Ein genauerer Blick ins Spülbecken

Wenn man mit einem Text Streit entfacht, ist das schön. Noch schöner ist es, wenn bei dem Streit etwas herauskommt. Das kann man im Fall unseres Textes Abseits des Spülbeckens bislang kaum behaupten. Während die ausführliche Kritik der Freunde der geschlechtlosen Gesellschaft vom Bedürfnis nach Klärung und nicht nach haltloser Polemik getragen ist, aber, wie wir weiter unten zeigen wollen, auch auf Missverständnissen beruht und uns insgesamt nicht überzeugt, hat uns ein Abend im Februar dieses Jahres, für den wir zum öffentlichen Streit über die angeschnittenen Fragen in den Kreuzberger Mehringhof eingeladen hatten, etwas ratlos gemacht. Viele nahmen die Einladung an (die Freunde der geschlechtslosen Gesellschaft hatten es allerdings zu unserem Bedauern abgelehnt, ihre Kritik auf dem Podium vorzustellen), aber heraus kam nichts.1 Woran lag’s?

 

Wir hatten den Akzent an dem Abend darauf gelegt, die Metamorphosen des »operaistischen«, nach 1968 entstandenen Feminismus nachzuzeichnen, weil wir dessen Anfänge für immer noch wichtig, seine aktuelle Fortführung namentlich durch Silvia Federici dagegen für eine Sackgasse halten. Während es nach 1968 zunächst darum ging, die damals in den Fabriken auch ganz handfest betriebene Kritik der Lohnarbeit durch eine Kritik der Hausarbeit von Frauen zu ergänzen – und durch eine Kritik der ganzen damit verbundenen Misere der Geschlechterrollen, bis tief hinein ins sogenannte Privatleben –, also eine soziale Revolution anzuvisieren, die beide Bereiche und die Spaltung zwischen ihnen angreift, scheint uns Federici heute in eine Verklärung der Commons und der Rolle von Frauen in ihnen abzudriften, durch die immer wieder ein muffig-regressiver Ökofeminismus à la Maria Mies durchschimmert. Dass wir damit offene Türen eingerannt haben, können wir uns schwer vorstellen, schließlich wurden Federicis Texte in den letzten Jahren quer durch die Linke mit viel Begeisterung und verblüffend wenig Kritik aufgenommen, aber in jedem Fall wurde unser Beitrag gar nicht diskutiert, weil das Interesse des Publikums einem anderen Problem galt (und zugegebenermaßen hatte unsere Ankündigung die falsche Erwartung geweckt, dass dieses andere Problem im Zentrum stehen würde, was dann gar nicht der Fall war, weil uns die Konzentration auf die genannte Metamorphose des autonomen Feminismus lohnender schien).

 

Mit Unverständnis, manchmal regelrechter Verärgerung wurde nämlich die von uns vertretene (aber nicht von uns erfundene) These aufgenommen, dass der Kapitalismus keine unheilbar patriarchale Ordnung ist (wie etwa von Roswitha Scholz mit der Formel »Der Wert ist der Mann« behauptet), sondern im Gegenteil die Möglichkeit einschließt, starre Geschlechterrollen aufzuweichen. Soweit dies nicht geschieht beziehungsweise bislang nicht geschehen ist, trifft die Schuld daran ausnahmsweise mal nicht das Kapitalverhältnis. Gegen das gibt es genug begründete Einwände; die Misere der Geschlechterverhältnisse braucht man ihm nicht anlasten, um sich der eigenen Gegnerschaft zu ihm zu versichern. Die Ironie besteht darin, dass wir damit eigentlich einer klassisch feministischen Forderung entsprechen, nämlich der, nicht alle Übel der Welt aus dem Kapital »ableiten« zu wollen; entsprechend großes Gewicht messen wir Kämpfen beziehungsweise ihrem Ausbleiben bei. Und wie wir sowohl im Text als auch an dem Abend deutlich gemacht haben, scheinen uns die bisherigen Kämpfe – nicht nur die großen, sichtbaren, sondern vermutlich viel stärker noch die kleinen, alltäglichen – einiges in den Geschlechterverhältnissen verschoben zu haben. Viel zu wenig, um sich damit zufrieden zu geben, aber andererseits genug, um an der Vorstellung eines auf knallharte Frauenunterdrückung angewiesenen Kapitalismus gewisse Zweifel zu bekommen.

