Analyse & Kritik über und von dem ehemaligen Plenum der (Haus)-projekte des Friedrichshainer Nordkiez

Liebigstraße / Rigaer Straße

Wer oder was sind wir?

Die Rigaer Straße im Friedrichshainer Nordkiez wird heute noch von den übriggebliebenen Häusern der Besetzerzeiten der 90er geprägt. Unsere Geschichte ist eine unruhige, die vom Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse erzählt. Ein Großteil der Bevölkerung, die sich damit identifiziert, wurde jedoch durch Aufwertung und Vertreibung in den letzten Jahren ausgetauscht. Was bleibt, ist ein Schauplatz des Konfliktes zwischen Anarchist*innen, Widerständigen und sympathisierender Nachbarschaft und den Glasfassaden der Investor*innen- und Yuppieträume, derer, die sich willenlos der kapitalistischen Kontrolle hingeben und die verachten, die sich ihr entgegenstellen und dem staatlichen Gewaltmonopol.

 

Vor allem im Jahr 2016 ist die Rigaer Straße durch die Installierung des polizeilichen Ausnahmezustands und der Versuche des dümmsten Innensenators Henkel und seiner Schergen, die Widerständigen zu unterdrücken, berühmt geworden. Wie wir schon triumphierend festgestellt haben, blieb es bei den Versuchen. Nach den mehrmonatigen Auseinandersetzungen im Kiez und dem Belagerungszustand der Rigaer 94, der im Juli 2016 vorerst endete, ist es jedoch ruhig geworden. Der Ausnahmezustand, die tägliche Gewalt gegen die Bewohner*innen des Kiezes und der Druck unter dem wir standen, musste erstmal verdaut und reflektiert werden. Der Rückzug der Bullen hat bei uns bewirkt, dass auch wir uns zurückgezogen haben.

 

In den letzten Monaten haben wir uns im Vergleich wesentlich weniger zu der Situation hier im Kiez oder im Bezug zu anderen Kämpfen, zum Beispiel zur drohenden Räumung der Friedel54 oder der Silvio-Meier Demo durch den Nordkiez, verhalten. Keineswegs kann aber von einem Stillstand gesprochen werden, wovon zahlreiche Plakate und Graffitis an den Wänden und Veranstaltungen zum geplanten Luxusneubau der CG-Gruppe zeugen.

 

Als Teil der Struktur der (Haus-)Projekte des Friedrichshainer Nordkiezes finden wir, dass es nun an der Zeit ist für eine Analyse und einhergehende Selbstkritik. Eben auch, um gemachte Fehler, mangelnde Analysen und fehlende Strategien öffentlich zu machen und somit zur Diskussion zu stellen. Es ist nicht die Zeit, in den Winterschlaf überzugehen, sondern die Schlagworte rebellischer Kiez und solidarische Nachbarschaft als Ausgangspunkte für eine aufständige Perspektive auf ihre Anwendbarkeit zu überprüfen.

 

Was hat der Zusammenschluss unter dem Label „(Haus-)projekte des Friedrichshainer Nordkiez“ gemacht?

 

Auf Grund der schlechten Vernetzung im Kiez unter den Hausprojekten und Aktiven, ist die Idee einer gemeinsamen Organisierung der „Langen Woche der Rigaer Straße“ entstanden. Das Fest sollte bewusst unangemeldet sein und eine Anknüpfung zur Nachbarschaft suchen, aber auch alle Aktiven und Verbundenen einladen den Raum zu nutzen bzw. zu gestalten. Nach der gewaltsamen Unterbindung und Zerstörung des Umsonstflohmarkts am Dorfplatz und allen anderen Angeboten auf der Straße, blieb nach dieser Woche bei vielen Besucher*innen ein Unverständnis gegenüber den Berliner Bullen.

Im Zuge der angelaufenen Vernetzung und der Ankündigung des ehemaligen Berliner Innensenators Henkel die Rigaer Straße in ihre Schranken zu weisen, war für viele klar, dass diese Vernetzung bestehen bleiben muss. Zudem wurde unser Kiez als rechtsfreier Raum tituliert, den es natürlich zu unterstreichen und zu füllen galt.

