Baskische Zivilgesellschaft entwaffnet die Untergrundorganisation ETA

Friedensstifter

Der bewaffnete Kampf für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland ist Geschichte, die Wunden liegen aber weiter offen und die Berichterstattung in deutschen "Qualitätsmedien" kann man eher unter dem Kürzel Fake-News ablegen. Hier schon einmal eine Analyse über die absurde Berichterstattung am Beispiel einer Deutschlandfunk-Meldung.


„Wir haben entschieden, dass dieser Tag der Entwaffnung heute unser Tag ist“, ruft Mixel Behrokoirigoin den „Bakegileak“ (Friedensstiftern) zu, die sich am Samstagmittag versammelt hatten, um der Entwaffnung der baskischen Untergrundorganisation ETA beizuwohnen. Auf dem Platz Paul Bert im französisch-baskischen Baiona (Bayonne) und den umliegenden Straßen drängelten sich, umschlossen von den Stadtmauern, in praller Sonne bei fast 30 Grad etwa 20.000 Menschen.  Sie wollten dem „historischen Tag“ beiwohnen, zu dem die „Handwerker für den Frieden“ aufgerufen hatten.


Behrokoirigoin und die Handwerker wurden dabei auch von vielen ehemaligen ETA-Mitgliedern und Ex-Gefangenen unterstützt, die sich vor der Bühne drängelten. Dabei sind auch Patxi und Arrantza (Namen geändert) die vor mehr als 40 Jahren noch in der Franco-Diktatur den Kampf in der ETA aufgenommen haben und mit gemischten Gefühlen dem Akt beiwohnen. Anders geht es dem 85-jährigen Julen Madariaga, der im Rollstuhl direkt vor der Absperrung vor der Bühne sitzt. Er hatte mit anderen Jugendlichen in der Franco-Diktatur 1959 „Euskadi ta Askatasuna“ (Baskenland und Freiheit/ETA) gegründet. Er wurde später zu einem harten Kritiker, weil er das Festhalten am bewaffneten Kampf für kontraproduktiv hielt. Und so applaudierte der einstige ETA-Gründer  frenetisch, als der Landwirt Behrokoirigoin von der Bühne verkündete, dass die Organisation nun „vollständig und überprüft“ entwaffnet ist.


Auf diesen Tag wurde lange von der Zivilgesellschaft hingearbeitet, denn sie musste die Entwaffnung organisieren. Frankreich und Spanien weigern sich seit mehr als fünf Jahren, seit die ETA 2011 „endgültig“ den bewaffneten Kampf einstellte, mit ihr über die Entwaffnung zu sprechen. Das hat die internationalen Vermittler stets irritiert, die anders als in anderen Friedensprozessen in Madrid und Paris auf verschlossene Türen trafen. Auch das wurde vom Podium auch auf Baskisch, Französisch, Englisch und Spanisch mit Blick auf die internationale Öffentlichkeit kritisiert. Denn die verbreitet bisweilen schlicht Unsinn über den Konflikt, den Friedensprozess und die Entwaffnung, wie sich am Samstag wieder sehr deutlich gezeigt hat. Entwaffnungsaktionen wurden sogar von Sicherheitsbehörden beider Staaten sogar torpediert. So wurden internationale Vermittler nach Madrid vor Gericht gezerrt, die 2014 eine erste begrenzte Entwaffnung vorgenommen hatten.

 

Und auch Frankreich stand nicht nach und ließ  Friedensaktivisten wie Behrokoirigoin und andere im vergangenen Dezember festgenehmen, weil sie Waffen der ETA unschädlich machen und an die Behörden schicken wollten. Gegen sie wird ermittelt und die französische Staatsanwaltschaft hat die Vernehmung derer angekündigt, die an der Entwaffnung beteiligt waren. Auch der spanische Sondergerichtshof hat längst Ermittlungen aufgenommen und hier ist nicht einmal auszuschließen, dass die Aktivisten als ETA-Unterstützer verurteilt werden könnten. Die Ermittlungen in Spanien gegen die Aktivisten werden wegen Unterstützung einer ETA geführt, deren Kampf es längst nicht mehr gibt.


Um neuerliche Repression zu erschweren, wurde nun öffentlich die Entwaffnung für den 8. April angekündigt und die Zivilgesellschaft mobilisiert.  Mit Unterstützung von internationalen Beobachtern schwärmten am frühen Samstag in acht Gruppen schließlich 172 Handwerker aus. Sie markierten acht „Zulos“ (Waffenlager) der ETA und Bilder davon wurden auf einer großen Leinwand auf dem Platz gezeigt. Die ETA hatte zuvor die genauen GPS-Daten übergeben und sich einer von der britischen BBC verbreiteten am Freitag für „entwaffnet“ erklärt. 


