Ausnahmezustand in Frankreich - eine kleine Skizze der Geschehnisse
Versuch einer Zusammenstellung einiger Geschehnisse nach den Terroranschlägen vom 13.11. in Paris
- Verhängung des Ausnahmezustands (Hintergrund //Einschränkungen der Freiheitsrechte etc.)
- Demo- und Versammlungsverbote (was ist seitdem passiert)
- Trotz allem: Widerstand und Aktionen (Sammlung einiger Aktionen gegen COP21 und gegen den Ausnahmezustand)
- DURCHSUCHUNGEN, AUFENTHALTSVERBOTE UND HAUSARRESTE gegen Aktivist*innen/ Linke (einige Beispiele)
Was fällt auf:
die Durchsuchungen, Razzien, Hausarreste und Einreiseverbote richten sich in großem Ausmaß gegen Linke, auch gegen muslimische Leute (und hierbei keinesfalls nur um islamistische Akteur*innen!) - über Razzien bei Rechtsextremen findet sich nach bisheriger Betrachtung der französischen Medien: Nichts!
Was ist zu tun:
- Solidarität zeigen mit all denen, die trotzdem aktiv geblieben sind
- sich weiterhin nicht einschüchtern lassen
- draus lernen, wie schnell es vorbei sein kann mit Demonstrationsrecht etc. etc....
AUSNAHMEZUSTAND - état d'urgence: Überblick und Hintergrund
Bereits in der Nacht nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris verhängte der französische Präsident Hollande gemeinsam mit dem Ministerrat der Regierung Valls den Ausnahmezustand per Dekret. Das zugrundeliegende Gesetz wurde Mitte der 50er Jahre vor dem Hintergrund des Algerienkrieges erlassen. Der Ausnahmezustand ermöglicht es unter anderem, Ausgangssperren zu verhängen, Sicherheitszonen zu errichten, die Landesgrenzen zu sperren und die Bewegungsfreiheit einzuschränken.
Durch den Erlaß eines zusätzlichen Dekrets werden den Behörden Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, auch nachts, erlaubt. Auch möglich sind nun Hausarreste oder besser gesagt Ausgangssperren für Menschen, deren 'Aktivität' als 'gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung' angesehen wird - ein Blankoscheck gegen unliebsame Personen, wie sich in Frankreich in den letzten Tagen und Wochen herausgestellt hat und was hier in diesem Artikel in Auszügen dargestellt werden soll. (vgl. auch Graswurzel zu Notstandsgesetz (d))
Da der Ausnahmezustand nur für höchstens zwölf Tage verhängt werden darf, musste die Verlängerung darüber hinaus durch ein Gesetz gebilligt werden, was Nationalversammlung und Senat wie erwartet durchwinkten.
Zusätzlich kündigte die französische Exekutive am 27. November 2015 beim Europarat an, vom Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Gebrauch zu machen. Dieser besagt, dass sich ein Staat unter Berufung auf einen Kriegs- oder sonstigen «nationalen Notzustand» selbst vorübergehend von der Anwendung der durch die Konvention garantierten Grundrechte entbinden kann. (vgl.: Standpunkte 22/2015 der RLS: Bernard Schmid: "Frankreich zwischen Attentaten und Ausnahmezustand. Die Notstandsgesetzgebung spielt Front National und Is lamischem Staat in die Hände" (d)
Einzig und allein von einer im Gesetz über den Ausnahmezustand vorgesehenen Möglichkeit haben Regierung und Parlament (bisher?) keinen Gebrauch gemacht: es wäre den Behörden auch möglich, per Erlaß die Kontrolle über die Presse und alle Publikationen in Medien sowie Kultureinrichtungen wie Kino oder Theater sicherzustellen. Weder im aktuellen Dekret noch im Gesetz ist hiervon bisher die Rede...
Wer mehr nachlesen möchte, siehe auch hier die Infos der französischen Botschaft:
"Der Gesetzesentwurf bestimmt zunächst die Regelung des Hausarrests, um diese in vollem Umfang auszuschöpfen. Von dieser Maßnahme wird bisher nur wenig Gebrauch gemacht, obwohl sie besonders auf die terroristische Bedrohung abgestimmt ist.
