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Unterkunft für Wohnungslose in Berlin

Stop Zwangsräumungen
Erstveröffentlicht: 
02.02.2016

In Berlin gibt es seit Jahren ein Haus für Wohnungslose. Jetzt wurde ihnen gekündigt, denn Geflüchtete bringen mehr Geld ein. Doch die Betroffenen wehren sich.

 

 

BERLIN taz | „Für mich geht alles kaputt, wenn ich hier rausmuss“, sagt Wolfgang Hass. Der hagere Mann, Anfang 50, dunkler Schnauzbart, lebt im Gästehaus Moabit, einem Heim für wohnungslose Männer in Berlin. Er läuft unruhig im Zimmer seines Mitbewohners Micha umher und raucht Selbstgedrehte. „Ich bin hier zur Ruhe gekommen.“ Vor einem halben Jahr saß er noch im Gefängnis, nun nennt er das Haus, in dem er ein Einzelzimmer bewohnen darf, sein „Zuhause“. Als Wart kann er sich etwas dazuverdienen, und hier hat er – erstmals seit Jahren – wieder Kontakt zu seinem siebenjährigen Sohn.

 

Doch sein Zuhause ist bedroht. Mitte Dezember erreichten die 33 Bewohner schlimme Nachrichten. Ab März will der neue Betreiber, die Firma Gikon Hostels, mit der Weitervermietung Geld verdienen. Und weil das Land höhere Sätze pro Flüchtling auszahlt, sollen die Wohnungslosen raus.

Der fünfstöckige Altbau steht da wie eine Trutzburg in Moabit. Schmucklos die Fassade, Fenster ohne Gardinen. Im Haus ist es ruhig, das Treppenhaus gefegt. Alle Bewohner haben ein eigenes Zimmer, auf jedem Stockwerk teilen sie sich Küche, Bad und Toilette. Neben dem Hauseingang weist ein kleines Schild auf das Projekt hin.

 

Seit Jahrzehnten finden sie in der Berlichingenstraße einen Zufluchtsort. Manche Bewohner leben selbst schon 20 Jahre hier. Deswegen sind Micha und Herr Hass nun in Kämpferlaune. Micha befestigte ein weißes Bettlaken an seinem Fenster. „Friede den Hütten. Krieg den Palästen“ steht darauf.

„Friede den Hütten. Krieg den Palästen“ steht auf dem Bett­laken am Fenster.

 

Micha hat einen orangefarbenem Irokesenschnitt und wohnt seit fünf Jahren in einem Zimmer im obersten Stock. Seinen Nachnamen will der 33-Jährige nicht nennen. So macht man das bei Linken. Er ist einer, sagt er, der sich nie festlegen wollte. Ausbildungen als Holzmechaniker und im „pädagogischen Bereich“ hat er begonnen – und wieder abgebrochen. Während viele Bewohner nicht in der Lage sind, sich zu wehren, mag Micha den politischen Kampf: Blockaden, Besetzungen, offene Briefe.

„Den Eigentümer in die Knie zwingen“

Von diesen Fähigkeiten profitieren an diesem Dienstag im Januar auch die anderen. Sechs von ihnen und ebenso viele Unterstützer von außen sitzen in seinem Zimmer auf dem Bett, der ausgebeulten Couch und auf dem Boden. Auch Sara Walter vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ ist da. Ebenso zwei Frauen von lokalen Initiativen gegen Gentrifizierung und zwei grüne Abgeordnete aus der Bezirksverordnetenversammlung. Sara Walter sagt in das Stimmengewirr hinein: „Die Frage ist, wie wir den Hauseigentümer in seiner Geldgier in die Knie zwingen können.“

 

Micha organisiert den Widerstand und er könnte erfolgreich sein.  Foto: Lia Darjes


Das Problem ist folgendes: Während das Jobcenter für die Unterbringung von Wohnungslosen täglich 22,50 Euro zahlt, überweist die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in Berlin (Lageso) für Flüchtlinge bis zu 50 Euro am Tag. Und der Profit könnte noch gesteigert werden. Denn Herr Hass vermutet wohl zu Recht: „Die knallen dann hier in jedes Zimmer fünf Doppelbetten rein.“

 

Flüchtlinge, die Obdachlose verdrängen. Für Rechte ein gefundenes Fressen. In Foren und Netzwerken heizen sie die Stimmung an, auch wenn sie sonst gegen Wohnungslose hetzen. Das wissen die Bewohner: „Wir lassen uns nicht gegen die Flüchtlinge ausspielen“, sagt Micha.