Diese Ortsdaten leiteten die Handwerker an die Internationale Überwachungskommission (CIV) weiter, die seit mehr als fünf Jahren die Waffenruhe der ETA und die Inventur von Waffen und Sprengstoffen  überwacht hat. Ram Manikkalingam aus Sri Lanka, der die Kommission geleitet hat, gab am frühen Samstag per Pressekonferenz bekannt, dass sich nun die Behörden um die „Sicherung und Sicherstellung“ der Waffen kümmern müssten. Der Professor an der Universität Amsterdam und Präsident der renommierten Dialogue Advisory Group (DAG) bestätigte die vollständige Entwaffnung und erklärte die Arbeit der Kommission nun für abgeschlossen.


Die CIV übergab die GPS-Daten aber nicht selbst an die Staatsanwaltschaft, sondern dies übernahmen Mateo Zuppi, italienischer Erzbischof von Bologna, und der nordirische Pfarrer Harold Good. Bis zum Eintreffen der Polizei bewachten die Handwerker die Waffenlager, die allesamt von der Polizei identifiziert wurden. Nach Angaben der französischen Polizei wurden fast 3,5 Tonnen Sprengstoff und  Waffen aller Art gefunden. Der französische Premierminister Bernard Cazeneuve hat derweil von einem „entscheidenden Schritt“ gesprochen und herausgestrichen, dass die „Operation in Ruhe und ohne Gewalt“ von statten gegangen sei. 


Good dankte den Versammelten in Baiona für ihre mutigen Schritte. Mit Blick auf die Erfahrungen im nordirischen Friedensprozess rief er aber alle zu „Geduld“ auf.  „Gebt dem Frieden eine Chance.“ Damit sprach er vor allem die an, die den Prozess einseitiger Schritte ablehnen, denen keine Gegenleistungen entgegenstehen, auf den Spanien sogar eher mit der Ausweitung der Repression und der Verschlechterung der Haftbedingungen geantwortet hat. Aus eigenen Erfahrungen weiß der Nordire, dass es stets ein Teil gibt, der den Zeitpunkt für „zu früh“ halte.


Er sprach aber vielen Exilierten wie Patxi und Arrantza aus der Seele, die zwar die Entwaffnung befürworten und unterstützen. Doch nach mehr als 40 Jahre im Kampf, nach Verhaftung und Folter, langen Jahren im Exil in Lateinamerika und erneuter Verhaftung nach ihrer Rückkehr ins französische Baskenland, wo sie erneut als ETA-Unterstützer verurteilt wurden, haben auch Patxi und Arrantza „gemischte Gefühle“ und „nichts zu feiern“. Ihre echten Namen wollen sie lieber nicht gedruckt sehen. Sie befinden sich weiter nur auf Bewährung in Freiheit. „Das politische Problem besteht ohnehin weiter“, erklären sie und halten weiter an der Forderung nach einem unabhängigen, vereinten und sozialistischen Baskenland fest. Sie hoffen nun aber auf eine Lösung nach schottischem oder katalanischem Vorbild und unterstützen seit Jahren die Friedensbemühungen.


Damit geschlagene und bisher nicht verheilte Wunden endlich heilen könnten, appellierte Good an Frankreich und Spanien, endlich ihrerseits auch Entspannungsgesten zu zeigen. „Bringt die Gefangenen nach Hause, um weiteres Leiden zu beenden“, das auch Familien und Freunde der noch etwa 300 Gefangenen beträfe. Damit sprach der Pfarrer vielen hier im Baskenland aus dem Herzen. Und massiv schallte es vom Platz immer wieder zurück: „Baskische Gefangene ins Baskenland.“


Es sei einfach, einen Krieg zu beginnen, aber schwer ihn zu beenden. Deshalb versprachen die Handwerker in Baiona, dafür zu sorgen, dass es „nie wieder zu Gewalt“ kommt. Auch sie halten die Frage der Gefangenen in dem „völlig neuen Szenario für Zentral“. Und so erklärten Behrokoirigoin, dass es vielen auch vor gar nicht so langer Zeit praktisch unmöglich erschien, dass die Zivilgesellschaft die Entwaffnung durchführt. Und so erklärte er für die Handwerker auch in Bezug auf Gefangene und Exilierte, dass  man in Gedanken bei den „Opfern“ sei, „bei allen Opfern“. Denn von Folteropfern oder von denen, die von Polizei, Todesschwadronen und neofaschistischen Gruppen ermordet wurden, wird in der offiziellen Politik selten gesprochen.