Wir erweitern die Möglichkeit, Personen unter Hausarrest zu stellen. Dabei geht es nicht nur um erwiesenermaßen gefährliche Aktivitäten – d.h. wenn es zu spät ist –, sondern auch um Bedrohungen auf Grundlage von ernsthaften Vermutungen. [...] Das Gesetz achtet selbstverständlich auf juristisch ausgewogene Verhältnisse und somit den Schutz der öffentlichen Freiheiten. Nicht möglich ist die Anordnung von Durchsuchungen in den Räumen geschützter Personen – Journalisten, Staatsanwälte – und es besteht gemäß allgemeinem Recht die Möglichkeit des Widerspruchs." - ahja...
(vgl.: deutsche Website der Französischen Botschaft)
weitere Quellen:
Süddeutsche Zeitung
Wikipedia zu Ausnahmezustand
DEMO- und VERSAMMLUNGSVERBOTE
Mit dem Instrumentarium des Notstandsgesetzes und medial begleitet von Terrorwarnungen wurden alle Demonstrationen und Kundgebungen gegen die UN-Klimakonferenz in Paris verboten, darunter monatelang vorbereitete und international mobilisierte Veranstaltungen - eine elegantere Lösung, um Protest zu verhindern konnte es kaum geben. Das Gipfeltreffen selbst scheint indes nicht so terrorbedroht gewesen zu sein, dass hier eine Absage für nötig befunden wurde... Aber nicht nur Demos gegen den Klimagipfel in Paris wurden so versucht zu verhindern, auch im übrigen Land wurden Versammlungsverbote ausgesprochen, Demos und Kundgebungen in verschiedenen Städten wurden verboten. Die Order kam direkt aus dem Innenministerium und hob damit die Zustimmung zu Versammlungen auf, die einige lokale Behörden zuvor noch erteilt hatten.
Bei Verstoß gegen diese Versammlungsverbote können bis zu sechs Monaten Haft und Strafen bis 7500 € verhängt werden.
Gleichzeitig zu den Demoverboten gab es rund um den 28. November viele Hausdurchsuchungen bei Linken, z.B. in Hausprojekten und Squats in Rennes, St. Gervais und Rouen wegen COP21 und im Squat "le Massicot" in Ivry. Bei einer massiv durchgesetzten Razzia in einem Haus In Rennes bei ZAD-Aktivist*innen, wo auch Kinder lebten, wurden die Bewohner*innen von Polizei mit Waffen im Anschlag auf den Boden geworfen und gefesselt - anschließend wurde ihnen mitgeteilt, dass sie ab sofort Hausarrest hätten.
(siehe auch Indymedia: "[F] Aktionen und Repression wegen/gegen COP21"
Auch eine Soli-Kundgebung für Migrant*innen am 22.11. in Paris - also noch vor dem Klimagipfel - hätte nicht stattfinden dürfen. Sie wurde jedoch von über 1000 Anwesenden durchgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass die Bullen der Staatsanwaltschaft die Namen von 58 Personen übermittelten, damit Strafverfahren wegen Teilnahme an einer illegalen Demonstration eingeleitet werden können. Bernhard Schmid schreibt hierzu:
"Solche Verbote, die von großen Teilen des Protestspektrums und der engagierten Zivilgesellschaft abgelehnt werden, fußen auf der Behauptung, als Menschenansammlungen seien Demonstrationen potenzielle Ziele von Terrorattacken – was anscheinend für Einkaufszentren, Multiplexkinos und Weihnachtsmärkte nicht gilt, die geöfffnet bleiben."
(Bernard Schmid in Standpunkte 22/2015 und SozOnline: Frankreich im Ausnahemzustand)
Trotz allem: WIDERSTAND / AKTIONEN
Am 29. November hatten sich trotz Verbot Aktivist*innen auf der Place de la Republique versammelt, um gegen das heuchlerische Treffen der Klimakonferenz und gegen den Ausnahmezustand zu protestieren.
