Neonazis im ukrainischen FußballIn den ukrainischen Fanszenen dominieren Neonazis die Kurven. Für unsere Reportage über eine linke Ultragruppe (11FREUNDE #140, ab jetzt im Handel) haben wir auch Dr. Rafal Pankowski interviewt, der an der Universität Warschau lehrt und sich mit Rechtsextremismus im osteuropäischen Fußball beschäftigt. Ein Gespräch über Versäumnisse, Gefahren und Aussichten
Dr. Rafal Pankowski, nahezu alle Ultraszenen im ukrainischen Fußball werden von Neonazis dominiert. Wie werten Sie die Positionierung der Fanszene von Arsenal Kiew?
Eine
Gruppe wie die von Arsenal Kiew, die sich offen links zeigt, ist in
der Ukraine tatsächlich eine sehr untypische und außergewöhnliche
Erscheinung. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass wir weder in der
Ukraine noch in anderen post-sowjetischen Staaten auf Erstliga-Level
viele vergleichbare Szenen finden werden. Das liegt auch daran, dass
sich jeder, der sich entscheidet, bei einer solchen Gruppe
mitzumachen, automatisch in Gefahr begibt. Deshalb bleiben diese
Gruppe auch relativ klein.
Die Fans von Arsenal
Kiew behaupten, dass 15 von 16 Klubs in der ukrainischen Premjer Liga
von rechten Fangruppen unterstützt werden. Ist das übertrieben?
Es
ist kein Klischee, sondern ein Fakt: Rassismus und Faschismus ist im
osteuropäischen Fußball sehr verbreitet. Lediglich der Grad der
rechten Ausrichtung unterscheidet die einzelnen Szenen voneinander.
Die Gründe sind vielfältig. Darf ich etwas ausholen?
Bitte.
Zum
einen sind viele Jugendliche im früheren Ostblock auf der Suche nach
einer Identität, die sie oft im Fußball finden. Zumindest
vermitteln ihnen die Kurven ein Gefühl von Gemeinschaft und
Zusammengehörigkeit. Gleichzeitig gibt es seit 1990 ein Vakuum in
punkto Werte – und dieses Vakuum wird häufig von extrem rechten
Gruppen besetzt. Und schließlich gibt es noch die simple Erklärung,
dass viele Jugendlichen in den ehemaligen Sowjetstaaten wenig
Perspektiven haben. Der Frust über die wirtschaftliche Situation
entlädt sich dann im Hass auf Andere und in der Suche nach
Sündenböcken.
Ist Rechtsextremismus in
post-sowjetischen Staaten auch eine Rebellion gegen die
kommunistische und sozialistische Elterngeneration?
Man
kann die ganze Sache durchaus Jugendrebellion nennen, die in diesem
Fall in einem – sagen wir es deutlich – außerordentlich dummen
Weg zum Ausdruck gebracht wird. Wobei auch das eine gewisse paradoxe
Situation ist, schließlich haben gerade diese Länder sehr stark
unter der Naziherrschaft gelitten. Nicht weit weg vom Stadion, wo
1942 das »Death Match« der »Todeself« stattfand, brüllen sie
heute »Sieg Heil!« (als Todeself wird eine Mannschaft aus
ukrainischen Zwangsarbeitern bezeichnet, die am 9. August 1942 im
Zenitstadion Kiew eine Auswahl deutscher Wehrmachtssoldaten besiegte,
d. Red.).
Dabei spielen mittlerweile viele
Ausländer in der Ukraine. Alleine in Donezk und Charkiw sind aktuell
22 Südamerikaner aktiv.
Auch das ist paradox und
beinahe ironisch. Viele Klubs sind mittlerweile sehr multikulturell
und international aufgestellt, es gibt in ihren Teams zahlreiche
Spieler aus Brasilien oder Afrika. Wenn man so will, sind die Teams
die multikulturellsten Erscheinungen, die es in der Ukraine gibt. Und
auf der anderen Seite sind die Fans die rassistischsten
Erscheinungen. Hier prallen also zwei Extreme aufeinander. Ich denke,
die Lage würde sich entspannen, wenn die soziale Struktur der Länder
– abseits des Fußballs – auch internationaler wäre.
Was
haben die Klubs in der Vergangenheit gegen rechtsextreme Vorfälle in
ihren Stadien getan?
Wenig. Wir haben von September
2009 bis März 2011 rassistische Vorfälle in Polen und der Ukraine
dokumentiert. Am Ende kamen wir auf 62 Verstöße in der Ukraine, die
in der Broschüre Hateful
– Eastern European Monitoring Report gelistet sind (von
Hakenkreuz-Bannern bis zu lebensgefährliche Messerattacken auf
Arsenel-Fans im August 2010, d. Red.).
Hat die EM
denn geholfen?
Ja. Ich habe jedenfalls das Gefühl,
dass einige Vereine heutzutage besser vorbereitet sind als noch vor
ein paar Jahren. Das ist auch das Verdienst von der Kampagne »Respect
diversity«, die von »Never Again« und das »FARE Network«
(Football Against Racism in Europe, d. Red.) ins Leben
gerufen wurde. Mit diesen Organisationen haben wir die Vereine
konsequent unterrichtet. Das fing bei den vermeintlich naheliegenden
Dingen an. Wir haben ihnen die Bedeutung eines Keltenkreuzes oder
eines »White-Power«-Banners erklärt.
Wie wirkt
sich diese Aufklärungsarbeit auf die Vereine aus?
