, die der Vollendung des Siegeszuges der Ökonomie dient. Von Griechenland bis Portugal, von Argentinien bis Italien, sind all die Programme durchgesetzt worden, die getrost als Angriff auf das letzte bisschen Soziale gelesen werden können.

30 Jahren nach dem Ende des Fordismus, scheint die Ökonomie alternativloser als jemals zuvor, das ausgerufene Ende der Geschichte wird dabei zusehends zum Ende des Politischen in der alten politischen Arena. Aber es zeigt sich nicht nur die Abstinenz des Politischen - in Zeiten von Alternativlosigkeit - sondern auch, wie sehr die souveräne Macht nicht mehr in den Kulissen mit ihren Parlamenten und Palästen zu Hause ist. Von Syriza bis zum letzten Technokraten, eine jede Regierung jedweder Couleur, zeigt lediglich, dass die souveräne Macht längst zwischen Infrastruktur und Biopolitik liegt. Infrastruktur. im Sinne von kleinen Verträgen, die tagtäglich abgeschlossen werden, der Zirkulation von Datenvolumen innerhalb der vernetzten Welt, der Sicherung von Rohstoffen. Biopolitik im Sinne der Vermessung des menschlichen Lebens durch Excel Tabellen und der Normierung des angestrebten Selbstmanagment und der permanenten Optimierung der eigenen Kompetenzen.


Mit dem Siegeszug der Ökonomisierung tritt aber auch vermehrt zu Tage, dass es überall Existenzen gibt, die nicht regiert werden können oder regiert werden wollen. Diese scheinbar Subjekt-losen ausgestoßenen Ränder der westlichen Gesellschaften treten nicht erst seit der Novemberrevolte 2005 in den Banlieus eruptionsartig auf, vielmehr sind sie eben jener Pöbel der schon Ende der 70er in Italien zum bisher schönsten Angriff auf das Bestehende antrat. Konnte der klassische fordistische Arbeits-Kampf noch mit Ökonomisierung und den einhergehenden Veränderungen der Produktionsweisen, Deregulierungen, Zersplitterungen und dem allgemeinen technischen Fortschritt besiegt werden, so wird gegen eben jenen Pöbel das Sicherheitsparadigma und die dazu gehörige, produzierte Angst ins Feld geführt.


Sicherheit ist damit das zweite Paradigma, neben dem Ökonomischen, welches das Feld des Politischen weiter aushölt. Denn nichts soll die Kapitalakkumulation, den Fetisch der Arbeit und den Fortschritt in seinem Lauf hindern, erst recht nicht einige Unregierbare. Wir brauchen uns nichts vor zumachen nicht erst seit dem elften September ist das Sicherheitsparadigma neben dem ökonomischen das Bestimmende. Der Ausnahmezustand ist schon seit jeher Teil der westlichen Demokratie, mehr noch, er ist gerade bezeichnender Teil der Demokratie. Die Negation von Rechten bestimmter Menschen, lassen den Ausnahmezustand zum höchsten Gut des Sicherheitsparadigma werden, in dem mit Hilfe von Architektur, sozialer-Arbeit, Überwachung, New-Government Konzepte mit einer Selbstregierung der Nachbarschaft, bis hin zu all den MAT und BFE Einheiten dieser Welt, alle jene, die nicht am Empire partizipieren, können, wollen oder dürfen – kontrolliert werden!“

Die einzig legitime Frage zu politischer Gewalt ist, ob sie auf dem Weg eine revolutionäre Kraft zu bilden, von nutzen ist! Ist also eine strategische Frage. Keine von Legitimität und Moral.

 

Konfetti werfen im Kaufhaus, Bankraub, eine bunte wilde Demo, die Ermordung eines Menschen oder ein Kuss in einem Homophoben Umfeld, sind einem Atemzug zu denken und zu kontextualisieren, wenn es darum geht widerständig zu leben und politische Gewalt als revolutionäre Handlung zu benutzen.

 

"Bleibt nur, die Wette abzuschließen, dass es eine andere Möglichkeit

gibt, einen schmalen Grat, gerade breit genug, dass wir darauf laufen

können, breit genug, dass alle diejenigen, die verstehen, darauf laufen

und leben können."

 

TIQQUN

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Woher kommen die Zitate im Text?

Zitat1 ("Vierzig Jahre ..."): Unsichtbares Komitee: An unsere Freunde. Kapitel 5, Absatz 2. Link

 

Zitat2 ("Diese Position ..."): Anonymer Aufruf. Scholium zu Proposition I. Link

 

Zitat3 ("Niemand ..."): Autonome Gruppe: Lieber heute als morgen desertieren. Link