(siehe zu all den stattgefundenen Aktionen auch den tollen indymedia-Artikel [COP21] Übersichtsartikel zu Protest und Widerstand rund um den Weltklimagipfel in Paris)
Auf der Demo gab es Auseinandersetzungen, heftigen Tränengaseinsatz der Polizei und einige Verletzte; 341 Personen sind (zum Teil kurzfristig) festgenommen worden, 317 in Gewahrsam genommen worden - darunter auch viele, die in einen der vielen Bullenkessel geraten waren - und es gab bereits zwei Verurteilungen.
Laut einem ebenfalls dort festgenommenen Anwalt gab es Gewahrsamnahmen bis zu 23 Stunden, davon sechs Stunden im Kessel, ohne Wasser, Nahrung und Toilettenzugang. Die Leute wurden in Handschellen in verschiedene Kommissariate gefahren - erklärt wurde alles mit dem Ausnahmezustand. Für neun Personen wurde der Gewahrsam über die 23 Stunden hinaus verlängert, die Begründung gegen die Festgenommenen lautete: 'nicht-bewaffnete, nicht genehmigte Versammlung'.
Hier ein Gedächtnisprotokoll eines festgenommenen Anwalts von der Place de la République (f)
In Paris gibt es seitdem Solidaritäts-Treffen, um Gedächtnisprotokolle zu sammeln, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben (Soli-Treffen (f)) sowie Aufrufe, eine Soli-Vokü auf der Place de la République zu veranstalten (Soli-VoKü (f))
Mehr als 100 Personen haben am 4. Dezember die Eröffnung einer Greenwashing-Ausstellung "Le salon des Solutions / Lösungen COP21" im Grand Palais in Paris gestört (f).
Vorgesehen war eine Massenaktion zivilen Ungehorsams, mit einer Nachricht an die großen Unternehmen, die an dieser Show-Veranstaltung teilnahmen: "Ihr seid das Problem, wir sind die Lösung" und "Eure Lösungen riechen schlecht!".
Es gab ein riesiges Polizeiaufgebot, Zivibullen, Anti-Riot-Cops und verschiedenste Gendarmen am Eingang und überall verteilt, mit Maschinengewehren und Gummigeschossen ausgestattet, alle Teilnehmenden wurden gefilmt und abfotografiert.
Wer auch nur im Ansatz verdächtig aussah, wurde kontrolliert, gefilzt und hinter einer Reihe von Gendarmen festgesetzt oder hinter Stellwänden vor der Öffentlichkeit versteckt. Aber selbst die scharfen Kontrollen und mehrfachen Checkpoints konnten nicht verhindern, dass einige Spielverderber*innen durchkamen: Sie boten plötzlich sogenannte "Toxic Tours" in verschiedenen Sprachen an, um über die Umweltschweinereien der ausstellenden Firmen zu informieren.
Sobald jedoch die dafür erstellten Schilder mit den verschiedenen Sprachen hochgehalten wurden, griffen Zivilpolizisten zu und versuchten, Journalis*innen am fotografieren zu hindern.
Le Monde schreibt interessanterweise, dass die Eröffnung des Salons davon gestört wurde, dass Öko-Aktivist*innen und Journalist*innen auf sehr robuste Art und Weise aus dem Salon geworfen worden sind, wobei ein Foto-Reporter verletzt worden sei.
Draußen formierte sich eine kleine Gruppe und ließ vom Laternenpfahl ein Transparent herunter. Mit Schutzschild und Tränengaspistolen im Anschlag wurde die Gruppe solange zurückgedrängt, bis Spezialkräfte den Kletterer vom Masten holten.
Video auf paris-luttes.info (f), Taz und Liberation zum Greenwashing auf dieser Veranstaltung (f)
Ebenfalls am Freitag, den 4. Dezember fand in Nantes eine Demo von ca. 150 Leuten gegen COP21 und gegen den Ausnahmezustand statt.
