Grazwurzelrevolution von Rechts oder: Wie die Militanz zum Alltag wurde. Über die Initiative "Ein Prozent für unser Land"

von nichts gewusst

Die AfD in zweistelligen Bereichen der Wähler*innengunst. Die Initiative 1% prahlt damit, die Wahl mit „tausenden von Wahlbeobachtern“ ein Stück weit sicherer gemacht zu haben – für wen auch immer. Und derweil geben sich die Reporter*innen aller möglichen Sender fleißig die Klinke auf dem Hof von Götz Kubitschek in die Hand. Jenem Typen, den sie vor Jahren noch mit seinem Hitler-Gartenzwerg auf dem Schreibtisch belächelt hatten. Es ist dieser Zwerg, der die Gestalt und die Ideen Kubitscheks so symbolträchtig zusammenfasst: Klein, fast bemitleidenswert, stramm rechts und doch, das muss uns nun klarer denn je werden, ein unermüdlicher Gärtner im Garten der rechten Grazwurzelrevolution.  

 

Ganz so neu, wie es uns derzeit aus allen Ecken entgegenschallt, ist hingegen an diesen Neuen Rechten wenig. Dies beweist einerseits ihr geistiger Bezugsrahmen, zum anderen aber auch das mittlerweile langjährige Bestehen ihrer Einrichtungen und Institutionen, wie IfS oder „Sezession“, die mittlerweile seit über einer Dekade versuchen im rechten Diskurs Einfluss geltend zu machen. Ihren Kinderschuhen sind diese Neuen Rechten längst entwachsen und nur weil sie im zunehmenden Alter nicht in die weißgeschnürten Springerstiefel gewechselt sind, heißt dies nicht, dass die von ihnen ausgehende Gefahr eine minder drastische ist.

 

Neu sind die äußeren Umstände und die inneren Strukturen der Organisationen selbst:

 

  1. Ist die Vernetzung zwischen etablierten Akteur*innen der Neuen Rechten und jungen Aktivist*innen eine sehr gute.

  2. Die Strukturen und Organisationen besitzen Rückhalt und Unterstützung von starken Parteien – AfD und FPÖ.

  3. Ein gesamtgesellschaftliches Klima, indem ihre Ideen als einfache und patente Lösungen nicht nur von vielen Menschen anerkannt werden, sondern diese auch mobilisieren.

 

Was wir jetzt stärker denn je erkennen müssen, ist die Tatsache, dass die Neuen Rechten von Beginn an ihre Ideen graswurzelartig in aufkommende Bewegungen (Von den „Besorgten Bürgern“, über die „Patriotischen Bürger“, hin zu Protesten gegen Refugee-Unterkünfte und vielem mehr) eingebracht und sich stets als rhetorisch versierte Vertreter und Vordenker1 dieser Gruppierungen inszeniert haben.

Geschickt setzten die Akteuer*innen der Neuen Rechten hierbei immer auf eine doppelbödige Strategie, die es ihnen ermöglichte, sich einerseits als gemäßigte Saubermänner in Aktionen „demokratischer Partizipation“ einzubringen, zugleich aber, über die jungen Aktivist*innen, wie Sellner, Stein und Co., engen Kontakt zu den weitaus radikaleren aktivistischen Gruppen zu halten und diese im Sinne ihrer Agenda zu dirigieren.

 

Mediale Lieblinge und gefährlich Brandtstifter

 

In den Medien wird der Neuen Rechten und ihren profiliertesten Vertreter*innen derzeit immer eine heimliche Bewunderung entgegengebracht, die sie als eine Art Intellektualisierungsbewegung des „alten“ rechten Gedankenguts anerkennt. Dies mag für einen verschwindende geringen Teil junger Aktivist*innen zwar gelten, faktisch muss aber konstatiert werden, dass die wenigsten Menschen, die sich derzeit über die Ideenpoole der Neuen Rechten politisieren, die Texte von Kubitschek, Lichtmesz oder Weißman jemals gelesen haben.

Diese Feststellung soll bitte nicht im Sinne einer „Von Nichts Gewusst“-Entschuldigung für diese Menschen gelten, denn vielmehr festhalten, dass die vielfach gepriesene neue Diskussionskultur der Rechten von einem kleinen elitären Zirkel ausgeht und auch nur einen solchen kleinen Kreis bedient. Für viele, die sich mit diesem Gedankengut anfreunden können, ist letzten Endes der Brandsatz oder die Faust immer noch das bessere Argument, als das dünne zweitmonatliche Sezessionsheftchen.