Frieden sei nicht nur die Abwesenheit von Krieg und die Entwaffnung sei nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Frieden, mit dem ein „schmerzhaftes Kapitel“ abgeschlossen. Nun müssten aber auch alle schwerkranken Gefangenen freigelassen werden und die, die ihre Strafe längst verbüßt hätten. „So schnell wie möglich“, forderten die Handwerker. „Das Notwendige muss auch möglich sein“, erklärte er mit Blick darauf, dass auch mit der Entwaffnung das Notwendige möglich gemacht wurde.


© Ralf Streck, Baiona den 09.04.2017

 

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Patxi und Arrantza haben recht, es gibt nichts zu feiern. Letztendlich wurde die ETA von reformistischen Kräften zur Kapitulation gezwungen. Schade, dass sie sich nicht gegen diese Linie gestellt hat. Erreicht wurde mit diesem Schritt überhaupt nichts, keine Zugeständnise, keine Lockerung der Repression, keine Amnestie, nichts. Und die Bewegung ist damit in den letzen Jahren auch deutlich schwächer geworden. Unterstützt wurde das Ganze jeweils von diesen Müll-Beiträgen auf Indymedia, denen es immer nur in diesem bürgerlich-moralisierenden Ton um "Konfliktlösung" ging. Der "Konflikt" war eine starke, revolutionäre und militante Bewegung für Sozialismus und Freiheit. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr solcher Konflikte, egal ob im Baskenland oder anderswo.

Du kannst lesen? Warum unterstützen die ehemaligen ETA-Militanten Patxi und Arantza den Prozess, wenn auch mit Bauchschmerzen? Das könnte dir zu denken geben. Aber du denkst offensichtlich in falschen Parametern, hebst Militanz und bewaffneten Kampf auf den Podest oder meinst, nur damit könnte man einen Konflikt führen. Aber die Frage ist doch, wie man seine Ziele erreicht oder ihnen näher kommt. Die ETA hat die Basken in den letzten 20 Jahren vom Ziel eines fortschrittlichen Baskenlandes, vereint und unabhäng entfernt, statt ihm näher gebracht. Das haben die geschnallt, dass jetzt nicht die Zeit für den bewaffneten Kampf ist. Katalonien zeigt ihnen, dass man den Konflikt (der bleibt ja, auch was die soziale Frage angeht), dass man ohne Waffen weiter kommt und die Massen hinter sich bringen kann. Nun, dann geht man eben den Weg, lässt sich eher nicht mehr Foltern und für Jahrzehnte in die Knäste sperren. Denn damit kann Spanien gut umgehen und leben, das haben die lange gezeigt. Was sie nicht können, ist mit einem breiten demokratischen Prozess umzugehen. Der passt nicht in ihr Schema.

Aber wenn du schon so drauf bist, fang halt vor der Haustür an, statt das andere tun zu lassen.

Wieso sie ihn unterstützen? Weil sie das Gebot der Einigkeit der Bewegung nicht missachten wollen. Gibt genügend Gegner dieses Kurses die sich um der Einigkeit willen nicht öffentlich äusserten. Du hast auch nicht verstanden um was es geht. Nicht um den bewaffneten Kampf an sich. Dafür gibt es bessere oder schlechtere Zeitpunkte oder auch unterschiedliche Formen wie dieser geführt werden kann. Entscheidend ist die politische Linie dahinter. Bildu hat einen krassen Rechtsschwenk Richtung Reformismus gemacht und die jetzige Kapitulation ist ein Ergebnis davon. Die Bewegung wurde dadurch in den letzen Jahren in jeder hinsicht geschwächt (sogar an den Urnen). Konsequenterweise gibt es nun auch schon die erste linke Abspaltung, aber die steht leider vor einem Trümmerhaufen.

Und übrigens, die Massen brachten die Bewegungen sowohl im Baskenland wie auch in Katalonien (Terra Lliure) gerade durch den bewaffneten Kampf hinter sich. Ohne den gäbe es die Befreiungsbewegungen überhaupt nicht in der heutigen Form.

Du hast wohl keine Ahnung, von was du sprichst. Es gäbe ja mit ATA nun eine Alternative für Spinner im Baskenland. Aber das ist  (zum Glück) nur ne Randerscheiung.  Und wie viele Jahrzehnte gibt es Terra Lliure nicht mehr? Und wann sind die Massen auf die Straße gegangen? Da fragt man sich: Tut das eigentlich weh?