 

Die Diskussion an dem Abend geriet aus unserer Sicht schnell in eine ziemliche Schieflage, weil dieser simple Befund offenbar als eine Art Entwarnung verstanden wurde, so als hätten wir behauptet, der Kapitalismus als großer Gleichmacher werde schon aufräumen mit der Misere der Geschlechterverhältnisse oder, schlimmer noch, er habe dies bereits getan. Wo wir – gegen die diversen Varianten der These, Kapitalismus impliziere unweigerlich Patriarchat – auf eine über lange Zeiträume feststellbare Tendenz zur Nivellierung ehemals klar definierter Geschlechtscharaktere hinwiesen und dies beispielsweise illustrierten am Unterschied zwischen dem bürgerlichen Staat des 19. Jahrhunderts, der Frauen unter Verweis auf ihre mangelnde Vernunftbegabung vom Wahlrecht ausschloss, und dem des 21. Jahrhunderts, der unter der Flagge des »Gendermainstreaming« auftritt (was keine »nur« formal-juristische Angelegenheit ist, sondern auch heißt, dass der Staat junge Männer für Pflegeberufe und junge Frauen für ein IT-Studium zu erwärmen versucht), kam bei einigen offenbar an, wir wähnten eine objektive historische Kraft auf der Seite der Befreiung und bis zur Vollendung von deren Werk sollten sie als Frauen sich schon mal darüber freuen, nun ebenfalls am parlamentarischen Zirkus teilnehmen zu dürfen. So schön kann man auf linken Diskussionsveranstaltungen aneinander vorbei reden.

 

Wir halten das, was an dem Abend als »Nivellierungsthese« für helle Aufregung sorgte, streng genommen für keine These, sondern für eine banale Feststellung. Dass sich vieles nicht geändert hat, stimmt, ist aber kein Gegenargument, weil ja gar nicht behauptet wurde, es hätte sich alles geändert. Es wurde nur behauptet, dass bereits die eingetretenen Veränderungen eher auf eine gewisse Flüssigkeit von Geschlechterverhältnissen unter dem Kapital hindeuten als auf ein felsenfestes Patriarchat. Nur weil andere das Gegenteil behaupten (»Der Wert ist der Mann«), halten wir diese Banalität überhaupt fest. Und genau dadurch haben wir die Schieflage in der Diskussion vermutlich mitbefördert, denn anstatt das ins Zentrum zu stellen, was heute wie früher Anlass für Kritik und Kämpfe sein muss, haben wir die durch frühere Kritik und Kämpfe bewirkten Verschiebungen betont. Das geben wir gerne zu. Anders gesagt, vielleicht ist die nachhaltige Irritation über unseren Text weniger dem geschuldet, was wir darin sagen, als all dem, was wir darin nicht sagen, obwohl es unbestrittenermaßen wichtig ist.

 

Mehrmals wurde uns an dem Abend die Frage gestellt, warum wir mit Blick auf die Geschlechterdifferenzen von einer Nivellierungstendenz sprechen, denn im Fall des Klassenverhältnisses täten wir das doch auch nicht, obwohl sich an dem – Stichwort Sozialstaat, Lebensstandard, Wahlrecht, Arbeitsschutz etc. pp. – historisch ebenfalls einiges geändert habe. Die Antwort auf diese gute Frage wollen wir hier kurz nachholen. Erstens halten wir auch im Fall des Klassenverhältnisses nichts davon, seinen historischen Gestaltwandel kleinzureden. Unsere Reflexionen darüber in den 28 Thesen zur Klassengesellschaft (2007) kreisen nicht von ungefähr um den Begriff der »klassenlosen Klassengesellschaft«, verstanden auch und nicht zuletzt als vorläufiges Ergebnis erfolgreicher Reformkämpfe der Arbeiterbewegung, ganz ähnlich, wie wir die Erosion des Patriarchats in den westlichen Ländern als vorläufiges Ergebnis von Geschlechterkämpfen verstehen. Aber da hören die Parallelen auch schon auf. Die Existenz von Klassen ist in der heutigen Produktionsweise zwingend eingeschlossen; so sehr sich ihre Gestalt geändert hat und das auch weiterhin tun wird – vom frühkapitalistischen Handwerkerproletariat über kompakte Industriearbeiterklassen hin zur diffus-verallgemeinerten Proletarität der Gegenwart –, kann und wird sich bis zur Aufhebung dieser Produktionsweise nichts daran ändern, dass sie auf eine Masse eigentumsloser, zum Verkauf ihres Arbeitsvermögens gezwungener Menschen angewiesen ist, die Wert und Mehrwert produzieren, und wie Marx gezeigt hat, bringt sie diese allerelementarste Voraussetzung praktischerweise immer wieder als ihr Resultat selbst hervor. Die Existenz eines Herrschaftsverhältnisses zwischen den Geschlechtern ist in der heutigen Produktionsweise dagegen keineswegs zwingend eingeschlossen. Klassen, vor allem zwei, gibt es im Kapitalismus immer; wie sich innerhalb dieser Klassen Männer und Frauen zueinander verhalten, ist völlig offen, mit anderen Worten nicht zuletzt eine Frage von Kämpfen, deren Rahmen gerade der dynamische, alles immerzu umkrempelnde Kapitalismus darstellt. Wir würden sogar noch weiter gehen und selbst die Zweigeschlechtlichkeit als eine für ihn prinzipiell entbehrliche Ordnung bezeichnen, aber damit beträten wir dann tatsächlich den wackeligen Boden der Spekulation, auch wenn es kaum Zufall sein dürfte, dass die »Dekonstruktion« der Geschlechter im Kalifornien der 1990er Jahre und nicht im Madrid< der 1920er ausgebrütet wurde, und es uns durchaus bemerkenswert scheint, mit wieviel Sympathie nicht etwa »queerfeministische« Kampfblätter, sondern die bürgerliche Presse neulich über ein lateinamerikanisches Transpärchen berichtete, bei dem der Mann das Kind austrägt. In jedem Fall scheint uns der Gedanke, dass die Klassenfrage nicht reformerisch gelöst werden kann, die Geschlechterfrage aber durchaus, auf der Hand zu liegen.

