Die Proteste gegen die Einheitsfeierlichkeiten. Eine Kritik

Deutschland feiert Siege, Erfolge und immer sich selbst - Armut und Ausgrenzung hingegen feiert niemand sondern machen betroffen und sind für jeden Nationalisten ein Aufruf zu mehr (nationaler) Solidarität

"Was ihr feier: Armut / Ausgrenzung / Leistungszwang" ist das Motto der diesjährigen Proteste gegen den Tag der deutschen Einheit. Damit ist der Nationalismus alles andere als gut getroffen, erklären sich Patrioten die Missstände, welche ihnen so begegnen doch gerade aus der schändlichen Missachtung ihres Ideals des Allgemeinwohls: Armut und Leistungszwang sind für den gemeinen Vaterlandsliebenden Ergebnis von profitgierigen Unternehmen, welche ihr Interesse an Geldvermehrung eben nicht dem Vaterland und damit allen Deutschen unterordnen und nicht etwa Grund zum Feiern.

 

Für Armut und Ausgrenzung wird am 3. Oktober wohl kein Deutscher die Korken knallen lassen - sehr wohl aber für deren nationalistische Kritik. Umkehrt setzt es bereits das Wissen um die Kritik an Staat, Nation & Kapital vorraus um das Motto schlüssig zu finden - und damit zeigt sich sein Charakter als Szenemotto.


So verhält es sich auch mit dem "alltägliche[n] Hauen und Stechen in dieser Gesellschaft" das gerade nicht "für eine solidarische Grundstimmung unter den Menschen" (1) sorgt. Mit diesem Satz stimmen wohl die meisten Nationalisten überein, allerdings verstehen diese das "Hauen und Stechen" ja gerade Ergebnis des Mangels an 'nationaler Solidarität' die dann kritisiert wird: "Damit diese Zustände ertragbar werden, wird sich eine solidarische Gemeinschaft im nationalen Kollektiv einfach herbei imaginiert." (1) Dabei ist der Bezug auf die Nation keine Fantasie sondern die Forderung und auch immer wieder die Betätigung der praktischen Unterordnung jedes partikularen Interesses unter jenes der Nation. Die Kritik es würde sich etwas "imaginiert" könnte so auch von jener Sorte Patrioten stammen, welche die bereits durchgesetzte Einheit des deutschen Volkes immer noch zu wenig Gemeinschaft stiftet.

 

Das die Feierlichkeiten "ein Hohn gegenüber der Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen" (1) ist, versucht dann am Ende des Aufrufes die Deutschlandfreunde daran zu blamieren, dass sie sich nicht an die Utopie der Linksradikalen halten.

 

Das kann natürlich auch "ums Ganze" in ihrem Aufruf, in welchem sie nicht finden, dass die "Sparprogramme erfolgreich gewesen seien" (2) welche Deutschland halb Europa diktiert hat, weil jetzt "im Süden Europas die Gesundheits- und Sozialsysteme zusammengebrochen sind, Menschen wieder an Trivialkrankheiten sterben und massenhaft obdachlos geworden sind" (2) - ganz so, als ob Deutschland den Erfolg der Sparprogramme daran messen würde, wie es den Proleten in Südeuropa geht. Diese Tour unterstellt den Herrschenden zuerst alle guten Zwecke der Welt um sie dann am Ergebnis ihrer Politik entlarven zu wollen.

 

"Die Aufgabe für eine radikale Linke besteht deshalb darin gegen das Gerede von der Alternativlosigkeit dieser Politik tatsächliche Alternativen aufzuzeigen und eine Entscheidung der Individuen zu verlangen" (2). Klar, ist die Herrschaft erstmal abgekanzelt mit dem Hinweis auf ihre Unbrauchbarkeit für eine Gesellschaft in welcher es um "die Befriedigung unserer Bedürfnisse geht" (2), dann sollen sich die Menschen doch bitte Entscheiden was sie wollen. Das werden sie diesen 3. Oktober auch wieder - man darf gespannt sein ob die Festhallen der Stadt oder die Demo "1000 gute Gründe gegen die Nation" dieses mal mehr Menschen anziehen wird...