 

Der restliche Sommer wurde eigentlich nicht mit außergewöhnlichen Taten geschmückt, die nicht sonst im Kiez auch immer präsent waren. Es wurde am Dorfplatz gechillt, hin und wieder ein Sommerfeuer entfacht und es gab Angriffe auf Bullen.

Ein rechtsfreier Raum kann eigentlich noch viel mehr, aber jene Aktionen genügten um unseren selbstverwalteten Raum in einen rechtlosen Raum zu verwandeln. Es begann schleichend im Oktober 2015 mit vermehrten Personenkontrollen im Kiez und übertrieb es bis hin zu Checkpointen über mehrere Stunden an Straßenkreuzungen. Außerdem waren nicht mehr nur Menschen mit szenetypischen Kleidungen betroffen, sondern durchweg alle – das Gefahrengebiet.

 

In dieser Zeit kam es vermehrt zum Austausch mit Menschen auf der Straße, solidarischen Beistehen bei Kontrollen und auch schon das ansatzweise respektlose Verhalten gegenüber den Bullen.

 

Wir als Struktur wollten diese Repression gegenüber Bewohner*innen und Besucher*innen dieses Kiezes mit einer Kiezdemo kollektiv zusammenführen und nicht individuell wirken lassen. Die Demo am 6. Februar wird im Text später nochmal erwähnt.

 

Im Januar besuchten dann die Bullen inklusive SEK zweimal das Hausprojekt Rigaer94, nachdem der Kontaktbereichsbulle eines Morgens des Kiezes verwiesen wurde. Der Staat schickte jegliche Gewalttätigkeit in Person in den Kiez um uns einzuschüchtern. Die darauf folgende Solidarität der Nachbar*innen und Anwohner*innen stärkte das Wachsen des Kiezes. Die immernoch anhaltende starke Bullenpräsenz, die Übergriffe auf die Rigaer94 und der mittlerweile starke Anstieg von Repression gegenüber den Bewohner*innen rund um die Rigaer Straße, waren Gründe für uns eine eigentlich schon lange ausstehende Kiezversammlung einzuberufen.

Jene fand erstmals am 02.02.16 mit 250 Anwohner*innen statt und schuf eine Basis für Diskussionen, Interessen und Organisierung.

An dieser Stelle möchten wir kurz tiefer auf die Kiezversammlung, ihre Entwicklung und unser rausziehen eingehen.

Der anfängliche Austausch mit den Nachbar*innen war geprägt von Interesse über jährliche Aktionen unsererseits, Empörung über Bullenaktionen und Gentrifizierung.

Gleich bei der 2. Kiezversammlung hatten Menschen das Bedürfnis aktiv zu werden und haben sich in Interessens-AG`s zusammengefunden. Von der Planung eines Straßenfests bis hin zu einer Presse-AG, trafen sich die Teilnehmenden fast wöchentlich.

Von Anfang an wohnte aber auch Canan Bayram von der Grünen Partei den Kiezversammlungen bei. Sie gab an nicht als Parteimitglied in dieser Versammlung zu sein, sondern als Anwohnerin. Durch ihren dauer-twitter Einsatz während der Razzien in der 94 hatte sie schon einige Bekanntschaften im Kiez gemacht und wurde deswegen von der übrigen Kiezversammlung akzeptiert.

Einigen von uns war sie von Anfang an ein Dorn im Auge, wenn mensch beachtet, dass alle anderen Kiezinitiativen in Berlin letztendlich von Parteien übernommen wurden und ihre Radikalität in übliches Politikblabla umschwang (siehe Bizim Kiez). Von Monat zu Monat wurde es ruhiger im Kiez und auch bei der Kiezversammlung schwand die Teilnehmer*innenzahl.

