Delegationsreise des "Internationalistischen Zentrums" Dresden nach Griechenland

Let them cross the border

Seit dem 24.12. ist eine Delegations des "Internationalistischen Zentrums" Dresden in Griechenland. Wir wollen Informationen über die aktuelle Situation der Geflüchteten in Griechenland sammeln und herausfinden welche selbstorganisierten Solidaritätsgruppen und Projekte es gibt. Unsere Ankündigung und alle Berichte und Fotostrecken findet ihr auf unserem Blog!

 

Thessaloniki

 

Am 24.12. erreichten wir Thessaloniki. Hier sind wir im Nikis-Squat der antiautoritären Plattform Alpha Kappa (Αντιεξουσιαστική κίνηση, Antieksousiastiki Kinisi, antiautoritäre Bewegung) untergebracht und trafen auch prompt drei Menschen des Dresden-Balkan-Konvois (facebook.com/events/781903868603397/). Diese berichteten uns, dass sie nun einen Lagerplatz für die Sachspenden in der von Arbeiter*innen besetzten Fabrik Vio.Me bekommen haben.  Wer an Hintergründen zur politischen Geschichte, zu Vio.Me und den Zusammenhängen mit der sog. Krise in Griechenland interessiert ist, denen empfehlen wir den Text „Griechenland am Scheideweg“ von Sven Wegner (AusserKontrolle Dresden) und John Malamatinas (AK-Antifa Köln). Auch wenn der Text schon etwas älter ist, ist er nach wie vor lesenswert und vermittelt einen guten ersten Überblick. Nach einer kurzen Verschnaufpause fuhren wir an die griechisch-mazedonische Grenze nach Eidomeni, um uns einen Eindruck von der aktuellen Situation zu verschaffen. Bereits im Sommer waren einige von uns vor Ort.

 
Die europäische Selektionsmaschine

 

Seit Dezember 2014 existiert in Eidomeni ein gesonderter Grenzübergang für Menschen auf der Flucht. Innerhalb der letzten 3 Monate wurde hier durch massive Repression eine Infrastruktur errichtet, die es heute möglich macht Geflüchtete zu selektieren und ungewollte Migrationsbewegungen zu illegalisieren. Das Camp der „ungewollten Nationalitäten“ wurde dafür abgerissen. Die Einzelzelte und die Infrastruktur wurden völlig zerstört und die Bewohner*innen des Camps zurück nach Athen deportiert. Wer Geflüchtete mit dem Auto mitnehmen wollte, wurde verhaftet. Der Presse war es kaum möglich an den Ort des Geschehens zu gelangen. Heute erinnert nur noch eine tote und relativ planierte Fläche an hunderte Zelte, die die Abgewiesenen an Europas Mauern hier errichteten. Wenn ihr mehr über die vergangenen Geschehnisse erfahren wollt, findet ihr hier eine Übersicht.

 

Schlangestehen und Flucht-Wirtschaft statt Bewegungsfreiheit und Flucht in Würde

 

