Rassistisches Verhalten zieht sich durch die Gesellschaft mitsamt ihren Institutionen - dazu gehört im Besonderen die soggenannte Ausländerbehörde.
Noch vor dem so bezeichneten „Winterabschiebestopp“, der am 31. März 2015 endete, wurden die Abschiebungen vorbereitet. Offensichtlich ist zu erkennen, dass der Winterabschiebestopp nur als eine Maske vorgeschoben wird, um zu zeigen wie freundlich die Landesregierung Thüringens und dementsprechend auch die Stadt Erfurt Geflüchteten gegenüber auftritt. Natürlich ist sie das nicht. Natürlich wird nicht wirklich etwas dafür getan, damit geflüchtete Menschen ein Bleiberecht bekommen, geschweige denn sind sie willkommen.
Es ist unverständlich und unverzeihlich, wie Menschen, die unter offensichtlicher lebensbedrohlicher Repression und Vertreibung in ihren Herkunftsländern stehen, aus Deutschland abgeschoben werden. Genauso ist nicht zu legitimieren, dass Menschen, die unter akuten und bedrohlichen Gesundheitszuständen zu leiden haben, eine Aufforderung zur Ausreise bekommen. Folgende drei Personen Vladimir, Radmila und Shani schildern ihre Situation wie folgt:
Vladimir Maksimovikj: „Meine Frau ist stark krank und leidet an
Depression, ich selbst leide an starken Wirbelsäulenschmerzen und
brauche dringend eine Operation. Unsere Kinder gehen in Deutschland zur
Schule und sind hier zu Hause. In meinem Herkunftsland können meine Frau
und ich nicht ausreichend behandelt und versorgt werden. Meine Kinder,
meine Frau und ich erhalten dort nicht die gleichen Rechte, weil wir
Roma sind und uns deswegen der Zugang zu bezahlbarer medizinischer
Versorgung verwehrt bleibt.“
Radmila Anić: „Ich wurde aus meiner Heimatstadt Novi Sad in Serbien von der Polizei vertrieben. Meine Schwester wurde bereits von der Polizei ins Gefängnis gesteckt und nun habe ich Angst, dass ich auch wie sie ins Gefängnis kommen oder von der Polizei zur Prostitution gezwungen werde. Dazu kommt, dass ich krank bin und dort keine ausreichende medizinische Versorgung haben werde. Bei meinem Asylinterview in Deutschland wurde meine Aussage nicht vollständig aufgenommen und ich werde von deutschen Behörden nicht ernst genommen.“
Shani Haliti: „Ich musste 1999 im Kosovo-Krieg mit Serben gegen die Albaner kämpfen – es gibt keine Chance für mich, in den Kosovo zurück zu gehen, weil ich dort Angst um mein Leben haben muss. Aber Serbien schickt uns in den Kosovo zurück, weil wir Muslime sind. Zwar habe ich eine Staatsangehörigkeit, aber auch eine Nationalität, die eine andere ist als die Staatsangehörigkeit. Serbien hat Roma gezwungen gegen die albanische/kosovarische Regierung zu kämpfen – da aber Kosovo das Herkunftsland ist, schickt Serbien mich zurück in den Kosovo, gegen welche Menschen ich aber kämpfen musste.“
Für die Durchsetzung des strukturellen Rassismus in Form von Deportationen von Menschen ist die Ausländerbehörde unter Anderem mit Schreibtischtäter_innen wie Frau Tränkler, Frau Trillhose und Frau Metzig verantwortlich. Und es ist ihnen voll bewusst, dass sie Menschen zur Ausreise zwingen – aus einer rassistischen Blut- und Boden-Logik heraus. Wer in Deutschland geboren wird, aber keinen deutschen Pass hat, soll sich gar nicht in Sicherheit wiegen, einen zu bekommen – mit diesen Worten hat Tränkler schon versucht, Menschen einzuschüchtern, die um einen Aufenthaltstitel kämpften und kämpfen. Weil Schikane eine bewusste Strategie der Sachbearbeiter_innen ist, also Menschen eingeschüchtert und schikaniert werden, haben Roma und ihre deutschen Freund_innnen beschlossen, gemeinsam zu Vorladungen zu erscheinen. Nicht nur der Winterabschiebestopp ist für alle Beteiligten und Zuständigen eine Farce. Sondern alle Handlungen, die dazu führen, dass sich nicht für ein Bleiberecht eingesetzt wird, sondern mit allen Mitteln dafür gearbeitet wird, Menschen zu deportieren. Durch Protest konnte erreicht werden, dass die Verhandlungen der Aufenthaltstitel von einzelnen Menschen und Familien am Montag, den 30.3.2015, stattfanden.