Dies erklären wir uns so, dass es für viele keinen konkreten Anlass mehr gab, der Kiezversammlung beizuwohnen. War ihre eigene Betroffenheit durch den Rücklauf der Kontrollen ja auch so gut wie verschwunden. Ebenso blieben, auch von unserer Seite, glorreiche Ideen aus, wie wir gemeinsam diesen Kiez nutzen wollen. Die Kiezversammlung wurde nach und nach zum Selbstzweck und zu einem Kreis, in welchem einige Leute den Drang nach weiterer Organisierung hatten und andere Entscheidungen bzw. Beschlüsse fällen wollten. Interessant war hierzu die Diskussion um den Ausschluss von Canan Bayram. Einige Anwohner*innen fühlten sich von ihr verraten, nachdem sie während der Wahlpropaganda Phase den Rigaerkiez als Aushängeschild genutzt und auf ihrem Plakat mit der Kiezversammlung geworben hat. Einige forderten hier, dass Bayram als Vertreterin einer Partei die Versammlung verlässt. Auch bei dieser Diskussionen wurde nochmal allen klar, dass dieses Anwohner*innentreffen keine Entscheidungen treffen kann. Weder für den Kiez noch für die Versammlung selber. Es kann lediglich nur ein Instrument des Austausches und Kennenlernens sein. Für uns war klar, die Kiezversammlung darf kein Mikroparlament werden/sein, indem Menschen sich ermächtigt fühlen Entscheidungen für einen Kiez zu treffen.

Auch bei uns blieb die Frage im Raum stehen, wer bestimmt hier was, wie, wo im Kiez. Erwähnenswert ist von unserer Seite noch die Diskussion um das angemeldete Straßenfest, welches von Anwohner*innen organisiert wurde. Wir vertraten lange den Standpunkt, dass das Straßenfest nicht angemeldet werden sollte, da wir die Gefahr eines Kuschelkurses mit den Bullen sahen und das Gefühl hatten wieder einen Schritt zurück zu gehen. Allerdings waren unsere Argumente nicht in eigene Organisierungen zu dem Straßenfest eingebettet. Es war eine zu voreilige Annahme, dass der Zusammenschluss unter den Nachbar*innen in kürzester Zeit so stark ist ein unangemeldetes Straßenfest durchzuführen.

 

Der Frühling. Der Frühling war geprägt von der Hiobsbotschaft, dass ein widerlicher Luxusneubau, dass alte Gelände in der Rigaer Str. 71-73 platt machen wird. Der Fall einer Initiative im Kiez, die jenes Bauvorhaben heimlich unterstütze um ihr eigenes Projekt zu sichern (Antje Öklesund + stadtraumnutzung e.V.) wurde eines Nachts öffentlich gemacht, nachdem bei jenen die Scheiben klimperten. Die Solidarität blieb mit einem Schmunzeln aus, als auch ihnen im Sommer eine Kündigung ins Haus flatterte, trotz zahlreicher Versprechen bei einer Kooperation bleiben zu dürfen. Tja mit Schweinen verhandelt mensch nicht.

Gegen das Bauvorhaben hat sich seitdem auch ein Zusammenschluss an Menschen gefunden der gegen die CG-Gruppe mobilisiert. Zu unserer Freude, wird hier mit allen Aktionsformen gearbeitet und sympathisiert. Der Slogan ist Programm. Kein Luxusbeubau in der Rigaer Straße. Wir freuen uns über alles!

 

Der Sommer. Es war schon fast zu ruhig angesichts der weitaus guten Mobilisierung gegen den CG-Bau, da flexten Bauarbeiter unter Bullenschutz am 22. Juni 2016 die Haustüren des Hausprojekts Rigaer94 auf und besetzten die besetzten Vereinsräume des Hauses. Unter ihnen die alteingesessene Hauskneipe Kadterschmiede. Es folgte eine 3-wöchige Belagerung des Hauses, sowie des Kiezes.

Schon Anfang Juni beschlossen wir, als weitere unterstützende Maßnahme gegen das Sama-Riga Carré eine „Kiezdemo gegen Verdrängung“ durch Friedrichshain ziehen zu lassen, die mit viel Flyern auf das Luxusprojekt und unseren Verhinderungsplan aufmerksam machen sollte. Wie auch schon bei der Demo im Februar bleibt zu sagen, dass beide Demos anfänglich als kleine Kiezdemos gedacht waren. Unter den Slogans „Rebellische Strukturen schaffen, solidarische Kieze verteidigen“ im Februar und „Investor*innenträume platzen lassen, Rigaer94 verteidigen“ im Juli, nahmen sich mehrere 1000 Menschen die Straße.

Das was letzendlich daraus gemacht wurde, ist ein Verdienst jeder/s Aktiven vor und auf der Demo. Unsere Erwartungen wurden beide male stark übertroffen.

