Demos und brennende Bullenreviere in Tunesien: Nächtliche Ausgangssperre

Demo in Tunesien

Die Welle der Proteste, die auf den Suizid von Ridha Yahyaoui und den sich daraus ergebenen Unruhen in Kassarine (siehe unseren gestrigen Bericht) folgte, hat sich im Laufe des gestrigen Tages auf weitere Orte Tunesien ausgeweitet. Schon am frühen Abend wurden aus 16 Regierungsbezirken Demonstrationen und Zusammenstösse mit den Bullen gemeldet. Am späten Abend und im Laufe der Nacht kam es landesweit auch zu Angriffen auf Bullenreviere und Fahrzeuge der Sicherheitskräfte, dabei gingen mehrere Bullenwachen und zahlreiche Einsatzfahrzeuge in Flammen auf.

 

Einige (völlig unvollständige) Meldungen:

  • In Kairouan wurde ein Warenhaus gepündert und das HQ der Zollbehörde angegriffen, dieses ging ebenso wie zwei Fahrzeuge der Behörde später in Flammen auf. 
  • In der Nähe von Jelma wurde die Nationalstrasse blockiert, die Bullen wurden mit Steinen angegriffen, als sie die Blockdade auflösen wollten.
  • Bullen und Angehörige einer Bürgerwehr können in Mahres den Sturm eines Reviers der Nationalgarde und eines Warenhauses verhindern
  • In Tajerouine wurden die wichtigsten Strassen mit brennenden Autoreifen blockiert, eine Einrichtung der Sicherheitskräfte wurde mit Molotovs angegriffen
  • In Gabes wurden ebenfalls wichtige Durchgangsstrassen blockiert, das zentrale Warenhaus wurde zum Ziel der Revoltierenden
  • In Douz wurde das Warenhaus niedergebrannt, ein Bullenrevier ereilte das gleiche Schicksal

 

Auch in mehreren Vororten der Hauptstadt Tunis kam es zu Ausschreitungen, dabei wurden Geschäfte geplüdert und eine Bank verwüstet. Auch kam es zu weiteren öffentlichen Suizidversuchen verzweifelter Menschen, nach unserem Kenntnisstand gab es dabei aber keine weiteren Toten. Wie mittlerweile außerdem bekannt wurde, kam es zum berichteten Tod eines Bullen am Mittwoch in Kassarine dadurch, dass dieser sich im Einsatz gegen Demonstranten mit seinem Einsatzwagen überschlug.

 

Die Regierung hat heute eine landesweite nächtliche Ausgangssperre erlassen. Sie tritt am heutigen Freitagabend um 20:00 Uhr Ortszeit in Kraft. Außerdem erklärte ein Sprecher des Finanzministerium, es sei nicht beabsichtigt gewesen, als Reaktion auf die Proteste in Kassarine 5.000 Stellen im öffentlichen Sektor für die Region zu schaffen. Diese Zusage habe es in dieser Form nie gegeben, entsprechende Medienberichte beruhten auf  "Kommunikationsdefiziten". Aktivisten melden unterdessen, dass Armeeinheiten landesweit zum Schutz öffentlicher Einrichtungen aufgezogen sind.

 

Videos:

 

https://www.youtube.com/watch?v=8i7Co3Ugy8g

https://www.youtube.com/watch?v=RtpOKO7a0gQ

https://www.youtube.com/watch?v=gm3WlFry7OA

https://www.youtube.com/watch?v=nkOBR37Ut9g

https://www.youtube.com/watch?v=y58eKOvOfZg

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Trotz der verhängten nächtlichen Ausgangssperre kam es in der Nacht in mehreren tunesischen Städten zu Zusammenstössen mit den Sicherheitskräften, Sachbeschädigungen und Plünderungen. Die Bullen nahmen nach eigenen Angaben landesweit über 260 Menschen wegen Plünderungen und über 80 Menschen wegen Missachtung der Ausgangssperre fest. Nach Angaben des Innenministerims wurden bei den nächtlichen Zusammenstössen über 100 Bullen verletzt. Landessweit wurden bei den nächtliche Aktionen über 20 Bullenfahrzeuge massiv beschädigt, fünf Bullenwachen wurden ebenfalls erheblich zerstört.


Die Regierenden in Tunis regierten auf die jüngsten Unruhen wenig überraschend. Die offizielle Linie wurde gestern noch einmal von Präsident Béji Caïd Essebsi in einer TV Ansprache repräsentiert. Man habe Verständnis für die Proteste, diese müssten aber gewaltfrei bleiben. Und ja, das mit der Arbeitslosigkeit sei ein großes Problem und man werde auch etwas unternehmen, wenn er auch noch nicht konkret werden könne. Und selbstverständlich stecken hinter den militanten Aktionen ausländische Elemente, die die Situation ausnutzen würden und man müsse wachsam sein. Und selbstverständlich durften die ausländischen Medien nicht unerwähnt bleiben, die mit ihrer Berichterstattung die Auseinandersetzung anheizen würden. Ministerpräsident Habib Essid kehrte unterdessen vom Weltwirtschaftsforum in Davos zurück. In seinem Gepäck die Zusagen von einer Milliarde Euro aus Frankreich für Infrastrukturprogramme. Die völlig korrupte und unfähige Verwaltung hatte es im vergangenen Jahr geschaft, nicht mal ein Drittel der bereitgestellten Mittel für die Region Kassarine auch wirklich auszugeben.


Hier noch zwei kurze Video Berichte:
https://www.youtube.com/watch?v=qylhk1NJINM
https://www.youtube.com/watch?v=HXg2RW6nosU