 

Sind wir damit aber nicht wieder beim alten vermaledeiten »Hauptwiderspruchsdenken« angelangt? Um einen trüben Abend noch trüber zu machen, durfte dieser Vorwurf nicht fehlen. Ob man denn nur bekämpfen dürfe, was aus dem Kapital abzuleiten sei, wollte eine Diskutantin wissen. Da sie unseren Text angeblich gelesen hat, müsste sie die Antwort eigentlich kennen: »Die tausend Gestalten des Elends, die sich auch heute mit ihr [der Geschlechterordnung] verbinden, sind nicht, weil aus keiner ›Wert-Abspaltung‹ oder ähnlichem herzuleiten, in irgendeiner Weise zweitrangig.« Und in genau diesem Sinn sind wir keine »Hauptwiderspruchsmarxisten«. Die analytische Unterscheidung zwischen notwendigen, unausweichlichen Übeln und solchen, für die es keinen tieferen Grund in der herrschenden Ordnung gibt, läuft so wenig auf eine Prioritätensetzung für die Praxis hinaus, wie die Anti-AKW-Bewegung hinfällig wäre, weil die Kapitalisten theoretisch auch Solarzellen auf ihre Fabriken schrauben könnten. Das Pochen auf einen »Hauptwiderspruch« hieß immer, dass Frauen ihre Anliegen zugunsten der »Einheit der Arbeiterklasse« zurückzustellen hatten und sich ihre Probleme im Sozialismus sowieso in Wohlgefallen auflösen würden. Solchen reaktionären Schrott haben wir nie vertreten, und wer anderes suggeriert, lässt sich von seinen Projektionsbedürfnissen leiten.

 

Trotz hier und da guter Beiträge schien uns an dem Abend ein Bedürfnis nach ideologischer Rückversicherung spürbar, und eine verbreitete linke Ideologie besteht darin, dass unter dem Regime des Kapitals in keiner Hinsicht irgendein Fortschritt denkbar ist. Das Ergebnis ist eine gewisse Weltfremdheit der heutigen Linken, die sich gar nicht mehr erklären können, warum die jetzige Ordnung immer noch Zuspruch findet. Bürgerliche Freiheiten sind nichts als Schein, der Sozialstaat nur Bestechung, und wer behauptet, zweihundert Jahre Frauenkämpfe hätten dem Patriarchat im Westen einige Schläge versetzt, der will nur ablenken von der weiter bestehenden Knechtung der Frauen. Es ist jetzt schon offensichtlich, dass diese vergammelte Ideologie den Linken um die Ohren fliegen wird. Es genügt, die Aufrufe der linken Szene zum diesjährigen 8. März zu lesen, denen mit Blick auf die massenhaften sexuellen Übergriffe in Köln nur die Binsenweisheit zu entnehmen war, deutsche Sexisten seien ebenfalls »Arschlöcher« (Interventionistische Linke). Das Dogma, nichts könne sich in der bürgerlichen Ordnung verbessern, geht mit dem Unwillen einher, dramatische Unterschiede in den Geschlechterordnungen verschiedener Gesellschaften auch nur wahrzunehmen, obwohl zum Beispiel nicht wenige Frauen aus Nordafrika mindestens so sehr vor einem verknöcherten Patriarchat fliehen wie vor Armut. Eine kosmoproletarische, das heißt auf den Sturz aller knechtenden Verhältnisse weltweit zielende Bewegung muss sich mit solchen Unterschieden konfrontieren; die Tatsache, dass einwanderungsfeindliche Kräfte mit diesen Unterschieden ein übles Spiel treiben und neokonservativ gewendete Linke aus ihnen den konformistischen Schluss ziehen, ihren Frieden mit dem freien Westen und seinen Militäreinsätzen zu machen, ist keine Entschuldigung dafür, sie lieber auszublenden.