Nehmen
wir als Beispiel Metalist Charkiw. Dort gab es in der Vergangenheit
einige wirklich hässliche Szenen. Erinnern wir uns nur an die
BBC-Dokumentation »Stadiums of Hate«. Da sah man, wie
Metalist-Nazis asiatische Fans über die Tribünen jagten. Seit
einigen Monaten ist dieser Verein aber unter einer neuen Führung.
Eine der ersten Amtshandlungen war es, die Spieler in Trikots mit
einem Anti-Rassismus-Schriftzug auf Spielfeld zu schicken. Das war
sehr erfreulich.
Wie ist es bei Dynamo Kiew, wo
die Ultraszene auch als stramm rechts gilt?
Ich war
letztens Teil einer TV-Talkrunde, bei der auch Dynamo-Präsident Igor
Surkis eingeladen war. Er hat gesagt: »Ja, wir haben ein Problem mit
rechten Fans, und wir müssen alles tun, um es zu lösen.« Eine
einfache und gute Aussage. Nachdem er das Problem lange
totgeschwiegen hat, war ich jedenfalls positiv überrascht, dass er
sich öffentlich so klar geäußert hat.
Karpaty
Lwiw soll hingegen ein besonderer Fall sein. Warum?
Es
ist tatsächlich erschreckend zu sehen, wie die hübsche und
pittoreske Stadt Lwiw von Rechten dominiert wird. Sie wird von der
neofaschistischen Partei Swoboda regiert, die wiederum etliche
Verbindungen in die Fanszene von Karpaty hat. Hier hat sich in den
vergangenen Jahren sehr deutlich gezeigt, wie die Politik den Fußball
in der Ukraine missbraucht. Sie haben den Fußball konsequent
benutzt, um Wähler für ihre Partei zu gewinnen.
Können
Sie ein Beispiel nennen?
Im September 2010 gab es in
Kiew eine Demonstration, die sich »March for Ukrainian Football«
nannte. Es ging um Sachen wie Pyroshows oder Choreographien. Doch das
Hauptanliegen war ein anderes. Die Demonstranten forderten: Keine
Ausländer mehr im ukrainischen Fußball und Akzeptanz der rechten
Symbole im Stadion. Organisator der Veranstaltung war unter anderem
die Partei Swoboda. Und sie konnte sicher sein, dass sie mit diesen
Forderungen den Nerv der Fußballfans traf.
Vor
ein paar Jahren fand in Lwiw ein Fan-Turnier statt, bei dem zu
Übergriffen von Rechts kam. Es gab Allianzen mit westlichen Gruppen.
Wie werten Sie das?
Das Problem ist, dass die
Karpaty-Fanszene vielerorts verharmlost wird. Auch im Westen. Zum
Beispiel gibt es einige Verknüpfungen zur Organisation »Football
Supporters Europe« (FSE). Wir weisen sie kontinuierlich auf die
Missstände in dieser Fanszene hin, wir sagen ständig: »Seid
sensibler im Umgang mit ihr!« Doch wir werden nicht gehört. Auch
sonst hat die rechte Karpaty-Szene viele Kontakte. Sie ist sehr stark
vernetzt.
Wie reagiert dort der Klub auf die
eigene Szene?
Gar nicht. Ein Beispiel: Die
traditionelle Farbe von Karpaty ist Grün. Seit einiger Zeit werden
aber auch die Farben Schwarz und Rot vom Klub offiziell als
zusätzliche Vereinsfarben vermarktet. Auf ihrer Homepage weisen sie
darauf hin, dass sie das tun, weil ihre Fans diese Farben lieber
mögen. Die Sache ist nur: Die Anhänger präferieren diese Farben,
weil sie als Farben der ukrainischen Faschisten der dreißiger Jahre
gelten.
Allerdings scheint sich der ukrainische
Fußballverband in punkto Karpaty Lwiw ein wenig zu bewegen. Kürzlich
hat er den Klub mit einem Geisterspiel und einen fünfstelligen
Euro-Betrag Strafe sanktioniert.
Richtig. Eine gute
Maßnahme. Und doch muss man immer noch fragen, wie es überhaupt
dazu kommen konnte, dass die geschlossene Fanszene eine solche Aktion
starten konnte.
Was war denn überhaupt
passiert?
Karpaty-Ultras präsentierten bei einem Spiel
eine riesengroße Choreo, mit der sie der Galizien-Division der
Waffen SS huldigten. Sie verneigten sich also vor den Mördern aus
den Zeiten ihrer Großväter! Um mal Klartext zu sprechen: Das ist
doch Wahnsinn!
Dr. Rafal Pankowski,
Jahrgang 1976, studierte Politik, Philosophie und Ökonomie an der
Universität Oxford/Großbritannien sowie Politikwissenschaft an der
Universität Warschau/Polen. Heute koordiniert der promovierte
Extremismusexperte ein Forschungsprogramm am College Civitas der
Universität Warschau.
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In 11FREUNDE
#140: »Renn, wenn du kannst« – Unterwegs mit den Ultras von
Arsenal Kiew zu einem Auswärtsspiel in Odessa. Jetzt im Handel!
TEXT: Andreas Bock
Der Artikel ist veraltet
Seit dem Maidan kann man die Arsenal Kiev Szene nicht mehr berücksichtigen:
https://www.direkteaktion.org/2016-03/Ukraine
Neben Arsenal Kiev gab es durchaus in den oberen Ligen antifaschistische Ultraszenen.
Beispiel 1: Polen, Polonia Warschau, "Black Rebels" http://transparent-magazin.de/blog/eine_antifaschistische_fangruppe_in_p...
Beispiel 2: Weißrussland, Partizan Minsk, allerdings ist dieser im Ganzen nicht mehr existent https://en.wikipedia.org/wiki/FC_Partizan_Minsk