Nach vier Wochen Post-Streik verkündet die Gewerkschaft ver.di ein Ergebnis – etliche Mitglieder scheinen entsetzt zu sein. Ein Interview mit Martina Laubach, (Name geändert) ist Briefzustellerin bei der Deutschen Post AG und Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Sie ist außerdem Unterstützerin des Flugblatts "Gegenwehr".
Am Sonntag Abend waren alle Augen auf das Referendum in Griechenland gerichtet. Doch zur gleichen Zeit wurde das Ende des Streiks bei der Deutschen Post AG verkündet. Andrea Kocsis, Verhandlungsführerin von ver.di, gab sich "sehr zufrieden" mit dem Ergebnis. Du auch?
Nein, das Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich an diesem Streik beteiligt haben. Von unserer Seite gab es noch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Nein, wir waren gerade so weit, dass wir den Kampf hätten intensivieren können. Wir gingen aktiv in die Bevölkerung. Menschen, vorrangig aus politischen Bewegungen, haben sich praktisch mit uns solidarisiert.
Genau an diesem Punkt sägt die ver.di-Spitze den Streik ab und präsentiert uns einen angeblichen Erfolg. Dieses Ergebnis hätten wir allerdings schon in der dritten oder vierten Verhandlungsrunde besser haben können – auch ohne den Vollstreik. Natürlich ist Beschäftigungssicherung ein Pfund, aber doch nicht um den Preis, dass alle anderen Forderungen verraten werden. Das verstehen wir nicht.
Vier Wochen haben wir gekämpft, wir haben rund um die Uhr Streikposten gestanden. Und jetzt bedeutet dieser Abschluss, dass unser Lohn real sinkt – in diesem Jahr, im nächsten und im Jahr darauf. Und das bei einem Unternehmen, das Jahr für Jahr milliardenschwere Gewinne einfährt!
Hauptstreitpunkt in diesem Arbeitskampf war die Gründung von Tochterunternehmen der Post AG, den "DHL Delivery GmbHs". Wie wurde das entschieden?
Die "Deliverys" standen für die Post AG nie zur Debatte. Der Versuch, sie in den Konzern zurückzustreiken, ist komplett gescheitert. Die mittlerweile 6.500 Delivery-KollegInnen bleiben im Logistiktarif. Diejenigen, die im Haustarif der Post verbliebenen sind, sind nur individualrechtlich daran gebunden. Wenn die Fluktuation und die „natürliche“ Auslese ihr Werk vollendet haben, wird irgendwann die gesamte Paketbranche der DHL von diesen "Delivery"-Firmen übernommen.
Hier wird die Spaltung gezielt vertieft, zwischen Stammbelegschaften im Konzern mit relativ guten Löhnen, und denen, die in den untersten Lohngruppen prekär die Drecksarbeit machen sollen.
In einem berühmten Fall hatte eine Briefsortiererin bei der Post AG insgesamt 1.400 befristete Arbeitsverträge bekommen. Nun sollen einige befristet Beschäftigte feste Verträge bekommen. Ist das denn kein Fortschritt?
Na klar ist es das, wenn die KollegInnen mit den Kettenbefristungen nach 24 Monaten feste Verträge im Haustarif bekommen. Aber ver.di hat die Formulierung "bei Eignung" mit in den Abschluss aufgenommen. Damit hat die Post AG doch wieder die Möglichkeit, nach Gutsherrenart zu entscheiden.
Vier Wochen dauerte der Ausstand, währenddessen machte die Post AG in der Öffentlichkeit Front gegen die Gewerkschaft. Hat das Verständnis der Bevölkerung während des gesamten Streiks angehalten?
Durch unsere exponierte Stellung als ZustellerInnen, die ihre KundInnen meist mit Namen kennen, hatten wir immer die Solidarität auf unserer Seite. JedeR kennt unseren Knochenjob, und die Abschiebung in den Niedriglohn hat kein Kunde verstanden. Und das bis zum Schluss. Noch einen Tag vor Abschluss hat die bürgerliche Presse ein Umfrageergebnis gemeldet, wonach 63 Prozent der Bevölkerung Verständnis für den Streik hatten.
Wird es nun eine Urabstimmung geben, damit die Gewerkschaftsmitglieder über das Ergebnis entscheiden können?
Nein, ver.di ist ohne Urabstimmung in den Arbeitskampf gegangen und genauso wurde er beendet. Das war ein geschickter Schachzug der Gewerkschaftsspitze, so dass sie den Kampf nach Belieben beginnen und wieder einstellen konnte. Ein Votum gegen den Abschluss hat keinerlei Relevanz. Trotzdem haben wir am Montag Morgen vielerorts eigene Urabstimmmungen organisiert. Mit hoher Beteiligung und eindeutiger Ablehnung des Ergebnisses! Wir werden dieses Statement nutzen.
Im Internet schreiben mehr als nur einige Beschäftigte der Post, dass sie aus ver.di austreten wollen. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Es ist keine Perspektive, nach diesem Kampf die gewerkschaftliche Organisierung aufzugeben. Ein solcher Kurzschluss würde nur die Post AG erfreuen. Die PostlerInnen, die jetzt bemerkt haben, dass sie sehr wohl in der Lage sind, sich im Streik selbst zu organisieren, dürfen sich nicht einfach wieder zur Arbeit zurück begeben.
Wir arbeiten an einem anderen Konzept, dem Aufbau einer klassenkämpferischen anti-bürokratischen Basisbewegung innerhalb von ver.di. Und wir fangen ganz konkret lokal mit einer Auswertung des Kampfes an. Die Kapitalseite wird sich nie zufriedengeben. Dieser Arbeitskampf wurde uns aber aus den Händen gerissen, das passiert uns nicht noch einmal!
Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Eine kürzere Version dieses Interviews erschien in der jungen Welt am 8.7.
nun ja...
Es sind Gewerkschaften... Deren Kapitalismuskritik war schon immer Systemimmanent. Ausbeutung sei ok solange man einen kleinen Teil davon abbekommt.
Im Gegensatz zu den Gewerkschaften des späten 19ten und frühen 20ten Jhd sind heutige Gewerkschaften auch nur große Unternehmen -> Ein Gewerkschaftschef hat heute eher ein Interesse daran, dass der Streik schnell zu Ende geht (notfalls mit einer schlechten Lösung). Kein Streik = Mitgliedsbeiträge , Streik = Ausgaben...
Vielleicht die FAU?
Erst einmal herzliche solidarische Grüße an die Streikenden, die nun von verdi verarscht wurden. Ich wohne schon lange nicht mehr in Deutschland, verfolge aber - wie auch viele andere außerhalb Deutschlands -mit großem Interesse, ob sich im Export-Weltmeister-Land endlich mal was tut, oder ob fast alle auf ewig das Märchen glauben, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen, damit die deutsche Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. In Wirklichkeit konkurriert ja die hochproduktive Wirtschaft in Deutschland mit ihren daran gemessenen Niedriglöhnen die Wirtschaften anderer Länder in Grund und Boden...
Als ich noch in Deutschland lebte, habe ich mich auch darum bemüht, meine Gewerkschaft (GEW) anzuregen, ArbeitnehmerInnen-Interessen zu vertreten. Das war aber sehr mühsam. Ich habe immer wieder nette Worte erhalten, mein kritisches Engagement wurde gelobt - geändert hat sich aber letztlich nichts.
Vielleicht ist ja die FAU eine Möglichkeit. Ich bin da nicht Mitglied, aber aus der Ferne habe ich den Eindruck, dass die tatsächlich die Interessen der ArbeitnehmerInnen vertreten...
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