„Mit Waffengewalt jeden Protest erstickt“ – Zum Naziaufmarsch am 3.11.14 in Berlin-Marzahn

Die Fläche des künftigen Containerstandortes

Am Abend des 3. November 2014 marschierten spontan knapp 120 Neonazis und Rassist_innen in Berlin-Marzahn zu einer „Montagsdemonstration“ auf. Während sie über eine kilometerlange Strecke offene neonazistische Parolen rufen konnten und gegen Asylbewerber_innen hetzen, verletzte die Polizei Gegendemonstrant_innen z.T. schwer und bedrohte sie mit einer Schusswaffe. Ob Asylbewerber_innen hier sicher leben können, steht nach diesem Tag in Zweifel.

 

Vorgeschichte


Schon am Freitag wurde durch die „Bürgerinitiative Schönagelstraße“, die sich vor allem aus den Bewohner_innen der direkt am zukünftigen Unterkunftsstandort Einfamilienhaussiedlung rekrutiert, eine „Montagsdemonstration“ angemeldet, die sich vor allem gegen „Informationspolitik“ des Senates in Bezug auf die Standorte der Containerlager für Geflüchtete. Beworben wurde die Demonstration zuerst auf der Seite von Michael Deppe, der zusammen mit Gerd Feller (Inhaber einer Autowerkstatt in der Schönagelstraße) den organisatorischen Kern der Anwohner_innen darstellt, auf der Website „schoenagelstrasse.de“. Sie wussten anscheinend nicht, was sie losgetreten haben …

Nur wenige Stunden später mobilisierte die „Bürgerbewegung Marzahn“, ein Ableger der neonazistischen „Bürgerbewegung Hellersdorf“ [1], auf ihrer Seite mit einer eigenen Facebook-Veranstaltung, in der sie nur am Rande erwähnte, dass sie nicht der Veranstalter wäre, und hatte am späten Sonntag-Abend knapp 110 Zusagen zur Teilnahme an der Demonstration. Auch der Gegenprotest formierte sich zu dieser Zeit, da abzusehen war, dass ähnlich wie am vorangegangenen Samstag in Berlin-Buch auch die Neonazi-Szene mitlaufen würde. Dort waren nur wenige Gegendemonstrant_innen vor Ort.

 

Sonntag-Abend erklärte Michael Deppe auf seiner Website dann, dass die Veranstaltung abgesagt wäre, da eine Instrumentalisierung von Rechts erfolgt wäre. „Es haben sich ungebetene Gruppierungen angekündigt, mit deren Meinung er und wir Anwohner uns nicht einverstanden erklären können und wollen.“ Weiterhin distanzierten sich die Gruppierung von „rechtsgesinnten Aktionen und Parolen“. Auch die Bürgerbewegung Marzahn demobilisierte zu diesem Zeitpunkt und sagte die Veranstaltung ab.

 

Doch unter der Führung von Martin Esfeld – einem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Weißensee – wollten einige Rassist_innen die Absage nicht hinnehmen und mobilisierten engagiert weiter, während die Administrator_innen der Bürgerbewegung ganz offensichtlich im Zwiespalt waren und immer wieder auf rechtliche Schwierigkeiten hinwiesen.

 

Im Laufe des Montags jedoch verdichteten sich die Hinweise auf eine erneute Mobilisierung auch in der Naziszene. Auf Facebook tauchten Kopien einer internen SMS auf, die sich an „aufrechte Deutsche“ richtete und trotz Absage zum Demostartpunkt mobilisierte.

 

Schwarz war die Nacht …


Die Polizei der Direktion 6 war schon gegen 18 Uhr mit mehreren Einsatzwagen und einem Lautsprecherwagen vor Ort und stellte sich ganz offensichtlich schon zu diesem Zeitpunkt auf eine Ersatzveranstaltung ein. Herumstehende Beamt_innen äußerten sich zum Einsatzbefehl: „Versammlungen auflösen und den Zaun schützen“, womit der Bauzaun um das künftige Containerareal gemeint ist. Am geplanten Standort in Köpenick wurde der Zaun schon Ziel von Angriffen der Rechten, die ihn an mehreren Stellen zerstörten.

 

Gegen 18:30 Uhr verschwanden die eingesetzten Polizeibeamt_innen und fuhren in der Umgebung Streife, ließen jedoch den Antreteplatz unbeobachtet. Dort fanden sich zu dem Zeitpunkt immer mehr rassistische Anwohner_innen und Neonazis ein. Gegen 19 Uhr waren 80 Rassist_innen vor Ort, eine Menge, die im späteren Verlauf auf 120 Teilnehmer_innen anwachsen sollte. Die Nazis selbst geben 150 Teilnehmer_innen an, die Polizei meint 270 zu zählen.