 

Schon etliche Wochen vor dieser Veranstaltung erhielten wir eine ausführliche Kritik der Freunde der klassenlosen Gesellschaft.2 Allerdings sind wir der Ansicht, dass manche der Differenzen Ergebnis von Missverständnissen oder unklaren Formulierungen in unserem Text sind, und möchten diese Replik nutzen, diese auszuräumen. Außerdem möchten wir die tieferliegenden Differenzen erörtern, um an einigen Punkten unsere Position zu präzisieren.

Dass man „über Feminismus und Kapitalismus sprechen und dabei die Reproduktionssphäre außer Acht lassen“ könne, wie die Freunde uns unterstellen, wollten wir gewiss nicht behaupten. Deswegen behandelt der Text auch an mehreren Stellen die Reproduktionsarbeit. Der Titel unseres Textes, auf den sich der Vorwurf wohl bezieht, sollte viel eher andeuten, dass sich der den Frauen gesellschaftlich zugedachte Wirkungsradius zunehmend auch auf Bereiche abseits von Küche und Heim erstreckt (dazu später mehr).


Wenn wir behaupten, das Geschlecht sei in den Bereich menschlicher Gestaltbarkeit gerückt, ist damit keinesfalls die individuelle Gestaltbarkeit gemeint. Zu behaupten, „dass ich morgens aufstehen und entscheiden kann, mit welchem Geschlecht ich für diesen Tag unter die Leute gehen möchte“, wäre gewiss abwegig. Dass man sich diese Frage überhaupt stellt, deutet unseres Erachtens aber auf gewisse Verschiebungen hin. Gemeint ist an der Stelle, dass vom derzeitigen Entwicklungsstand der Produktivkräfte wenig für eine geschlechtliche Arbeitsteilung sowie deren ideologische, individuell-psychologische, etc. Fortschreibung spricht. In weniger entwickelten gesellschaftlichen Formationen mag es noch einen gewissen Zusammenhang zwischen der ersten Natur und der geschlechtlichen Arbeitsteilung geben. Heute ist das ganz sicherlich nicht mehr der Fall. Der Großteil der Geschlechterzuschreibungen könnte – nur durch gemeinsame Kämpfe, versteht sich – heute abgeschafft werden.

 

Mehrmals ist in unserem Text die Rede von einer Nivellierung des Geschlechterverhältnisses, an keiner Stelle aber von einer Verbesserung – auch wenn wir einige der mit dem Begriff beschriebenen Entwicklung für begrüßenswert halten, wäre es abwegig zu meinen, die Lage von Frauen würde durch ihre tendenzielle Angleichung an die von Männern nur komfortabler werden. Wir gehen völlig mit Mariarosa Dalla Costa d'accord, dass der Zwang zur Lohnarbeit keine wirkliche Befreiung vom Zwang zur Hausarbeit ist. Die Nivellierung der Geschlechterunterschiede drückt sich auch darin aus, dass eine wachsende Zahl von Männern an Essstörungen leidet und ein wachsender Anteil der Obdachlosen weiblich ist.

 

Wir sind etwas überrascht, dass die Freunde der geschlechtslosen Gesellschaft uns vorwerfen, wir würden „soziale Aushandlungsprozesse zwischen Arbeiterklasse und Kapital und auch innerhalb der Arbeiterklasse“ oder die Frage, „wie sich das Distinktionsbestreben der männlichen Lohnarbeiter auf den gemeinsamen Klassenkampf auswirkt“, vernachlässigen. Gerade solche Phänomene haben wir vor Augen, wenn wir zunächst allgemein und abstrakt schreiben, dass „die Angehörigen eines bestimmten Geschlechts […] ihre dominante Rolle in [der kapitalistischen Konkurrenz] zu verteidigen versuchen.“ Diese allgemeine und abstrakte Feststellung wird dann etwa im kurzen historischen Abriss oder auch im Abschnitt über die Krise etwas konkretisiert. Dass dieser innere Widerspruch - das Hauen und Stechen innerhalb der Klasse - ein großes Problem darstellt und sowohl Gleichstellung erschwert als auch gemeinsame Kämpfe verhindern kann, sehen wir auch so. Im folgenden werden wir dem ein paar Bemerkungen hinzufügen. Dagegen zieht sich – wie wir nachzuweisen versuchen werden – eine komplette Missachtung von solchen Auseinandersetzungen durch die Kritik der Freunde.