 

Alter Hass in neuen Gewändern?

 

Wichtig aber ist, dass es den Akteuer*innen gelungen ist, mit ihren Ideen und Vorstellungen an Multiplikator*innen anzudocken: So können und konnten die eignen Agenden über Strohmänner, wie beispielsweise Bernd Höcke aus den Reihen der AfD, simplifiziert und popularisiert werden. Die Akteur*innen der Neuen Rechten blieben hierbei geschützt im Hintergrund, während Höcke im Fernsehstudio erst seine Deutschlandfahne und im Anschluss das reaktionäre Gedankengut, dass er über Sezession und IfS erworben hatte, auspackte.

Letztlich politisieren nicht die pseudo-intellektuellen Abhandlungen das Gros der Menschen, sondern die popularisierten Simplifizierungen, denen mehr an der symbolischen Verankerung von Ideen, denn deren differenzierter Darstellung liegt.

Leute, wie Martin Lichtmesz, können in ihren Texten noch so sehr versuchen zu zeigen, dass sie Positionen „differenziert“, wenn auch nicht weniger dümmlich, vertreten können: Die Masse interessiert dies nicht!

So mag Lichtmesz in seinem letzten Artikel zurückrudern und im höhnischen Ton darüber philosophieren, dass seine Vorstellung einer ethnischen Homogenität immer eine „relative Homogenität“ meint, als Redner auf die Pegida-Demonstration traut er sich damit bestimmt nicht! Nicht, weil er ein kein annehmbarer Redner ist, sondern weil er weiß, dass seine vorgeschobene Ausdifferenzierung bei den Anwesenden, die lieber früher als später alles, was nicht zur imaginierten Volksgemeinschaft passt, im kollektiven Pogrom vernichten würde, als Ergebnis nur ein paar Schellen für ihn und nicht den Erkenntnisgewinn der Anwesenden hätte.

 

Letztlich bleibt das intellektuelle Spiele der Neuen Rechten mit ihren Ideen nur Simulation von Diskursivität der eignen Ideologie. Die Ideen bleiben in ihrem Kern doch immer ident und ihrem Weg der Lösung immer eine Gleichung, die ein Verlangen X gegenüber einem Verlangen Y hierarchisiert und dergestalt gegeneinander ausspielt.

Das aber ein, immer zutiefst reaktionär gefärbtes, Verlangen großer Teile der Bevölkerung nach homogenen Kategorien der Vergemeinschaftung nicht auf der anderen Seite das Streben von Menschen nach einem besseren Leben tilgt, ist der erste große Fehler im Denken der gesamten Rechten.

Der Zweite basale Fehler ist der, dass dieses Streben hin zu angenehmeren Umständen ein Kind der Moderne und Globalisierung ist, dass nur deswegen so gut gewachsen ist, weil es in den „homogenen“ Gemeinschaften des „alten Europa“ so ein gutes Futter gefunden hat.


Das der Modus der Freizügigkeit und mit ihm einhergehende Migration grundlegende Bedingung und Motor dessen waren, was wir Industrialisierung nennen und grundlegend das formte, was wir Moderne nennen, und demnach Grundlage des eignen guten Lebens ist, das gerät hierbei in vollständig in Vergessenheit.

Eben diese Konstruktion und Kampfstellung einer besseren retroprespektivischen Prä-Moderne, die es nie gegen hat, gegen eine jetzt bestehende und angeblich dem Untergang geweihte, ist der große gedankliche Motor der neuen Rechten.

 

Ein Prozent für wen eigentlich?

 

Es mag dieser dystopische metapolitische Modus der Neuen Rechten sein der das Interesse neuer junger Aktivist*innen, allen voran den Ablegern der „Identiären Bewegung“, geweckt hat.

Gerade aber die Initiative „Ein Prozent für unser Land“ (1%), die erstmalig zu den Landtagswahlen im vergangen Monat in Erscheinung getreten ist, zeigt mustergültig, wie die etablierten Vertreter der Neuen Rechten ihr Ansehen und ihre gesellschaftliche Akzeptanz nutzen, um damit Projekte zu unterstützen, die maßgeblich der Finanzierung radikalerer Ideen und deren Akteur*innen dienen.

