»Der Feind ist deutlich«. Wie Dr. Wolfgang Kraushaar lernte, die Bombe zu lieben

Erstveröffentlicht: 
15.10.2005

Der ehemalige Kommunarde und Alternativ-Politiker Dieter Kunzelmann wirft gerne Eier. Zum Beispiel auf Eberhard Diepgen oder auf ein Gefängnistor (Foto). Sind Eier Bomben? Vom Hamburger Politologen Wolfgang Kraushaar wird Kunzelmann bezichtigt, »am Anfang des Terrors« (FAZ) in der BRD gestanden zu haben. Nach Erkenntnissen von Kraushaar habe Kunzelmann den gescheiterten Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Westberlin am 9. November 1969 initiiert. Das habe Kraushaar von Albert Fichter, dem Mann, der die Bombe gelegt haben will, und – selbstverständlich – aus Akten der Staatssicherheit erfahren. Die Bombe selbst hätte ein Agent des Verfassungsschutzes bereitgestellt. 36 Jahre nach dem Scheitern des antisemitischen Anschlags, zu dem sich die »Tupamaros Westberlin« bekannt hatten und den sie bewußt am Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938 geschehen lassen wollten, hat Kraushaar hierzu das Buch »Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus« vorgelegt.

Der Politwissenschaftler Wolfgang Kraushaar versucht sich als Extremismusforscher zu profilieren. In seinem neuen Werk »Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus« verhandelt er den erfolglosen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus am 9.11.1969 in Westberlin. Für Kraushaar hat der Extremismus etwas undurchdringliches. »Der Nebel, der über der ganzen Angelegenheit schon lange lag, lichtete sich nicht«, schreibt er schon zu Beginn seines Buches, und auch 250 Seiten später weiß er noch immer von »Nebelschwaden« zu berichten, »die über dem Ganzen hingen«. Wo viel Nebel ist, sind oft dunkle Ahnungen – sie scheinen auch Kraushaar befallen zu haben, wenn er am Ende seiner Einleitung allerlei »Linienführungen«, »Figuren«, »Fäden«, »Mikrotexturen«, »Strukturen«, »Beziehungsteppiche« und sogar »gegenwärtige Gefahren« sich auf verwirrende Art und Weise miteinander kreuzen läßt.

Reise in den Nebel

Die Reise in die Nebel beginnt mit Ausführungen über die »Überdeterminierung eines historischen Datums«, womit der 9. November in der deutschen Geschichte angesprochen ist. Die weiteren Kapitel führen den Leser über den Bombenfund im jüdischen Gemeindehaus zu Bekenner-Flugblättern, Knast-Camps, Palästina-Reisen, Verhaftungen, Agent provocateurs, Staatssicherheit und einen »linken Schuldabwehrantisemitismus«. Glaubt man Kraushaar, dann soll das alles schließlich in der »Konstituierung der Stadtguerilla als antisemitischer Akt« münden. Allerdings deutet der Autor bereits in seiner Einleitung den Mangel eines »inneren Zusammenhangs« an. Dieses Problem macht ihm auch am Ende Buches zu schaffen. Denn dort findet man zwar unter anderem das von Kraushaar ohne juristische Belehrung angefertigte Zeugeneinvernahmeprotokoll eines ehemaligen Aktivisten der Studentenrevolte, der sich selbst der Tat eines erfolglosen Bombenanschlages auf das Jüdische Gemeindehaus in Westberlin des Jahres 1969 bezichtigt. Und natürlich hat jeder Leser das Recht, dies gutgläubig zur Kenntnis zu nehmen. Überraschenderweise findet sich kein Literaturverzeichnis zu den 406 in den Text eingestreuten Fußnoten.

Nach der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, daß Kraushaar mit diesem Buch noch einmal, nunmehr 36 Jahre nach dem hier zur Rede stehenden erfolglosen Bombenanschlag, seiner tiefen Empörung über diese Aktion Ausdruck verleihen will. Und zwar ähnlich wie es bereits der Dienstherr des auch in dieser Angelegenheit umtriebigen Spitzels, Peter Urbach, der Westberliner Innensenator Kurt Neubauer, in einer Debatte des Abgeordnetenhauses am 11. November 1969 überzeugend zum Ausdruck gebracht hat: »(Es gibt) in diesem Hause (niemanden), der nicht mit Intensität und Leidenschaft bereit ist, antisemitische Erscheinungen (...) mit allen ihm zur Verfügung stehen Mitteln zu bekämpfen«.