 

Diese stimmen uns zu, dass Scholz' Nachweis eines logisch-notwendigen Zusammenhangs zwischen kapitalistischer Vergesellschaftung und Frauenunterdrückung nicht schlüssig ist3 , und bemühen dann selbst einen solchen Nachweis. Auch diesen finden wir nicht überzeugend. Sie beginnen mit der Feststellung, dass wir „nur ein historisch spezifisches Kapitalverhältnis“ kennen. Daraus würde ja eigentlich folgen, dass die Frage, ob die Koinzidenz dieses Produktionsverhältnisses mit einem spezifischen Geschlechterverhältnis historischer Zufall oder logische Notwendigkeit ist, an sich eine rein scholastische ist. Das erscheint zunächst plausibel. Und doch leiten sich aus der These einer logischen Notwendigkeit – oder, wie sie es ausdrücken, eines konstitutiven Zusammenhangs – allerlei Prognosen ab, die sie dann auch formulieren, auch wenn sie die Frage zunächst verwerfen. Die Entstehung des Kapitalverhältnisses geht einher mit einer Monopolisierung politischer, ökonomischer, etc. Macht durch Männer. Frauen werden aus gesellschaftlichen Bereichen, in denen eine solche Macht ausgeübt wird, verdrängt – selbst ein Stück weit aus der an und für sich wenig verheißungsvollen Industriearbeit, und zwar just in dem Moment, in dem Klassenkämpfe dort eine gewisse, wenn auch beschränkte proletarische Macht entfalten – und in die Reproduktionsarbeit gezwängt. Wieso kann diese Macht – soweit sie geschlechtlich asymmetrisch ausgeübt wird – nicht gebrochen werden, ohne das Kapitalverhältnis als Ganzes abzuschaffen? Diese Frage beantworten die Freunde ebenso wenig wie Scholz. Dass der Kapitalismus bei seiner Entstehung „eine Unterscheidung in Männer und Frauen [nutzte], um letzteren die Reproduktionsarbeit aufzubürden und die proletarische Klasse zu erhalten“, ist erstens, wie sowohl Marx im Kapital als auch viele Feministinnen bemerkt haben, historisch falsch, da der Kapitalismus sich zunächst in seinem Heißhunger nach absolutem Mehrwert wenig um die Reproduktion der Proletarier scherte und so ohne Rücksicht auf die Erhaltung der arbeitenden Klasse auch Frauen in die Fabriken zwang, und zweitens kein Beleg dafür, dass es Frauenkämpfen unmöglich wäre, hieran etwas zu verändern, und somit drittens der Inbegriff eines Ökonomismus, der „soziale Aushandlungsprozesse zwischen Arbeiterklasse und Kapital und auch innerhalb der Arbeiterklasse“ vernachlässigt, wie die Freunde ihn uns vorwerfen. Frauenkämpfe tauchen ohnehin selten in ihrer Darstellung dieser Aushandlungsprozesse auf – so setzen, wenn sie schreiben, dass „es Männer geben [mag], die ihre Arbeit verrichten können, ohne dass ihnen Frauen die Stullen schmieren, aber [diese] nach wie vor seltene Ausnahmen darstellen“, voraus, dass Frauen auch dazu bereit sind, diese zu schmieren – das ist letztlich eine komplette Absage an das Programm von Arbeitsverweigerung in der Reproduktionssphäre, das Dalla Costa, auf die sie sich an anderer Stelle positiv beziehen, formuliert. Darüber hinaus behauptet sie, „dass in unserer Gesellschaft die Reproduktion ebenso wie die Produktion einer kapitalistischen Logik unterworfen ist, so dass überhaupt erst eine geschlechtliche Unterscheidung – nicht nur entlang biologischer Unterschiede – immer wieder etabliert werden muss, um die Reproduktion zu sichern“. Wenn diese Unterscheidung aber immer wieder neu etabliert werden muss, dann muss sie doch weit fragiler zu sein, als ansonsten behauptet wird. Die Notwendigkeit der geschlechtlichen Unterscheidung für die gesellschaftliche Reproduktion bleibt uns dagegen völlig schleierhaft. Dass nur Frauen gebären und stillen, ist kein Ergebnis der kapitalistischen Logik, sondern menschlicher Biologie4. Wer alle anderen reproduktiven Tätigkeiten erledigt, ist Gegenstand von Aushandlungsprozessen und ebenso wenig der kapitalistischen Logik. Zu guter Letzt führt ihr an, dass „es sich bei dieser Unterscheidung nicht um eine graduelle handelt, die sich graduell nivellieren könnte. Denn selbst eine erfreuliche Verbesserung in der Gleichstellung bleibt immer prekär.“ Warum sollten sich die Einschränkungen, die mit der Unterscheidung zwischen Geschlechtern verbunden sind, nicht graduell abschaffen lassen? Dass diese Entwicklungen prekär bleiben, haben wir nicht bestritten.

