Der DGB ließ Flüchtlinge aus dem Gewerkschaftshaus in Berlin räumen. Dagegen protestieren junge GewerkschafterInnen. Ein Interview mit Ines Schwerdtner (Studentin) und Micah Brashear (Lehrer), beide Mitglieder der jungen GEW Berlin.
Am Donnerstag hat die Berliner Polizei über 20 Geflüchtete und UnterstützerInnen aus dem Gewerkschaftshaus am Wittenbergplatz geräumt. Wie kam es dazu?
Die Geflüchteten hatten das Haus eine Woche davor besetzt. Am Donnerstag um 10 Uhr bat der Vorstand des DGB Berlin-Brandenburg die Geflüchteten, das Gebäude zu verlassen. Nachdem die Gruppe dies verweigerte, wurde die Polizei gerufen.
Schon am Mittwoch Abend gab es Gerüchte über eine Räumung, weil die Belastungsgrenze erreicht sei. Noch bis kurz vor der Räumung hatte ich die Hoffnung, dass es eine andere Lösung geben könnte, doch wir wurden falsch informiert. Das zeigt die Intransparenz der Entscheidungsprozesse innerhalb des DGB, besonders für die Jugendstrukturen.
Wie habt ihr die Räumung erlebt?
Gegen elf Uhr rückten 200 PolizistInnen an und begannen, die angeketteten Flüchtlinge und UnterstützerInnen mit Bolzenschneidern loszumachen. Wir durften das Haus nicht betreten und hörten nur Schreie. Mindestens zwei der Geflüchteten wurden verletzt und mussten ins Krankenhaus. Ich hätte nicht mit dieser Brutalität gerechnet.
Schockiert hat mich vor allem die Reaktion des DGB-Vorstands. Als das Transparent mit der Aufschrift "Flüchtlingen helfen? Ja! Unser Haus besetzen? Nein!" herausgehängt wurde, war ich fassungslos über diesen ungehemmten Zynismus. An den Säulen des DGB-Hauses steht in großen Buchstaben "Solidarität" und "Gerechtigkeit". Diese Räumung bewies genau das Gegenteil.
VertreterInnen des DGB sprachen von einer "großen physischen und psychischen Belastung" für die MitarbeiterInnen des Hauses. Wie habt hr das erlebt?
Die Gruppe hielt sich nur in einem Stockwerk auf und schlief in einer Lounge und in einem Foyer. Bestimmt waren die normalen Arbeitsabläufe durch so einen Ausnahmezustand gestört, doch im Verhältnis zu den Strapazen und Ängsten der Geflüchteten ist die Aussage mehr als dreist.
Letzten Endes ist das kein Segelverein, sondern ein Gewerkschaftsbund – er muss sich den Problemen dieser Welt stellen, auch in seinem eigenen Haus.
Schwierig muss es für einige MitarbeiterInnen gewesen sein, die sich solidarisierten, dies aber nur anonym konnten, da sie natürlich selbst um ihren Arbeitsplatz fürchten. Ich finde es schrecklich, dass so jede innere Kritik an den Zuständen nicht zu Tage kam.
Es hieß, der DGB habe alles in seiner Macht Stehende getan. Was hättet ihr vom Gewerkschaftsbund erwartet?
Mindestens, dass die Geflüchteten im Haus bleiben können, bis eine neue Bleibe für sie gefunden wird. Es wurde zwar versprochen, alle politischen Möglichkeiten auszuschöpfen, aber dieses Versprechen wurde nicht eingehalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht mehr Kontakt zu PolitikerInnen aufgenommen werden konnte. Nur eine einzige Bundestagsabgeordnete wurde eingeladen. Auch die Rechtsberatung, die für den 2. Oktober angekündigt war, fand vor der Räumung nicht statt.
Die Forderungen der Geflüchteten waren für mich realistisch und nachvollziehbar. Der DGB hätte seine Mitglieder zu einer Konferenz zusammenrufen können, um eine große Demonstration für die Rechte der Geflüchteten zu planen. Das sind Sachen, die sowieso längst hätten passieren müssen.
Eine solche Unterstützungsarbeit hätte der DGB mit Stolz leisten können. Aus dem Gewerkschaftshaus heraus hätte eine neue Phase der Flüchtlingsbewegung anfangen können. Aber die Führung sah diese Menschen nur als Problem. Die Behauptung, der DGB habe im Rahmen seiner Möglichkeiten alles getan, ist verlogen – eingegrenzter Möglichkeitssinn ist symptomatisch für verwaltetes Denken.
Über 100 GewerkschafterInnen haben eine Solidaritätserklärung für die Geflüchteten unterzeichnet. Wie hat sich die junge GEW Berlin positioniert?
Wir haben uns schon zuvor bei den Protesten um die Gerhart-Hauptmann-Schule und um den Oranienplatz solidarisiert. Wo "unser" Haus gefragt ist, war es für uns klar, dass wir reagieren müssen. Wir haben auch die Erklärung unterzeichnet und an einer gemeinsamen für die DGB-Jugend mitgeschrieben. Allerdings konnte diese Pressemitteilung nicht erscheinen, unter anderem aus formalen Gründen. Wir wollen auf jeden Fall weiterhin mit den anderen Gewerkschaftsjugendgruppen die Geflüchteten unterstützen. Wir wollen da auf jeden Fall weiterhin mit den anderen Gewerkschaftsjugendgruppen eine Position erarbeiten und die Geflüchteten unterstützen.
Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Eine kürzere Version dieses Interviews erschien in der jungen Welt am 4.10.
Der DGB
Der DBG ist ein Konzern mit neoliberaler Verwaltungs-, Mitarbeiter- und Verhandlungsstruktur. Links und solidarisch ist bei dem Nichts.
Protest gegen Räumung gehtweiter
Nach Räumung der FlüchtlingeGewerkschafter kritisieren DGB
Die Räumung der besetzten Zentrale sei ein „völlig falsches Signal“, so der Tenor eines Aufrufs. Vielmehr sollten Flüchtlinge Gewerkschaftsmitglieder werden.
weiterlesen:
http://www.taz.de/Nach-Raeumung-der-Fluechtlinge/!147195/