Am 17.11.2015 fanden Gerichtsverfahren gegen Antifaschist_Innen statt, die gegen einen Aufmarsch von Pegida Karlsruhe/Kargida/Widerstand Karlsruhe protestiert haben. Im Vorfeld der Verhandlungen gab es eine Solidaritätskundgebung mit 60 Teilnehmern vor dem Amtsgericht in Karlsruhe. Im Folgenden dokumentieren wir die Pressmitteilung und die in der Verhandlung gehaltene Rede einer Betroffenen.
Pressemitteilung, Montag 16.11.15
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus wird in Karlsruhe bestraft
Am 31.03.15 hatten ca. 17 Personen durch friedliches Sitzen auf der Amalienstraße/Ecke Hirschstraße ihren Protest gegen die rassistischen und Ausländer_innenfeindlichen Pegida und Co zum Ausdruck gebracht.
Die Betroffenen wurden nun gleich mehrfach bestraft. Die Polizei erließ Kostenbescheide von je 93 € für das Wegtragen und die Stadt Karlsruhe verhängte Bußgeldbescheide in Höhe von 223 € wegen Nichtbefolgens eines angeblichen Platzverweises. Dagegen hatten die Betroffenen Einspruch eingelegt, heute am 16.11.15 fanden die ersten Verhandlungen am Amtsgericht Karlsruhe statt.
In einem offenen Brief hatte das Karlsruher Netzwerk gegen Rechts bereits gefordert, dass diese Verfahren eingestellt werden. Darüber hinaus hatten vor wenigen Tagen 3 Fraktionen des Karlsruher Gemeinderates in einem Brief an OB Mentrup die Einstellung der Verfahren gefordert. Die Betroffenen haben bei Gericht für die Einstellung der Verfahren plädiert. „Ich hoffe, dass meinem Einspruch stattgeben wird, und nicht ein falsches Signal gesetzt wird, was all diejenigen abschreckt, die sich zukünftig für eine weltoffene Stadt engagieren möchten.“ so Anete Wellhöfer bei ihrem Eingangsplädoyer vor Gericht.
Das Gericht erkannte in beiden Fällen an, dass die Bußgeldhöhe mit 223 € zu hoch bemessen war, und reduzierten diese auf jeweils 50 € plus Verfahrenskosten. Das Gericht hatte leider nicht den Mut, seinen Ermessensspielraum auszuschöpfen und die Verfahren einzustellen. Damit versäumte es die Gelegenheit das friedliche, zivilgesellschaftliche Engagement von Karlsruher Bürgern und Bürger_innen gegen Neonazis und Rassist_innen anzuerkennen.
Pegida und Co marschieren weiterhin durch die Karlsruher Innenstadt, nächster Termin für die Gegendemonstration ist am Di. 17.11.15 um 17.30 Uhr auf dem Stephanplatz. Wir rufen weiterhin dazu auf an den Gegendemonstrationen zahlreich teilzunehmen um Hooligans und verbalen Brandstiftern die sich als besorgte Bürger ausgeben, nicht die Straße zu überlassen.
Rede vor Gericht
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
Pegida, Kargida, Widerstand Karlsruhe, das ist uns allen ein Begriff, es steht für Ausgrenzung, Rassismus, Hetze und Diffamierung. Aktuelles Beispiel, laut dpa und SWR wurde bei der letzten Kundgebung von Widerstand Karlsruhe, Angela Merkel in die Nähe Hitlers gerückt. Getarnt als Spaziergänge, marschiert Pegida und Co seit Februar 2015 14-tägig durch die Karlsruher Innenstadt. Ich finde das sehr beunruhigend. Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte ist dieses Jahr extrem angestiegen. Nach einer aktuellen Statistik des Bundeskriminalamtes kam es bundesweit bis zum 21.09.15 zu 437 Angriffen auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte, während es im Vorjahr „nur“ 170 waren. Bei den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime liegt Baden-Württemberg an 3. Stelle. Untersuchungen haben ergeben, dass solche Übergriffe insbesondere an Orten stattfinden, an denen es kein zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gibt, dazu gab es auch themenbezogene Sendungen von ARD und ZDF.