 

Insgesamt unterschätzen die Freunde unseres Erachtens die Fluidität solcher Konstellationen. Sie weisen mehrmals darauf hin, dass weder das Kapital noch männliche Proletarier ein Interesse an einer Lockerung des Geschlechterverhältnisses hätten. Dagegen finden Frauenkämpfe in ihrer Darstellung fast keine Erwähnung. Vor diesem Hintergrund ist ihr Vorwurf, wird würden „den Zusammenhang zwischen Kapital und Geschlechterverhältnis aus Sicht des Kapitals […] beleuchten“, wenig passend. Aber auch aus Sicht des Kapitals oder männlicher Lohnarbeiter ist die Situation weit weniger eindeutig, ist doch nicht von vornherein ausgemacht, dass diese nur auf Verhärtung solcher Spaltungen drängen. Damit das Kapital Männer und Frauen gegeneinander ausspielen kann, müssen diese zumindest potentielle Konkurrenten sein. Ein zu strikt segregierter Arbeitsmarkt ist da nicht dienlich. Auch für männliche Lohnabhängige ist die Interessenlage widersprüchlich. Sie können auf Geschlechterdifferenzen pochen und so gewisse Privilegien5 innerhalb des Gegebenen verteidigen. Alle Erfolge in dieser Hinsicht büßen sie aber über eine geringere Kampfkraft der Klasse als ganzer wieder ein – jede Arbeiteraristokratie ist mit dem Problem konfrontiert, dass sich die subalternen Teile der Klasse, wenn sie lange genug von ersterer ausgeschlossen und herabgesetzt wurden, verständlicherweise für die Solidarität unter den sich abschottenden, bessergestellten Arbeitern wenig Begeisterung empfinden und sich daher als Lohndrücker und Streikbrecher einsetzen lassen. Aus diesem Widerspruch erklärt sich wohl zum Beispiel die von uns nur skizzenhaft angedeutete Uneindeutigkeit und das Changieren der Position der deutschen Sozialdemokratie in dieser Frage.

 

Nochmals komplizierter wird die Gemengelage durch die Eingriffe des Staates, der mal vom patriarchalen Geiste beseelt die männliche Vorherrschaft schützt, mal in seiner Rolle als ideeller Gesamtkapitalist der abstrakten Freiheit und Gleichheit auch eine gewisse konkrete Gestalt gibt, um den Kapitalien den Zugriff auf weibliche Arbeit zu ermöglichen, mal im Sinne des sozialen Friedens Zugeständnisse an feministische Forderungen macht. Angesichts all dessen die Notwendigkeit einer Tendenz zur Verhärtung – oder auch nur eine Unmöglichkeit von Reformen, die die Bedeutung der Geschlechterdifferenz verringern – auszumachen, überzeugt uns nicht. Unseres Erachtens ergibt es keinen Sinn, einen „logischen“, „konstitutiven“ oder anders notwendigen Zusammenhang anzuführen. Zwar gibt der Kapitalismus ein Terrain für feministische Kämpfe, das wir kurz zu beschreiben versucht haben, vor. Doch scheint es uns keineswegs ausgemacht, wie diese ausgehen. Dies lässt sich nur empirisch überprüfen.

 

Wir haben dies anhand von drei Sphären, der politisch-juristischen, der ideologisch-kulturellen sowie der ökonomischen versucht. Bezüglich der ideologisch-kulturellen Sphäre äußern sich die Freunde zwar etwas widersprüchlich, stimmen aber letztlich zu, dass „es [...] zur Zeit in der Geschlechterdifferenz deutliche Angleichungen im Sozialen und Kulturellen“ gibt. Was den Arbeitsmarkt angeht, widersprechen sie uns vehement.6 Ein Grund dafür scheint der sehr kurze Zeitraum zu sein, den sie betrachten. Alle Statistiken, die uns bekannt sind, kommen klar zu dem Schluss, dass der Gender Pay Gap zwar zeitweise stockt, auf die lange Sicht aber – in einem frustrierend langsamen Tempo – fällt7. Sie führen an, dass er über die letzten Jahre stagnierte. Dies widerspricht aber keineswegs unserem Befund, dass die Geschlechterdifferenz langfristig an Bedeutung eingebüßt hat. Wir haben mitnichten behauptet, dass dies ein linearer oder auch nur monotoner Prozess sei – so schlicht ist vermutlich gar kein gesellschaftlicher Prozess. Vielmehr haben wir nachgezeichnet, dass er historisch sehr widersprüchlich verläuft, nicht zuletzt, weil er durch Frauenkämpfe angetrieben wird, die mal erstarken, mal schwächeln.