Momentan stellt sich die Situation wie folgt dar: Menschen werden in Bussen vor allem aus Mitellini und Athen nach Eidomeni gebracht. Hier müssen sie teilweise bis zu einem Tag warten, um über die Grenze zu kommen. Schlafplätze gibt es nicht und so verbringen sie die Nacht in den Bussen oder im Freien. Als wir in Eidomeni waren, standen immer zwischen fünf und sechs Busse vor dem Bahnübergang der zum Schleusungspunkt an der Grenze führt. Zu diesem Zeitpunkt konnten Menschen, angesichts der Situation die wir im Sommer erlebten, verhältnismäßig schnell über die Grenze. „Schnell“ ist in diesem Zusammenhang jedoch relativ zu betrachten. Meist heißt dies stundenlanges Warten bei Minusgraden. Die Grenzbeamt*innen schließen die Grenze immer wieder willkürlich für 20 bis 30 Minuten und nennen keine Gründe. Einige Helfer*innen berichteten uns, dass wegen einer Taxiblockade der Zugstrecke auf der mazedonischen Seite, die Grenze immer wieder geschlossen werde. Auf dieser Strecke fährt der Zug von Gevgelia (mazedonische Seite der Grenze) weiter Richtung Serbien. Es wurden uns verschiedene Begründungen dafür genannt. Die für uns wahrscheinlichste ist die, dass auch die Taxifahrer*innen in Mazedonien etwas an der Flucht verdienen wollen. Bei all dem Geschäftemachen mit der Flucht, darf der spezielle Kontext der desolaten ökonomischen und soziale Situation in Griechenland und Mazedonien nicht vergessen werden. Dies soll keine Entschuldigung sein, sondern erklärt evtl. warum gerade hier der informelle Sektor der Flucht-Wirtschaft blüht. Trotzdem gibt es auch die vielen Gegenbeispiele von unentgeldlicher Hilfe für Geflüchtete. Gerade im Sommer, bevor die NGOs den Ort verwalteten, gab es viel selbstorganisiertes Engagement. So richteten Einwohner*innen aus Polycastro eine Suppenküche ein und auch Anarchist*innen aus Kilikis und Thessaloniki stellten immer wieder Hilfsgüter bereit. Trotz der Anwesenheit der UNHCR, dauerte es über ein halbes Jahr bis der Ort erste Toiletten und einen Wasseranschluss besaß. Außerdem sind zwei Busse der griechischen Aufstandsbekämpfungeinheit „MAT“ ( Monada Apokatastasis Taxis, Einheit zur Wiederherstellung der Ordnung) dauerhaft vor Ort. Die Informationslage über die Ereignisse und Zustände auf der mazedonischen Seite der Grenze ist jedoch weiterhin sehr schlecht. Deswegen werden wir in den nächsten Tagen dorthin fahren und euch auf dem Laufenden halten. Außerdem werden wir versuchen uns mit den Menschen von „Open Borders Osnabrück“ in Verbindung zu setzen. Lest ihren Aufruf.

 

Nach Mazedonien einreisen, dürfen gerade nur Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Gehört man einer dieser vermeintlich privilegierten Personengruppen an, heißt dies jedoch noch lange nicht, dass nun eine Flucht in Würde möglich sei. Eine Gruppe junger Jesidi aus dem Sinjar-Gebirge (kurdisch: Shingal-Gebirge) zwischen Syrien und Nord-Irak berichtete, dass sie nach ihrer Ankunft in Mitellini (Insel Lesbos) auf dem blanken Erdboden schlafen mussten. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und darunter bedeutet Schlaf in diesem Falle den sicheren Tod. So erzählten sie uns dann auch, dass sie vor der Busfahrt von Mitellini nach Eidomeni, für die sie 85 Euro zahlen mussten, 3 Tage nicht geschlafen haben. Die Frauen sind u.a. durch die Kinderbetreuung oft Doppelbelastungen ausgesetzt. Kinder würden sich durch den Stress häufig erbrechen und sind somit durch Dehydrierung gefährdet. Immer wieder wurden wir nach ärztlicher Betreuung gefragt. Diese gibt es jedoch nur marginal und bei besonderen Notfällen, womit wir die Leistung der anwesenden Mediziner*innen nicht in Abrede stellen wollen. Es sind schlicht zu wenige Ärzt*innen vorhanden.

 

Die Selektion

 

Wer keinen Registrierungsschein besitzt, auf dem eines der genannten drei Länder vermerkt ist, wird von den mazedonischen Grenzbeamt*innen an griechische Cops übergeben. Diese führen die Menschen zu Abschiebebussen, die nach Athen fahren. Busfahrer*innen und Cops scheinen dabei gemeinsam zu verdienen, indem sie 10 bis 20 Euro für diese Fahrt verlangen. Was genau in Athen passiert und wie die Fahrt abläuft, werden wir versuchen in den nächsten Tagen zu recherchieren. Wir haben drei Telefonnummern von Menschen aus Tunesien bekommen und werden sie anrufen. Einige von ihnen erzählten uns sie seien obdachlos und der Bus würde, anders als behauptet, nicht in ein altes Freiluft-Taekwandostadion fahren, sondern die Leute mitten in Athen aus dem Bus werfen. Viele müssen die kalten Nächte auf der Straße verbringen. Einer der Cops rief zynischer Weise: „Pay for the bus. 20 Euro per Person. Sleepingplace and free Food included.“ Uns wurde berichtet, dass das erwähnte Stadion gerade für verletzte Personen „die Hölle“ sein muss.Die Selektion nach Nationalitäten zwingt die Menschen andere, illegasierte Fluchtwege zu nehmen. Werden sie dabei von den Cops erwischt kommt es oft zu schweren Misshandlungen.