 

Andere machen sich gar nicht mehr die Mühe der BRD Armut, Ausgrenzung oder Leistungszwang nachzuweisen, sondern finden gleich das ihre Kritik eigentlich alles betrifft was irgendwie Deutsch ist: "Wir möchten euch hiermit ein Angebot machen, wie man den Schuppen Kapitalistischer Nationalstaat Deutschland dichtmacht (sei es BRD, DDR, NS, Weimarer Republik oder Kaiserreich)" (3). Bei den Kaffeehauskommunisten der "l'association mar de café" wird mit dem Anbieten der Alternative dann auch gleich ernst gemacht und dazu den Menschen bei ihrer Entscheidung für oder wieder den Feierlichkeiten gleich klar gemacht, wie erst es einem ist: "Wir drehen die Regler aber erst auf, wenn die Barbarenparty eingesehen hat, wie schlecht sie ist." (3) Es steht also zu erwarten, dass diese Gruppe eher kein Alternativprogramm stellen wird zur Fete am dritten.

 

Ihr Drei-Punkte-Plan zum Kommunismus klingt dabei befremdlich durch seine Nähe zu allzubekanntem: "Unbedingtes Eigentum an eigener Arbeitskraft und Lebenszeit" (3) könnte dem Grundgesetzt entnommen sein und ist die berühmte bürgerliche Freiheit, mit seinem Leben "frei" etwas anfangen zu können. Man fragt sich auch, gegen was genau der "weltweiter Generalstreik als Normalzustand der befreiten Gesellschaft" (3) helfen soll - und wie genau man in dieser von jeder Produktion "befreiten Gesellschaft" - an seinen Kaffee kommen soll.

 

Die Antifaschistische Gruppe Braunschweig hat dagegen einen ganz originellen Zugang gefunden zur Erklärung des Nationalismus: "Eine Kritik an den Einheitsfeierlichkeiten, die dabei nicht auf dem Niveau von Parolen und Propaganda bleiben möchte, muss sich den Phänomenen des (deutschen) Nationalismus und des Staates vor allem theoretisch [!] nähern" (4) - Ein ganz neuer Ansatz: sich eine Sache zu erklären die man sich erklären will! Mit diesem neuartigen Zugang zur Thematik wird dann auch neues Herausgefunden: Im deutschen Nationalismus gab es bereits unter Bismark eine "biologisch-völkische Identität" (4) - und diese zieht sich bis heute durch, auch wenn die Individuen die den heutigen Nationalismus betreiben das ganz anders sehen. Auf die Argumente der Nationalisten - seien diese Freunde oder Feinde biologistischer Argumente oder des Antisemitismus - kommt es aber am wenigsten an. Theoretisch bewandert wie man ist wurde herausgefunden: "Der Judenmord und die deutsche Identität sind damit nicht trennbar" (4).

 

Wer sich also als Deutscher fühlt, aber keine Juden jagen will, macht einen folgenschweren Fehler und hat - im Gegensatz zu den Braunschweiger Antifaschisten - den deutschen Nationalismus wohl nie richtig verstanden. Für diesen - und jeden anderen Fehler - werden die Nationalisten allerdings von der Gruppe auch gleich (angeblich mit der Hilfe von Teddy) entschuldigt: "Die Menschen machen so in ihrer Auffassung der Gesellschaft nicht einfach einen Denkfehler, sondern diese Denkform ergibt sich notwendig aus den Erscheinungsformen der Gesellschaft" (4). Wenn das mal kein glücklicher Zufall ist, das ausgerechnet die Antifaschisten aus Braunschweig immun sind gegen diese determinierung des Denkens durch die "Erscheinungsformen der Gesellschaft". Allerdings irritert warum im Satz danach noch von "Subjekten" gesprochen wird, wenn diese doch scheinbar nur Denkmaschinen sind, also "Objekte" in welchen sich die Denkprozesse selbst vollziehen, die notwendig aus der Gesellschaft kommen...