 

Der Nordkiez hat Gefangene! - Die Bullen haben am Abend des 9.7.16 viele Menschen festgenommen. Aaron und Balu wurden in U-Haft gesteckt (4 bzw. 5 Monate). Seit Oktober läuft Balus Prozess. Aaron wurde im November verurteilt.

Am 21. November verhafteten die Bullen eine weitere Genossin aus Münster (Thunfisch). Sie sitzt seitdem in der JVA Lichtenberg in Berlin. Ihre erste Haftprüfung am 16.12. verlief negativ.

 

Reflektion Gefahrengebiet und Ausnahmezustand

 

Label


Seit der Organisation der Langen Woche der Rigaer Straße 2015 wurde einiges unter dem Namen der (Haus-)Projekte des Friedrichshainer Nordkiezes veröffentlicht und organisiert. Es kann jedoch schon länger nicht mehr ehrlich von einer Häuserstruktur gesprochen werden, die die Planungen und Handlungen hier im Kiez trägt: es ist vielmehr zu einem Label geworden und dieses gilt es als beendet zu erklären. Es kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass sich alle Projekte des Kiezes aktiv einbringen würden und wir wollen durch das Label keine falschen Erwartungen wecken. Die Ursachen dafür sehen wir in mangelnder Kontinuität und Ideenreichtum, personeller Überlastung und der fehlenden Klarheit über die Bedeutung lokaler Kämpfe. Es ist auch nichts neues, dass Hausprojekte und ihre Kollektive sich oft ins „Schöner-Wohnen“ der Subkultur einigeln, anstatt sich mit dem Vorteil des kollektiven statt individualisiertem Wohnen auseinanderzusetzen, um einen Ort der Selbstorganisation und des Widerstandes zu schaffen.

 

Also werden wir die Maske fallen lassen und die knapp zweijährige Geschichte der (Haus-)Projekte des Friedrichshainer Nordkiez zugunsten der Struktur Rigaer Straßenplenum vorerst abschliessen.

 

Rebellischer Kiez – Herstellung einer kollektiven Identität

 

Mit der Erklärung des Kiezes zum Gefahrengebiet wurde dieser zum Testfeld polizeilicher Aufstandsbekämpfung. Der Ausnahmezustand dient der Bekämpfung der Feinde im Inneren, genau dort wo Bullenkarren angegriffen wurden, wenn sie nervten und Antiautoritäre einen Umsonstflohmarkt organisierten, wo die Menschen aus dem Viertel zusammenkamen. Henkel machte aber einen Fehler, indem er alle, die hier wohnen, leben und arbeiten, zum Feind erklärte und an unzähligen Kontrollpunkten durch seine Schergen schikanieren ließ. Anstatt zu individualisieren, wurde zuerst von außen eine zusammengehörige Gruppe geschaffen. Durch Publikationen unsererseits und eines provokanten und progressiven Umgangs wurde die Herausforderung angenommen und es entwickelte sich von Innen heraus ein Verbundenheitsgefühl. Auf den Kiezversammlungen und bei Gesprächen in der Straße wurden die gemeinsame Erfahrung und mögliche Handlungen diskutiert. Verschiedene Menschen, die im Kiez wohnen, fingen an, sich zu vernetzen. Begriffe wie der Kampf für eine solidarische Nachbarschaft und einen rebellischen Kiez wurden dem vorangetragen und sollten eine gemeinsame Identität und den Weg aufzeigen, wie mit der Repression umgegangen werden soll. Das Gefahrengebiet hätte auch Rückzug und Entsolidarisierung oder eine kollektive Ohnmacht gegenüber des staatlichen Gewaltmonopols, ausgedrückt in einem „wir sind friedlich, was seid ihr?“ oder dem Gang zur Klobürste als Symbol regierbarer „Widerständigkeit“ auslösen können. Anstatt dessen fand jedoch eine sichtbare Solidarisierung mit militanten antagonistischen Gedanken und Aktionen statt, nicht alle aber einige Bewohner*innen des Kiezes durchbrachen ihre Vereinzelung und organisierten sich. Während der Belagerung der Rigaer 94 im Juni / Juli 2016 trug das entstandene Verbundenheitsgefühl seine Früchte. Die Bullen, die drei Wochen die Rigaer 94 und den Kiez belagerten, haben die kollektive Ablehnung deutlich gespürt.