 

In der Folge finden sich ein „spontaner“ Anmelder der offensichtlich vorbereiteten Aktion sowie sechs Ordner_innen, was die Polizeiführung zufriedenstellt. Sie erlaubt den Aufmarsch, die mitgebrachten Transparente werden entrollt, mit Aufschriften wie „Nein zum Asylbewerberheim“ und „Berlin wehrt sich gegen Asylmissbrauch – Gemeinsam in einer bessere Zukunft“. Am Zaun wird ein Laken mit der gesprühten Aufschrift „Marzahn sagt NEIN zum Containerdorf“ befestigt.

 

Hinter den Transparenten finden sich René Uttke (NPD) und Marcel Rockel (Bürgerbewegung Hellersdorf) ein, anwesend sind auch Kai Schuster (Bürgerbewegung Hellersdorf), Kai Milde (NPD), Lars Niendorf (NPD) sowie Uwe Dreisch (Landesvorsitzender DIE RECHTE). Später stößt auch Sebastian Schmidtke (Landesvorsitzender NPD) zur Demonstration und hält eine Rede während der Abschlusskundgebung. Neben den üblichen Nazi-Kleidungsmarken wurden auch T-Shirts mit dem HoGeSa-Logo festgestellt („Hooligans gegen Salafisten“).

 

Gegen 19:30 Uhr setzt sich der Demonstrationszug, begleitet von wenigen Gegendemonstrant_innen, in Bewegung. Die Route verläuft über die Raoul-Wallenberg-Straße bis zum gleichnamigen S-Bahnhof, dann über die Märkische Allee bis zur Mehrower Allee, dort die Straße runter bis zum Blumberger Damm, um dann gegen 21:30 Uhr am Ausgangspunkt zu enden.

 

Der Demonstrationszug ist – anders als das von den Anwohner_innen geplante Konzept eines stillen Protestest – laut und hasserfüllt. Die gerufenen Parolen gehen von „Nein zum Heim“ über „Wir wollen keine Asylantenheime“ zur Abwandlung „Wir wollen keine Asylantenschweine“. Es folgt „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, „Rudolf Hess“ und „Nationaler Sozialismus Jetzt!“. Bei keiner der z.T. strafbaren Parolen schreitet die Polizei ein.

 

Die Stimmung ist gespenstisch, immer wieder ertönen bestärkende Rückrufe aus den umliegenden Plattenbauten auf die explizit neonazistischen Parolen. Die Straßen sind ansonsten menschenleer, sieht man von dem Blaulicht ab, das den ganzen Kiez erhellt – und den wenigen Gegendemonstrant_innen.

 

… und rot war das Laub


Denn es formierte sich durchaus Protest gegen die Neonazis und Rassist_innen. Immer wieder schafften es engagierte zivilgesellschaftliche Vertreter und Antifaschist_innen, an den Aufmarsch heranzukommen, leider nur sehr vereinzelt. Immer wieder griff die Polizei kleine Gruppen von Gegendemonstrant_innen an und hielt sie unter hahnebüchenen Tatvorwürfen – die sie nur wenige Minuten später selber entkräftete – fest und nahm ihre Personalien auf.

 

Ein Gegendemonstrant wurde durch den Faustschlag eines Polizisten schwer im Gesicht verletzt und musste in die Notaufnahme gebracht werden, wo schwere Wunden im Augenbereich festgestellt wurden. Der Polizist gab an, dass sie gerade von „Vermummten“ attackiert wurden, auch nach dem Einwand seiner Kolleg_innen, dass der Betroffene da nicht dabei gewesen wäre.

 

In einem anderen Fall erkannten einige Antifaschist_innen den anreisenden Sebastian Schmidtke und forderten ihn verbal auf, die Gegend zu verlassen. Eine Person, die ihn offenkundig freundschaftlich begleitete und sich während des Vorfalls nicht als Polizeibeamter zu erkennen gab, zog daraufhin eine Schusswaffe. Die Polizei gab an, ein Zivilpolizist hätte seine Dienstwaffe gebraucht. Der vorbestrafte Sebastian Schmidtke zog seinerseits ein Pfefferspray und heizte den Zivilpolizisten mit den Rufen „Feuer, Feuer!“ an. Nur mit Glück konnten die Antifaschist_innen der bedrohlichen Situation entkommen, die einmal mehr zeigte, wie eng die Polizei in Marzahn-Hellersdorf mit den Neonazis zusammenarbeitet.