Kraushaar läßt bei vielen der über 250 von ihm im Buch erwähnten Personen kaum einen Zweifel daran, wen er mag und sympathisch findet, und wen nicht. So gilt ihm beispielsweise der Politikwissenschaftler Tilmann Fichter als ein »profilierter« Historiker, der PLO-Repräsentant Abdullah Frangi als ein »ebenso besonnener wie zuverlässiger Politiker und Diplomat«, der nun aber »kein Feuerkopf, sondern eher ein Pragmatiker« sei. Die Hauptbelastungszeugin in dem von ihm in Sachen Bombenanschlag durchgeführten Ermittlungsverfahren, Annekatrin Bruhn, weiß er unter anderem als »attraktive 19jährige« zu beschreiben, die aber durch ihr politisches Engagement »Jahre gebraucht« habe, um wieder »in die Gesellschaft zurückzufinden.«

Dann gibt es aber auch Personen, die Kraushaar suspekt erscheinen. So muß Fritz Teufel fortan damit leben, daß Kraushaar ihn schlicht für »ein Medienprodukt« hält, obwohl er ihn wiederum rund hundert Seiten später als einen »Anführer der Tupamaros München« verdächtigt. Auch die von Kraushaar als »Deutsch-Französin« in den Text eingeführte Beate Klarsfeld darf vermuten, daß er ihr so gewogen nicht ist, wenn er sie als »selbsternannte Nazi-Jägerin« bezeichnet. Doch die zentrale Unperson, der schurkische Bösewicht per se, ist ganz eindeutig Dieter Kunzelmann. In dem 300seitigen Buch wird der Exkommunarde mit großem Abstand zu allen anderen Personen laut Register 63mal aufgeführt, davon 12mal in längeren Textpassagen. Stellt man auch das in Rechnung, so taucht der Name Kunzelmann im Schnitt alle drei Seiten im Buch auf.

Folgt man den Kraushaarschen Zuschreibungen, dann muß es sich bei Dieter Kunzelmann zunächst um jemanden handeln, »der nicht so recht dazugehörte«, der gleichwohl als ein »insgeheimer Magnet« – welch seltsam Ding – »unter der Oberfläche von Gruppenbeziehungen«, gewissermaßen als ein »Dr. Kimble« funktionierte. Dessen Radikalität weiß Kraushaar als eine »fortwährende Sucht« zu deuten, sei dieser doch schließlich jemand, der »auf der ständigen Flucht vor sich selber« sei, sprich: »die Personifikation des nicht mit sich identisch werden könnenden Intellektuellen«. Kunzelmann ist nach Kraushaar wahlweise ein »politisches Chamäleon«, »Bock« und »Gärtner« zugleich, eine »Schlüsselfigur« und »inspirierender Geist«, dem jederzeit »Vertuschung, Unterschlagung und Manipulation« zuzutrauen seien. Er »verriet« sich, »offenbart« sich, hat eine »Halbglatze und einen wilden Haarschopf«, reckt die Faust und ruft einem Kameramann »mit euphorisierten Gesichtsausdruck« und »einer expressiv übersteigerten Mimik« etwas entgegen. Er »spielt (...) Schmierentheater«, denn »Untertauchen, Täuschung, Geheimniskrämerei, Simulation und Selbstinszenierungen haben schon immer dessen Lebenselixier ausgemacht.« Kunzelmann ist »der Trickreiche, der mit allen Wassern gewaschene«, der aber immer mal wieder »in jenes Halbdunkel« zurückkehre, »in dem er sich schon immer bewegt hat.« »Besondere Heimtücke« sei ihm dabei genauso wenig fremd, wie er auch »die Zögernden (terrorisiere), er täuscht die ihm Vertrauenden und treibt die eingebildet Revoltierenden in Aktionen hinein, mit denen sie Kopf und Kragen riskieren.« Nach Kraushaar ist Kunzelmann die »pure Verkörperung des Bombenlegers« und zudem auch noch »mit rötlichem Vollbart und stechendem Blick ausstaffiert«. Er ist nach Kraushaar der »selbsternannte Gruppen-Guru«, für den seinen Genossen immer nur »Objekte von Manipulation, Domestizierung und Gehirnwäsche« gewesen seien. Aber dennoch, der von ihm gleich zweimal als »Sohn eines Sparkassendirektors« Vorgestellte »hat ein Gesicht und eine Aura.«