 

Mehrmals schreiben die Freunde, dass die zunehmende Erwerbsarbeit von Frauen eher eine Verschlechterung darstelle, weil sie diese bloß zusätzlich zur Hausarbeit erbringen, die so ohnehin schon leisten, sich also ihr Arbeitsquantum insgesamt erhöhe. Aber auch hier ist die Empirie nicht so eindeutig. Allensbach kommt beim Vergleich von Umfragen von 1998 und 2005 zum Schluss, dass sich in der Aufgabenverteilung sehr wenig geändert hat.8 Die OECD wiederum aggregiert Studien, die die Zeit messen, die Menschen mit Arbeit verbringen – sowohl bezahlter als auch unbezahlter Arbeit –, und kommt zu dem Schluss, dass je höher die weibliche Beschäftigungsrate in einem Land ist, die Arbeit umso ausgeglichener verteilt wird, da es dann doch dazu kommt, dass Männer mehr unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten.9


Man könnte gewiss eine Statistikschlacht führen, bei der jede Seite Zahlen anführt, die scheinbar oder tatsächlich die jeweilige These untermauern. Mit einem etwas längerfristigen Vergleich scheint es aber uns evident, dass es tatsächlich so etwas wie einen „Bedeutungsverlust des biologischen Geschlechts“ gegeben hat – ein solcher Bedeutungsverlust heißt ja nicht, wie die Freunde unterstellen, dass Menschen nicht mehr dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet werden, sondern dass die Einschränkungen, die mit dem jeweiligen Geschlecht verbunden sind, sich gelockert haben. Wenn sie behaupten, durch die Verschiebungen im Geschlechterverhältnis würde „die reale Ungleichheit […] bestenfalls verschleiert“, so ist das für uns absurd, da der Gender Pay Gap zum Beispiel eine sehr reale Ungleichheit ist, die sich verringert hat. Insgesamt scheint die Verärgerung über unseren Text zu einem erheblichen Teil daher zu rühren, dass sie denken, wir würden den Fortbestand oder die Bedeutung von Sexismus und Geschlechterdifferenzen kleinreden. Das ist gewiss nicht unsere Absicht. Wir haben die vielen Formen der Frauenunterdrückung, die sie anführen, sowie andere, die sie unerwähnt lassen – da wäre vor allem sexuelle Gewalt zu nennen –, als bekannt vorausgesetzt, um uns den Fragen nach der langfristigen Entwicklung sowie der theoretischen Erklärung zuzuwenden. Sicherlich gibt es zahlreiche, wichtige Aspekte, zu denen wir nichts gesagt haben, vielleicht auch wenig sagen können. Die ausgesprochene Hartnäckigkeit geschlechtlicher Differenzen sowie das Aufkommen neuer Bruchlinien können wir uns nur teilweise erklären: einerseits hängt sie gewiss mit der Verteidigung ihrer Privilegien seitens der Männer zusammen; andererseits kann man wohl auch ein geschlechterübergreifendes Festhalten an gewohnten Identitäten und Rollenbildern angesichts gesellschaftlicher Verunsicherungen und Zumutungen beobachten. Über Ausprägung, Entwicklung und die Konjunkturen dieser kulturell-ideologischen Prägungen haben Aktivistinnen und Theoretikerinnen der Frauenbewegung sowie die von ihr inspirierte Wissenschaft enorme Massen an Material zusammengetragen, die zu ordnen wir uns bis dato nicht zugetraut haben. Es wäre ohne Zweifel der Mühe wert.

 

Es war keineswegs unsere Absicht, die Bedeutung des Endes der Frauenunterdrückung und festgefügter Geschlechterrollen kleinzureden. Die Abschaffung von Frauenunterdrückung ist, gerade weil sie nicht bloße Folge kapitalistischer Herrschaft ist, ein wichtiges und eigenständiges Ziel radikaler Kämpfe. Auch wenn eine Herrschaft des Kapitals, die auf eine rigide Geschlechterordnung verzichtet, logisch denkbar ist, eine kommunistische Weltgesellschaft, in der große Teile des Lebens der Einzelnen durch ihr biologisches Geschlecht vorgegeben sind, ist das nicht. Der folgende Abschnitt aus „Abseits des Spülbeckens“ sollte unter anderem das ausdrücken: „Eine schöne Definition der Commune wäre es, dass sie diese Unterordnung [der Reproduktionsarbeit unter die Erfordernisse der Mehrwertproduktion] beendet und als eines ihrer zentralen Ziele die Aufhebung der bereits porösen Geschlechterordnung formuliert. Die heutigen Auflösungstendenzen der Familie könnten in ihr zu einem glücklichen Ende getrieben werden, anstatt nur überforderte Alleinerziehende hervorzubringen. Der bereits unter der Fuchtel des Kapitals vorangeschrittene Bedeutungsverlust des biologischen Geschlechts würde dann der Freiheit aller Einzelnen zugutekommen“. Das „glückliche Ende“, von dem hier die Rede ist, ist selbstverständlich unter der Herrschaft des Kapitals nicht denkbar.