 

Teile und Herrsche“ - Spaltungsversuche

 

Runde Tische werden immer dann gefordert, wenn ein politischer Konflikt eskaliert und soziale Kämpfe integriert und in regierbare, weil vorgegebende und instititutionelle, Strukturen geleitet werden sollen. Den Versuch eines Runden Tisches im Bezug zur Rigaer Straße gab es auch im August 2016. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser von den „linken“ Bezirkspolitiker*innen Hermann, Bayram und Co. gestaltet wurde, die damit beweisen wollten, dass sie den Konflikt besser unter Kontrolle bekommen könnten, als die Regierungsparteien. Der Versuch der Vereinnahmung und Kontrolle muss immer entlarvt und ihm entgegengetreten werden, um nicht die falsche Hoffnung stehen zu lassen, dass Zugeständnisse von oben irgendwas an unserer Situation ändern würden. Im August erklärte neben der Rigaer 94, die nicht an dem Runden Tisch teilnahm, auch eine Bewohnerin des Kiezes öffentlich, dass sie sich nicht von der Bezirkspolitik „umarmen“ lasse und deswegen ebenfalls nicht an diesem teillnehmen würde.

 

In einem Stadtteilkampf, der sich auf eine Mobilisierung einer breiten Basis stützt, finden sich zahlreiche Widersprüche. Ein Beispiel ist die Pressekonferenz von Anwohner*innen (link) zur Zeit der Belagerung der Rigaer 94. So war es klar ein Zeichen der Solidarität mit dem Haus und wofür es steht, als auch ein Zeichen, dass die massive Bullenpräsenz nervt und diese wieder verschwinden sollen, „damit wieder Ruhe im Kiez einkehrt“. Diese Initiative hat sicherlich zur Masse an Aktionen beigetragen, die den Herrschenden zeigten, dass sie die Finger von der Rigaer 94 lassen sollen. Gleichzeitig bietet der Ruf nach Frieden die Möglichkeit für die Regierungen, genau dort einen Keil anzusetzen und zu erklären, dass dieser nur mit den gemäßigten Bewohner*innen des Kiezes möglich ist und die Widerständigen dem im Weg stehen.

 

Rebellischer Kiez und solidarische Nachbarschaft

 

Das Plenum unter dem Namen „Hausprojekte des Friedrichshainer Nordkiezes“ spielte mit Beginn des Gefahrengebiets mit einigen Begrifflichkeiten, die wir hier näher ausführen wollen.

Sowohl die Demo im Februar unter dem Slogan „Rebellische Strukturen verteidigen – Solidarische Kieze schaffen“, als auch unsere Bezeichnung des Nordkiezes als rebellischer Kiez und solidarische Nachbarschaft basierten auf folgenden Grundlagen.

Uns ist natürlich klar, dass wenn wir uns den Friedrichshainer Nordkiez ansehen, wir nicht von einem rebellischen Kiez wie Exarchia in Athen oder Kücük Armutlu in Istanbul sprechen können. Dieser Kiez verfolgt kein gemeinsames Ziel, ist nicht gemeinsam aus einer Idee entstanden und hat auch kein gemeinschaftliches Interesse. In diesem Kiez leben Menschen, die sich bewusst entschieden haben hierher zu ziehen und die erkämpfte Struktur zu halten und weiterzuführen, hier leben Menschen, die erst durch das Gefahrengebiet in Austausch mit anderen Aktiven gekommen sind und sich mit der Idee identifizieren können, hier leben Menschen die sich vielleicht über Ungerechtigkeiten empören, aber der Glaube an ihren Rechtsstaat sie vor allen Ungerechtigkeiten schützt und hier leben Yuppies.

 

Was bedeutet rebellischer Kiez oder solidarische Nachbarschaft?