 

In Bremen indes stört man sich am Aufruf zum dritten Oktober und ist kritisch gegenüber den Kritischen. Klar, "ist die ka­pi­ta­lis­ti­sche Ge­sell­schaft ana­ly­tisch [?] in Klas­sen ge­teilt" (5) und das hat irgendwas mit Rassismus zu tun, aber ganz im Sinne der Alternativen ist die "antifaschistische Gruppe Bremen" mit ihrem Kopf schon nach der Revolution und vermisst schmerzlich das Engagement für die postkapitalistische Antifa: "Ras­sis­mus ist je­doch nicht erst durch den Ka­pi­ta­lis­mus ent­stan­den und wird nach dem Ka­pi­ta­lis­mus nicht von selbst [!] ver­schwin­den" (5). Ob wohl dieser Kapitalismus von selbst verschwinden wird?

 

Vermisst wird auch eine Kritik der Deutschen, allerdings soll die Kritik auf keinen Fall als "de­struk­ti­ver An­griff" (5) verstanden werden, und so versichern die Genossen: "Wir un­ter­stüt­zen den Auf­ruf auch wei­ter­hin" (5) - auch wenn sie ihn falsch finden! Das ist gelebte Solidarität, die sich von Kleinigkeiten wie unterschiedlichen Analysen und Kritikpunkten nicht mehr abbringen lässt.

 

Postnationalsozialistische Zustände finden die Bremer Antifaschisten überall in der Gesellschaft: "Öff­nun­gen von Gren­zen wer­den ge­mein­hin be­grüßt, geht es doch um eine Aus­wei­tung des der deut­schen Wirt­schaft zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mark­tes. Stel­len Po­li­ti­ker*- und Bür­ger*innen dann je­doch fest, dass durch diese Öff­nung nicht nur Waren son­dern auch Men­schen die Gren­ze pas­sie­ren, so wer­den schnell die alten Kli­schees von den fau­len und steh­len­den Sinti und Roma aus­ge­packt." (5) Das ist natürlich ein deutlicher Hinweis auf das Überleben faschistischer Ideologie im deutschen Volkskörper, widerspricht dieser Rassismus doch zutiefst der kapitalistischen Logik der demokratischen BRD - oder?

 

Andere Hinweise auf das Überleben der NS-Ideologie in Deutschland? "Leis­tungs­zwang wird nicht kri­ti­siert son­dern pro­pa­giert." (5) - Unvorstellbar in einer Demokratie ohne Hitlerei in der Geschichte! "Die Bun­des­re­gie­rung und fast alle deut­schen Po­li­ti­ker*innen in Brüs­sel sor­gen mit der Troi­ka für eine Aus­wei­tung der deut­schen Macht in Eu­ro­pa." (5) Imperialismus und Demokratie passen ja sowenig zusammen wie Amerika und Weltpolizei - also ein weiterer Hinweis darauf, dass die Deutschen eigentlich immer noch Braunhemden sind."Spe­zi­fisch deut­scher Na­tio­na­lis­mus" (5) - ja, das muss es sein.


Derart theoretisch gerüstet kann es ja losgehen gegen den (deutschen) Nationalismus am dritten Oktober!


Mehr auf www.keinort.de

 

(1) http://oct3.net/?page_id=2
(2) http://umsganze.org/alternative-kommunismus-deutschland/
(3) http://associationmardecafe.blogsport.de/2014/09/17/contre-la-celebratio...
(4) http://issuu.com/antifaschistischegruppebs/docs/kritik_im_vakuum_web
(5) http://antifabremen.blogsport.de/2014/09/03/gedanken-zum-aufruf-was-ihr-...

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Schön, dass dir Augefallen ist, dass das Motto keine komplexe Gesellschaftskritik enthält bzw. dessen Verständniss "Wissen um die Kritik an Staat, Nation & Kapital vorraus" setzt... nächstes Mal können die Aufrufenden ja einfach ein ganzes Buch als "Motto" wählen ;-)

... oder hast du vielleicht einen super tollen Vorschlag für ein Motto, das von allen verstanden wird (nicht nur von der Szene) und dabei diese Mensch anzieht aber trotzdem noch total richtig und tiefgreifend in seiner sofort erkennbaren Gesellschaftskritik ist?

Lass den freaks doch ihren spaß. Es intressiert doch eh niemand.

1. Ein Alternativprogramm ist uns verdächtig. Klingt heteronorm.
2. Lies mal das Grundgesetz, und die Kritik der Rechtsform von Eugen Paschukanis. Das Grundgesetz wird dies nie bereitstellen
3. Dein unbedingter Wunsch nach Kaffee ist uns auch verdächtig. Lern mal deine Ängste reflektieren. 