Ein dritter Vorfall ereignete sich im unmittelbaren Umfeld der Demonstration. Antifaschist_innen wurden durch einen rassistischen Demonstrationsteilnehmer erkannt und durch ihn verfolgt. Als er in die unmittelbare Nähe kam, zückte er ein Springmesser und bedrohte die Antifaschist_innen. Auch hier war es nur dem Zufall zu verdanken, dass die Situation keine ernsthaften Folgen hatte.

 

Die Einzelvorfälle dokumentieren den außergewöhnlichen Umfang der Polizeigewalt an diesem Abend und das perfekte Zusammenspiel von Polizei und Nazis. Die Einschätzung „Staat und Nazis – Hand in Hand“ verliert auch knapp drei Jahre nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrundes ihre Aktualität nicht. Während die Neonazis im Internet sehr konkrete und individualisierbare Personenbeschreibungen von vermeintlichen Antifaschist_innen veröffentlichen und zu Gewalttaten aufrufen, schützt die Polizei den Aufmarsch und lässt ihn auch mit strafbaren Parolen gewähren – vielmehr noch, gibt sie in der Pressemeldung [2] nur die vermeintlichen Straftaten von Gegendemonstrant_innen an. Die 140 eingesetzten Polizeibeamt_innen heizten sich zusätzlich mit Meldungen über brennenden Gegenständen und ein in Flammen gesetzer Bus der Nazis an, um sich gegenseitig das vermeintliche Gewaltpotential der vereinzelten Antifaschist_innen, die an der Aufmarschstrecke protestieren konnten, zu versichern.

 

Rauschen im Netz


Auf den Facebook-Seiten ergoß sich während und nach der Demonstration ein wahrer Schwall an rassistischen Kommentaren. Viel größer war jedoch die Zahl der Beschwerden über die eigentlich abgesagte Demonstration, an der man hätte teilnehmen wollen. Das gab einen kleinen Ausblick auf das eigentliche Potential, dass in Marzahn in der rassistischen Mobilisierung steckt.

 

Man muss sich nach diesem Tag fragen, ob es überhaupt verantwortlich ist, Asylbewerber_innen in dieser Gegend unterzubringen – zumal in der offensiv ausgrenzenden Weise eines Containerbaus mit der einhergehenden verstärkten stigmatisierenden Wirkung, die den rassistischen Flächenbrand in der Gegend nur noch anfeuert. Die vermeintliche „Toleranz“ der Polizei gegenüber dem offenen neonazistischen Machtbeweis lässt vermuten, dass sie für die Sicherheit der zukünftigen Unterkunft und ihrer schutzsuchenden Bewohner_innen nicht garantieren werden kann.

 


Fußnoten

[1] http://www.recherche-und-aktion.net/2014/03/die-buergerbewegung-hellersd...
[2] http://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/pressemitteilung.221644.php

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dann ist es, wenn man mich für dumm verkaufen will.

 

Ich hab schon so einiges an Bullengewalt erlebt - KEIN Bulle, auch kein durchgeknackter Anabolika-Zivi, zieht sein Knarre, weil man verbal (!) attackiert.

 

Oder ist "verbal auffordern" jetzt das neue Berliner Szene-Chiffre für "auf's Maul hauen"?

 

Da ist ne militante Aktion schiefgegangen - darüber kann man reden oder schweigen. Aber offensichtliche Lügen zu lancieren, wirkt einfach nur unsympathisch und zerstört Vertrauen.

 

Warum soll ich euch bezüglich irgendeiner Angabe vertrauen, wenn ich sehe, dass ihr mich anlügt?

Weil Berliner Zivilpolizisten auch nie überreagieren und auch gegenüber friedlichen Demonstrant*innen Gewalt anwenden? So wie z.B. 2005 auf der Gelöbnix-Demo? https://www.youtube.com/watch?v=nB0e-yDpBv0

Ich hab mit keinem Wort behauptet, dass Zivten keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten ausüben würden.

 

Ich hab geschrieben, dass die nicht einfach mal aus Jux ihre Knarre ziehen, weil irgendwer "Nazis raus!" oder "Verpiss dich!" schreit.