Was uns zum einen dazu bewogen hat, von einem rebellischen und solidarischen Kiez zu sprechen, war die Struktur die im Zuge der Hausbesetzungen in den Neunzigern geschaffen wurde und teilweise bis heute weiter besteht. Es sind Aktive die in Wohnungen leben, in Hausprojekten oder die regelmäßig zu Besuch kommen. Sie verbindet eine Szenekultur und für die die mehr wollen, einen Kampf im Kiez gegen Bullen und Autoritäten. Im Zuge des Gefahrengebiets wurde probiert die Repression nicht individuell wirken zu lassen, sondern kollektiv einzufangen. Konkret bedeutet das, dass Texte publiziert wurden, die von der Repression gegen uns alle sprach und auf der Kiezversammlung erlebtes geteilt und diskutiert wurde. Unter anderem wurde auch eine Zeitschrift herausgebracht mit dem Namen „ZAD Dorfplatz“ (ZAD für Zone a defendré), die die Sicht auf das Gefahrengebiet gegen uns umwandelte in ein Gefahrengebiet für behelmte Schläger (Bullen).

Der Begriff rebellischer Kiez konnte und wird nie komplett auf diese Nachbarschaft übertragbar sein. Die Gentrifizierungswelle die über Berlin geschwappt ist, hat viel Scheiße hinterlassen. Die vielseitig genutze Brache „Bambiland“ musste hässlichen Luxusneubauten weichen und mit dieser gated-community werden wir nie Frieden schließen. Der Nordkiez wird nicht nur geprägt von den Menschen die hier leben, sondern von allen die diesen Raum aktiv mitgestalten, nutzen und verteidigen.

 

Anders hingegen der Anspruch einer solidarischen Nachbarschaft. Wie oben ausgeführt, leben Leute hier zufällig oder ausgesucht, aber größtenteils zusammengewürfelt in einem Kiez der vielseitig genutzt wird. Da diese Nutzung, auf Grund von fehlendem gemeinsamen Ziel, sehr unterschiedlich aussehen kann und deswegen auch oft auf Unverständnis und Kritik stößt, ist es notwendig einen Austausch zu haben und Solidarität als unseren kleinsten gemeinsamen Nenner zu fördern.

Wir reden hier allerdings von einer mehr abstrakten Solidarität oder eigentlich auch nicht. Konkret meinen wir damit folgendes: Es geht nicht darum, dass wir uns alle an einen Tisch setzen und ausmachen, dass X nun keine Graffitis mehr an des Nachbarn schöne Fassade macht und im Zuge dessen, ruft Hausmeister Y nicht mehr die Bullen. Oder Z ist hier im Kiez erst solidarisch mit allen, wenn ab 20 Uhr keine Böller mehr geworfen werden.

Wir haben radikale Ziele in unseren Köpfen, die sich im kleinen vielleicht hier verwirklichen lassen. Wenn wir sagen: Keine Bullen im Kiez, dann sagen wir das, weil wir diese Mörderbande mit allen Mitteln bekämpfen wollen – um ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit für Menschen zu schaffen, die jedesmal um ihr Leben bangen müssen, wenn sie auf jene treffen.

Wenn wir sagen: Kadterschmiede bleibt, dann bedeutet das, dass wir es richtig finden Räume zu besetzen und keinen Cent an Eigentümer*innen, Investor*innen oder sonstige Arschlöcher zu zahlen.

Und wenn wir sagen: keine Autoritäten im Kiez, dann wollen wir einen selbstverwalteten Raum, der nicht an deutsche Moral und deutsches Gesetz gebunden ist.

 

Was bedeutet dann also solidarische Nachbarschaft für uns?

 

Da klar ist, dass die solidarische Nachbarschaft kein Label sein kann, dass den Lokalpatriotismus zum Ziel hat, wo es reicht, sich als Anwohner*in auszuweisen, um Teil davon zu werden, stellt sich natürlich die Frage, wer Teil der Solidargemeinschaft ist und wer nicht. Wir sind nur ein Zusammenhang, wenn auch ein vergleichsweise mächtiger, der dazu eine ungefähre Meinung hat. Die Suche nach dem revolutionären Subjekt gibt es nicht. In der jüngeren Praxis hat sich gezeigt, dass Pragmatismus dagegen Erfolg hat. In den konfrontativen Phasen wissen wir immer ganz genau, wer solidarisch ist und wer nicht. In den Ruhephasen sind die Konturen zwischen den verschiedenen Gruppen aus Gegner*innen, Unterstützer*innen und Kämpfer*innen aber immer diffus. Für uns definieren wir, dass Teil der solidarischen Nachbarschaft ist, wer uns gerade unterstützt – und sei es durch solidarische Kritik. Klar würden wir lieber die Trennung in Unterstützer*innen und Kämpfer*innen weglassen. Im Rahmen unserer solidarischen Kritik kommen wir aber nicht umhin, vielen Nordkiezler*innen und Berliner*innen den Vorwurf zu machen, nicht mehr zu leisten, als unsere politische Strategie zu unterstützen. Lieber hätten wir es, wenn Menschen mit eigenen Ideen Initiative ergreifen würden. Wie wir. Oder wie die Leute, die die CG-Gruppe auf verschiedene Arten ins Visier nehmen. Oder wie der Kiezladen Friedel54.