Im Grunde trifft sich da am 3.10 in Hannover das was zusammen gehört: Antideutsche "antifa"-Gruppen mit den angeblichen Post- oder Ex-Antideutschen von "UmsGanze" und das musikalische Rahmenprogramm von Audiolith (Frittenbude&Egotonic) zusammen mit der oberpeinlichen Sexy-Frauen-Spaß-Punk-Truppe "Tote Crackhuren im Kofferraum" und die Jungle World oder Strassen aus Zucker werden sicherlich als Sponsor auch noch irgendwo mitmischen. Man feiert sich selbt, versucht mit allem Scheiß den man zu bieten hat möglichst viele Leute zu ziehen, aber um nicht dem Deutschen Nationalbürgertum etwas entgegenzusetzen, nein, der eigentliche Adressat ist die verhasste Restlinke.

Soweit ich die Behandlung antinationaler Aufrufe sehe, macht die Kritik an ihnen zwei Fehler:

 

Der erste ist recht einfach: UmsGanze sagen in ihrem Aufruf, dass "das deutsche Feuilleton zu verkünden [weiß], dass die Krise überwunden und die Sparprogramme erfolgreich gewesen seien". Daraus wird von Keinort ziemlich eigenwillig gemacht: UmsGanze sagt, die Sparprogramme waren nicht erfolgreich - also seien die Programme auch laut UmsGanze für was anderes, besseres da gewesen. Dabei paraphrasieren UG bloß, was die Medien sagen. Und später sagen sie sogar: "...so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich diese Politik [die von der BRD empfohlene Krisepolitik] in den Augen der europäischen Staaten und des europäischen Kapitals als erfolgreich erwiesen hat." Die Kritik trifft UmsGanze überhaupt nicht - der Autor hätte den Text schon aufmerksam und vielleicht auch zu Ende lesen sollen.

 

Zum zweiten: Das Motto "Was ihr feiert: Armut, Ausgrenzung, Leistungszwang" wird von Keinort kritisiert, weil es keine Bestimmung des Nationalismus ist. Mehr noch wird sogar behauptet, es handele sich um eine ähnliche Herangehensweise wie die von Nationalisten. Dass Nationalisten und das Bündnis sich am selben stören genügt da schon als Beweis - dass sich Bündnis und Nationalisten das fundamental anders erklären, wird da einfach fallen gelassen.

Dabei soll das Motto auch nicht Nationalismus bestimmen, sondern plakativ aufzeigen, was mit Nationalismus, der Parteilichkeit für den eigenen Staat, so alles ungemütliches einhergeht. Dieses veruscht der Aufruf herzuleiten-  nicht ganz sauber, wie ich finde.

Die Überschrift des Aufrufs zu einem reinen identitären "Szenemotto" zu machen, weil sie das Resultat vorwegnimmt, ist schräg - wieso sollte nicht irgendein Bürgerlicher sich den Aufruf durchlesen, nachdem er sich an Motto/Überschrift stört? Immerhin hat der Aufruf den Anspruch, den Zusammenhang zwischen A,A,L und Staat zu klären.

Das ist tatsächlich ein weiteres Missverständnis von Keinort: Dass die Einheitsfeierlichkeiten dazu da sind "[f]ür Armut und Ausgrenzung [...] die Korken knallen [zu] lassen", wie Keinort sagt, behauptet der Aufruf des Büdnisses gar nicht - wie schon angemerkt soll den Nationalisten gezeigt werden, was sie sich alles einkaufen, wenn sie die Nation selbst feiern.

Die Quellenangaben sind leider nur indirekte Links zu den Seiten, da man über den Umweg Facebook geführt wird. So wird sichergestellt, dass auch schön in den Cookies gespeichert wird, für was man sich politisch so interessiert. Unbedingt ändern und beim nächsten Mal drauf achten, Leute!

Normalerweise machen wir Links zu Facebook weg, aber hier waren sie gut versteckt (absichtlich in die Links eingebaut? Oder wurde der Text auf Facebook geschrieben und von dort hierher kopiert?). Wir haben die Facebook-Links weggenommen.