„Identitäre“ heischen nach Aufmerksamkeit: Rechte kapern kurzzeitig Quadriga

Erstveröffentlicht: 
28.08.2016

 15 Neurechte hissen Slogans auf dem Brandenburger Tor. „Typische Aktion“, sagt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus.

BERLIN taz | Die kurzzeitige „Besetzung“ des Brandenburger Tors durch Aktivisten der „Identitären Bewegung“ am Samstag ist nach Einschätzung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) eine typische Aktion der Neurechten. „In Berlin haben wir es nur mit einer kleinen Gruppe von rund 15 Personen zu tun, die aber mit öffentlichkeitswirksamen Provokationen auf sich aufmerksam macht“, sagte die Leiterin des MBR, Bianca Klose, am Sonntag der taz.

 

Am späten Samstagvormittag waren etwa 15 Personen mit einer Leiter auf das Dach des Brandenburger Tors geklettert und hatten direkt unter der Quadriga ein Banner der „Identitären Bewegung“ gehisst sowie eines mit dem Slogan „Sichere Grenzen – sichere Zukunft“. Wie ein Polizeisprecher am Sonntag der taz erklärte, hatten sich die Rechten über den öffentlich zugänglichen „Raum der Stille“ Zugang zum Dach verschafft, indem sie einen Wachmann der privaten Sicherheitsfirma, die dort tätig ist, aussperrten.

 

Wie es einer 15-köpfigen Gruppe, ausgerüstet mit einer großen Leiter, Fahnen und Transparenten gelingen konnte, trotz Sicherheitsbewachung so weit zu kommen, konnte der Polizeisprecher nicht sagen. Vize-Senatssprecher Bernhard Schodrowski erklärte am Sonntag, das Sicherheitskonzept am Brandenburger Tor solle nun überprüft werden. Die Senatskulturverwaltung werde dazu umgehend das Gespräch mit der landeseigenen Immobilienmanagement-Gesellschaft suchen, die das Bauwerk betreut.

 

Die Aktion am Samstag war nach einer knappen Stunde vorbei. Die Polizei holte die Leute herunter, nahm ihre Personalien auf. Gegen sie wird nun wegen Hausfriedensbruchs, Nötigung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt.

 

Vom Verfassungsschutz beobachtet

 

Die „rechtsextreme Jugendbewegung“, wie der MBR die „Identitären“ in einer aktuellen Analyse auf seiner Webseite beschreibt, versuche, „völkische Gesellschaftskonzeptionen durch modern aufgemachte Inszenierungen zeitgemäß erscheinen zu lassen“. Sie entstand Anfang des Jahrtausends in Frankreich. In Anlehnung an Alain de Benoist, den französischen Vordenker der Neuen Rechten, propagieren die „Identitären“ das kulturrassistische Konzept des „Ethnopluralismus“.

 

In Deutschland ist die Gruppe seit 2012 aktiv, zunächst vorwiegend im Internet. Seit 2014 wird die Berliner Sektion offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet. Hier rekrutiere sie sich „nicht aus der klassischen Neonazi-Szene, sondern eher aus dem Burschenschaftsspektrum, manche sind auch Mitglied bei der AfD-Jugendorganisation“, so Klose vom MBR.

 

Seit 2015 tritt die Berliner Gruppe relativ kontinuierlich mit Provokationen an die Öffentlichkeit. „Sie sind stets nach einem ähnlichen Muster choreografiert“, so der MBR: Eine überschaubare Zahl von Personen tauche an symbolisch aufgeladenen Orten auf und verschwinde schnell wieder. Über Facebook und Twitter würden die Aktionen ausführlich auf- und nachbereitet.

 

Immer dasselbe Muster

 

So war es etwa im Juni vorigen Jahres bei der nur wenige Minuten dauernden „Besetzung“ der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus. Oder im August 2015, als sie Zelte vor dem Schloss Bellevue aufstellten. Im Mai 2016 malten „Identitäre“ nachts im Görlitzer Park großflächig rassistische Sprüche auf den Boden. Die jetztige Aktion, so die Gruppe auf ihrer Facebookseite, sei „ein deutliches Zeichen gegen die verfehlte Politik der Bundesregierung“, die „im Zuge der Migrationskrise völlig versagt“ habe.

 

Das sehen viele BerlinerInnen offenkundig anders. Nach Medienberichten kommentierten zahlreiche Passanten am Pariser Platz die Aktion mit „Nazis raus“-Rufen und zeigten den Rechten den Stinkefinger.

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Wer heute zwischen 20 und 21 Uhr auf Radio 1 die Sendung von Jakob Augstein hörte, die live aus dem Gorki-Theater gesendet wurde, wurde wieder Zeuge einer Provokation der Identitären. Erst beschimpften sie den Gast (Margot Käßmann), um dann deutlich hörbar im Chor anti-jüdische Sprüche zu gröhlen. Wenn man bedenkt, dass man für die Veranstaltung im Vorfeld Karten kaufen musste, eine gut organisierte, widerliche Nummer. Man hat die Befürchtung, dass es dabei nicht bleiben wird.