Die Bullen gingen massiv gegen die Demonstrant*innen vor, verletzten zwei Leute krankenhausreif, Dutzende wurden von Tränengas eingenebelt und zwei Personen verhaftet. Einer von ihnen, der von den Bullen bei seiner Festnahme durch Fußtritte und Schläge auf den Kopf und Strangulierungen während gleichzeitigem Tränengaseinsatz verletzt worden war, wurde gleich am Montag darauf dem Strafrichter vorgeführt. Ihm wurde Verletzung von drei Beamten, ein Flaschenwurf und Fußtritte gegen ein Bullenauto vorgeworfen - die Anwätin der Bullen plädierte vor der sich im Saal versammelten städtischen Bürokratie und Nomenklatura (im Zuhörerbereich saßen mehrere bewaffnete Bullen und Staatsschutz) für eine hohe Strafe, um den ständig in der Stadt stattfindenen Demos von Chaot*innen und Globalisierungsgegner*innen grundsätzlich klare Kante zu zeigen. Das Urteil: sechs Monate Haft auf Bewährung sowie Zahlung von 1500 €.
(Prozessbericht auf Indymedia Nantes (f))
Nichtsdestotrotz wurde in Nantes ebenso wie in Caen (Normandie) und vielen anderen Städten für Samstag den 12. Dezember wieder zu einer Demo aufgerufen.
Presse Océan (f) und Indymedia Nantes (f)
In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember gab es grüne Farbe für CDC Biodiversité, einer 'Bio-Firma', zugehörig zu einer Bankengruppe (Caisse des dépôts et consignations), die für z.B. CO2-Ausgleichsverfahren bei Großprojekten mit Öko-Kompensationfonds ins Spiel kommt. Der Vorwurf der Aktivist*innen, die sich auch solidarisch mit der ZAD (=Zone à défendre/ zu verteidigende Zone) von Notre-Dame-des-Landes erklärten: plumpe Monetarisierung von Ökosystemen, Greenwashing von Bauprojekten und Landschaftsraubbau
Bilder auf: Climategames "The world’s largest Disobedient Action Adventure Game" (en) - schöne Seite mit Aktionswettbewerb während des COP21
In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember sind in Toulouse fünf Autos des Energieriesen und Atomkonzerns EDF angezündet worden. Aus der Erklärung:
"Mit einigen Anzündern, einem Kanister Benzin und einem zufriedenen Lächeln antworten wir ganz bescheiden auf die Überwachung, auf die Angst und die Resignation, die uns gerade alltäglich begegnet." Erklärungssschreiben (fr)
Am 9. Dezember versammeln sich mehrere Hundert in Rennes/Bretagne, um gegen die Vorladungen, Hausarreste und Durchsuchungen zu demonstrieren, es gibt Straßenblockaden. Auch in Grenobles gehen Menschen gegen den Ausnahmezustand auf die Straße.
Am 12. Dezember wird eine Erklärung zu einer großflächigen Farbattacke auf den Sitz der Vinci, SOGEA Atlantique veröffentlicht. Die Firma Vinci, die am Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes momentan versucht, die Besetzer*innen der ZAD zu vertreiben, ist auch offizieller Partner der Ausstellung "Lösungen COP21" im Grand Palais Paris (siehe auch oben).
"Angesichts der Obsession von Vinci, unseren Lebensraum zu betonieren, hat sich eine Gruppe von Künstler*innen entschieden, in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember das trübselige graue Gebäude der SOGEA Atlantique in Saint-Herblain auf fröhliche Art und Weise umzudekorieren" Erklärungssschreiben: "Gegen den Flughafen und gegen COP21: Widerstand und Farbverschönerung!" (f)
DURCHSUCHUNGEN, AUFENTHALTSVERBOTE UND HAUSARRESTE gegen Aktivist*innen/ Linke
Mit Ausrufung des Ausnahmezustands sind in Frankreich nun sogenannte 'perquisitions administratives' möglich ( 'polizeiliche Durchsuchungen'), also Durchsuchungen/Razzien, die ohne richterliche Erlaubnis durchgeführt werden können und auch (im Gegensatz zu den 'perquisitions judiciaires', 'gerichtlich angeordnete Durchsuchungen') auch nachts, also zwischen 21 Uhr abend sechs Uhr früh durchgeführt werden können. Die Gesetzesänderung wurde vom Parlament und Senat abgesegnet.