Es wurden jedoch weder eine Übersetzung noch übersetzte Dokumente gewährleistet. Es wurde eine Verhandlung ohne Verständigung – über die essentielle Frage, hierzubleiben oder gehen zu müssen. Die Ausländerbehörde ist jedoch gesetzlich verpflichtet, dass die betroffenen Personen verstehen müssen, was ihnen vorgelegt wird. Als sich an diesem Montag Menschen weigerten, die Papiere, die sie nicht verstanden haben, zu unterschreiben, wurde ihnen ein Verwaltungsakt überstellt. Von einer anderen Sachbearbeiterin wurde der Empfang durch dessen Unterschrift bestätigt. Dabei ist die Ausländerbehörde mehr als pflichtbewusst. Besonders bedenklich ist es, dass sie ihren rechtlichen Rahmen als Schreibtischtäter_innen dabei verlassen, Menschen offen rassistisch beleidigen und auch auf Nachfragen hin unbegründbare Verwaltungsakte (wie oben beschrieben) ausstellen. Das Verständnis von Demokratie zeigt sich z.B. am Umgang mit Shani Haliti, dem Anmelder der letzen Roma-Demonstration: Ihm wurde sein Verwaltungsakt inklusive des Passus „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ übergeben. Auch auf Nachfragen hin wurde dieser nicht zurückgenommen, obwohl die Begründung hinfällig ist, da die Ausländerbehörde durch seinen vorherigen Asylantrag schon alle Unterlagen hat. Man muss sich die Frage stellen: „Eine Gefahr“, weil er Roma ist oder weil er sich demokratisch betätigt, in dem er öffentlich für seine Rechte einsteht?
Frau Trillhose von der Ausländerbehörde ließ und lässt sich auf kein Gespräch über Aufenthaltstitel ein und gibt nur kurze Duldungsverlängerungen, die jeder Zeit eine Abschiebung bedeuten können. Viele müssen nun bis zum 30. April ihren Pass vorgelegt haben – wenn der nicht schon da ist – um sich dann selbst abschieben zu dürfen. Menschen müssen zwangsausreisen, also die sogenannte „freiwillige Ausreise“ unterschreiben, die mitnichten freiwillig ist. Mit dieser Wortwahl wird gezeigt, was für eine rassistische Verachtung hinter dieser ganzen Idee der Abschiebungen steht: Menschen zu zwingen, auszureisen und das dann auch noch freiwillig zu nennen. Sie verbreiten durch diese Handlungen Angst und versuchen, Menschen dadurch kaputt zu machen. Diese Bedrohungen, die sogenannte „freiwillige Ausreise“ und die Abschiebungen machen Menschen psychisch krank und traumatisieren sie – es kam schon häufiger zu Herzinfarkten deswegen.
Viele sind gesund nach Deutschland gekommen, wurden hier aber durch den anhaltenden und starken psychischen Druck schwer krank. Für privilegierte Menschen im Besitz eines deutschen Passes ist es nicht zu verstehen, was dies in Menschen auslöst, wenn die eigene Existenz, das eigene Leben bedroht ist und man von Polizist_innen verschleppt wird – gegen den eigenen Willen und mit Androhung von Waffengewalt. Diese Nötigung und Drohung wird ständig ausgesprochen und notfalls auch durchgesetzt. Roma benennen dies als das, was es ist: Terror. Und der hat nichts mit „freiwillig“ zu tun.