 

Die Ziele, die 1% verfolgt, sind hierbei ebenso unscharf, wie die hinter dem Projekt stehenden Akteure. Augenscheinlich aber kann die Plattform als eine Art Crowdfounding für allerlei Aktivitäten im rechtsextremen Aktivismus definiert werden, die sich jedoch stark darum bemüht zeigt sich selbst den Anstrich des bieder-bürgerlichen zu geben und wahrscheinlich deswegen gezielt die politischen Bezugsgruppen ihrer verschiedenen Aktivist*innen verschleiert.

 

Zwar unterstützenden im Vordergrund mit Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek zwei Schwergewichte der Neuen Rechten das Projekt, den Großteil der Arbeiten scheint aber das Duo Philip Stein und Martin Sellner erledigen. Das Stein die Rolle des Leiters zukommt ist allein deswegen ersichtlich, da Sellner wegen seiner Tätigkeit als Obman der „Identitären Bewegung Wien“ innerhalb von fünf Minuten als strammer Radikaler und ideologisch Verblendeter enttarnt werden kann, während Stein den Anschein des Liberalen zumindest auf den ersten Blick wahren kann. Das der gebürtige Nordhesse und derzeitig in Sachsen lebende Burschenschafter aber trotzdem ein strammer Rechter ist, muss an dieser Stelle wohl nicht weiter ausgeführt werden.

 

Auffällig ist das von Elsässer nur einige Sager bezüglich der Relevanz der Initiative bekannt sind und selbst der öffentlichtlichkeitsgeile Kubitschek die Initative nur bei einigen öffentlichen Auftritten seiner Person öffentlich präsentierte. Wahrscheinlich, damit das Projekt nicht direkt mit ihm in Verbindung gebracht wird und sich somit länger den Schein des Bürgerlichen hingeben kann und er im Hintergrund die Fäden weiterhin gut in der Hand halten kann.

 

Zwar sprach 1% davon, zu den Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern 1000 von Wahlbeobachter*innen aufgestellt zu haben, dem Auftreten auf Twitter und anderen Onlinemedien nach aber ist stark davon auszugehen, dass sich diese tausend Wahlbeobachter*innen auf Stein und Sellner mit ihren Laptops beschränkten, die, wahrscheinlich durch Unterstützung von Kubitschek, einigermaßen mobil an verschiedenen Standorten der Wahlen in Erscheinung treten konnten. Zudem schien die Aktion von Beginn an stark von Seiten der AfD unterstützt wurden zu sein, was sich letztlich auch darin offenbarte, dass Stein, Sellner und andere Aktivisten der Identitären Bewegung bei Wahlpartys der AfD teilnahmen.

 

Die Initiative fordert auf ihren Seiten zwar horrende Summen zur Unterstützung verschiedenartiger Projekte, was diese Projekte am Ende aber leisten wollen und können bleibt immer sehr definitionsoffen. Hinzu kommt, dass 1% keine öffentliche Rechenschaft darüber ablegt, in welchen Höhen Gelder akquiriert wurden und werden und wie diese in den Projekten Verwendung finden, beziehungsweise wie Gelder generell aufgeteilt werden und wofür sie überhaupt verwenden werden dürfen.

 

Es ist allein deswegen schon davon auszugehen, dass die Projekte, mit denen 1% um Gelder wirbt, nur als vorgeschobene Rechtfertigung dienen, Geld einzusammeln und dieses dann, ganz dem Blieben seiner Akteure folgend, unter den Aktivist*innen je nach Bedarf aufzuteilen. Im Rahmen der „Wahlbeobachter*innen Aktion“ dürfte der eigentlich in Wien beheimatete Martin Sellner großer Nutznießer gewesen sein und es ist davon auszugehen, dass ein Gros seines Ausflugs durch die fleißigen Spender*innen erst ermöglicht wurde. Das Rechte rechtes Denken und rechte Aktivitäten fördern ist gewiss nichts umwerfend Neues, es ist aber davon auszugehen, dass 1% weit über die Grenzen des klassischen Milieus Finanzmittel mobilisiert und direkt an die Aktivitäten der radikalsten Aktivist*innen der Neuen Rechten weiterleitet, ohne gegenüber irgendeiner Person Rechenschaft über die Verwendung dieser Geldmittel ablegen zu müssen.

Beispielhaft von dieser Vernetzung zwischen der klassischen Rechten, völkischen Verbindungen und radikalen Aktivist*innen der Neuen Rechten zeugt die Veranstaltung „Migrationskrise. Fakten – Recht – Maßnahmen“ im Haus der Grazer Burschenschaft „s! Gothia“, bei der neben der FPÖ-Parteigängerin Rosenkranz Stein als Redner auftritt.