Am 2. Dezember vermeldet das Innenministerium via Twitter @Place_Beauvau unter #etatdurgence: 2235 Durchsuchungen, 263 vorläufige Ingewahrsamnahmen, 232 Gardes-à-vues (=Ingewahrsamnahmen), 346 Ermittlungsverfahren, 334 beschlagnahmte Waffen, wovon 34 Kriegswaffen waren
Einige Beispiele:
- Joël Domenjoud, Mitglied der Rechtshilfe der Koalition gegen den Klimagipfel erhält Hausarrest. Der Innenminister wirft ihm vor, gemeinsame Sache zu machen mit der linksextremen Pariser Szene, die das Stattfinden des Gipfetreffens in Frage stellen möchte... Er muss sich drei mal am Tag im örtlichen Kommissariat melden und darf sein Haus zwischen 20 Uhr abend und sechs Uhr früh nicht verlassen und das ganze bis zum 12. Dezember 2015. In seinen Worten:
"ich unterliege einer außergerichtlichen Sanktion, zu der ich verurteilt worden bin, ohne mich verteidigen zu können. Wenn ich meine Gemeinde [nahe Paris] verlasse, riskiere ich mindestens 6 Monate Gefängnis" (Rechtshilfemitglied Joël Domenjoud zu seinem Hausarrest (f)
weitere Infos: anticop21.org (f) oder "Gefängnis bei mir zuhause" (f)
Bei Zuwiderhandlungen gegen die verhängten Hausarreste können hohe Strafen verhängt werden (ein Jahr Gefängnis und 15 000 € Strafe sind theoretisch möglich)- hier müsste man allerdings abwarten, was in der nächsten Zeit bekannt wird.
Auf der linken Website bastamag.net (f) werden einige Berichte von Leuten gesammelt, gegen die Hausarreste verhängt worden sind:
- Gegen 24 Aktivist*innen aus der Öko-Szene, allein sechs davon aus Rennes, wurden am 26. November Hausarreste verhängt. Auch viele Muslime sind davon betroffen, den Behörden wird in vielen Fällen Islamophobie vorgeworfen. Die Betroffenen müssen sich dreimal am Tag im Kommissariat melden, um 9 Uhr, 14 Uhr und abends um 19 Uhr, sie können weder studieren, arbeiten oder etwa ihre Kinder zur Schule bringen. Von wegen abends in die Kneipe gehen: zwischen acht Uhr abends und morgens früh um sechs verbietet es diese Spezial-Anordnung des Ausnahmezustandess Haus zu verlassen. Am 27.11., also einen Tag später kamen die Bullen wieder in drei der fünf betroffenen Wohnungen vorbei, um gegen zwei weitere Personen ein Aufenthaltsverbot für Paris / Ile de France auszusprechen.
Angesprochen auf diese Hausarreste begründen der Innenminister Cazeneuve und der Parlamentspräsident Bartolone diese Maßnahmen damit, gewalttätige Ausschreitungen während des Klimagipfels in Paris verhindern zu wollen - dabei versichern viele Betroffene, dass sie gar nicht vorgehabt hätten, nach Paris zu fahren - einige sind als Aktivist*innen der ZAD bekannt, gegen keine der Leute aus Rennes liegen jedoch Verurteilungen oder andere juristische Dinge vor.