Vertreibungen finden hier in Erfurt und vor unseren Augen statt und das sollte auch so beim Namen genannt werden. Letztendlich ist es einfach, auf NPD und Nazis zu schimpfen – doch durch die Stadt Erfurt und das Land Thüringen werden Forderungen von ihnen durchgesetzt. Keine und keiner kann und darf sich aus der Verantwortung nehmen: Die Linkspartei, Grüne und SPD (von CDU ganz zu schweigen), Ausländeramt und Polizei und die gesamtgesellschaftliche rassistische Stimmung und Einstellung arbeiten zusammen, um das, was allen Menschen zustehen sollte, gewaltvoll und Angst verbreitend zu verhindern: Ein Bleiberecht für ein sicheres und schönes Leben.
Nur durch einen gemeinsamen Kampf, durch viele Menschen, die zusammen stehen, Polizei bei Abschiebungen blockieren und verbreiten, wer genau hinter den Deportationen steht, wie Frau Tränkler, Frau Trillhose und Frau Metzig, die Presse informieren und sich dagegen stellen, wenn rassistisches Vorgehen aufgedeckt wird –egal wo – können wir den ersten Schritt gegen dieses unterdrückerische System machen. Und es hört nicht dabei auf. Es wird weiter gehen. Denn wir sind viele und wir gehören zusammen.
Mit freundlichen Grüßen,
Vladimir Maksimovikj, Shani Haliti, Radmila Anić, Roma Thüringen und Freund_innen
Kontakt zur Pressekoordination für Roma Thüringen:
Telefon: 017639647472
E-Mail: roma-thueringen@posteo.de
Facebook: facebook.com/roma.thuringen
Zur Recherche und Meinungsäußerung:
Ausländeramt Erfurt
Frau Trillhose
Frau Tränkler
Frau Metzig
Bürgermeister-Wagner-Straße 1
99084 Erfurt
Telefon: 0361 655-5444
Fax: 0361 655-7609
E-Mail: Auslaenderbehoerde@Erfurt.de
Öffnungszeiten:
Mo-Fr 09:00-12:30 Uhr
sowie Di 14:00-18:00 Uhr
Mittwoch geschlossen
Zur Recherche:
Aufenthaltsgesetz – AufenthG §77 (3)
„… kostenfrei in einer Sprache zur Verfügung zu stellen die der
Ausländer versteht oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen
werden kann, dass er sie versteht. …“
http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__77.html
Aufenthaltsgesetz – AufenthG §55 (1)
„Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“
http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__55.html
Stellungnahme von Radmila Anic zu diesem Offenen Brief
Radmila Anic hat inzwischen ihren Anteil an diesem Offenen Brief zurückgezogen. Sie sagte mehrfach, dass ihr entscheidende Stellen am Ende des Texts damals nicht übersetzt wurden. Auf http://breakdeportation.blogsport.de/2015/04/27/abschiebungen-fangen-nicht-mit-der-polizei-an-die-strukturell-rassistische-situation-in-der-auslaenderbehoerde-erfurt/
ist ihr Anteil am Offenen Brief inzwischen auf ihren Wunsch hin entfernt.
In einer Stellungnahme zu diesem Brief hat sich Radmila bei den Mitarbeiter_innen der Ausländerbehörde folgendermaßen entschuldigt:
Nach wie vor sehe ich es als ein großes Unrecht an, dass die in Deutschland politisch Verantwortlichen die Diskriminierung von uns Roma in unseren Herkunftsländern nicht wahrhaben wollen. Es ist zynisch, die Länder des Westbalkans, aus denen wir geflohen sind, als "sichere Herkunftsländer" zu bezeichnen und uns damit von Vornherein jeden Grund für einen Aufenthalt in Deutschland abzusprechen. Gerade angesichts des Völkermords an Roma durch die deutsche Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus trägt dieses Land eine besondere Verantwortung für das Wohlergehen von uns Roma heute.
Ich distanziere mich aber von den persönlichen Angriffen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde Erfurt, die u.a. in meinem Namen in oben genanntem Offenen Brief veröffentlicht sind und ich entschuldige mich aufrichtig dafür.
Erfurt, den 19.02.16
Radmila Anic
Kommentar von Hanne Adams, Freundin und bei Bedarf auch Übersetzerin von Radmila.