Die Häuser denen, die sie nutzen

„Die Häuser denen, die sie nutzen“
Erstveröffentlicht: 
04.06.2010

ESSINGEN: Politisch motivierte junge Leute haben ehemaliges Güterabfertigungsgebäude besetzt und gestern freiwillig wieder geräumt

 

Die Aktion war gut organisiert. Schon die Tage zuvor hatten die Ini­tiatoren Stromaggregat, Wassertanks und Musikanlage in den leerstehenden ehemaligen Güterabfertigungstrakt direkt neben dem Bahnhofsgebäude gebracht. Bei den jungen Leuten, die am Mittwochabend das Haus samt angrenzender Halle besetzt und gestern Nachmittag wieder verlassen haben, handelt es sich laut ihrem Sprecher um einen „losen Zusammenschluss links-alternativer Gruppierungen aus dem Kreis Esslingen und aus Stuttgart“.

Von Claudia Bitzer

Nennen wir ihn Alexander. Seinen richtigen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen. Nicht wegen der Polizei - die kennt ihn ohnehin -, sondern wegen „der rechten Szene“, für die er nicht noch deutlicher Zielscheibe sein will.


Keine homogene Gruppe

Was am Mittwochabend passiert ist, liest sich im Polizeibericht folgendermaßen: „Eine Gruppe offensichtlich politisch motivierter junger Menschen hat beim Esslinger Bahnhof ein Gebäude besetzt. Die ältere Lagerhalle gehört der Stadt Esslingen und steht leer. Gegen 19.40 Uhr wurden etwa 15 vermummte Personen dabei beobachtet, wie sie in das Gebäude gingen und es besetzten. Anschließend präsentierten sie vom Dach aus und aus den Fenstern verschiedene Transparente.“ An der Hauswand prangte gestern ein Plakat der Alternativen Jugend Esslingen neben einem Banner der Antifaschistischen Aktion Esslingen. Auf einer weiteren Stoffbahn an der Klinkerfront war zu lesen: „Die Häuser denen, die sie nutzen.“

Die Polizei sprach von rund 50, laut Alexander waren es bis zu 80 Personen, die in der Nacht zum Donnerstag im Erdgeschoss des Gebäudes und in der Halle Party machten. Gestern Mittag waren die meisten schon weg, am Nachmittag konnte die Polizei wieder ein leeres Gebäude vermelden. Für Alexander und seine Mitstreiter ist die Sache damit aber noch nicht gegessen: „Das war und ist eine politische Aktion. Wir wollten auf Stuttgart 21 aufmerksam machen, aber auch darauf, dass hier ein Gebäude seit Jahren verfällt, das wir noch prima nutzen könnten.“ Die Polizei war zunächst mit massiver Präsenz vor Ort, hat dann aber von allen weiteren Aktionen abgesehen, die die Situation hätten aufheizen können. „Einige kannten wir. Sie kommen aus der linken Szene Esslingens und Nürtingens. Andere kannten wir nicht. Aber wir wollten nichts eskalieren lassen und haben deshalb auch keine Personalien aufgenommen“, so Polizeisprecher Fritz Mehl.


Besetzer wollen Nutzungsvertrag

Polizei und Stadt sprachen noch am Mittwochabend mit den jungen Leuten. „Wir haben gefordert, dass sie ihre Vermummungen ablegen sollen und wir auf einen Strafantrag verzichten werden, wenn sie das Gebäude bis Donnerstagabend verlassen“, gibt der Erste Bürgermeister und Baudezernent Wilfried Wall­brecht die Verhandlungen wieder, die Ordnungsamtsleiter Gerhard Gorzellik seitens der Stadt geführt hat. „Wir haben uns an unseren Teil der Abmachung gehalten“, sagte Alexander gestern gegenüber unserer Zeitung. „Aber wir hoffen, dass wir unseren Verhandlungspartnern auch trauen können. Die Stadt hat uns versprochen, dass sie prüfen will, ob wir nicht einen Nutzungsvertrag über acht Wochen für das Gebäude bekommen können.“ Bekanntlich will die Stadt den Güterbahnhof überbauen lassen - und der betreffende Bürotrakt samt Halle soll schon in Bälde fallen. Wall­brecht: „Wir wollen während des Weihnachtsmarkts dort die anreisenden Busse parken lassen.“ Er versprach, den Wunsch der jungen Leute zu prüfen, hat jedoch massive Bedenken, ob die Sicherheit in dem baufälligen Gebäude überhaupt gewährleistet werden kann.

Laut Polizeisprecher Fritz Mehl wurde die Polizei in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch zwei Mal an den Bahnhof gerufen. In dem einen Fall habe ein Mann beim Tanz auf dem Dach eines geparkten Taxis für rund 500 Euro Sachschaden gesorgt. Der etwa 20-jährige „im Militärlook und mit Springerstiefeln bekleidete Mann“ sei dann in das besetzte Haus nebenan geflüchtet. Im zweiten Fall wurde eine Schlägerei zwischen zwei Gruppen gemeldet, an der „Stuttgarter Rechte“ beteiligt gewesen sein sollen. Als die Polizei kam, war nichts mehr zu sehen. Laut Mehl haben sich auch keine Geschädigten gemeldet.

Dass jemand aus der Hausbesetzer-Szene für die Schäden am Taxi in Frage komme, schließt Aktivisten-Sprecher Alexander aus. „Militärlook und Springerstiefel? Von so etwas distanzieren wir uns.“ Stattdessen bestätigt er, dass es etwa um zwei Uhr nachts vor dem Gebäude zu einer handfesten Auseinandersetzung der Alternativen „mit Hooligans und Neonazis“ gekommen sei, die die Hausbesetzer mit Steinen und Flaschen attackiert hätten.

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Im Laufe der Nacht provozierte immer wieder eine Gruppe von 15-20 Nazis u. Hools aus dem Raum Stuttgart.

Die Angriffe konnten erfolgreich abgewehrt werden.