Ähnliche Aufenthaltsverbote sind schon einmal erlassen worden, im November 2012, als es einen ersten Räumungsversuch der ZAD gegeben hatte. Einigen Aktivist*innen war es damals verboten worden, sich in der Region Loire-Atlantique aufzuhalten:
"Wir nähern uns mehr und mehr den Repressionsmethoden der italienischen Polizei an. Gegen mehrere Aktivist*innen gegen den Hochgeschwindigkeitszug TAV waren Hausverbote verhängt worden - einigen war es nicht einmal mehr erlaubt worden, sich an den Orten aufzuhalten, wo sie wohnten." Berichte von einigen Betroffenen (f)
Die Einsprüche einiger Personen gegen ihre Hausarrest-Anordnungen am Gericht in Rennes wurden am 30.November verworfen, selbst die Gründe, ihre Kinder nicht zur Schule bringen zu können, überzeugten den Richter nicht... Laut Präfektur gehören sie alle zur radikalen Linken - offensichtlich genügt dies in Zeiten des Ausnahmezustands.
Zwei Betroffene berichten von den brutalen Durchsuchungen (f)
Gericht verwirft die Einsprüche (f)
- In Le Mas d'Azil (Ariège) ist am 26.11. ebenfalls ein Hausarrest gegen einen Mann verhängt worden, der der 'antagonistischen Bewegung' zugerechnet wird. Ihm wurde bis zum 12. Dezember verboten, seine Gemeinde zu verlassen - jedoch muss er sich dreimal am Tag in einem Kommissariat einer anderen Gemeinde melden, 18 km von ihm zuhause entfernt... sein Kommentar:
"Dies ist keine vorbeugende Maßnahme, dies ist eine Strafmaßnahme" Hausarrest im Departement Ariège (f)
- Zwei Köch*innnen der selbst von TripAdvisor empfohlenen "Conjuration des Fourneaux", einer VoKü / solidarischen Kantine in Rouen mit der schönen Selbstbezeichnung: "Cantine de Luxe et Littérature Explosive", wo viele politische Diskussionen und Veranstaltungen stattfinden, erhalten ebenfalls Hausarrest bis zum 12. Dezember. (Artikel in der Zeitung Ouest-france (f))
- In Montauban (Tarn-et-Garonne) klingeln drei Polizisten bei dem linken CNT-Gewerkschaftler Ali Benamara. Auf der Wache, wohin sie ihn mitnehmen, wird ihm eine Hausarrest-Anordnung erteilt. Ihm wird keinerlei Erklärung gegeben, auf dem Schreiben, das ihm gar nicht persönlich überreicht wird, finden sich keinerlei Begründungen, was sein Anwalt als Einschüchterungs-Methode interpretiert, die eine Klage erschweren soll. Benamara war nach einer unangemeldeten Demo in Toulouse nach der Ernordung von Rémi Fraisse 2014 wegen Steinwürfen verurteilt worden und hatte ein halbes Jahr lang ein elektronisches Armband tragen müssen. Bericht (f)
Andere Einsprüche gegen Hausarreste, die bis zum 12. Dezember ausgesprochen worden sind, sind von den Behörden zwar behandelt worden - allerdings erst am 11. Dezember... (laut dem Liberation-Autor Pierre Alonso @pierre_alonso via Twitter).
Wie hier auf indymedia (d) auch schon berichtet wurde, sprach das Innenministerium außerdem einige Aufenthaltsverbote gegenüber linken Aktivist*innen ohne französischen Pass aus, so z.B. am 29.11. gegen einen Schweizer mit Wohnsitz in Tarnac. Am 7. Dezember hat das Innenministerium jedoch zurück stecken müssen und das Verbot zurück genommen - wenige Stunden vor der offiziellen Gerichtsverhandlung in Paris. (Aktualisierung von Laurent Borredon (f))
Allein im Rahmen des #COP21 wurden laut Innenministerium 64 Aufenthaltsverbote für französisches Territorium ausgesprochen. Sie betreffen einen ganzen Schwung von Leuten verschiedenster europäischer Nationalitäten: Deutsche, Spanier*innen, Portugies*innen, Italiener*innen und Schweizer*innen. Demnach soll es sich um Personen handeln, zu denen Erkenntnisse vorliegen, dass sie bei gewaltsamen Ausschreitungen anwesend gewesen sei sollen, wie z.B. bei Demos gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg 2009 oder bei Aktionen von No-TAV. Ebenso soll es sich aber auch um Mitglieder des No Border-Movements handeln, die auf vielen gewalttätigen Demonstrationen gesichtet worden wären.
