[Berlin] Mall of Shame

Arbeiter vor der "Mall of Shame"

Pay, you fucker!  In Berlin protestieren geprellte Arbeiter gegen die Unternehmer, die ihnen ihren Lohn verweigern. Die hauptstädtische Linke beteiligt sich (noch?) zu zögerlich.

„Wir kämpfen hier für unsere Würde“, sagt Bogdan, einer der Arbeiter, die derzeit vor dem Prunkkonsumtempel „Mall of Berlin“ protestieren. Und: „Es kann doch nicht sein, dass Arbeiter hier schuften und dann keinen Lohn bekommen.“ Die Geschichte, um die es geht, ist schnell erzählt und sicherlich nicht allzu untypisch für das Baugewerbe.

 

Am Leipziger Platz steht ein riesiges Einkaufszentrum, das den Namen „Mall of Berlin“ führt, ein hässlicher Konsumtempel, derzeit geschmückt mit allerlei Christkind- und Santa-Claus-Kram. Dieses Ding, das vergessen die meisten, die dort ihren Vorweihnachtskredit in Smartphones und Tablett-PCs umtauschen, hat natürlich jemand gebaut, und diese Menschen nennt man „ArbeiterInnen“.

 

Diese wurden angestellt von jemandem, den man früher treffend „Kapitalist“ nannte, aber heute aus bloßer Schleimerei als „Unternehmer“ bezeichnet, in diesem Fall zunächst ein Investor namens Harald Huth. Der hat den Auftrag an eine Firma mit dem extrem lächerlichen Namen „Fettchenhauer Controlling & Logistic GmbH“ vergeben. Und die wiederum hat ihrerseits „Subunternehmer“ engagiert, die „Metatec-Fundus GmbH & Co. KG“ und die „Openmallmaster GmbH“. Und für die haben dann rumänische Gastarbeiter malocht zu Stundenlöhnen, für die sich Harald Huth nicht mal den Finger in den Po stecken würde, und zu Bedingungen, die unvorstellbar schlecht waren.

 

Schon das vertraglich Vereinbarte klingt haarsträubend: Versprochen wurde den Arbeitern ein Dumpinglohn von fünf bis sechs Euro die Stunde und eine bezahlbare Unterkunft. Selbst diese Minimalkonditionen erschienen den Bossen dann wohl als allzu profitminimierend und sie entschieden sich, die Arbeiter lieber gleich ganz zu prellen. 30, vielleicht 40 Arbeiter begannen zu protestieren, ihre Chefs wollten sie einschüchtern und davon abbringen. Über FreundInnen finden sie den Kontakt zur anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU), der Widerstand bekommt einen organisierten Ausdruck. Die Arbeiter beginnen einen Dauerprotest, harren täglich Stunden in der Kälte vor der „Mall of Berlin“ aus.

 

Die bislang größte Demonstration fand dann diesen Samstag ab 14 Uhr vor der „Mall of Shame“, wie die Arbeiter ihren vormaligen Arbeitsplatz nennen, am Berliner Leipziger Platz statt. Ich will es ganz offen sagen: Es war eine der sinnvollsten Demonstrationen, die es dieses Jahr in Berlin gab. Die Forderungen sind klar und vermittelbar, die Interessen der Arbeiter legitim, der Ort der Demonstration genau richtig, die Vorbeitung gelungen. Und es handelt sich um einen Kampf, bei dem die Linke endlich Terrain in der ArbeiterInnenklasse zurückgewinnen könnte.

 

Und dennoch sind es nur etwa 300 Menschen, die den Weg hier her finden. Man staunt. In dieser Stadt, die sich rühmt eine Bastion der (radikalen) Linken zu sein, lassen sich – nach ausgezeichneter Mobilisierung durch die FAU – nicht mehr Menschen zu einer Demonstration in Unterstützung migrantischer ArbeiterInnen mobilisieren, als sich bei einer durchschnittlichen Saufsoliparty einfinden? Dass die Partei Die Linke nicht kommt, versteht sich von selbst: Die Rumänen sind ja nicht wahlberechtigt in Berlin. Und auch vom DGB erwartet man nicht unbedingt, dass er sich an einer Aktion beteiligen würde, bei der ArbeiterInnen für ihr Eigeninteresse und nicht für das der jeweiligen Gewerkschaftsbürokratie und den „Standort Deutschland“ aufstehen. Aber wo sind die anderen Akteure, die zumindest in der Theorie noch nicht vergessen haben, dass Klassenkampf der zentrale Hebel zur Überwindung des Kapitalismus ist?

 

In Berlin gibt es eine nicht genau bezifferbare, aber große Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse – auf dem Bau, im Gastronomiegewerbe, in Spätis, bei den Taxifahrern, wo (vor allem migrantische) ArbeiterInnen noch über das ohnehin „normale“ Maß hinaus ausgebeutet werden. Wenn die radikale Linke nicht in der Lage ist, zu verstehen, dass genau das ein gesellschaftliches Milieu ist, in dem sie kämpfen muss, wird sie früher oder später untergehen. Und sie wird zurecht untergehen, denn kein Mensch braucht eine hedonistische Partysubkultur, die sich als Politsubjekt verkauft. Hedonismus kriegt die bürgerliche Gesellschaft auch ohne stylische Plakate und „linken“ Charme hin.