Fast scheint es, als wolle der Autor mit seinen wenig freundlichen Zuschreibungen an Kunzelmann dessen eigene Worte aus dem von ihm im Buch mehrfach zitierten »Brief aus Amman« aus dem Jahre 1969 erfüllen: »Hier ist alles sehr einfach. Der Feind ist deutlich. Seine Waffen sind sichtbar. Solidarität braucht nicht gefordert zu werden.« Eine ganze Reihe dieser Zuschreibungen, wie das »Halbdunkel« eines »Drahtziehers«, der mit »Geschick (...) aus dem Untergrund die Fäden« zog, sind bislang aus dem Arsenal antisemitischer Klischees vom sowohl omnipotenten, intellektuell gewieften, gleichwohl heimtückischen und häßlichen Juden bekannt. Frei nach Adorno erscheint Kraushaar hier so in den »Gegenstand gebannt« zu sein, das er ihn einfach so entgrenzt. Kraushaar ahnt die Problematik, da er selbst ein paar »basale Strukturprinzipien« des »Weltbilds des modernen Antisemitismus« referiert. In Anlehnung an den Antisemitismusforscher Haury zählt er dazu unter anderem einen Manichäismus dazu, in dem »die Personifizierung (...) ein grundlegendes Strukturmerkmal« sei, mit der versucht werde, »abstrakte Beziehungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zwanghaft auf konkrete Personen zurückzuführen«. Auch Kraushaar personifiziert, indem er Kunzelmann zum Repräsentanten einer bestimmten Form des Widerstands gegen den gesellschaftlichen Mainstream der 60er Jahre stilisiert.

Und diese Personifizierung findet ihren funktionalen Ort in einer manichäischen Scheidung zwischen einer »guten« Linken, die nunmehr staatstragend geworden ist, und die mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung sozusagen auf Duzfuß steht, und der staats- und ordnungsfeindlichen Linken der 68er Jahre. Letztere hat ganz offenkundig im Historischen Prozeß verloren und spielt mittlerweile die Rolle des toten Hundes, auf den man ohne Risiko einschlagen kann. Dieses implizite Schwarz-Weiß-Schema verleiht dem vorliegenden Text auch den Ruch des Verlogenen.

Gleißendes Licht

Wo von Kraushaar viel gleißendes Licht auf eine heute besiegte politische »Schlüsselfigur« von damals gerichtet wird, gerät im Text eine andere unverdient in den Randbereich: Kurt Neubauer, der es in dem Buch weit abgeschlagen, auf gerade einmal zehn Erwähnungen bringt. Dabei kann auch dieser durch seinen die Bombe liefernden Subalternen Urbach als sehr frühzeitig in das Tatgeschehen 1969 verwickelt angesehen werden. Dieser offenkundige Zusammenhang hat Sebastian Haffner in einem unter dem Titel »Ein Fall Neubauer?« publizierten Kommentar zu der Schlußfolgerung veranlaßt: »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, daß (der Innensenator) durch einen seiner Agenten die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hätte legen lassen (....), dann hätte er selbst eine schwere Straftat begangen – und zwar eine Tat, die dem Ansehen Berlins mehr Schaden zugefügt hat, als irgendein wirklicher oder angeblicher Apo-Exzeß.« Haffner schließt seinen Kommentar mit den Worten: »Die deutsche Öffentlichkeit kann es sich nicht leisten, mit diskretem Schweigen darüber hinwegzusehen.« Was ist aus den Überlegungen Haffners zu Neubauer geworden und vor allem: Was hat Kraushaar mit ihnen über 30 Jahre später angefangen? Um es kurz zu machen: Der Autor macht sich gegenüber dem Innensenator in Form einer ungewöhnlich gewundenen Formulierung, wenn schreibt, daß dieser für »die Machenschaften eines Undercover-Agenten, (...) wohl letzten Endes (...) die Verantwortung zu tragen« habe, eben dieses von Haffner befürchtete »diskrete Schweigen« zu eigen gemacht