Der Berliner Senat plant nach Informationen der FAZ 10.000 Hotelzimmer für Flüchtende in Berlin zu reservieren. Die Stadt verhandele mit 22 Hotels, um Plätze für die Migranten zu schaffen. Je nach Anbieter würde dies schätzungsweise 1.500 Euro pro Flüchtenden und Monat kosten. Der Senat habe Interesse an einer mehrjährigen Laufzeit dieser Verträge. Die Zeitung beziffert das Volumen auf mindestens 600 Millionen. Der Senat plane mit der Prognose, dass dieses Jahr 30.000 weitere Unterkunfts­plätze benötigt würden. Die Unterbringungskapazitäten des zuständigen Lageso sind ausgeschöpft. Fast 50 Turnhallen dienen als Notunterkünfte.

 

Dass das Haus – wie im Kündigungsschreiben angekündigt – vor dem Einzug der Flüchtlinge saniert wird, glaubt hier niemand. „Ein bisschen Farbe an die Wände – und gut ist“, sagt Hass. „Die werden hier doch kein Geld reinstecken, wenn es ihnen um maximalen Profit geht“, sagt Micha. Dabei wäre eine Renovierung nötig. Der Putz bröckelt von den Wänden, an den Decken zeichnen sich dunkle Flecken von den Wasserschäden ab.

 

Von Luxussanierungen ist dieser Kiez in Moabit äußerlich noch verschont. Selbst wenn die Immobilienpreise auch hier in die Höhe schießen, gilt Moabit als sozialer Brennpunkt. In der nahen Beusselstraße wechseln sich Spielkasinos und Sportwettenläden ab, dazwischen Ein-Euro-Shops und türkische Bäcker. Auch das Büro von Gikon Hostels befindet sich hier. Die Firma, die das Haus ab März mietet und betreibt.

Zu Besuch bei den Hausbetreibern

Ein steril eingerichtetes Ladenlokal. Hinter einer undurchsichtigen Folie an der Scheibe haben die Inhaber Hassan Nemr und der großväterlich wirkende Geschäftsführer Martin Kleiner auf schwarzen Designerstühlen Platz genommen. Seit dem Plenum im Gästehaus sind anderthalb Wochen vergangen. Mit schwäbischem Einschlag sagt Kleiner, wie es zu dem Deal kam: Das Haus sei über ein Immobilienportal ausgeschrieben gewesen für eine monatliche Kaltmiete von 16.000 Euro. Beim Treffen mit den Eigentümern setzten diese den Preis auf 22.500 Euro hoch. Gikon schlug zu.

 

Kleiner hält den Vertrag in der Hand. „Mit Nebenkosten kommen wir auf etwa 35.000 Euro im Monat“, sagt er. Im Verlauf des Gesprächs steigen die Summen immer weiter.

 

„Mit den 22,50 Euro können wir nicht arbeiten“, sagt Nemr schließlich. Die Kosten ließen sich durch die Wohnungslosen nicht decken. Die alten Betreiber hätten das deswegen gekonnt, weil sie weniger als die Hälfte der Miete an die Hausbesitzer überweisen mussten, erklärt Kleiner. Was Nemr und Kleiner vermitteln: Gikon ist in einer schwierigen Situation. „Wir wollen den Wohnungslosen helfen“, sagt Nemr. Den Flüchtlingen aber auch. Sieben Flüchtlingsunterkünfte betreibt Gikon bereits. „Wir sind um die besten Bedingungen, ja auch um Integration bemüht“, sagt Kleiner.

 

Im Kiez erzählt man sich anderes. Da kommen die Betreiber nicht so gut weg. Wenn die Geschäftsmänner selber über das Haus und ihre Pläne sprechen, sagen sie „Hostel“. Ihr Konzept: Viele Flüchtlinge in Berlin erhalten Gutscheine, die auch für die Unterbringung in Hostels gelten. Die staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten sind begrenzt, private Geschäftemacher wittern das große Geschäft. Unterbringen wollen sie 50 Menschen, also etwa zwei pro Zimmer, sagt Kleiner. Doch es müssen nicht unbedingt Flüchtlinge sein – solange die Einnahmen stimmen. „Wir haben den Wohnungslosen zwei Etagen des Hauses angeboten“, sagt Kleiner. Auch nach anderen Wohnplätzen habe man gesucht.