 

Der Protest an der „Mall of Shame“, der nach diesem Samstag weiter geht, wird ein Lackmustest werden. Können wir es schaffen, gemeinsam und mit unterschiedlichen Aktionsformen den Bauherrn zu zwingen unsere KollegInnen zu bezahlen (im übrigen geht es hier um einen Betrag, den Herr Huth wahrscheinlich jeden Tag zum Frühstück verbraucht, also ein durchaus realistisches Ziel). Oder werden wir rumänischen Arbeiter alleine lassen und uns unserem einfältigen, langweiligen Szeneeigenleben widmen? Es liegt an uns.

 

Von Peter Schaber

 

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Erstmal Danke für den schönen Bericht über die Demo und um was es geht, und das "(e)s war eine der sinnvollsten Demonstrationen, die es dieses Jahr in Berlin gab" war, kann nicht stark genug betont werden. Doch folgende Aussage bedarf einer gewissen Relativierung: "kein Mensch braucht eine hedonistische Partysubkultur, die sich als Politsubjekt verkauft". Es stimmt zwar, dass eine Partysubkultur kein Politsubjekt (u es in deinen Worten auszudrücken) ersetzen kann und sollte. Dennoch finde ich, das eine hedonistische Subkultur ein - kleiner - Teil eine politisch/sozialen Bewegung sein kann und dieser auch befördern kann. Sei es nun ganz banal als Geldlieferant für unumgänglich (Un)Kosten die politische Aktivität mitsich bringt, als auch zu einer Anpolitisierung junger und bisher eher unpolitischer Menschen. Letzteres kommt vor allem auch in eher konservativeren Gegenden eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.

Danke für den guten Bericht. Zunächst mal finde ich es eine gute Sache, dass sich heute mehr als 300 Leute zusammengefunden haben, um einen von der FAU initiierten und unterstützten Arbeitskampf durch ihre Anwesenheit zu unterstützen. Das hat es entweder schon lange nicht mehr oder sogar noch nie gegeben. Denn immerhin ist der Anlass eine konkrete Lohneintreibungs-Aktion. 300 Leute sind ein guter Anfang, besonders dann, wenn viele von ihnen es nicht bei einer Demoteilnahme bewenden lassen, sondern sich auch in den nächsten Wochen auf die eine oder andere Weise an der Fortführung und Verschärfung der Pickets und sonstiger Aktionen der kämpfenden Kollegen beteiligen würden.

 

Natürlich scheinen auf der anderen Seite 300 Leute in einer Stadt mit einer vermeintlich großen radikalen Linken dann auch eher wieder wenig. Aber vielleicht auch nur dann, wenn man sich allzu große Illusionen über die soziale Sprengkraft einer weitgehend mittelschichtsgeprägten Lifestyle-Linken macht. Für wen die Frage des richtigen Outfits oder die Einschreibung ins richtige Theorie-Seminar im Vordergrund steht, der wird mit den Existenzängsten rumänischer Kollegen, die ihre Knochen für Niedriglohn auf europäischen Baustellen verkaufen müssen, wahrscheinlich wenig anfangen können. Zumal die sich noch nicht einmal als Projektionsfläche für den eigenen Paternalismus eignen. Aber wer auf eine solche Szene angewiesen ist und nicht auf die eigene Kraft und die Solidarität von GenossInnen vertrauen kann, die noch eine Vorstellung davon haben, was Solidarität eigentlich bedeutet, der oder die hat sowieso verloren. Vielleicht tragen die Aktionen der beiden letzten Wochen, die Demo heute und das, was noch kommen wird, ja einfach zu Klärung der Frage bei, was in Berlin noch radikale Linke ist und was sich auf der Reise woanders hin befindet.

Du sprichst mir aus der Seele. Bitte lasst uns in Zukunft wieder den Klassenkampf stark machen. Damit meine ich nicht unbedingt, dass wir gegen die akademische Klasse kämpfen sollen, wir sollten uns aber auch nicht politisch von ihr unterbuttern lassen. Es geht eben nicht immer nur darum sich möglichst gewählt auszudrücken oder in den ausgewähltesten fairtrade Läden shoppen zu gehen. Es geht um (grenzenlose) Solidarität und starke Netzwerke. Packen wir's an! 

Wie im Videotext des RBB vom 9.12.14 und 10.12.14 zu lesen ist, ist der Generalunternehmer der "Mall of Berlin"pleite.

Der Generalunternehmer "Fettchenhauer Controlling & Logistics  GmbH" soll offenbar jede Kreditwürdigkeit verloren haben, und Zahlungsunfähig sein.

Über das Vermögen soll schon ein Insolvensverfahren bein Amtsgericht Charlottenburg eröffnet worden sein. Ein Insolvensverwalter soll eingesetzt worden sein.

Vor der Zuständigen Staatsanwaltschaft ist offenbar eine Klage wegen Insolvensverschleppung eingereicht worden. Ende November warteten offenbar noch

Neun Unternehmen auf die Zahlung offener Rechnungen in Höhe von mehr als 4 Millionen Euro.

 

Wie es nun mit der "Mall of Berlin" weitergehen soll ist offenbar unklar, zumal die in diesem Zusammenhang geplanten Luxuswohnungen, und ein geplantes Hotel noch gar nicht gebaut wurden. Die in der "Mall of Berlin" festgestellten Brandschutzmängel warten ebenfalls noch auf Beseitigung.

 

Für die um ihren Lohn geprellten Rumänischen Bauarbeiter wird es nun noch schwieriger, ihren ausstehenden Lohn einzufordern, da im Zweifel von der

Insolvensmasse für die Löhne nichts mehr übrig bleiben wird.