  • 1. Dusseligerweise haben wir an dem Abend vergessen darauf hinzuweisen, dass wir die Diskussion aufzeichnen, weshalb wir den Mitschnitt nun leider nicht veröffentlichen können.
  • 2. Diese ist auf unserer Website unter http://www.kosmoprolet.org/mitten-im-spuelbecken-kapitalismus-und-zweige... dokumentiert. Die Zitate im folgendem entstammen diesem Text.
  • 3. Die Freunde tun Scholz aber auch Unrecht, wenn sie ihr unterstellen, sie gehe davon aus, dass es ohne Kapitalismus keine Frauenunterdrückung gebe. Verschiedene Etappen vorkapitalistischer Frauenunterdrückung behandelt sie in „Der Wert ist der Mann“ ausführlich, beschreibt aber dann eine spezifisch kapitalistische Form von Frauenunterdrückung, die sie mit dem unseres Erachtens recht misslungenen Begriff des „wertförmigen Patriarchats“ bezeichnet.
  • 4. Folglich ist es auch schwer denkbar, dass das Geschlecht je – so wie die Freunde es sich wünschen – eine so geringe Rolle wie die Augenfarbe spielen wird. Unklar bleibt in ihrer Kritik, ob sich die Abschaffung des Geschlechts, die sie mehrmals andeuten, jetzt auf Sex oder Gender bezieht oder ob sie diese Unterscheidung überhaupt machen. Dieses Fass wollen wir an dieser Stelle jedoch nicht weiter aufmachen
  • 5. Mit dem Begriff wird in der Linken seit ein paar Jahren allerlei Unfug betrieben. Wir benutzen ihn mangels eines besseren. Er soll hier verschiedene Dinge – höhere Löhne, gesellschaftliche Anerkennung, Schutz vor gewissen Formen von Gewalt, das, was schwarze und später auch weiße amerikanische Kommunisten in Bezug auf weiße Arbeiter als „psychologischen Lohn“ bezeichneten – kennzeichnen.
  • 6. Etwas befremdlich ist dabei ihr Umgang mit einigen Statistiken, die sie anführen. Sie führen korrekterweise an, dass nur wenige Frauen sich für einen Studiengang im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) entscheiden. Sie behaupten aber fälschlicherweise, dass diese Tendenz sich verstärke. Mit wenig Zeitaufwand lässt sich das Gegenteil belegen. 1976 waren 19 Prozent aller Studierenden in MINT-Studiengängen in Deutschland weiblich. 2014 waren es 29,2 Prozent. Auch in den letzten Jahren steigt die Zahl, wenn auch gemessen an den enormen Mühen von Staat und Industrie extrem langsam: 2008 lag sie noch bei 28,8 Prozent. Sie beziehen sich hingegen auf eine Statistik, die vergleicht, welcher Anteil aller männlichen bzw. weiblichen Studierenden sich in einen MINT-Studiengang einschreibt – diese Statistik wird dadurch verzerrt, dass der Frauenanteil unter allen Studierenden wächst. Sie verweisen darauf, dass ein wachsender Prozentsatz von Frauen, die in Lohnarbeit stehen, zusätzlich auf ALG II angewiesen ist. Dabei unterschlagen sie aber, dass laut der von ihnen selbst angeführten Statistik dies auch bei Männern der Fall ist. Zwischen 2007 und 2014 wuchs der Anteil aller Arbeiterinnen, die zusätzliche Leistungen beziehen, von 21% auf 31%, der Anteil der Männer von 20% auf 28%. Diese Entwicklung ist also weniger Ausdruck einer Verhärtung von Geschlechterverhältnissen als einer allgemeinen Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt. Der Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, auf den sie als Beleg für die zunehmende Segregation auf dem Arbeitsmarkt verweisen, hält ausdrücklich fest, dass in den letzten 35 Jahren der Frauenanteil unter Akademikern gestiegen, unter Geringverdienern gesunken ist.
  • 7. Das scheint den Freunden auch bewusst zu sein, wenn sie die Prognose der EU-Kommission wiedergeben, es werde noch 70 Jahre dauern, bis der Gender Pay Gap ausgeglichen ist. Ansonsten bestehen sie aber darauf, dieser vergrößere sich.
  • 8. http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0519.pdf
  • 9. http://www.oecd.org/berlin/47258230.pdf
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