delinquance.blog.lemonde.fr (f)
KURZÜBERBLICK ÜBER EINIGE DURCHSUCHUNGEN / RAZZIEN Anfang Dezember
Auf der Website laquadrature.net werden Berichte über Razzien, Durchsuchungen, Demoverbote, Hausarreste und andere Verordnungen und Dekrete, die während des Ausnahmezustandes verhängt worden sind, gesammelt und dokumentiert. Hier ein Auszug, um sich eine Vorstellung machen zu können, in welchem Ausmaß die Mittel des Ausnahmezustandes von den Bullen genutzt werden:
2. Dezember 2015
- Carquefou, Nantes, Saint-Nazaire (Loire-Atlantique) - 01/12 und 02/12: Sieben Durchsuchungen und Verhöre wegen Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht und einmal Verdacht auf Drogenhandel
- Sens (Yonne) - 02/12: Drei Hausdurchsuchungen, in zwei Wohnungen und einem Schnellrestaurant; es konnte nichts auffälliges/Illegales festgestellt werden
- Gaillard (Haute-Savoie) - Nacht vom 01 auf 02/12: Zwei Hausdurchsuchungen ohne Ergebnisse, wahrscheinlich gegen Leute, die seit längerem des Drogenhandels verdächtigt werden
- Thonon-les-Bains (Haute-Savoie) - 02/12 morgens: Eine Durchsuchung, ohne Verhör/Festnahmen etc.
- Voiron (Isère) - 02/12, 5 Uhr früh: Zwei Durchsuchungen, eine ohne Resultat, bei der anderen werden drei Personen verhört, es geht um etwas Cannabis, einige Fälschungen und ein geklautes Auto
3. Dezember 2015
- Paris 13. Arrondissement - 03/12: Eine 23 jährige Belgierin, die seit zwei Jahren in Frankreich lebt, ist von einer Zwangsausweisung aus Frankreich bedroht. Festgenommen wurde sie auf dem Weg zu den Demos gegen den COP21 in Paris, als sie sich einer Personenkontrolle nähert - sie selber trägt Piercings und Dreadlocks und wird sofort ebenfalls kontrolliert und in Gewahrsam genommen, obwohl die Papiere in Ordnung sind und ihr nichts konkretes vorgeworfen wird. Nach den üblichen vier Stunden wird sie nicht freigelassen, die Frage nach Kontakt zu Anwält*innen langweilt ihre Bewacher*innen nur. Sie kommt in Abschiebehaft, wird nach 48 Stunden doch freigelassen, mit einem unvollständigen Abschiebescheid in der Hand und der Behautpung, ihre Papuer wären irregulär. Sie vermutet, der Grund ihres Festhaltens liegt vielmehr darin, dass sie als Globalisierungsgegnerin betrachtet wird, wie ihr eine Polizistin gesagt hätte. Gegen die drohende Ausweisung will sie sich nun anwaltlich wehren - theoretische kann sie ab sofort jederzeit wieder in Abschiebehaft genommen werden
- Agde (Hérault) - 03/12 7h20: Ein Gebetsraum wird durchsucht, Salafismus-Verdacht gegen einen Imam - Beweise o.ä. konnten nicht gefunden werden
- Paris 20. Arrondissment - 03/12 morgens: Vier Schüler*innen haben versucht, ihr Gymnasium zu blockieren, um ihre Opposition gegen den #COP21 und den Ausnahmezustand zu demonstrieren. Acht Bullen befragen sie, ausgestattet mit Gewehren, die sie mehrfach auf die Jugendlichen richten.
- Pont-Audemer, Normandie - 03/12 6h15: Riesiges Polizeiaufgebot von vermummten und mit Maschinengewehren bewaffneten Bullen für eine Durchsuchung. Auf den Straßen ist kein Durchkommen, auch nach Ende der Durchsuchung werden keine Angeben zu den Hintergründen gemacht, nur zu den gefundenen drei Jagdwaffen