Doch es gibt Hoffnung

Doch davon weiß Micha nichts. „Uns wurde kein Angebot gemacht“, sagt er. Einzig das Sozialamt hätte ihm einen Platz in einem Mehrbettzimmer geboten. Umzug am selben Tag. Micha winkt ab. Bis zum Mittag hätte er die Angebote von drei Umzugsunternehmen einholen müssen. Sein Etagennachbar, Frank Kretschmann, berichtet dasselbe. Der kräftige Mann mit den langen blonden Haaren ist aufgebracht. Mit Möbeln und 20 Kisten ist er hier gelandet, nachdem er aus seiner Wohnung geworfen wurde. In seinem 10-Quadratmeter-Zimmer ist kaum Platz zum Stehen. Muss er hier raus, hat er Angst um seine Sachen: „Soll ick die dann alle wegschmeißen“, fragt er.

 

Aber vielleicht kommt es gar nicht so weit. Denn Gikons Pläne scheinen bereits Makulatur. Die Firma wolle aus dem Vertrag aussteigen, berichtet Stephan von Dassel, grüner Sozialstadtrat vom Bezirk Mitte. Durch einen offenen Brief von „Zwangsräumungen verhindern“ war er auf den Fall aufmerksam geworden. Schon mehrfach hat er sich mit den Bewohnern getroffen. Erst am Wochenende war er im Haus. Im Treppenhaus befestigte er einen Brief an die Bewohner – Briefkästen gibt es keine. Die Aussage: Der Bezirk betrachtet die Kündigung der Bewohner durch die alte Betreiberfirma als gegenstandslos.

 

„Wenn der Hauseigentümer dem alten Betreiber kündigt und einen neuen beauftragt, hat das mit den Bewohnern nichts zu tun“, so von Dassel. Zumal: Keiner der Bewohner hat jemals einen Mietvertrag mit den Betreibern abgeschlossen. „Wir sind der festen Auffassung, dass Sie weiterhin legal in der Berlichingenstraße wohnen. Sie sind dort legal und mit Wissen des Eigentümers eingezogen und haben über das Bezirksamt Ihre Wohnkosten stets pünktlich und vollständig beglichen“, heißt es in von Dassels Brief. Wochenlang hatten die Mitarbeiter im Bezirksamt nach einer Möglichkeit gesucht, die Bewohner zu schützen.

 

Die Bezirksverordneten wollten sogar prüfen lassen, ob es möglich wäre, das Hauses zu beschlagnahmen. Doch nun sagt von Dassel: „Damit hätten wir nur die Kündigung der Bewohner anerkannt.“ Spätestens im Sommer hätten sie doch ausziehen müssen und der Bezirk wäre mit Schadenersatzforderungen konfrontiert. So habe man hingegen „den Ball auf das gegnerische Feld zurückgeschlagen“.

 

Wo genau sich das Feld befindet und wer es bespielt, ist jedoch selbst von Dassel noch nicht klar. Denn hinter der Firma Gikon verbirgt sich noch der tatsächlichen Eigentümer der Immobilie. Der bleibt im Dunkeln. Öffentlich möchte hier niemand sein Handeln erklären.

 

Wer versucht, zu den drei im Grundbucheintrag genannten Eigentümern des Hauses oder der Hausverwaltung Kontakt aufzunehmen, findet immer wieder dieselbe Anschrift in der noblen Charlottenburger Kantstraße 30. Antworten übermittelt nur ein Rechtsanwalt. „Die Immobilie wurde bereits vor einiger Zeit an einen Dritten übertragen“, schreibt dieser. Wer nun an der Vermietung des Hauses verdient, bleibt anonym.

 

Von Dassel rechnet damit, dass die Besitzer versuchen werden, die Bewohner herauszuklagen. Er verspricht aber, die Kosten für den Rechtsschutz zu finanzieren. Dem Eigentümer werde es schwerfallen, sagt er, „das Wohnrecht der Bewohner zu widerlegen“. Und auch die Bewohner sind optimistisch. Frank Kretschmann spricht von einem „Siegesgefühl“, weiß aber auch: „Das ist nur ein Etappensieg.“