Für nicht wenige der im Text von Kraushaar aufgestellten Behauptungen gibt es auch nicht den geringsten Beleg. Manche Quellen werden zwar in den Fußnoten aufgeführt, sind aber offenbar vom Autor selbst nicht zur Kenntnis genommen worden. Nicht viel mehr können wir mit der aufgestellten Behauptung, daß es »bezeichnend (sei), daß es für (...) den Übergang von einer subkulturellen Szene in erste bewaffnete Gruppierungen bislang keine ernstzunehmende zeithistorisch analysierende Literatur« geben soll, anfangen. Mit Blick auf die 160 eng bedruckten Seiten der 1982 publizierten Studie von Dieter Claessens und Karen de Ahna über »Das Milieu der Westberliner ›scene‹ und die ›Bewegung 2. Juni‹« ist Kraushaar bestenfalls Ahnungslosigkeit zu bescheinigen. Das gilt auch für die im Buch aufgestellte These, daß die Kriminalpolizei erst am 17. April 1970 »vermutet (...), daß das Sprengstoffpaket« von der Kunzelmannngruppe »im jüdischen Gemeindehaus abgelegt worden sein könnte.

Als Beleg für diese Vermutung wird eine Äußerung angeführt, die der Kommunarde Bodo Saggel in SDS-Kreisen angegeben haben soll. Das läßt sich mit Blick auf eine in dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung unter der Signatur SAK 300,46 aufbewahrte Akte erheblich präziser beschreiben: Darin findet sich ein auf den 5. Dezember 1969 datiertes Aussageprotokoll des Betreffenden, in dem dieser nicht vor »SDS-Kreisen«, sondern direkt mit Amtsgerichtsrat Lehmann, Staatsanwalt Tscheppan und dem Justizangestellten Leonhardt spricht. Saggel gibt hier vom Hörensagen die Namen von Albert Fichter, Georg von Rauch und Kunzelmann als Täter für den Sprengstoffanschlag auf das jüdische Gemeindehaus an. Weil er »etwas für die Juden übrig habe«, sei er am 17. November 1969 zur Polizei gegangen, um seinen Verdacht zu äußern. Es überzeugt uns einfach nicht, daß es dann noch – glaubt man Kraushaar – weitere fünf Monate gedauert haben soll, bis auch die »Kriminalpolizei« Kenntnis von den Saggelschen Einlassungen bekommen haben soll.

Bombenthema

Wie man es auch dreht und wendet: Das mit dem Angriff auf das jüdische Gemeindehaus Westberlin angestimmte Bombenthema scheint für Kraushaar einfach zu schick zu sein, um sich mit solchen Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Die Bearbeitung des in diesem Land in der Tat allerorten existierenden Antisemitismus verdient aus der Sicht des Extremismusforschers den in der Nähe der aktuellen Staatsräson plazierten Skandal und gerade keine Genauigkeit.

So bleibt letztlich die Hoffung, mit dem vorliegenden Text Antwort auf die Frage nach dem warum damals so und nicht anders war, zu erhalten, vergeblich. Der größte Teil der von Kraushaar benutzten Quellen liegt seit Mitte der 70er Jahre vor. Addiert man noch eine Zeitspanne von weiteren 20 Jahren dazu, steigt dieser Anteil auf weit über 90 Prozent. Leider läßt uns der zumindest noch Ende der 60er Jahre im linksradikalen Milieu als Mitläufer engagierte Autor mit der Frage allein, warum er eigentlich so lange mit den nun von ihm künstlich skandalisierten Befunden – wie wir hoffen – bequem hat leben können?

* Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, Hamburger Edition, 2005, 300 S., 20 Euro