 

Nach unseren Beobachtungen, werden die Menschen von den Cops und einem vermutlichen „Zivilbeamten“ [1] stark unter Druck gesetzt, Geld für ihre Rückführung nach Athen zu bezahlen. Der besagte „Zivilbeamte“ schlich immer wieder über den gesamten Platz und sprach sowohl mit Menschen die zurück nach Athen mussten, als auch mit Cops. Es kam zu seltsamen Szenen als er junge Familien zur Grenzschleuse begleitete und dabei die Hand eines der Kinder hielt. Wir wissen nicht wer dieser Typ ist und welche Funktion er genau übernimmt. Als wir ihn fotografierten und Tonaufnahmen machen wollten reagierte er zunehmend nervös, sprach immer wieder mit den Cops und leuchtete einen Privatbus mit Hilfslieferungen aus Dresden aus. Können oder möchten Geflüchtete den Bus nach Athen nicht bezahlen, werden sie in einen gesonderten Gefangenentransporter der Polizei gebracht, der darauf hin für ungefähr eine halbe Stunde wegfährt und danach leer wiederkommt. Was mit den Menschen passiert und wohin sie gebracht werden, konnten wir nicht herauszufinden. Ein irischer Journalist berichtete wie er ein „Gespräch“ zwischen Cops und Geflüchteten mithörte: die Cops drohten den Menschen, die kein Geld besaßen, mit „really big trouble“, sollten sie bei einer anschließenden Durchsuchung doch Geld bei ihnen finden. Ziel ist es so, noch das letzte Geld aus den Menschen zu pressen. Überhaupt werden Menschen die auf der Flucht sind massiv als Kapitalquelle ausgenutzt. Besonders die Taxifahrer*innen verdienen durch überteuerte Transportpreise. Im Sommer berichteten uns die Leute, dass sie sogar für das Laden von Handys ein bis zwei Euro bezahlen mussten. Das nahe gelegene Hotel vermietete auf seinem Gelände sogar Zelte zu horrende Preisen. Refugees berichten uns auch jetzt immer wieder, dass alles Geld kostet.

 

Die Rolle der NGOs

 

Der Ort wird durch verschiedene NGOs wie dem UNHCR, Médecins sans Frontières oder Praksis (NGO aus Thessaloniki) aber auch einigen wenigen Volunteers verwaltet. Ihre Versorgungszelte sind so aufgestellt, dass die Menschen auf dem kurzen Weg zwischen Bussen und Grenzübergang an ihnen vorbeikommen. Dann werden unter anderem Essenspakete oder Kleidung verteilt. Viele Geflüchtete haben nicht genügend Kleidung um sich ausreichend gegen die Kälte zu schützen. Es gab Kleinkinder ohne Socken und Schuhe. Die Kleiderspenden schaffen zumindest eine kleine Verbesserung der Lage. Geld von offizieller Stelle kommt jedoch nicht. Die Volunters berichteten uns nur von Privatspenden. Besonders passende Winterkleidung wie Schuhe, Handschuhe, Socken und Mützen werden benötigt.

 

Die NGOs arbeiten dabei mit den Grenzbeamt*innen und den Cops zusammen. Obwohl es eigentlich nicht – staatliche Organisationen sind, die in Eidomeni arbeiten, bestimmen die Cops wie diese Arbeit ausszusehen hat. So wird zum Beispiel vorgeschrieben, ob die Menschen in den Bussen nach Athen noch Essenpakete erhalten oder nicht. Nach unseren Eindrücken, vermeiden die NGOs den Konflikt mit den Beamt*innen, um nach ihren Aussagen nicht des Platzes verwiesen zu werden und sich mit den Cops zu arrangieren. Uns ist auch der ziemlich rauhe und paternalistische Umgangston und Handlungen einzelner NGO-Mitarbeiter*innen und Helfer*innen negativ aufgefallen. So wurden Geflüchteten, die in der Warteschlange standen und keine Mützen aufhatten diese einfach über den Kopf gestülpt ohne zu fragen. Für uns wirkte das ziemlich bevormundend. Es ist mit Sicherheit kein Traum für Menschen, sich in einer Schlange nach Sachspenden anzustellen und keine freie Wahl zu haben. Allein dies kann schon entwürdigend für eine Person sein. Das genannte Beispiel macht dies sicher nicht besser. Wir müssen betonen, dass wir hier niemanden sein persönliches, oft wochenlanges Engagement absprechen wollen und schätzen dieses auch, aber die Tendenz die Menschen, die auf der Flucht sind zu entpersonalisieren bzw. sie nicht als vollwertige Personen zu sehen, ist durchaus vorhanden und bedarf einer Reflektion von Seiten der Helfer*innen. Außerdem konnten wir feststellen, dass es durchaus ein Bewusstsein für die Ungerechtigkeit der Selektion nach Nationalitäten gibt, aber der Sachzwang wurde immer wieder vorgeschoben, um die eigene Tätigkeit und Zusammenarbeit mit den Cops zu rechtfertigen.