 

Wir denken, dass der rebellische Nordkiez sowieso ein Teil eines größeren Kampfes ist.

Er war schon immer in seinen bald 27 Jahren in ein internationales Projekt eingebettet. Er ist ein Anlaufpunkt für Menschen aus verschiedensten revolutionären oder aufständischen Kämpfen. Ein Spot des Austausches und Kampfes.

Die Lange Woche der Rigaer Straße sowie die anschließenden Auseinandersetzungen folgten der Langen Nacht der Rigaer ein Jahr zuvor. Vor mehreren Jahren gab es ein Langes Wochenende der Rigaer Straße. Die Autonomen in Friedrichshain waren schon vor zwanzig Jahren Teil des kurdischen Freiheitskampfes und auch heute hängen hier Transparente in Solidarität mit Rojava. Spenden werden gesammelt, Infoveranstaltungen zu verschiedensten Kämpfen bringen Austausch mit der Welt.

 

Wie weiter?

 

Wir sehen den lokalen Kampf, der sich im Kiez verankert und vernetzt, als einen Punkt, an dem sich rebellische Perspektiven entwickeln und kristallisieren. Es ist ein Ort, an dem wir nicht in Teilbereichskämpfen verschwinden und nur ab und zu Berührungspunkte in Kneipen oder Bündnissen haben. Es geht um das Ganze, um Selbstverwaltung, um einen antifaschistischen Kiez ohne Autoritäten, ohne Bullen. Dafür müssen und werden wir in ständigem Konflikt mit diesen stehen, damit sich nicht nach und nach das Ordnungsamt einschleicht und Parkautomaten aufstellt, während wir in den Kneipen der Straßen am Vokütisch sitzen. Rebellischer Kiez bedeutet Diskussionen zu führen und Widersprüche auszuhalten. Es bedeutet Verantwortung zu übernehmen, solidarische Nachbarschaft nicht nur auf dem Papier zu schreiben, sondern auch selber daran zu arbeiten. Solidarität ist keine Einbahnstraße – das wurde uns manchmal vorgehalten. Dabei geht es nicht darum, dem Yuppie einen 10-Euro-Schein in die Tasche zu stecken, wenn der Porsche ausgebrannt ist, sondern sich mit denen zu verbünden, die auf verschiedenen Wegen kämpfen und vergleichbare Ziele wie wir im Kopf haben. Die Erfahrung des Widerstandes in den Hausprojekten kann an Menschen weitergegeben werden, die sich in ihrem Mietshaus gemeinsam gegen Mieterhöhungen und Zwangsmodernisierung wehren. Im Widerstand gegen den CG-Bau können wir uns gegen die Aufwertung des Kiezes verbünden und klar machen, dass die Bezirkspolitiker*innen uns hier nicht weiterhelfen werden, sondern Teil des Problems sind. Damit sich mehr Menschen mit dem Stadtteilkampf identifizieren, sich kennenlernen und von Unterstützer*innen zu Kämpfer*innen werden, müssen wir ansprechbar sein und klar in der Vermittlung unserer Ideen und Ziele. Dafür können wir den öffentlichen Raum nutzen. Der Dorfplatz (Rigaer / Liebig) ist ein solcher Raum, der mit Filmen, Kundgebungen, gemeinsamen Essen und Diskussionen weiter gefüllt werden kann und schon jetzt ein Anlaufpunkt für verschiedenste Menschen ist. Rebellischer Kiez bedeutet, über den Tellerrand zu schauen, sich nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere Kämpfe zu beziehen und gemeinsame Momente des Austauschs, Handelns und Widerstandes zu schaffen.

