Niederschlagung der Christopher-Street-Day-Demo in Istanbul

istanbul Pride 2015

Die türkische Polizei hat versucht, mit Gewalt den diesjährigen CSD zu verhindern – als Begründung musste der Ramadan herhalten. Tausende LGBT feierten dennoch. Aus Istanbul kommen Bilder, die an die Gezi-Proteste vor zwei Jahren erinnern. Mit drastischen Mitteln ging die türkische Polizei am Sonntag gegen die Teilnehmer des Istanbul Pride vor. Noch bevor der Marsch durch die Istiklal Caddesi überhaupt beginnen konnte, wurden die versammelten Menschen mit Wasserwerfern, Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen vertrieben.

 

Sämtliche Zugänge zum Versammlungsort, dem Taksim-Platz, und zur Istiklal Caddesi wurden von Beamten abgeriegelt. Bilder in sozialen Netzwerken zeigen friedliche und teils bunt gekleidete Besucher des geplanten "Marsches des Stolzes", die von der Polizei durch Wasserwerfer angespritzt oder durch die Beamten angegriffen wurden. Zahlreiche Teilnehmer flüchteten in Geschäfte, die ihre Rollläden herunterließen. Mehrere Personen wurden leicht verletzt, darunter ein Journalist, der filmte, wie er von einem Gummigeschoss getroffen wurde.

 

Erstmals Polizeigewalt in der Geschichte des Istanbul Pride

Die Veranstalter und die Teilnehmer traf die Polizeigewalt ohne jede Vorwarnung und zunächst ohne Begründung. Auf ihrer Facebook-Seite erklärte der Pride am Nachmittag, Istanbuls Gouverneur Vasip Sahin habe die Demonstration verboten. Als Begründung habe er angegeben, dass sie in den für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadan fällt. Dies war allerdings bereits im vergangenen Jahr der Fall, wo die Behörden die Demonstranten gewähren ließen. Auch in früheren Jahren gab es keine vergleichbaren Vorkommnisse.

 

In einer Erklärung schrieben die CSD-Veranstalter: "Wir rufen den Istanbuler Gouverneur Vasip Sahin dazu auf, sich an die Verfassung der Türkischen Republik zu halten, die Angriffe sofort zu stoppen und eine öffentliche Erklärung abzugeben." Die genauen Hintergründe, wie es zur Eskalation kam, sind bislang ungeklärt.

 

Doch noch CSD-Demo

Am späteren Nachmittag konnten dennoch tausende Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender die CSD-Demo abhalten: Gespräche von Oppositionspolitikerin und Diplomaten der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union mit der Polizei sorgten offenbar für eine Deeskalation. Zuvor hatten bereits viele LGBT in Seitenstraßen protestiert.

 

Der Istanbul Pride findet seit 2003 statt. Nahmen an der ersten Demonstration nur 30 Personen teil, versammelten sich in den vergangenen beiden Jahren jeweils rund 100.000 Menschen. In der Türkei ist Homosexualität zwar bereits seit 1858 legal, allerdings beklagen Homo-Organisationen systematische Diskriminierung von Homosexuellen und speziell Transsexuellen durch Staat und Gesellschaft. Die Europäische Union kritisierte in ihren Fortschrittsberichten mehrfach "die regelmäßige Verfolgung von LGBT" im Land (queer.de berichtete). (cw)

 

 

LGBT-Aktivist*innen wehren sich gegen das CSD-Verbot und den Einsatz von Tränengas in Istanbul.

 

Das brutale Vorgehen der Polizei gegen den 13. CSD in Istanbul am vergangenen Wochenende hat international scharfe Kritik ausgelöst. Beamte waren mit Tränengas und Gummigeschossen auf die CSD-Teilnehmer losgegangen – ein Novum in der Geschichte des Istanbuler Pride (queer.de berichtete).

Als Grund für das Verbot der Veranstaltung hatte Gouverneur Vasip Sahin von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP zunächst den Ramadan angegeben – allerdings war der CSD bereits wiederholt und problemlos während des islamischen Fastenmonats veranstaltet worden. Später behauptete Sahin, der CSD sei wegen Sicherheitsbedenken verboten worden. So habe es "Geheimdienstinformationen" gegeben, dass der CSD die Sicherheitslage gefährde. Als Quelle für diese Informationen nannte der Gouverneur Quellen aus "sozialen Medien und anderen Medien", die vom Geheimdienst erfasst worden seien.