 

Die neue alte Alltäglichkeit der Militanten

 

So sehr die Ideen der Neuen Rechten die Massen mobilisieren, umso mehr scheinen die Akteuer*innen und Aktivist*innen in trauter Eintracht zusammenzurücken, um zumindest gewisse Teile des großen Kuchens der dieser Tage vor ihnen auf dem Tisch steht aufzuteilen. Das die radikalsten unter ihnen hierbei große Stücke abbekommen darf nicht überraschen, muss uns aber allen als Warnung gelten, was kommen mag, wenn die Organisationen und Gruppierungen ihre Vernetzung und gesellschaftliche Etablierung weiter voran treiben. Dies mag und kann erst der Anfang sein, wenn er auch jetzt schon ein schrecklicher ist! Wenn also nun eines als Agenda gelten sollte, dann den Widerstand zu organisieren. Am 30. April in Graz, bei allen anderen Aktionen von 1% und generell überall dort, wo die hier Genannten und ihre Assoziierten sich blicken lassen!

 

1Weibliche Akteure der NR sind hier weitaus zurückhaltender in Erscheinung getreten.   

 

Für weitere Artikel zur Neuen Rechten: http://vonnichtsgewusst.blogsport.eu

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Der obenstehende lesenswerte Text berücksichtigt allerdings nicht die Dialektik zwischen rechtsintellektueller diskursiver Intervention u. der Erweiterung des Resonanzraumes für neurechte Inhalte. Ein Beispiel: Als Thilo Sarrazin sein erstes Buch "Deutschland schafft sich ab" publizierte, gab sich das Milieu des "Institut für Staatspolitik" (IfS) große Mühe im Windschatten der neu gewonnenen rassistischen Sagbarkeiten zu ankern. Kubitschek gab ein Sonderheft der Hauszeitschrift "Sezession" mit dem Titel "Sarrazin lesen" heraus u. der damalige Adlatus Felix Menzel spekulierte über den Erfolg diskursiver Vorstösse von rechts. Allein, der Erfolg blieb für das rechtsintellektuelle Milieu aus. Zwar schrieb und sagte Sarrazin so ziemlich genau all das, was die neue Rechte seit dreißig Jahren schrieb u. sagte, aber die Verankerung rassistischer Diskurse in der Mitte der Gesellschaft bedurfte ihres Zutuns nicht. Und so blieb der Versuch über Sarrazin ein Ticket in Richtung Mainstream zu lösen vorerst ohne Erfolg. Dieser stellte sich mit der sogenannten Flüchtlingsdebatte und der Entstehungs- bzw. Orientierungsphase von PEGIDA ein. Im Prozess der Formierung eines für Deutschland neuen Formats rechten Protest, welcher sich als Bürgerprotest authentifizierte, wurde das rechtesintellektuelle Milieu vom Seitenkommentartor zum Akteur. Götz Kubitscheks Annäherung an PEGIDA vollzog sich als ein Narrativ einer nationalen Erweckung. Wer seine erste Rede bei LEGIDA in Leipzig liest, weiss, wie sehr er dort nach dem richtigen Ton sucht. Inzwischen jedoch sind die Tore nach rechts durch die Wahlerfolge der AfD und durch PEGIDA so weit aufgestossen, das dass rechtsintelltuelle Milieu glaubt, den Takt für die endgültige Verankerung eines Hegemonieanspruchs von rechts anführen zu können. Die begriffliche Wirrsal wie das Phänomen Neue Rechte nun zu fassen sei, spielt ihnen in die Hände. Führen sich Akteure der extremen Rechten nicht auf, wie gewaltätige Neonazis im Fernsehen, werden sie sogleich auf diskursiver Augenhöhe behandelt, wie es der Briefwechsel zwischen Nassehi und Kubitschek zeigt. Es ist schlicht kein Akteur in Sicht, der den Diskursansprüchen der Neuen Rechten Einhalt gebieten wollte oder könnte. Dies unterscheidet die heutige Situation erheblich von jener zu Beginn der 1990er Jahre, als die sprichwörtliche neurechte 89er Generation (so der Titel des von R. Bubik damals heraugegebenen Sammelbandes) versuchte in Verlagen und Zeitungen den  Stab zu übernehmen. Jenseits einer kleinen Gruppe von Expert_innen hat einfach niemand gemerkt, wie weit die Diskursstränge und die assoziative Vernetzung des zahlenmässig kleinen Milieus rechtsintellektueller Akteure bereits vorgedrungen ist.