 

Es bedeutet auch, die Reißleine zu ziehen, wenn es nur noch um einen lokalpatriotischen Kampf für die eigene Wohlfühloase geht.

 

 

Untersützt die Gefangenen auf allen Ebenen!

Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Autorität!

 

 

Balus nächste Prozesse: 24.1. // 11:30 // Saal B218 und 31.1. // 12:00 // Saal B218

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Wenigstens ist der Artikel ehrlich. Solidarität wird immer anerkannt, egal von wem und in welcher Form - sich solidarisch zeigen wird an enge Grenzen geknüpft, welche auf keinen Fall die eigenen gezogenen Linien überschreiten darf.

Hier nehmen sich wieder ein paar Leute wichtiger als sie sind, stellen ihr Hausprojekt über Projekte anderer. Ihre Lebenseinstellung soll Solidarität erfahren, andere Projekte sind nur mehr oder weniger systemangepasste Mitläufer.

Ansonsten enthält mir der Artikel zu viel Pathos und Volklore und vor allem zu viel Egoismus und elitäre Rechthaberei. Von welchem hohen Ross schaut ihr auf andere Hausprojekte herunter, die sich sozial engagieren und vielleicht mehr Menschen erreichen und ihnen helfen können als ihr es jemals schafft? Ist das Ziel für eine "bessere Welt" zu kämpfen nachrangig zu eigenen Lebensentwürfen und politischer Weltanschauung? Wird nur dem geholfen, der die gleiche politische Einstellung hat? Mir ist das zu billig und zu platt.

Ich verstehe Teile deiner Kritik, aber welche andere Projekte haben denn einen ähnlichen Output wie die Rigaer Str.? Ich will anderen Projekten keines Falls ein politisches Bewusstsein absprechen, aber ich finde es gibt leider nichts vergleichbares. Klar hört man vond er F54 und dem M99 auch viel, aber ich habe den Eindruck dass das erst passiert ist, als sie selbst zu bedrohten Projekten wurden. Eine Konstanz von Aktionen wie in der Rigaer/Liebig (Lange Nacht/lange woche/nachbarschaftstreffen) vermisse ich schon bei vielen Projekten. Ich lasse mich gerne eines Besseres belehren, aber dann hätte ich gerne deine Behauptungen mit Beispielen unterlegt. Denn sonst ist deine kritik zu grossen Teilen nur heisse Luft. Allerdings Sehe ich den Pathos/Volklore Part auch als übertrieben hoch an

Aber das mit dem Output ist sonne Sache. Viele Menschen reißen sich politisch den Arsch auf, die Rigaer tut das eben viel mit Millitanz, Phrasen , Straßenkämpferromatik. Das erzeugt ein gewaltiges echo in Medien etc. und das ist auch das wofür die Rigaer gut ist. Dieses Plenum war wohl ehr ein hort der informellen Hierrachie, teilweise Esotherik und Arroganz. Ein Freundeskreis dessen Ego regelmäßig von BZ bis Tagesspiegel gestreichelt wurde. Es gab Menschen die enomes geleistet haben dort, die auch bock auf andere Menschen und ein Rauskommen aus dem Szenesumpf hatten, aber leider auch sehr viele Menschen die sich in ihrer Szene inc. Lokalpatriotismus abfeiern wollten. Kein Ort für jeden Menschen. Einige hatten wohl den Eindruck das dieser Freundeskreis eigentlich lieber unter sich bleiben möchte und so ist es ja auch gekommen.

"Es bedeutet auch, die Reißleine zu ziehen, wenn es nur noch um einen lokalpatriotischen Kampf für die eigene Wohlfühloase geht."

Der 'Kampf' findet ja offensichtlich nur im Nordkiez statt, also ist es der lokalpatriotische Kampf fuer die eigene Wohlfuehloase.

Damit ist die ganze Agenda doch eigentlich fuer den Arsch und die Reissleine wird gezogen?

woher willst du denn wissen was die leute außerhalb ihres kiezes machen? außerdem gibt es für den nordkiez doch oft eine gemeinsame anreise zu demos außerhalb des kiezes. ansonsten sind info- und disskusionsveranstaltungen z.B. über die situation in kurdistan etwas, das zwar im kiez statt findet, aber nicht sebstbezogen ist.