 

Zusammenfassung

 

Natürlich ist uns bewusst, dass wir nur wenige Tage und zu verschiedene Zeitpunkten vor Ort waren und damit keine abschließende Einschätzung der Lage abgeben können und wollen. Als Besucher*innen werden wir auch nicht nachvollziehen können, was all diese Repressionen für Menschen auf der Flucht bedeuten. Herausheben wollen wir an dieser Stelle dennoch, dass sich in unserer Wahrnehmung in Eidomeni ein Teil der „europäischen Selektierungsmaschine“ zeigt, die rassistisch, strukturiert und geplant Menschen entwürdigt und ihrer Freiheit beraubt. Die Arbeit der NGOs ist leider Teil des Ganzen. Es muss die Frage gestellt werden, ob das Engagement und die Kooperation mit den Grenzbeamt*innen nicht zur Legitimation dieser Selektion führt. Wir verstehen die Argumentation der schnellen, konkreten Hilfe, um Menschen vor Kälte zu schützen oder Verpflegung zur Verfügung zu stellen. Die Grenzen zwischen Charity und politischer Solidarität ist fließend. Uns ist der offene Widerspuch zwischen dem Engagement der Helfer*innen und der aktiven Unterstützung der Selektionsmaschinerie bewusst. Ohne die Spenden und das ehrenamtliche Abnehmen von Verantwortung würde diese aufhören so reibungslos zu funktionieren, aber es würden auch mehr Menschen leiden. Eine Lösung hierfür haben wir nicht so einfach parat – höchstens ein paar Fragmente.

 

Fragen die wir uns stellen sollten:

 

Wo ist meine Motivation zu helfen und habe ich einen politischen Standpunkt?

 

Habe ich überhaupt eine Kritik am europäischen Grenzregime?

 

Wie kann dieses Kritik auch vor meiner Haustür praktisch umgesetzt werden?

 

In Eidomeni konkret haben wir die Chance weitestgehend verpasst, die Revolte gegen die Grenzen Europas zu unterstützen. Daraus müssen wir lernen. Wenn das Elend der Menschen auf der Flucht wirklich aufhören soll, braucht es überall politischen Druck der Straße, damit sich die Grenzen für alle öffnen und legale und sichere Fluchtwege möglich werden. Unter „politischem Druck der Straße“ verstehen wir das Organisieren von Protest, direkte Aktionen, ziviler Ungehorsam und die Schaffung von Orten der Solidarität, Organisierung und des Findens gemeinsamer Ausdrucksformen.

 

Solidarität muss politisch werden!



In den nächsten Tagen


Am 26.12. besuchten wir den Squat Orfanotrofio (Waisenhaus). Ein Ort, der von Geflüchteten und dem „antiautoritären Raum“ und anderen aktiven Menschen aus Thessaloniki gemeinsam besetzt und verwaltet wird. Wir werden bald davon berichten. Außerdem planen wir immer noch nach Mazedonien zu fahren und warten gerade noch auf Kontakt und weitere Informationen.

 

[1] Zwar wissen wir nicht im Detail welche Funktion diese Person hat oder was genau er dort macht, aber es war ersichtlich, dass er das Geld der Geflüchteten, die für ihren Rücktransport nach Athen zahlen mussten, verwaltet und sich dieses auch einsteckt. Da wir über seine Aufgabe also nur mutmaßen können, setzen wir die Bezeichnung „Zivilbeamter“ in Anführungszeichen. Was für uns und alle anwesenden NGOs klar war, ist, dass er keine wirklich legale Arbeit verrichtet hat. Auch seine Reaktionen uns gegenüber legen dies nahe. Er hat sich offensichtlich gestört gefühlt.