 

Ich hab's in rund 15 Jahren Demoerfahrung noch nie erlebt, gesehen oder gehört, dass ein deutscher Bulle eine Knarre gezogen hätte - auch nicht in brenzligen Situationen. Mit einer Ausnahme - das waren irgendwelche durchgeknallten Personenschützer von Schill in Hamburg. Das gab damals einen mittelschweren Polizeiskandal.

 

Vor tödlicher Gewalt haben auch Bullen im Regelfall einen Heidenrespekt.

 

Ich war nicht dabei und kann nicht zu 100% ausschließen, dass es sich so zugetragen hat, wie im Artikel beschrieben. Aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass in der Darstellung was nicht stimmen kann.

Also mir fallen in den letzten 5 Jahren allein in Berlin 2 Demosituationen ein auf denen Bullen ihre Knarre gezogen haben ohne das es besonders gefährlich gewesen wäre.

Da wäre einmal die Räumung einer Barrikade durch ein paar Bullen mit gezogener Knarre zur Räumung der Liebig 14 und zum anderen der Zivilbulle der bei den Squat Tempelhof Aktionen einen Menschen festgenommen hat und mit seine Knarre sowohl den Menschen am Boden als auch die Menschen um ihn herum bedroht hat.

Klar ist bei besagten Situationen auch "härter" von Menschen vorgegegangen worden als nur verbal aber keine Lebensbedrohliche Situationen für die Cops.

 

Und das mal nur zu Demosituationen, mir fallen unzählige andere Vorfälle ein bei denen Bullen andere Menschen nicht nur mit ihrer Knarre bedroht sondern sogar beschossen und teilweise ermordet haben.

Dennis J. zum Beispiel, vielleicht sagt er dir ja etwas? Oder der Mensch der von den Bullen im Neptunbrunnen in Berlin erschossen wurde, natürlich um ihn davor zu schützen Selbstmord zu begehen.

 

Deinen "gesunden Menschenverstand" solltest du vielleicht noch mal überprüfen denn anscheinend ist der ziemlich realtitätsfern wenn du wirklich glaubst deutsche Bullen würden ihre Waffen nicht ziehen.

Einen Scheiß haben die Respekt vor tödlicher Gewalt und Mord und die durch Bullen Erschossenen der letzten Jahre zeigen das deutlich.

http://www.morgenpost.de/multimedia/archive/00395/mim_draht_zivil2_BM_39...

 

da hat ein zivi seine knarre gezogen und das in einer situation, wo neben einem demosani lediglich ein weitrer unbewaffeneter demonstrant im laufschritt auf ihn zu kam. dabei war der zivi nichtmal allein, sondern in begleitung von mindestens einem weiteren uniformierten beamten, der die situation offensichtlich weit weniger dramatisch fand. im nachgang der ereignisse wurde der vorgang dann aber wiederum von der polizeiführung wesentlich dramatischer dargestellt. entgegen allen zeugenaussagen und bildmaterials wurde von einem gewalttätigen mob und versuchter gefangenenbefreiung fabuliert - was durchaus als rückendeckung für bullen mit lockerem trigger-finger gesehen werden kann. der zivi bei squat tempelhof  war dabei nur ein beispiel von vielen, was auch nicht verwundert, hat im umgang mit der dienstwaffe auch im einsatztrainingeine eine gewisse "lockerheit" einzug gehalten: die waffe wird viel fäufiger gezogen, als in früheren jahren und das gehört mittlerweile zur regulären ausbildung

Danke für den Link zu dem Zeit Artikel, den hatte ich in meiner Aufzählung ganz vergessen.

Ich glaube damit sollte das Blabla von wegen "deutsche Bullen ziehen fast nie ihre Knarre" vom Tisch sein.

 

Aber hey, wer in einem faschistischen Staat noch an die Verhältnismäßigkeit von Bullen glaubt hat wahrscheinlich eh bald das Problem der Erkenntnis das dem nicht so ist.

Außerdem wurde vor ein paar Jahren zu Silvester Dennis in Berlin erschossen! Er wurde damals per Haftbefehl gesucht und von einem Zivi Bullen im Auto auf einem Parkplatz mit meheren Schüssen erschossen. Er war unbewaffnet und wurde über den Vater (der war auch Polizist) seiner Freundin per Handy geortet.  RIP Dennis.

eh, geht bei dir noch alles klar, du vollidiot???

 

gestern wurden gegendemonstrant*innen fast abgeknallt und das einzige was die einfällt ist sone soße! halt bloß die fresse, eh!

 

(wär der bulle tatsächlich richtig körperlich angegriffen worden, dann hätte er sicher anders reagiert, als mit der knarre rumzufuchteln..)