Viele Bürger und Bürgerinnen gehen gegen Pegida und Co auf die Straße und sprechen sich gegen Rassismus aus. In vielen Städten sehen wir Bürgermeister, Bürgermeisterinnen und Gemeinderäte an der Spitze der Proteste. Z.B. gingen in Heidelberg ca. 3.000 Pegida Gegner und Gegnerinnen auf die Straße, danach war Ruhe. Leider gab es diese Unterstützung so in Karlsruhe nicht. Pegida und Co in Karlsruhe wurde massiv und über Monate
hinweg von Politik und Presse verharmlost.
Heute stehe ich vor Gericht, weil ich Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Karlsruhe eingelegt habe. So wie ich Justiz verstehe, kommt es auf den Einzelfall an und auf den Kontext.
In meiner Schulzeit haben wir uns von der 9 bis zur 12 Klasse intensiv mit Faschismus beschäftigt, nie wieder Faschismus in Deutschland, das wollten uns
unsere Lehrer und Lehrerinnen lehren. Ich kann und will nicht zu Hause bleiben und zusehen wie die Nazis und Rassisten hier erstarken, ihren Hass ausbreiten. Es gibt auch einen gesellschaftlichen Konsens, sowohl in den demokratischen Parteien, als auch bei den Bürger und Bürgerinnen und viele
nehmen die Aufmärsche der Nazis nicht einfach hin. Politiker und Politikerinnen ermahnen doch immer wieder die Bevölkerung sich den Nazis und Rassisten entgegen zu stellen. Zitat Bundespräsident Gauck: „mutige Bürger, die nicht wegschauen, wenn unser demokratisches und friedliches Miteinander im Alltag gefährdet wird.“ Hier sehe ich einen eklatanten Widerspruch zwischen der Aufforderung durch die Politik an ihre Bürger und Bürgerinnen und der Umsetzung vor Ort durch Polizei und Stadtverwaltung.
Am 31.03.15 setzten sich friedlich ca. 17 Menschen auf die Straße um ein Zeichen gegen den rassistischen Aufmarsch zu setzen. Daraufhin rollte ein
unglaublich großes Polizeiaufgebot, behelmt usw. auf uns zu. Wir wurden weg getragen und standen wartend ca. 2,5 Stunden bei der Tankstelle, es war kalt und regnete immer wieder. Um ca. 22 Uhr wurde ich in die Gesa gebracht obwohl der Pegida Aufmarsch schon vorüber war. Ich wurde ca. um 23.30 Uhr entlassen und wartete noch auf eine 17 jährige die kurz vor 24 Uhr entlassen wurde. Ich wurde 2 mal erkennungsdienstlich behandelt. 3 junge Frauen mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen.
Darauf folgten dann ein Kostenbescheid der Polizei über 93 € und ein Bußgeldbescheid der Stadt Karlsruhe über 223 €. Ich empfinde sowohl die in Gewahrsamnahme als auch den Bußgeld- und Kostenbescheid als unverhältnismäßig. Anstatt das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Neonazis und Rassisten zu unterstützen, werden Bürger und Bürgerinnen wegen geringfügiger Verstöße nun bestraft. Meiner Meinung nach sind die Reaktionen der Polizei und des Karlsruher Ordnungsamtes, auf ein friedliches Sitzen auf der Straße, überzogen und unangemessen. Die Straße wurde übrigens Stunden zuvor von der Polizei abgesperrt.
Das wiederholte Zeigen des Hitlergrußes und volksverhetzende Reden von Pegida Seite wurden hingegen von staatlicher Seite mehrfach ignoriert. Das Karlsruher Netzwerk gegen Rechts hat sich in einem offenen Brief für die Rücknahme der Bußgeld- und Kostenbescheide für zivilgesellschaftliches Engagement ausgesprochen.
Mehrere Fraktionen des Karlsruher Gemeinderates haben sich letzte Woche schriftlich an OB Mentrup gewandt und ihn gebeten diese Verfahren ein zu stellen.
Heute ist nach meiner Erkenntnis das Erste Bußgeldverfahren wegen Sitzen auf der Straße um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Ich hoffe, dass meinem Einspruch statt gegeben wird und nicht ein falsches Signal gesetzt wird was all diejenigen abschreckt die sich zukünftig für eine weltoffene Stadt engagieren möchten. Ich plädiere dafür meinem Einspruch statt zu geben, das Verfahren ein zu stellen auf Kosten der Staatskasse.
Ka-News berichtete