Politiker der AKP haben das Vorgehen der Regionalregierung verteidigt. Die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die seit 2002 alleine die Geschicke des Landes leitet, befindet sich allerdings gerade in einem Umbruch, nachdem sie bei der Parlamentswahl vor einem Monat erstmals die absolute Mehrheit der Sitze verfehlt hatte. Erdoğan gilt als erbitterter Gegner von LGBT-Rechten und hat in der Vergangenheit unter anderem erklärt, Homosexualität widerspreche dem Islam (queer.de berichtete)

 

Die CSD-Organisatoren wollen am Donnerstag eine Pressekonferenz abhalten und dabei Strafanzeigen gegen den Gouverneur, den Innenminister und den örtlichen Polizeichef vorstellen. Sie zitierten dabei die türkische Verfassung, die Versammlungs- und Redefreiheit garantiere, und werden von enigen Parteien, Gewerkschaften, weiteren Organisationen und Intellektuellen unterstützt.

Die LGBT-Organisation International Gay and Lesbian Human Rights Commission erklärte, dass das CSD-Verbot offenbar Teil einer Kampagne der Regierung ist, die zum Ziel hat, Oppositionskräfte mundtot zu machen. So hätten fünf neu gewählte Abgeordnete der oppositionellen Parteien CHP und HDP am CSD teilnehmen wollen. Diese beiden Parteien setzen sich für Minderheiten-Rechte im Parlament ein.

 

Deutscher Menscherechtsbeauftragter bedauert Gewalt

Kritik an dem Vorgehen der Polizei übte unter anderem der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Christoph Strässer: "Ich bedaure das gewaltsame Auflösen der 'Pride March'-Parade in Istanbul durch die türkischen Sicherheitskräfte", erklärte der SPD-Politiker am Mittwoch. Auch weil der CSD bereits seit 13 Jahren stattfinde, nehme die Offenheit in der türkischen Bevölkerung zu. "Deshalb appelliere ich an die türkischen Behörden, sich zukünftig gemeinsam mit den Organisatoren dafür einzusetzen, dass friedliche Veranstaltungen für die Rechte von LGBTI stattfinden können", sagte Strässer diplomatisch.

 

Die größte Oppositionspartei im Bundestag verurteilte die Niederschlagung dagegen mit scharfen Worten und machte direkt die Regierungspartei AKP für die Gewalt verantwortlich: "Hier zeigt sich, dass die AKP nach dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit in der türkischen Nationalversammlung offenbar noch stärker auf Hetze und Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende setzt", heißt es in einer Pressemitteilung der Linksfraktion vom Dienstag. Kritik äußerten auch mehrere EU-Abgeordnete in einer gemeinsamen Erklärung, darunter Terry Reintke von den deutschen Grünen, die beim Pride vor Ort war.

LGBT-Aktivisten beklagen Verletzte

 

Laut Regierungsangaben soll niemand bei der Polizeiaktion gegen den CSD verletzt worden sein. Allerdings meldet die LGBT-Gruppe Kaos GL, dass "viele Menschen" behandelt werden mussten. Ein Mann sei mit einem Gummigeschoss am Auge getroffen worden. Es ist derzeit noch nicht sicher, ob er auf diesem Auge je wieder wird sehen können.

 

Kaos GL hat inzwischen eine ausführliche Timeline der Geschehnisse vom Sonntag erstellt. Neben den mehrstündigen Übergriffen durch die Polizei zeigt sie auch den großen Einsatz mehrerer Oppositionspolitiker. Der CHP-Abgeordnete Mahmut Tanal, der sogar auf einen Wasserwerfer geklettert war, sagte der Organisation, das Verhalten der Polizisten sei ungesetzlich gewesen.

In mehreren Städten in der Türkei und international hatte es nach den gewalttätigen Übergriffen gegen CSD-Besucher kleinere Solidaritätskundgebungen gegeben, darunter auch am Montag zwei in Berlin. (dk)

 

Weitere Infos zur Gewalt gegen die PRIDE in Istanbul:  http://www.queer.de